Bertinottis Endspiel

Rifondazione Comunista ist stärker und zerstrittener denn je

Historisches Ziel bleibt die Überwindung des Privateigentums, erklärte Fausto Bertinotti in einem Interview kurz vor Beginn des VI. Parteitags der italienischen Rifondazione Comunista (PRC).

Allerdings nicht in den nächsten fünf Jahren. Mit einer beachtlichen Rede (1) eröffnete Fausto Bertinotti in Venedig am 3. März den Parteitag, der sein letzter im Amt des nationalen Sekretärs gewesen sein soll - der jetzt 65-Jährige kündigte an, in absehbarer Zeit Jüngeren Platz zu machen. Impressionen aus der verzweifelten Welt der prekären Arbeit standen am Anfang. Bertinotti stellt sich in die Tradition des Operaismus der frühen 1960er Jahre, der Zeit, als er seine politische Laufbahn begann, während Italien den ersten großen Schub kapitalistischer Modernisierung nach 1945 erlebte. Und er hebt hervor, was heute anders ist: Die "restaurative kapitalistische Revolution" bewirkt nicht mehr die Vereinigung des Proletariats in großen Fabrikkollektiven, sondern im Gegenteil die Diversifizierung, Fragmentierung und Prekarisierung der Lohnarbeit, während die Ausdehnung der Logik des Marktes und der Betriebswirtschaft auf alle Lebensbereiche in eine Krise der Zivilisation selbst einmündet. Was die neoliberal entfesselte Ökonomie spaltet, muss politisch zusammengeführt werden. Die Gegenkraft der "Befreiung der Arbeit und Befreiung von der Arbeit" bedarf bewusster Organisation, um eine "neue ArbeiterInnenbewegung" zum gemeinsamen Projekt aller sozialen Bewegungen werden zu lassen. Die Wiedergewinnung der politischen Dimension des sozialen Konflikts ist die Herausforderung, die Bertinotti nun auch in einer Regierungskoalition mit der gemäßigten Linken aufnehmen will, die er 1998 in die Wüste geschickt hatte. Damals war die PRC gesellschaftlich völlig isoliert. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die sozialen Bewegungen der letzten Jahre haben Spuren im Milieu der gewerkschaftlichen und reformistischen Linken hinterlassen und Rifondazione ist keine Randgruppenpartei mehr. Mit der Präsenz der PRC in der "Großen Demokratischen Allianz" der linken Mitte will Bertinotti den Einfluss der Bewegungen stärken, um 2006 den Sturz Berlusconis nicht bloß wahlarithmetisch zu ermöglichen, sondern den Druck in Richtung auf einen grundlegenden Politikwechsel zu verstärken. Der Schwerpunkt der PRC hat sich auffällig von den alten Hochburgen im industriellen Norden in den von schweren sozialen Verwerfungen heimgesuchten Süden verlagert. So erstaunt es nicht, dass Bertinotti auf den "Südwind", auf einen Antikapitalismus des Südens setzt. Er will Italien zum Ausgangspunkt eines alternativen sozialen Modells für Europa machen. Es ist das Italien, das als Spätentwickler und schwaches Kettenglied des europäischen Kapitalismus aus der neoliberalen Hypermodernisierung schärfste Konflikte gebärt. Es ist das Italien, in dem die Ökonomie der Mafia zur Chiffre des "Raubkapitalismus" unserer Zeit wird, Sinnbild einer regressiven Moderne. Aber es ist auch das Italien der Bäuerinnen und Bauern der "Slow food"-Bewegung, die wissen, wie eine vernünftige Landwirtschaft aussehen könnte, wenn sie vom Druck des Marktes befreit wäre. Aus diesem Italien, das seit einem Vierteljahrhundert der "Kolonisierung" durch den Norden ausgesetzt ist, schöpft Bertinotti seine konkrete Utopie für die "alternative Linke" Europas.

Orthodoxe verlieren an Einfluss

Bertinottis Traum: Unter dem Druck sozialer Bewegungen, die auch die Teile der Bourgeoisie in ihren Sog zu ziehen vermögen, die sich inzwischen allmählich wieder dem Gedanken einer gesellschaftlichen Regulierung der Ökonomie öffnen, könnte mittelfristig ein "anderes Europa" Gestalt annehmen. Ein Europa, das den Frieden zum "Polarstern der Politik" erhebt und in dem die Verteidigung öffentlicher Güter dem Durchdringen von Warenproduktion und Markt in alle Lebensbereiche Einhalt gebieten könnte. Europa als Bühne einer erneuerten Zivilisation, wo der vom Abendland hervorgebrachte Kreislauf Produktion-Aneignung-Herrschaft punktuell angehalten werden könnte. "Sozialismus oder Barbarei" heißt heute: Entweder es gelingt, in Europa wieder einen Zyklus sozialer Emanzipation in Gang zu bringen, oder die neoliberale Regression wird die Zivilisation dauerhaft beschädigen. Regierungsbeteiligung ist kein Ziel, sondern ein Durchgangsstadium, um den sozialen Bewegungen Zwischenergebnisse zu sichern. Bertinotti weiß um die Gefahr des Scheiterns und sagt mit Rosa Luxemburg, dass eine reale Niederlage mehr wert sein kann als hundert proklamierte Siege. Mehr als ein Drittel seiner Partei sieht das anders. Insgesamt etwa 15 Prozent der Aktiven unterstützen verschiedene trotzkistische Gruppen, die eine Regierungsbeteiligung generell ablehnen. Neu ist dabei, dass die AnhängerInnen der IV. Internationale, die seit Ende 1998 auf Bertinottis Seite standen, jetzt eine eigene Plattform mit 6,5 Prozent Zustimmung bilden. Gravierender ist, dass die ein Viertel der PRC stellenden KP-TraditionalistInnen der Ernesto-Strömung (benannt nach ihrer Theoriezeitschrift l'Ernesto) jetzt Sturm laufen. Sie sind immer für einen Dialog mit der reformistischen Linken eingetreten, fordern aber, dass Verhandlungen über eine Regierungszusammenarbeit erst auf der Grundlage klarer programmatischer Bedingungen aufgenommen werden, während Bertinotti das gemeinsame Regierungsprogramm der Linken im Geiste partizipativer Demokratie in öffentlichen Beratungen mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen erarbeiten möchte. Aber die "identitären" Vorbehalte der Orthodoxen gehen viel weiter. Bertinottis Plädoyer für Gewaltfreiheit "hier und jetzt" als Grundlage der politischen Strategie halten sie für eine Delegitimierung des antifaschistischen Befreiungskampfes und den bewaffneten "Volkswiderstand" im Irak für eine aktuelle Hauptkraft im Kampf gegen die Weltordnung des Kapitals. Während für Bertinotti die Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus vom Gelingen einer zivilgesellschaftlichen Transformation in einem sich dem Süden der Welt öffnenden Europa abhängt, setzt die Ernesto-Strömung im Kern auf die Errichtung staatlicher Bastionen des "Antiimperialismus" in der Dritten Welt.

"Südwind" für ein "anderes Europa"

Der Pazifist Bertinotti legt eine bislang ungewohnte Härte gegen die TraditionalistInnen an den Tag. Er zeigt sich konziliant gegenüber den GenossInnen der IV. Internationale, die ein gutes Stück Wegs mit ihm gegangen sind und ihm jetzt nicht mehr folgen wollen, doch unerbittlich in der Abrechnung mit den ErbInnen des Realsozialismus. Der Einfluss der Opposition in den Leitungsgremien wurde beschnitten. Tatsache ist allerdings auch, dass zumindest große Teile der Ernesto-Strömung in den letzten Monaten ein schon perfides Mobbing gegen Bertinotti betrieben haben. Als unschlichtbar erweist sich der Konflikt zwischen einer Linken, die immer noch ihre "antiimperialistischen" Verbündeten in arabischen Selbstmordattentätern sucht, und einer Linken, die, wie Bertinotti sagt, als wahre Genossinnen und Genossen die waffenlosen Frauen von Falludscha und die Befehlsverweigerer der israelischen Armee ansieht. Bertinottis Kritik der Macht und seine Absage an die Spirale der Gewalt beruhen auf dem Gedanken, dass eine emanzipative Transformation sozialer Beziehungen keine Symmetrie und Neutralität der Mittel annehmen kann. Fraglich bleibt, ob er im innerparteilichen Kampf gegen diejenigen, die diesen Gedanken für "Verrat" halten, Methoden anwenden muss, die befürchten lassen, dass Rifondazione sich einer bürgerlichen Politmaschine ähnlich wird. In der italienischen Presse stehen die Stimmen derer, die Bertinotti im Club der ReformistInnen begrüßen, neben denen, die ihn nahe bei Fidel Castro einordnen. Bertinotti wünscht sich, dass künftige Generationen, wenn sie sich an ihn erinnern, in ihm einen Kommunisten sehen. Als sicher kann heute gelten, dass man sich an ihn erinnern wird. An den Ernesto-Sprecher Claudio Grassi dagegen wohl kaum. Henning Böke Anmerkung: 1) Die deutsche Übersetzung ist verfügbar bei Rifondazione Wien: www.rifondazione.at ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 494/15.4.2005