Kapitalismus heute

Die zweite Brenner-Debatte und ihre Bedeutung für linke Politik

So richtig ist die Debatte über das Buch von Robert Brenner noch nicht in Fahrt gekommen. Die Rezeption beschränkt sich auf einige zumeist wohlwollend Rezensionen aufgrund der empirischen Fülle.

Vor einem Jahr veröffentlichte der VSA-Verlag das Buch "Boom & Bubble" von Robert Brenner, in dem dieser auf einer breiten empirischen Grundlage die ökonomische Entwicklung insbesondere der USA in den zurückliegenden 30 Jahren analysiert.
Die deutsche Übersetzung wurde von einigen Vorschusslorbeeren begleitet, die durch Klaus Drägers Beitrag "Baustelle Neomarxismus" in Prokla 123 (Dräger 2001) genährt wurden. Dräger erhoffte sich von der deutschen Übersetzung eine inspirierende Diskussion über marxistisch orientierte Krisentheorie und Kapitalismusanalyse im deutschsprachigen Raum, wie sie durch Brenner seit Erscheinen des Ursprungstextes "The Economics of Global Turbulence" in der New Left Review im Jahre 1998 für den angloamerikanischen Raum zutraf.
Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung
Im Mittelpunkt steht die Gesamtschau der Entwicklung der kapitalistischen Zentren seit dem 2. Weltkrieg. Die Kernthese lautete hier, dass die verschärfte Konkurrenz zwischen den USA und den sich nun entwickelnden beiden anderen Triadenregionen Europäische Union und Japan zu einem Aufbau von Überkapazitäten geführt habe. Die Folge dieser Entwicklung sei zudem in einem Absinken der Profitraten sowie in der Abschwächung der gesamten wirtschaftlichen Dynamik insgesamt zu sehen.
Robert Brenner kommt zusammen gefasst zu drei wesentlichen Ergebnissen: 1. Die US-Wirtschaft, und in ihrem Gefolge die anderen kapitalistischen Zentren EU-Europa und Ost-Asien, befinden sich seit 1973 in einem lange währenden ökonomischen Abschwung, der auch durch die "Boomjahre" der New Economy in den 1990er Jahren nicht überwunden werden konnte. Im Gegenteil - ursächlich für den anhaltenden Abschwung sei, dass die Überkapazitäten im weltweiten Sektor des verarbeitenden Gewerbes sich nicht nur verschärft, sondern durch Ausbreitung und Vertiefung in weiten Bereichen der gesamten Volkswirtschaft, und hier vor allem in der Hochtechnologie, ergänzt wurden. Als Resultat sei die Profitabilität im Sektor der nicht-finanziellen Unternehmen steil gefallen, die Rendite auf den Kapitalstock sei zwischen 1997 und 2000 um phänomenale 20 % zurück gegangen.
2. Die Boomphase der 1990er in die New Economy und die daraus resultierenden Fehlinvestitionen wurden vor allem durch eine massive Deregulierungspolitik der USRegierung einerseits und eine Niedrigzinspolitik der Fed begünstigt bzw. verlängert.
Der Investitionsboom der New Economy in den 1990er Jahres sei durch die Börse und die Zentralbank der USA "geradezu gewaltsam hochgepäppelt" worden, ohne dass als Folge der beschleunigten Kapitalakkumulation die erwartete Produktivitätsentwicklung über die kurze Frist hinaus erreicht worden sei.
3. Für die Zukunft besteht keine Hoffnung auf einen ökonomischen Aufschwung, soweit nicht die vorhandenen Überkapazitäten beseitigt werden. Die "schöpferische Zerstörung der Krise" wurde in den 1990er Jahren durch politische Interventionen aufgehalten bzw. aufgeschoben. Von der "spekulativen Blase" profitierten zwar zunächst sowohl die asiatischen Volkswirtschaften (z. B.
Japan, Taiwan, Südkorea, Singapur), als auch Deutschland und andere EU-Länder, nachdem die US-Nachfrage durch massive Importe aus diesen Ländern befriedigt wurde.
Insgesamt betrachtet sei aber auch dort kein entscheidender Wachstumsimpuls erfolgt, der eine neue dynamische Entwicklung der Weltwirtschaft hätte hervorrufen können.
Die Voraussetzungen für den US-Boom in den 1990er Jahren
Sollen die Träger des Wirtschaftswachstums der US-Wirtschaft in den 1990ern identifiziert werden, muss in Betracht gezogen werden, dass sich die Wirtschaft seit Anfang der 1970er in einer zwei Jahrzehnte andauernden Stagnationsphase befunden hat. Dieser langen Abschwungsphase wiederum ging eine landanhaltende Prosperitätsphase voran.
Brenner argumentiert, dass die abgewehrten Arbeiterkämpfe der 1930ern zu einem Absenken der Reallöhne und dadurch zu überdurchschnittlichen Profitraten geführt haben. Die Kette von hohen Überschüssen, hohen Investitionen und schnellem Produktivitätswachstum bildeten die Grundlage für eine sich selbstragende Aufwärtsspirale in den folgenden drei Jahrzehnten.
Dass diese Entwicklung zum Stillstand gekommen ist, hängt u.a. damit zusammen, dass zunehmend ab den 1960ern die herstellenden Sektoren in Japan und Deutschland eine Weltmarktorientierung und steigende Exporterlöse realisieren konnten, die auf einer Kombination relativ billiger Löhne und einer fortgeschrittenen Technik basierte.
Es stellte sich heraus, dass die US-Industrie überinvestiert hatte. Der vorhandene Kapitalstock war damit in einer inflexiblen Kostenstruktur gefangen war, wodurch sich die Profitraten reduzierten. Neu in den Markt tretendende Produzenten verschärften die Lage noch, da die Ausstoßmenge hierdurch erweitert wurde und die Güterpreise gedrückt wurden. "Kurzum, es gab nicht nur zu wenig Aussteiger, sonder auch noch zu viele Einsteiger." (Brenner, S. 61) Als Folge auf die rückgängige Profitraten übte das Unternehmerlager außerdem Druck auf die Arbeiter und ihre Organisationen aus. Die Profitraten sollten dabei durch einen verlangsamten Lohnanstieg stabilisiert werden, wodurch bei einer normalen Produktivitätsentwicklung die Löhne und damit die Arbeitskosten einen relativ geringeren Anteil an den gesamten Produktionskosten ausmachen. Gleichwohl konnte die Profitabilität aber nicht verbessert werden, denn das vorhandene hohe Fixkapital habe einen Anreiz gebildet, auch bei einer sinkenden Profitabilität in der bestehenden Produktion zu bleiben. Das Problem wurde also an der falschen Stelle zu lösen versucht, denn nicht die Lohnkosten drückten die Profitabilität, sondern das in den Produktionsanlagen versunkene Kapital.
1971 beendete die US-Regierung das Bretton- Woods-System und brach die Konvertibilität des US-Dollar zum Gold und stieg 1973 vollständig aus dem System der festen hin zu frei flottierenden Wechselkurse aus.
Gleichzeitig sollte durch eine expansive Geldpolitik sowohl die eigene Wirtschaft stimuliert als auch der Außenwert des Dollars absenken, um die Exportmöglichkeiten der US-Industrie zu erhöhen und Importe zu erschweren.
Gleichzeitig forcierte die US-Administration internationale Verhandlungen, mit denen sie die jedoch nicht das vielfach proklamierte Ziel eines freien Handels, sondern ganz im Gegenteil den Schutz der heimischen Industrie, z. B. der Automobil- und Stahlbranche durch "freiwillige Handelsbeschränkungen" japanischer Anbieter, verfolgte. Der Versuch der US-Industrie, aufgrund günstiger Kredite und einer erhöhten Rate der Kapitalakkumulation die eigenen Produktionskapazitäten zu erhöhen, gelang nur in diesem "geschützten Kontext" und erzielte nur für kurze Zeit eine günstige Wirkung auf die Profitrate, denn es gelang der US-Industrie nicht, ihren Welthandelsanteil auszubauen.
Auf die Periode "billigen Geldes" und Nachfrageanreize der Regierung, die durch wachsende öffentlicher Verschuldung und Inflation, die "die Realzinsquote unter Null" drückte (Brenner, S. 64), folgte eine Phase restriktiver Geld- und Zinspolitik, die die US-Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzte und Auftakt zu einer längst überfälligen Marktbereinigung wurde: "Beabsichtigt war, durch diese Politik ganz allgemein die Profitabilität zu erhöhen, indem die Arbeitslosigkeit weiter angehoben wurde, um so das Lohnwachstum zu dämpfen, und eine direkte Einkommensumverteilung zugunsten des Kapitals durch Senkung von Unternehmenssteuern und einen Abbau der Sozialausgaben vorzunehmen. Diese Politik zielte aber auch ganz speziell darauf, den Überhang an Produktionskapazitäten im verarbeitenden Gewerbe abzubauen, indem unter der ganzen, großen Schicht von Unternehmen, welche als Herstellerfirmen mit hohen Kosten und geringen Profiten von der keynesianischen Ausweitung des Kredits am Leben gehalten worden waren, ein Prozess der Bereinigung in Gang gebracht wurde. (Brenner, S. 70).
Die Umsetzung einer stark am Monetarismus orientierten Politik war jedoch unvereinbar mit wirtschaftlicher Stabilität, so dass Reagan und später auch Georg Bush erneut den Versuch unternommen die Profitabilität der ersten Nachkriegsjahrzehnte durch eine Verschuldung öffentlicher Haushalte herzustellen.
Beide Regierungen erhöhten massiv die Militärausgaben und senkten die Steuern für Reiche. Zwar kam es bis Mitte der 1980er Jahre wieder zu einem konjunkturellen Aufschwung, aber "er konnte nur wenig ausrichten, um die Kapitalakkumulation wieder in Gang zu bringen, da er nicht dazu in der Lage war, das grundlegende Problem der niedrigen Profitabilität anzugehen. Das lag daran, dass eben die beschleunigte öffentliche Verschuldung eine Depression abwendete und die Weltwirtschaft am Laufen hielt, damit auch den Prozess des "Gesundschrumpfens" der mit hohen Kosten belasteten und geringen Profiten versehenden Produktionsmittel verlangsamte, wie er notwendig war, um die Profitrate im verarbeitenden Gewerbe wiederherzustellen." (Brenner, S. 72). Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass auch die Monopolisierung des Kapitals einer Bereinigung durch den Konjunkturzyklus entgegenstand.
Mythos New Economy
Alle drei großen kapitalistischen Blöcke haben in der ersten Hälfte der 1990er nur sehr geringe Wachstumsraten erreicht. Tabelle 1 unterstreicht deutlich, dass in Vergleich mit vorangegangenen Perioden die Zuwachsraten des BIP sowohl in den USA als auch in der G7 in dieser Periode auf einem einmalig niedrigem Niveau angelangt waren.
Die sich vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er entfaltendende langanhaltende Wachstumsphase der US-Wirtschaft ist in diesem historischem Kontext keine Ausnahmeerscheinung.
Dennoch gilt es die Ausgangsbedingungen für den in den 1990ern beginnenden Aufschwung herauszuarbeiten.
Kurzgefasst erscheinen folgende Punkte wesentlich • die Wiederherstellung der Profitabilität des Industriekapitals, • die durch eine Hochzinspolitik gefördert wurde, • sowie durch das Plaza-Abkommen (1985), in dessen Folge es 10 Jahre zu einer Dollarabwertung gekommen ist und damit die internationale Wettbewerbstätigkeit des Industriekapitals erhöht werden konnte.
Ein sinkender Dollarkurs löste ab 1985 die Erholung des us-amerikanischen Herstellungssektors aus und führte auch zu einer Förderung des Wirtschaftswachstums in den südostasiatischen Tigerstaaten, die sehr eng an den (sinkenden) Dollar gebunden waren.
Negativ schlug sich diese Entwicklung aber in Japan durch, da einerseits der dortige Herstellungssektor in eine verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit gekommen ist und andererseits den Weg für die sich nun aufbauende Spekulationsblase frei gemacht hat, die dann erst später wieder durch ein Absenken der Wertpapierkurse auf ihr realwirtschaftliches Niveau angepasst wurden.
Der exportgestützte Boom der USA wurde also vor allem auf Kosten Japans realisiert.
Ein Wendepunkt der weltwirtschaftlichen Entwicklung bildete das Mitte der 1990ern zwischen den USA, Japan und Deutschland ausgehandelte "umgekehrte Plazaabkommen", durch das der japanische Herstellungssektor gerettet wurde. Die USA gaben somit zwar den Konkurrenzvorteil eines schwachen Dollars auf, erhielten aber die zweifache Hoffnung, sowohl ausländische Investitionen als auch Importe zu verbilligen.
Dadurch, so die Erwartung, sollte das wachsende Leistungsbilanzdefizit gedeckt und Zinssenkungen sowie ein Anstieg der Wertpapierpreise eingeleitet werden.
1995 vertauschen sich die Rollen: der hohe Dollar drückte den Profit und belastete den US-Herstellungssektor, wohingegen eben dieser Sektor in Japan und Deutschland sich erholen konnte. Der US-Boom hielt trotz des nun hohen Dollarkurses an und führte zu einem enormen Kapitalzufluss, der kreditfinanziertes und auf den Binnenmarkt ausgerichtetes Wachstum ermöglichte.
Im etwa gleichen Zeitraum kam es zu einer massiven Aktienhaussee, die auch noch anhielt, als die Profitraten des verarbeitenden Gewerbes schon wieder zu sinken begannen.
Aus dem Höhenflug der Aktien entwickelte sich zudem ein enormer Vermögenseffekt bei den privaten Haushalten, der wiederum den Aufschwung am Binnenmarkt unterstützt hat. Nachdem die Profitabilität, die Exporte und die Wettbewerbsfähigkeit in der Zeit 1995-2000 abgesunken sind, wurde die Wirtschaft durch den privaten Konsum getrieben (Zuwachs p.a. 4,3 %).
1998/1999 kam es zu einer widersprüchlichen Entwicklung. Während die Profitraten des verarbeitenden Gewerbes bereits im Fallen begriffen waren, stiegen die Aktienkurse und führten bis zum Crash im Frühjahr 2000 zu einem Vermögenseffekt, von denen sowohl die privaten Haushalte als auch die Unternehmen durch einen erleichterten Zugang zu Geldmitteln profitierten.
Der Aktienwert war von 4 Billionen US$ in 1994 auf 12,2 Billionen US$ in 2000 gestiegen.
Zu unterstreichen ist an dieser Stellen, dass es in den USA keine breite Verteilung von Aktien in der Bevölkerung gegeben hat.
So besaßen 20 % der Wertpapierbesitzer zwischen 96 % und 98 % der Aktienwerte.
Der Vermögenszuwachs vollzog sich also vor allem bei den oberen Fünftel der Gesellschaft.
Diese Gruppe erhielt 79 % des aggregierten Zuwachses des Verhältnisses zwischen den Nettovermögenswerten und dem persönlich verfügbaren Einkommen. Der Vermögenseffekt kann somit auf die Formel gebracht werden, dass der Reichtum nur bei den Reichen gewachsen ist.
Als ein neues Phänomen der 1990er Jahre ist zudem der Bedeutungsgewinn der Börsenfinanzierung nicht-finanzieller Unternehmen, besonders im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien hervorzuheben.
Der Finanzsektor befriedigte die gestiegene Kreditaufnahme wiederum durch einen Anstieg der eigenen Kreditaufnahme.
Dass es nicht eher zu einem Zusammenbruch des aufgeblähten Finanzmarktes kam, ist dem Eingreifen der Federal Reserve, der us-amerikanischen Bundesbank, geschuldet, die z. B. den vollständigen Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM- während der Asienkrise verhinderte.
Während die Profitabilität von Investitionen seit 1997 deutlich nach unten zeigte, stiegen die Börsenkurse weiter an. Dieses Börsenverhalten, die damit einhergehende Lockerung des Zugangs zum Kredit und die Begeisterung von Wirtschaftsexperten und öffentlicher Meinung begünstigte die fatale Zunahme des sogenannten "Ponzizustand" vieler Unternehmen hinsichtlich des Finanzierungsgrades.
Kreditaufnahmen werden nicht notwendig, um zusätzliche Investitionen zu tätigen, sondern werden unumgänglich, um den Bestand des Unternehmens überhaupt aufrecht zu erhalten.
Im Frühjahr 2000 kam es dann zum Platzen der spekulativen Blase an den Aktienmärkten, mit dem vor allem die Über- und Fehlinvestitionen im Sektor Information, Telekommunikation und Medien korrigiert wurde. So wurden Millionen Kilometer Glasfaserkabel verlegt, die kaum gebraucht werden. Die Nutzungsrate dieser Netze liegt im nationalen Bereich bei 2-3 % und bei Überseekabeln bei ca. 15 %.
Die Marktkapitalisierung der Telekommunikationsunternehmen von 2,7 Billionen $ mit 15 % des Gesamtwerts aller US-Firmen ist Ausdruck dieser Ansammlung "versunkenen Kapitals".
Brenners Fazit
Brenner spricht sich in seiner Argumentation deutlich gegen Krisenerklärungen wie die keynesianische Unterkonsumtion aus.
Seine Argumentation baut stattdessen darauf auf, dass im globalen Maßstab massive Überkapazitäten aufgebaut worden seien: das entscheidende Moment der diagnostizierten Krise ist die Verschärfung der globalen Konkurrenz durch die nachholende Industrialisierung Japans und Westeuropas sowie zeitlich später in den südostasiatischen Tigerstaaten.
Ein Ausbrechen aus der Krisensituation durch die Entwertung vom fixem Kapital und dem Abbau von Überkapazitäten sei deswegen blockiert, da die einzelnen Unternehmen einzelwirtschaftlich auch dann noch rational handeln, wenn sie mit weniger produktiven Maschinen weiterproduzieren und noch die durchschnittliche Profitrate erreicht werden kann.
Als ein entscheidender Wendepunkt in der nationalen Kapitalakkumulation der USA wird der Zusammenbruch des Bretton Woods Systems gewertet, da es den USA hierdurch gelungen ist, temporär auf Kosten anderer Länder die Überkapazitäten abzufedern.
Die zweite "Brenner-Debatte" in Deutschland
So richtig ist die Debatte über das Buch von Robert Brenner noch nicht in Fahrt gekommen.
Die Rezeption beschränkt sich auf einige zumeist wohlwollend Rezensionen aufgrund der empirischen Fülle des Bandes. Dass das Buch bei uns die theoretische Debatte über den Charakter der zeitgenössischen kapitalistischen Krisen nicht so beflügelt hat, liegt sicherlich an der Schwäche der wissenschaftlichen Debatte in Deutschland, in der Arbeiten in marxistischer Traditionen weniger als in anderen Ländern Eingang finden. Zum anderen ist die geringe Rezeption in politi schen Kreisen sicher auch an einer gewissen "Hartleibigkeit" in Bezug auf die von Brenner gewählte Darstellung als Wirtschaftshistoriker geschuldet. "Boom & Bubble" ist keine einfache Lektüre, sondern fordert von seinen LeserInnen sowohl den ökonomisch geschulten Blick für empirische Daten als auch die Kenntnis der historischen Rahmenereignisse.
Beachtenswert ist dieses Buch deswegen, weil die US-Wirtschaft unter Berücksichtigung des Wechselspiels von Außen- und Binnenwirtschaft betrachtet wird und die Entwicklung der anderen kapitalistischen Zentren mit in die Analyse einbezogen wird.
Deutlich wird, dass der Erfolg nationaler Ökonomien vor allem von den jeweils aktuellen Beziehungen innerhalb der Triade und den Währungsrelationen abhängt. Der Aufschwung einer der Triadenregionen vollzieht sich augenscheinlich auf Kosten der anderen. Der Wechselkurs erscheint hier als ein wichtiger Indikator. Allerdings muss vor einer allzu mechanischen Betrachtung gewarnt werden, da hohe bzw. niedrige Währungskurse neben Vorteilen auch mit gegenteiligen Effekten einhergehen.
Die Einschätzung Brenners, dass die New Economy keine langanhaltende Prosperitätsphase markiert, erscheint uns heute in Kenntnis der Entwicklung seit Erscheinen des Originalmanuskript im Jahre 2000 wenig spektakulär.
Die dahinter steckende Frage ist aber noch unbeantwortet, bzw. sie wurde von Brenner nicht in dieser Form gestellt und konnte daher auch gar nicht beantwortet werden: welche Bedeutung ist den technologischen Innovationen, die im Gefolge der massiven Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien entstanden sind, für die Entwicklung des Kapitalismus zuzumessen.
Die Frage nach der Innovationsleistung stellt sich auch methodisch, wenn Brenner vorgeworfen wird, Software als Investition nicht berücksichtigt zu haben.
Während es in der ersten Brennerdebatte in den 1980er Jahren noch um die Analyse der ökonomischen, sozialen und technologischen Triebkräften des Wandels vom Feudalismus zum Kapitalismus ging, bleibt Brenners Betrachtung des gegenwärtigen Kapitalismus überraschend einseitig.
Problematisch an seiner allein historisch-empirischen Analyse des Kapitalismus auf der Makroebene ist, dass soziale Verhältnisse, Institutionen und technische Entwicklung ebenso wie Veränderung der Arbeitsorganisation ausgeblendet werden. Es geht hier jedoch nicht um den Vorwurf an einen Historiker, dass er sich nur mit dem Vergangenen beschäftigt, sondern es stellt sich die Frage, in wie weit es sich eine Kapitalismusanalyse heute leisten kann, allein auf ökonomische Daten zu fokussieren und dabei Aspekte der Veränderung in den Lebensbedingungen und -weisen der Menschen im gegenwärtigen Kapitalismus außen vor zu lassen. Brenners empirisch-historischer Debattenbeitrag zur Analyse des Kapitalismus beleuchtet eben nur eine Sphäre kapitalistischer Realität.
Klaus Dräger weist z. B. darauf hin, dass heute Aspekte der Ökologie, der Emanzipation oder gerade der Nachhaltigkeit für eine zeitgemäße Kapitalismusanalyse unumgänglich sind.
Der Beitrag von spw zur zeitgemäßen Kapitalismus- Analyse konzentrierte sich in den zurückliegenden Jahren auf Schwerpunkte zu Flexibilisierungsprozessen in der Produktions- und Reproduktionsweise, die Herausbildung eines veränderten Sets von Anforderungen, denen sich die im heutigen Kapitalismus lebenden Menschen ausgesetzt sehen.
Stichworte wie "Arbeitskraftunternehmer" oder "Kollege Proteus" markieren hierbei die Versuche, von der abstrakten Benennung von Veränderungsprozessen zu den konkreten Auswirkungen auf die Lebensweisen und Identitäten zu kommen.
Zahlreiche Beiträge haben sich z. B. vor diesem Hintergrund mit den Auswirkungen auf den sozialstaatlichen Reformbedarf sowie mit der Ausweitung der gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten beschäftigt.
Darin kommt nicht nur die Verortung von spw in der Tradition der Auseinandersetzung mit der Regulationsschule (die Bedeutung politischer Kräfte für soziale Arrangements) und der Gramsci-Rezeption über hegemoniale Prozesse zum Ausdruck, sondern auch die schlichte Tatsache, dass spw kein wissenschaftliches Forschungsprojekt ist, sondern für uns immer wieder die Frage nach der politisch- praktischen Relevanz für radikale Reformpolitik auf der Tagesordnung steht.
Es ist der Linken bis heute jedoch nicht gelungen, eine überzeugende ökonomische Logik zu etablieren, die sowohl einer empirischen Analyse stand hält, als auch einen politisch mobilisierenden Effekt zu erzielen. Zu dieser Debatte bietet Brenner den Hinweis nicht nur zu den ökonomischen Verflechtungen innerhalb der Triade, sondern auch, dass vor einem langfristig tragenden Aufschwung die Beseitigung nicht profitablen, "versunkenen Kapitals" erforderlich ist.
Hierzu erscheint anstelle von Modediskussionen eine vertiefte und erneute Verständigung über die Ursachen für die abgeschwächte Akkumulationsdynamik. Eine klassische und umfassende Kapitalismusanalyse erscheint zwingend für die Linke.
Produktiv anzuknüpfen wäre hier an die Diskussion um Unterkonsumtion oder Überakkumulation.
Dass sich beide Argumentationen nicht grundsätzlich gänzlich ausschließen, wird durch den gemeinsamen Anknüpfungspunkt des abgeschwächten Massenkonsums deutlich. Strittig ist, ob die fehlende Nachfrage eine Ursache oder Resultat der Krise darstellt. Es kommt darüber hinaus darauf an, durch eine neue Qualität gesellschaftlicher Regulierung Schritte zur Überwindung dieser Krise herauszuarbeiten. Die Stichworte für eine solche radialreformerische Strategie sind mit Sozialstaat, Nachhaltigkeit und einer demokratisierten Eigentums- und Wirtschaftsverfassung gesetzt.
Literatur
Robert Brenner, Boom & Bubble - Die USA in der Weltwirtschaft, Hamburg 2003 Robert Brenner, The Economics of Global Turbulence, New Lewft Review 229, London 1998 Klaus Dräger, Baustelle Neomarxismus. Die Regulationsschule und Robert Brenner zu den Turbulenzen in der Weltwirtschaft, in: Prokla 123, S. 177-202, Münster 2001 Prokla, spw, Sozialismus, Memorandum, IMSF, Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg 1986 Thomas Sablowski, Robert Brenner: The Boom and the Bubble, in: Das Argument Nr. 248, S. 880-882, Berlin 2002 Mario Scalla, Im Zentrum der Blase, in: Freitag Nr. 48 v.
21.11.2003 Herbert Schui, Klaus Peter Kister, Unterkonsumtion? Überakkumulation? Diskussion, in: Sozialismus 2/ 1998, S. 25-28, Hamburg 1998

Kai Burmeister, Diplom-Volkswirt und Mitglied im Juso-Bundesvorstand, Mitglied im
spw-Arbeitsausschuss
Reinhold Rünker, Historiker, arbeitet als Organisationsberater und lebt in Leichlingen, Mitglied
der spw-Redaktion

zuerst erschienen in spw 135, Januar/Februar 2004