Der Preis bestimmt die Nachfrage - Weitere Preiserhöhungen bei der Deutschen Bahn AG

Allem öffentlichen Widerstand zum Trotz wird die Deutsche Bahn zum Fahrplanwechsel ihre Preise erhöhen. ... Was den Verkehrssektor anbelangt, bestimmt eben doch der Preis die Nachfrage.

Allem öffentlichen Widerstand zum Trotz wird die Deutsche Bahn zum Fahrplanwechsel ihre Preise erhöhen. Ab dem 12. Dezember sollen Tickets für Fernverkehrszüge im Schnitt um 3,1 Prozent teurer werden, im Nahverkehr stehen zum Jahreswechsel Preisaufschläge um bis zu 3,9 Prozent an.

"Unsere Züge schonen die Umwelt. Unsere Preise schonen ihren Geldbeutel." So liest es sich auf den von der Deutschen Bahn (DB) AG im Regionalverkehr eingesetzten Loks. Vor dem Hintergrund der zum 12. Dezember zeitgleich mit dem Fahrplanwechsel in Kraft tretenden Tariferhöhung im Fernverkehr scheint diese Eigenwerbung nicht mehr zeitgemäß. Erst im Frühjahr hatte das "Unternehmen Zukunft" bei den Tickets für Fernverkehrszüge um durchschnittlich 3,4 Prozent aufgeschlagen; im Regionalverkehr waren die Entgelte im letzten Winter um durchschnittlich 4,1 Prozent gestiegen. Die erneute Anhebung der Tarife im Nah- und Fernverkehr wird den amtierenden Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe womöglich demnächst zu einer ähnlichen Offenbarung nötigen wie einst seinen Amtsvorgänger Kurt Bodewig, der im Verkehrsbericht 2000 feststellte: "Das wichtigste Ziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, konnte auch dieses Jahr nicht erreicht werden."

Ungewöhnlich einig sind sich die Verkehrspolitiker in der Ablehnung der erneuten Fahrpreiserhöhungen. "Wenn ein Unternehmen innerhalb so kurzer Zeit ein zweites Mal die Preise deutlich erhöht, ist das sicher nicht die richtige Strategie, um mehr Fahrgäste zu gewinnen", lässt sich der baden-württembergische Verkehrsminister Stefan Mappus (CDU) zitieren. Ihm pflichtet die PDS- Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch bei, wenn Sie darauf verweist, dass die Tariferhöhungen "eine weitere Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße zur Folge haben werden". Unverständlich erscheint die Preisstrategie vor dem Hintergrund, dass den Konzern insbesondere im Personenfernverkehr massive Auslastungsprobleme plagen. Die dort anstehende Preiserhöhung um durchschnittlich 3,1 Prozent dürfte kaum dazu angetan sein, die Auslastung der Züge von derzeit mageren 42 Prozent auf ein tragfähiges Niveau zu steigern.

Tatsächlich liegt die Schuld für diese Entwicklung nicht allein bei den Bahnverantwortlichen. Die DB AG hat sich seit geraumer Zeit im Fernverkehr einem weiteren Konkurrenten zu stellen: dem Flugzeug, dessen Tarife bisweilen auf einen Nulltarif sinken und dessen Verfügbarkeit durch die vermehrte Nutzung von Regionalflughäfen fortlaufend steigt. Diese Entwicklung steht dem Konzept der Bahn diametral entgegen. Während jene durch das Streichen von Nebenstrecken den Rückzug aus der Fläche antritt, "diffundiert" der Verkehrsträger Flugzeug bis in die entlegensten Regionen. Sollte die Umsatzsteuerbefreiung für den grenzüberschreitenden Flugverkehr sowie die Kerosinsteuerbefreiung nicht alsbald aufgehoben werden, wird sich die DB AG angesichts eines Schuldenbergs von mehr als 35 Mrd. Euro in naher Zukunft erneut zu einer Fahrpreiserhöhung genötigt sehen.

Dabei entfaltet bereits die unter der rot-grünen Bundesregierung vorangetriebene "Verteuerung" des motorisierten Individualverkehrs, der in vielen Regionen den einzigen Garanten für ein ausreichendes Maß an Mobilität darstellt, eine weitreichende soziale Trennwirkung. Durch die erhöhte Besteuerung des Mineralöls im Zuge der ökologischen Steuerreform musste eine Vielzahl von Menschen die Nutzung des Pkw einschränken, nicht selten wurde sie unerschwinglich. Fährt der Bund nun auch noch seine finanziellen Zuwendungen für die Schieneninfrastruktur um 8,3 Mrd. Euro bis 2008 zurück, werden Bahnreisen als preiswerte Alternative ausscheiden, so dass künftig vielen selbst der Zugang zu dem sozialverträglichsten Verkehrsmittel überhaupt verwehrt bleiben wird. Das Bundesverkehrsministerium und der Bahnvorstand zeigen sich gleichermaßen blind gegenüber den Sekundäreffekten einer funktionierenden Eisenbahninfrastruktur. So kann etwa eine Bahnstrecke, die eine entlegene Region mit einem Wirtschaftszentrum verbindet, unrentabel sein, für die dortigen Bewohner jedoch eine Lebensnotwendigkeit darstellen. Die Schaffung eines attraktiven Nahverkehrssystems, das Berufspendlern, Studenten, Rentnern und Behinderten, aber auch "Reiselustigen" eine echte Alternative zum individuell motorisierten Straßenverkehr bietet, ist unerlässlich. Nicht zuletzt, weil der motorisierte Individualverkehr die Gesellschaft teuer zu stehen kommt, wie ein Auszug aus dem Forderungskatalog der Allianz pro Schiene verdeutlicht: "Den Steuer- und Krankenkassenbeitragszahlern werden Milliardenbeträge aufgebürdet, die vom motorisierten Straßenverkehr verursacht werden: Gebäudeschäden, Unfallkosten, Gesundheitskosten für Lärm- und Luftverunreinigungsfolgen, kaum zu beziffernde Verluste durch Natur- und Landschaftsverbrauch und viele andere Begleiterscheinungen der Straßenmobilität, die in der Summe ein immer unerträglicheres Ausmaß angenommen haben."

Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland im April 2003 "hat die Bahn das schlechteste Image unter 29 ausgewählten deutschen Großunternehmen". Dies liegt nicht zuletzt an dem wenig transparenten Preissystem. Unter der Leitlinie "Flucht aus dem Tarifdschungel" bedarf es einer Vereinfachung des Bahnpreissystems, die nun durchgesetzte neue Preisgestaltung trägt dazu sicherlich nicht bei. Nach wie vor existieren 22 Millionen Einzelpreise für die bundesweit angebotenen Zugverbindungen, noch immer weist die Bahn für eine Verbindung zwischen zwei Orten ein halbes Dutzend und mehr unterschiedliche Preise aus. Warum wird nicht der Grundpreis je Kilometer zur Fahrpreisberechnung herangezogen? Zugleich könnte die ausladende Vielfalt des Angebots durch zwei klar definierte Preise ersetzt werden: einem für die preiswerteste und einem für die schnellste Verbindung. Noch immer schreckt die Ermittlung des maximalen Rabatts zwischen den Sparpreisen mit und ohne Wochenendbindung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Ermäßigungen durch die Bahncard 25/50 selbst leidenschaftliche Bahnfahrer ab.

Da im Zuge der Tarifneugestaltung die Kombination von Normalpreis und Mitfahrer-Rabatt entfällt, werden zahlreiche Kunden, man denke etwa an Ausflugsgruppen, bis zu 67 Prozent - in der 1. Klasse sogar bis zu 78 Prozent - mehr zahlen müssen. Während bei einem Fahrpreis ab 15 Euro bislang lediglich die erste Person den vollen Fahrpreis zu entrichten hatte und bis zu vier weitere Personen zum halben Preis fuhren, hat künftig beim Normalpreis jede Person den vollen Preis zu zahlen. Des Weiteren stiften die unterschiedlichen Anwendungen des Mitfahrer-Rabatts Verwirrung. Wurde der Sparpreis 25 oder 50 seinem Namen bis dato mit einer Ermäßigung von 25 oder 50 Prozent gerecht, so schwanken die Rabatte demnächst beim Sparpreis 25 zwischen 25 und 55 Prozent und beim Sparpreis 50 zwischen 50 und 70 Prozent auf den Grundpreis. Dies führt zu dem absurden Ergebnis, dass der Sparpreis 25 in Einzelfällen einen höheren Preisnachlass gewährt als der Sparpreis 50. "Das übersieht kein normaler Kunde mehr und der Beratungsaufwand wird deutlich steigen", so Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn". Die chaotische Mischung aus ein wenig Vorreservierung und ein wenig Flexibilität gehört in die Mottenkiste gescheiterter Tarifsysteme. Rat holen könnten sich die ehemaligen Lufthansa-Manager, die im Bahnvorstand für die Preispolitik verantwortlich zeichnen, bei ihren Schweizer Kollegen. In dem Alpenland ist jeder dritte Bürger im Besitz einer Bahncard, die grundsätzlich 50 Prozent Ermäßigung auf den Einheitspreis gewährt und zudem nur halb so teuer ist wie hierzulande.

Mit der Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke Hamburg - Berlin, auf der die Fahrzeit ab Sonntag von ehemals zwei auf nun 1,5 Stunden schrumpfen wird, unterstreicht die DB erneut ihre Strategie, sich auf den Hochgeschwindigkeits- und Geschäftsreiseverkehr zu konzentrieren. Kehrten die Verantwortlichen im Berliner Bahntower dieser Minutenschinderei durch Milliardenprojekte künftig den Rücken, könnte mit den freiwerdenden Mitteln eine stärkere Kundenorientierung sowie ein akzeptables Preisniveau mit einer Stärkung des Verkehrs in der Fläche - und nicht nur zwischen den Ballungszentren - erreicht werden. Schließlich werden 50 Prozent der Schienenverkehrsleistung im Nahverkehr erbracht. Wie begrenzt das Potential bei einer Orientierung an Geschäftsreisenden und First-Lounge-Usern ist, zeigt das Beispiel der Neubaustrecke Köln - Frankfurt/Main. Trotz einer Halbierung der Fahrzeit sind die 300 Stundenkilometer schnellen ICE zu weniger als 35 Prozent ausgelastet, so dass die DB AG zuletzt den Fahrtakt ausdünnen musste, um die jährlichen Verluste in dreistelliger Millionenhöhe abzufedern.

Ausdruck der verfehlten Preispolitik ist nicht zuletzt die Einstellung des für solvente Geschäftsreisende eingeführten Luxuszuges "Metropolitan", der bislang viermal täglich zwischen Hamburg und Köln verkehrte. Die Tatsache, dass der einst mit dem Slogan "Willkommen auf der Erfolgsschiene" beworbene Zug morgen auf das Abstellgleis rangiert wird, sollte den Bahnvorstand für die Zukunft eines lehren: Züge, deren Ausstattung von Ledersitzen bis zur Cocktailbar reicht, können mangels Nachfrage und massiver Konkurrenz aus der Luft offensichtlich nicht wirtschaftlich betrieben werden. Was den Verkehrssektor anbelangt, bestimmt eben doch der Preis die Nachfrage.

Der Artikel ist in einer gekürzten Version am Samstag, 11.12.2004 im ND erschienen.