Abstimmung gegen den Terror

Im Irak wurde gewählt - trotz Gewalt, Besatzung und Angst

Am 30.1.2005 wird George W. Bush die Wählerinnen und Wähler im Irak dankbar in sein Abendgebet aufgenommen haben. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan äußerte sich zufrieden über den Ablauf der Wa

Und das europäische Politestablishment lobte unisono - unabhängig von der eigenen Position zur US-geführten Intervention - den Mut der irakischen Bevölkerung. Diese Einigkeit in der Einschätzung verweist zum einen auf wiedergefundene gemeinsame Interessen der herrschenden Eliten, zum anderen aber auch auf den großen Interpretationsspielraum, den das Ergebnis eröffnet. Es hilft für die Analyse allerdings wenig, diesen Vorgang nur als "geplantes Wahltheater" abzutun. (1) Gewählt wurden 18 Provinzverwaltungen und die Nationalversammlung. In den drei kurdischen Provinzen Dohuk, Sulaimani und Erbil wurden zusätzlich das kurdische Regionalparlament und Kommunalparlamente gewählt. In der neuen Nationalversammlung beträgt die Frauenquote mindestens 25%. Neben der Bildung einer Regierung wird dort die Hauptaufgabe die Erarbeitung einer Verfassung sein. Bereits im Dezember diesen Jahres sollen erneut Wahlen zum irakischen Nationalparlament stattfinden. Die Wahlen vom 30.1. waren somit nur eine Etappe in der politischen Agenda der Transformation Iraks, die im Jahr 2003 von der US-geführten Coalition Provisional Authority (CPA) festgelegt und mittlerweile von der UN abgesegnet worden ist.

Wahllokale wie Hochsicherheitstrakte

Sicher kann von freien, demokratischen oder fairen Wahlen überhaupt keine Rede sein. Dies war in dem herrschenden Klima der Angst nicht möglich. Mordanschläge auf Wahlhelfer sowie Morddrohungen gegen potenzielle WählerInnen waren in der Vorwahlzeit an der Tagesordnung. KandidatInnen zogen es vor, anonym zu bleiben. So etwas wie Wahlkampf fand deshalb allenfalls rudimentär statt. Am Wahltag selbst herrschte im gesamten Land die höchste Sicherheitsstufe; manches Wahllokal glich einem Hochsicherheitstrakt. Dennoch waren es seit Jahrzehnten die ersten Wahlen mit realen Parteialternativen. Mit einer Wahlbeteiligung von ca. 60% sind diese Wahlen in erster Linie als Volksentscheid gegen den Terror zu verstehen. Einem Terror, der sich - wie der Wahltag mit 40 Opfern noch einmal blutig verdeutlichte - vor allem gegen die zivile Bevölkerung des Iraks richtet. Um dessen Ablehnung zu demonstrieren, haben sehr viele IrakerInnen ihr Leben riskiert. Selbst nach Abschluss der Wahlen wurden DorfbewohnerInnen, die gewählt hatten, von Terroristen überfallen. Die Terroristen aus dem Umfeld der Baath-Diktatur bzw. militant islamistischer Organisationen haben noch einmal gezeigt, dass sie unfähig und nicht willens sind, politisch zu agieren. Ihr erklärtes Ziel - die Wahlen zu verhindern - haben sie jedoch nicht erreicht. In den Städten, in denen sie über starke Strukturen verfügen, konnten sie durch ihre Drohungen die Wahlbeteiligung zwar drastisch senken. Allerdings war es ihnen nur an wenigen Orten wie etwa dem nordirakischen Bartalla möglich, die Wahlen gänzlich zu verhindern. Zu der niedrigen Wahlbeteiligung in den arabisch-sunnitischen Gebieten hat vor allem der Rückzug der einflussreichen Iraqi Islamic Party von der Wahl beigetragen. Da die arabischen Sunniten nunmehr nur über die Listen in der Nationalversammlung vertreten sind, an denen alle Bevölkerungsgruppen beteiligt waren, werden sie insgesamt unterrepräsentiert sein. Erwartungsgemäß war die Wahlbeteiligung unter der schiitischen Bevölkerung im Südirak am höchsten. Hier wirkten vor allem islamische Würdenträger mobilisierend. Großayatollah Ali al-Sistani hatte auf einen raschen Wahltermin gedrängt. Damit sollte endlich der durch das britische Kolonialregime in den 1920er Jahren etablierte und von der Baath-Diktatur forcierte faktische Machtausschluss der schiitischen Bevölkerungsmehrheit revidiert werden. Oft ist - auch von IrakerInnen - zu hören, die Aufteilung der irakischen politischen Landschaft in Schiiten, Sunniten sowie Kurden sei im wesentlichen ein Fantasieprodukt westlicher Medien. Ein Blick auf die sich an der Wahl beteiligten Listen zeigt aber, wie sehr es bei dieser Wahl darum ging, den jeweiligen Bevölkerungsgruppen Einfluss zu sichern. Dies ist vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen mörderischen Verfolgung der kurdischen und schiitischen Opposition im Irak mehr als nachvollziehbar. Den derzeit vorliegenden Zwischenergebnissen zufolge wird erwartungsgemäß die Vereinigte Irakische Allianz die Wahlgewinnerin sein; ein Zusammenschluss der einflussreichsten schiitischen Parteien, der auch von Großayatollah al-Sistani unterstützt wird. Ihr werden nach einer Teilauszählung in 13 Provinzen über 50% der Stimmen zugerechnet. (2) Die Kurdische Vereinigte Allianz, ein Zusammenschluss fast aller kurdischen Parteien, konnte demnach 24,6% der Stimmen auf sich vereinigen. An dritter Stelle wird die Liste des jetzigen Premiers Iyad Allawi mit ca. 13,6% der Stimmen gehandelt. Der säkulare Schiit war zuletzt Favorit der US-Administration.

Wenig Optionen für Linke

In einer Atmosphäre, die durch eine ethnisch-religiöse Interpretation sozialer Konflikte geprägt ist, bleibt für linke Positionen wenig Spielraum. Die Irakische Kommunistische Partei trat unter dem Namen "Volkseinheit" zur Wahl an. Traditionell ist sie in allen Regionen des Landes vertreten und war über Jahrzehnte die einzige gesamtirakische Partei. Ihr Wahlprogramm zielte insbesondere auf die Wiederherstellung der nationalen Souveränität und auf die Errichtung eines föderalen Staatswesens. Ihre Chancen, Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen, sind jedoch gering. Die Arbeiterkommunisten haben gleich auf eine Teilnahme verzichtet - unter dem Verweis, dass vor einer Wahl sowohl der islamistische Terror als auch die Besatzung beendet sein müsse und eine Wahl nur auf dem Boden einer säkularen Verfassung, die den arabischen Nationalismus überwunden hat, stattfinden könne.

Mögliche Öffnung von Spielräumen

Die Wahl zeigt allerdings auch, dass die politische Landschaft des Irak nicht reduziert werden kann auf Besatzer und Kollaborateure einerseits sowie "Aufständische" und "Widerstand" (wie die verniedlichende Beschreibung der Terroristen häufig lautet) andererseits. Selbstverständlich sieht die Bush-Administration in dem Wahlergebnis eine Legitimation der Besatzungspolitik. Gerade dagegen verwahren sich aber andererseits sehr viele WählerInnen im Irak. Die US-Administration wird es nun mit einer - da durch Wahlen legitimiert - selbstbewussteren irakischen Regierung zu tun haben. Bei den vorprogrammierten Konflikten wird die US-Regierung deshalb nicht ausschließlich auf ihre Truppenpräsenz im Land verweisen können, da sie auch auf Mithilfe der neuen irakischen Regierung angewiesen ist, um die sie interessierenden Teile des Landes unter Kontrolle zu bekommen. Daraus ergeben sich für die irakischen AkteurInnen durchaus Spielräume. Der weitere politische Prozess erscheint deshalb auch offen. Zweifelsohne haben die Wahlen die ethnischen Spannungen verschärft. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das Wahlergebnis das Auseinanderdriften der Landesteile forcieren und die Gewalt eskalieren muss. Es besteht durchaus eine Chance, dass es einer erfolgreich arbeitenden Nationalversammlung, in der die Schiiten eine Mehrheit und die Kurden eine starke Präsenz haben, gelingt, die arabisch-sunnitischen Kräfte über Verhandlungen in den politischen Prozess zurückzuholen. Entscheidend für diesen Prozess wird allerdings auch sein, dass die US-Regierung die Bedingungen für einen Truppenabzug präzise benennt. Dass sie unmittelbar nach der Wahl im US-Kongress die Verlängerung der Stationierungskosten um zwei weitere Jahre beantragte, lässt in diese Richtung allerdings skeptisch bleiben. Auch ein Arrangement der US-Regierung mit der schiitischen Mehrheitsfraktion scheint möglich. Die Implementierung des "freien Welthandels", dem die Besetzung des Landes diente, wird zwischen ihnen keine unüberbrückbare Gegensätze aufwerfen. Dass das Zusammenspiel funktionieren kann, zeigte sich letzten Sommer, als al-Sistani hunderttausende PilgerInnen nach Nadschaf ziehen ließ, woraufhin der Aufstand der Mahdi-Milizen von Moqtadar al-Sadr zusammenbrach. Die zentralen Probleme des Irak, also der Aufbau des Gemeinwesens und die Beendigung der Besatzung sind mit dieser Wahl allerdings keineswegs gelöst. Dem Land stehen noch schwere Jahre am Abgrund bevor. Dennoch war diese Wahl ein unverzichtbarer Schritt zur Überwindung der Diktatur.

Vertane Chance in Irakisch-Kurdistan

In den kurdischen Provinzen fanden neben der Wahl zur Nationalversammlung auch Wahlen zum kurdischen Regional-Parlament und den Kommunalparlamenten statt. 1992 waren unter begeisterter Teilnahme der Bevölkerung Wahlen zum ersten kurdischen Regionalparlament durchgeführt worden. Die beiden großen kurdischen Parteien, Demokratische Partei Kurdistans (DPK) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) teilten sich die Regierungsgewalt unter Beteiligung von Vertretern von Minderheiten. Nachdem es Mitte der 1990er Jahre zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen kurdischen Parteien kam, ist das Gebiet in zwei von der DPK bzw. PUK dominierte Verwaltungsbereiche geteilt. Trotz aller Schwierigkeiten konnten sich in den kurdischen Gebieten in den letzten Jahren funktionierende Verwaltungsstrukturen und Ansätze einer Zivilgesellschaft, wie Frauen- und Menschenrechtsgruppen und vielfältige Medien entwickeln. Begeistert begrüßte die kurdische Bevölkerung im April 2003 auch den Sturz des Baath-Regimes. Wirtschaftlich hält die Aufbruchstimmung an. Der Lebensstandard der Bevölkerung hat sich erheblich verbessert. Politisch hingegen ist die anfängliche Begeisterung verflogen. Die überwiegend säkular orientierte Bevölkerung fürchtet angesichts der anhaltenden Gewalt und auch angesichts der unerwartet starken religiösen Orientierung der schiitischen Bevölkerung, die errungenen Rechte und Freiheiten im gesamtirakischen Prozess zu verlieren. Während die politische Führung an der Vision eines multiethnischen und föderalen Irak festhält, haben 1.9 Millionen KurdInnen eine Petition an das Parlament unterschrieben, mit der Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass den KurdInnen in der neuen Verfassung ein Sezessionsrecht zugestanden wird. Ein strittiger Punkt vor den Wahlen war das Wahlrecht für ca. 150.000 KurdInnen aus Kirkuk, die einst vom Regime Saddam Husseins deportiert worden waren und nun zurückgekehrt sind oder dies beabsichtigen. Ihr Status, die Modalitäten der Rückkehr und die damit verbundenen komplexen politischen und Eigentumsfragen sind bislang nicht gelöst. Auf Druck der kurdischen Führung und eines angedrohten Wahlboykotts wurden diese RückkehrerInnen zur Wahl zugelassen und zum Teil mit Bussen in die Wahllokale nach Kirkuk gefahren. Dies hat insbesondere die Spannungen zwischen den turkmenischen und kurdischen Parteien erhöht. In den kurdischen Gebieten war die Wahlbeteiligung überwiegend hoch. Zur Sicherung des größtmöglichen kurdischen Einflusses auf den gesamtirakischen Prozess wurde die kurdische Einheitsliste für die nationalen Wahlen von vielen begrüßt. Sie umfasste neben der DPK und PUK die Islamische Liga, die Kommunistische Partei Kurdistans, die Partei der Werktätigen sowie kleinere assyrische, chaldäische und turkmenische Parteien. Kritisch wurde in der kurdischen Öffentlichkeit dagegen diskutiert, dass auch für das kurdische Regionalparlament nur eine Einheitsliste zur Wahl stand. Schon vor der Wahl waren die Sitze im Parlament zwischen DPK und PUK (je 31%), und den anderen Parteien sowie Minderheitenvertretungen aufgeteilt. So wird zur Enttäuschung vieler KurdInnen die gegenseitige politische Blockade der beiden Lager fortgesetzt werden. Auch die Meldung der Wochenzeitung Hawlati, dass beide große Parteien auch ehemalige mustashar (Führer bewaffneter Gruppen, die das Baath-Regime unterstützten) für die Einheitsliste nominierten, dürfte dazu beigetragen haben, dass in einigen Wahllokalen nur 50% der kurdischen Wahlberechtigten von ihren Wahlrecht Gebrauch machten. Bernhard Winter, Haukari e.V. www.haukari.de Anmerkungen: 1) "Wahltheater wie geplant". Rüdiger Göbel in junge Welt, 31.01.05 2) The Time online, 08.02.2005 aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 492/18.2.2005