Zukunftsbranche Lebensqualität: Ökonomische und soziale Herausforderungen

Zu den Hauptträgern des Beschäftigungswachstums haben in den letzten Jahren Branchen wie Gesundheit, Bildung und Erziehung, Sport oder Freizeit und Kultur gehört. Die Analyse des sozialen Wandels und die Auseinandersetzung mit dem Innovationsgeschehen in diesen auf die Lebensqualität bezogenen Bereichen lassen die Prognose zu, dass sich die Wachstumstrends fortsetzen werden. Der Bedarf an Produkten und Dienstleistungen aus den genannten Angebotsfeldern wird steigen. Die Anbieter können mit organisatorischen und technischen Innovationen auf wachsende Aufmerksamkeit stoßen.
Skeptische Analysen gehen davon aus, dass die Grundlagen für den Ausbau dieser Branchen äußerst problematisch seien, da mit wachsendem Druck auf die öffentlichen Mittel insbesondere für die "staatsnahen" Lebensqualitätsbranchen (v. a. Gesundheit, Bildung, Kultur) zu rechnen sei. Es ist aber auch erkennbar, dass zunehmend mehr Menschen bereit sind, für "mehr Lebensqualität" private Mittel auszugeben, um damit Dienstleistungen zu beziehen, die über ihre durch den Staat oder die Sozialversicherungen getragenen Ansprüche hinausgehen. Eine Wachstumsstrategie für die Zukunftsbranche Lebensqualität tut deshalb gut daran, dem Sozialabbau entgegenzutreten und zugleich zusätzliche private Kaufkraft für diesen Wirtschaftsbereich zu aktivieren. Für die Linke ist die Zukunftsbranche Lebensqualität daher eine große Herausforderung. Es gibt gute Chancen, den Lebensstandard breit anzuheben, aber auch die Gefahr, dass mehr private Mittel für Lebensqualität die Ungleichheit steigern - zwischen denen, die sich nur auf ihre öffentlich verbrieften Ansprüche verlassen und denen, die zusätzliche private Mittel ausgeben wollen und können. Die Linke ist also gefordert, ihre Politik zur Verbesserung der Lebensqualität zu überdenken. Bislang hieß diese, ausschließlich auf öffentliche oder solidarisch getragene Finanzquellen zu setzen. Für die Zukunft ist ein produktives Zusammenspiel von öffentlichen und privaten Quellen gefordert. Darüber hinaus sind anspruchsvolle Mindeststandards zu definieren und gesetzlich zu verankern. Gelingt dies, könnte am Ende nicht nur mehr (bezahlbare) Lebensqualität, sondern auch mehr Beschäftigung stehen. Die Bewältigung ökonomischer und sozialer Herausforderungen erscheint so als komplementäre Gestaltungsaufgabe.
Lebensqualität als Beschäftigungsmotor
Unter dem Label "Dienstleistungen für mehr Lebensqualität" lässt sich ein ganzes Bündel von Service-Angeboten zusammenfassen, das sich überwiegend aus personenbezogenen Dienstleistungen zusammensetzt. Sie zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
· die Orientierung an Endkunden bzw. Kundengruppen (Einzelpersonen, Personengruppen, Familien oder Paare, Ein- und Mehrpersonen-Haushalte);
· die Unterstützung bei der individuellen Lebensführung bzw. bei der Bewältigung des Alltags;
· die Ausrichtung des Leistungsangebotes an den spezifischen Lebenslagen der Kunden.
Dienstleistungen für mehr Lebensqualität sind Ausdruck der wachsenden und sich wandelnden Ansprüche an die Bewältigung des Alltags und die Gestaltung von Freizeit. Da sie sich auch unabhängig vom sozialpolitisch definierten Bedarfsfall konzipieren lassen, steht ihr Ausbau nicht in Konkurrenz zu den solidarisch getragenen Sicherungssystemen, sondern in einem komplementären bzw. synergiebestimmten Verhältnis. Der gezielte Auf- und Ausbau der Zukunftsbranche Lebensqualität dient der individuellen Wohlfahrtsteigerung und verbessert die Lebensverhältnisse durch positive Beschäftigungseffekte auf der Basis flächendeckender kunden- und bedarfsorientierter Angebote.
Ausgehend von einem erweiterten Systembegriff, welcher neben der traditionellen Gliederung des Gesundheits- (ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung) und Bildungswesens (Primär-, Sekundär- und Tertiärbereich; Bereich der Weiterbildung und ihrer Träger) auch die Verflechtungen zu anderen Wirtschaftssektoren berücksichtigt, lassen sich neben den Kernbereichen der personenorientierten Leistungserstellung noch wirtschafts- und beschäftigungsrelevante Zulieferindustrien und Nachbarbranchen identifizieren. Neben den personalintensiven Dienstleistungen in den Kernbereichen der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung und den direkten Lehrtätigkeiten im Bildungswesen existieren in beiden Branchen auch kapital- und technologieintensive Vorleistungs- und Zulieferindustrien: Medizin- und Gerontotechnik und die pharmazeutische Industrie im Gesundheitswesen, die Lehrmittelindustrie, der Buchhandel, das Verlagswesen oder die medien-herstellenden und -vertreibenden Unternehmen im Bildungsbereich. In den Randbereichen befinden sich z.B. Sportvereine und Wellnesseinrichtungen, alters- und bedarfsgerechte Wohnkonzepte im Gesundheitsbereich und Kulturveranstaltungen, Museen, Ausstellungen und Tourismus im Bildungsbereich.
Im Gegensatz zur Bildungswirtschaft liegen für die Gesundheitswirtschaft genauere Daten zur Beschäftigung vor. So waren in der Bundesrepublik Mitte der 90er Jahre ca. 4 Mio. Menschen in der Gesundheitswirtschaft beschäftigt. Dies entspricht einem Anteil von 11,2% an der Gesamtbeschäftigung. In den Kernsektoren der ambulanten und stationären Versorgung arbeiten ca. 3,8 Mio. Menschen, in den Vorleistungs- und Zulieferindustrien rund 260.000. Für die Randbereiche und Nachbarbranchen des Gesundheitswesens liegen keine verlässlichen Angaben vor. Dennoch folgt aus den vorliegenden Daten und Statistiken: Die Gesundheitsbranche zählt zu den personal- und beschäftigungsintensivsten Dienstleistungsbranchen der Bundesrepublik. Eine für das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (MFJFG) erstellte Studie bestätigt dies: 1998 waren ca. 957.000 Menschen in der nordrhein-westfälischen Gesundheitswirtschaft beschäftigt, wobei 39% auf die ambulante und 37,9 % auf die stationäre und teilstationäre Versorgung entfielen. In den Vorleistungs- und Zulieferindustrien waren ca. 113.000 (11,8 %) Personen beschäftigt und in den Randbereichen und Nachbarbranchen ca. 27.000 Personen (2,8%) (vgl. FfG/IAT/MHH 2001: 3). Vergleicht man die Beschäftigung in der Gesundheitswirtschaft in NRW mit anderen ausgewählten Wirtschaftsbereichen (Kultur, IuK, Automobil, Energie, Bergbau oder Baugewerbe), zeigt sich deutlich ihre Spitzenposition.
Der soziodemographische Wandel als wirtschaftliche Chance
Mit dem Begriff des soziodemographischen Wandels werden Entwicklungen bezeichnet, die mit Menge und Zusammensetzung der Bevölkerung, aber auch mit der spezifischen Art des Zusammenlebens der Menschen zu tun haben. Die Bedeutung des soziodemographischen Wandels für die zukünftige Entwicklung der Lebensqualitätsbranchen soll anhand zweier Teilaspekte dargestellt werden, zum einen am Prozess des "Alterns der Gesellschaft", zum anderen an der zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung der Lebensführung.
Das "dreifache Altern" der Gesellschaft wird durch folgende Prozesse bestimmt:
1. die absolute Zahl der älteren Menschen wird deutlich zunehmen;
2. der relative Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung wird erheblich zunehmen;
3. die absolute Zahl der Hochbetagten (80 Jahre und älter) wird zunehmen.
Es ist zu erwarten, dass im Jahre 2040 die absolute Anzahl älterer Menschen auf gut 21 Mio. ansteigen wird, bei einem gleichzeitigen Rückgang auf insgesamt ca. 75 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner. Der relative Anteil dieser Alterskohorte steigt damit auf 28% an der Gesamtbevölkerung. In absoluten Zahlen: Die Altersgruppe der Menschen ab 65 Jahren und älter wird um knapp 8,2 Mio. ansteigen (vgl. Statistisches Bundesamt 2000: 14). Mit dem demographischen Wandel wird ein Mehrbedarf an professionellen Hilfs- und Pflegeangeboten einhergehen, der nur durch Ausbau der Unterstützungs- und Pflegekapazitäten gedeckt werden kann. Quantitative Zukunftsszenarien zur Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wurden in diesem Zusammenhang vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorgelegt. Demnach wird bei der Krankenhausversorgung mit einer Steigerung der demographisch bedingten Krankenhausfälle bis zum Jahr 2020 auf ca. 18,5 Mio. (15%) gerechnet, und anschließend - bis zum Jahre 2050 - ist mit einem weiteren Anstieg von 4% auf dann knapp 19,3 Mio. Fälle zu rechnen. Zudem wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen von rund 1,93 Mio. (1999) auf 2,94 Mio. (2020) erhöhen, was einem Zuwachs von 52% entspricht. Für den Zeitraum zwischen 1999 und 2050 wird sogar mit einer Steigerung der Zahl der Pflegebedürftigen auf 4,7 Mio. gerechnet, was einer Zuwachsrate von 145,1 % gegenüber 1999 entspricht (vgl. DIW 2001).
Verstärkt wird dieser Trend noch dadurch, dass in den westlichen Industrienationen demographische Alterung in gesellschaftliche Individualisierung und Pluralisierung eingebettet ist, die zu einer Schwächung informeller Unterstützungsleistungen führen. Wurden Pflege- und Betreuung ursprünglich informell erbracht, so werden diese Dienstleistungen zunehmend aus dem häuslichen bzw. familiären Bereich ausgelagert. Von besonderer Bedeutung ist sind dabei die wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen und die steigende Zahl von Single-Haushalten. Potenziell verfügbare familiäre Pflegekapazitäten können die Pflege- und Betreuungsleistungen aufgrund von Zeitkonkurrenzen nicht erbringen. Oft besteht gar nicht mehr die Möglichkeit, direkt auf familiäre Hilfe zurückzugreifen zu können.
Daneben lassen auch bildungsbezogene Dienstleistungen, gerade auch für ältere Menschen, eine steigende Nachfrage erhoffen. Entgegen einer defizitären Auffassung des Alters und vor dem Hintergrund der Debatte zum "lebenslangen Lernen" können Wünsche nach aktiver Freizeitgestaltung jenseits der Erwerbsarbeit Schubkräfte für die Lebensqualitätsdienstleistungen freisetzen. Die steigende Nachfrage nach bildungsbezogenen Dienstleistungen begründet sich dadurch, dass auch ältere Menschen zusätzliche Kompetenzen erlangen möchten und darüber hinaus dadurch, dass die konkreten Anwendungsmöglichkeiten bildungsbezogener Dienstleistungen einen klar definierten Zusatznutzen für sie darstellen können (z.B. Senioren-online Dienste als zusätzliche Informations- und Kontaktforen). Die Bandbreite möglicher, zum Teil heute schon bestehender Angebote reicht von einzelnen Bildungskursen (z.B. Computerkurse oder Fremdsprachenkurse, Bildungsmöglichkeiten rund um das Thema Gesundheit) über die Bereitstellung integrierter, branchenübergreifender Bildungsangebote (z.B. Bildungsreisen für Senioren) bis hin zur vermehrten Einrichtung von Bildungsinstitutionen (z.B. Universitäten des dritten Lebensalters). Ein weiterer Faktor ist die betriebliche Nachfrage nach Bildungs- bzw. Weiterbildungsangeboten speziell für ältere Beschäftigte. Weiterbildung und Qualifikation für ältere Arbeitnehmer werden zukünftig aus betrieblicher und individueller Sicht wichtiger.
Die Menschen investieren in die Lebensqualität
Ein steigendes Gesundheitsbewusstsein und das wachsende Interesse an Bildung unterstützen als weitere Faktoren die Nachfrage nach lebensqualitätsorientierten Dienstleistungen. Für den Bereich der Gesundheit zeigt sich, dass mehr Menschen z.B. eine sportlich aktive Freizeitgestaltung mit dem Bedürfnis, einen eigenen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge zu leisten, verbinden. Die steigende Nachfrage nach gesundheitsbezogenen Dienstleistungen spiegelt sich unter anderem in dem starken Wachstum der Fitnesswirtschaft wider (vgl. Kamberovic/Schwarze 1999).
Auch wenn im internationalen Vergleich derzeit private Mittel zur Finanzierung von gesundheitsbezogenen Dienstleistungen noch eine geringe Rolle spielen, steigt ihr Aufkommen: Während Anfang der 90er Jahre der Anteil der privaten Ausgaben für Güter und Dienstleistungen zur Gesundheitspflege nur 3,2% der gesamten Konsumausgaben der Haushalte betrug, lag dieser Anteil im Jahre 2000 bereits bei 4,1% - dies entspricht einer Steigerung von knapp einem Drittel innerhalb einer Dekade (vgl. DIW 2001: 29ff). Werden die privaten Ausgaben der Haushalte für Gesundheitsdienstleistungen zudem aufgeschlüsselt nach der Höhe des monatlichen Haushaltseinkommens so zeigt sich, dass mit steigendem Einkommen auch die privaten Aufwendungen für die Gesundheitspflege insgesamt steigen. Während 1998 Haushalte mit einem niedrigen Haushaltseinkommen von 2500,- bis unter 3000,- DM monatlich 76,- DM bzw. 2,93 % ihrer Konsumausgaben für die Gesundheitspflege verwendeten, betrugen diese Ausgaben in Haushalten mit höheren Einkommen (10.000,- bis unter 15.000,- DM) 423,- DM oder 5,5% der Konsumausgaben (ebd.: 31ff).
Mit zunehmendem materiellem Wohlstand und mit fortschreitender Individualisierung steigt auch das Bedürfnis der Menschen nach gesundheitlichem Wohlbefinden und individueller Lebensqualität, so dass in Zukunft entsprechende Dienstleistungsangebote in der Bedürfnis- und Wertehierarchie der Bevölkerung oben stehen werden (vgl. Wasem 1999).
Die Palette der Produkte und Dienstleistungen ist sehr umfangreich. Sie reicht von der Schönheitschirurgie, über Lifestyle Drugs und medizinische Nahrungsmittel bis zu Orientierungshilfen im Gesundheitswesen. Es wird geschätzt, dass sich im Jahr 2000 in Deutschland 150.000 - 200.000 Menschen einer Schönheitsoperation unterzogen haben. Diese Zahlen fallen zwar gegenüber den USA (5,7 Mio.) noch vergleichsweise gering aus, verweisen dennoch auf die hohe Bedeutung dieses aus (vorwiegend) privaten Mitteln finanzierten Geschäftsfelds (vgl. Bartens 2001).
Auch Bildung gewinnt als zusätzlich privat finanziertes Konsumgut an Bedeutung. Sie entwickelt und fördert berufliche Qualifikationen und Kompetenzen, ermöglicht die soziale und kulturelle Teilhabe und schafft Orientierung in der Informations- und Wissensgesellschaft. Die privaten Konsumausgaben für Bildung, Unterhaltung und Freizeit je Haushalt und Monat ergeben ein ähnliches Bild wie im Gesundheitsbereich. Mit steigendem Einkommensniveau wachsen auch die Ausgaben für die genannten Bereiche: Etwa 11 bis 12% der privaten Konsumausgaben entfallen in den Haushalten mit höherem und mittlerem Einkommen auf Ausgaben für Bildung, Unterhaltung und Freizeit, ein Großteil davon für Unterricht (2,3 bzw. 2,0 %). In den Haushalten mit mittlerem Einkommen werden monatlich etwa 460,- DM für Bildung und Freizeit ausgegeben, in Haushalten mit höherem Einkommen sind es monatlich bereits 688,- DM. Haushalte mit niedrigen Einkommen geben monatlich nur 119 DM,- für Bildung, Unterhaltung und Freizeit aus. Die Anteile der privaten Ausgaben für Bildung, Unterhaltung und Freizeit in Haushalten mit mittleren Einkommen am Konsum haben sich gegenüber 1965 von 6,5% auf 11,9 % im Jahre 1997 fast verdoppelt.
Technischer Forschritt ermöglicht kundenorientierte Innovationen
Der technische Fortschritt ist eine maßgebliche Triebfeder der Gesundheitswirtschaft und der bildungsbezogenen Dienstleistungen. Bei zahlreichen Krankheitsbildern werden die Heilungschancen größer. In der Rehabilitation öffnen sich durch den technischen und medizinischen Fortschritt neue Perspektiven.
Neben besseren medizintechnischen Möglichkeiten werden auch Gesundheitsförderung und Prävention wichtiger. Dies lässt sich am Beispiel des Tele-Health-Monitoring illustrieren. Zur Vorbeugung und verlaufsorientierten Diagnose kann dieses Verfahren in einer integrierten Versorgungsstruktur (Kliniken, niedergelassene Ärzte, Rehabilitationseinrichtungen, Technikanbieter etc.) dazu beitragen, über Ferndiagnosen schnelle und problemadäquate Hilfe im Krisenfall (Infarkt) zu organisieren. Zudem besteht die Möglichkeit, frühzeitig auf die kritische Entwicklung von Vitalparametern (Herzfrequenz, Blutdruck, Puls) aufmerksam zu machen und so gesundheitliche Schäden zu vermeiden. Die Entwicklung und der Ausbau integrierter Versorgungsangebote im Gesundheitsbereich werden der Nachfrage zusätzliche Impulse verleihen.
Auch im Bildungsbereich ermöglicht der technische Fortschritt neue Produkte und Dienstleistungen. Das multimediale und distant-learning kann das Lernen zu Hause oder am Arbeitsplatz fördern. Bildungsaktivitäten in der Freizeit stehen nicht zuletzt auch in Zeitkonkurrenz zu anderen möglichen Aktivitäten. Unterschiedliche Bildungsangebote auch von zu Hause aus und nach den eigenen zeitlichen Präferenzen können diese Zeitkonkurrenzen abschwächen und helfen, das Lernen gemäß dem eigenen Lerntempo und den ausgewählten Inhalten zu organisieren. Neben der allgemeinen Bildung kann auch die berufliche Bildung am Arbeitsplatz von der modernen IuK-Technologie profitieren. Vor allem größere Unternehmen versuchen, in der betrieblichen Weiterbildung die Potenziale des "e-learnings" zu erschließen (vgl. Fels u.a. 2001: 24 ff).
Lebensqualitätsbranchen sind zukunftsgestaltende Beschäftigungsfelder
Im Hinblick auf die Arbeitsmarkt-Effekte auch in den anderen Lebensqualitätsbranchen des Dienstleistungssektors kann man sich an den Projektionen zur Arbeitslandschaft der Zukunft vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit orientieren. Danach sind bis zum Jahre 2010 auf mehr als 1,5 Mio. Arbeitsplätze in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur zu hoffen.
KASTEN
Da auch in Beratung, Planung und Werbung zunehmend Leistungen mit Blick auf Privatkunden angeboten werden, kann der zu erwartende Arbeitsmarkteffekt sogar mit rund 2 Mio. veranschlagt werden. Wie es allerdings um die Qualität der Arbeitsplätze bestellt ist und wie die Qualifizierungskonzepte aussehen sollen, darüber wird sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Wirtschaft intensiv und zum Teil äußerst kontrovers diskutiert. Klar ist aber, dass sowohl in der Gesundheitswirtschaft als auch im Bildungssektor in den nächsten Jahren Personalengpässe drohen. Deutlich wird dies z.B. im Bereich der Altenbetreuung; dort wird an eine Greencard für Pflegekräfte gedacht. Aber auch die Lehrerarbeitslosigkeit wird bald der Vergangenheit angehören. Die Konsequenz kann nur in der Qualifizierung und einer parallelen Verbesserung der Arbeitsbedingungen liegen, damit die Beschäftigten gerne und lange in diesen Branchen weiterarbeiten.
Dienstleistungspolitik für Lebensqualität
Diese Aussichten zeigen, dass sich hier für die Wirtschaft ein wichtiges und zukunftsträchtiges Gestaltungsfeld eröffnet. Aber auch die Herausforderungen sind vielfältig. Der Gesamtkanon der Anforderungen zur Aktivierung lässt sich mit den folgenden Stichworten beschreiben:
Meinungswechsel: "Nicht Kostenfaktor, sondern Zukunftsbranche": Am Anfang muss ein Wechsel in der öffentlichen Meinung stehen. Bildung, Soziales und Gesundheit gelten heute zwar als unverzichtbare Voraussetzungen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, gleichwohl werden sie als Kostenfaktoren wahrgenommen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gibt es kräftigen Druck zur Kostenreduzierung. Besser wäre es, wenn zwar darauf hingearbeitet würde, dass die Lebensqualitätsangebote so kostengünstig wie möglich erstellt werden. Gleichzeitig muss aber deutlich werden, dass in ihnen nicht Belastungen für die Wirtschaft liegen, sondern große Chancen. Hierzu sollten sich die sozialen Dienstleister nicht mehr als Kostgänger der Wirtschaft, sondern als Wachstums- und Beschäftigungsmotoren begreifen und darstellen.
Sowohl öffentliche als auch private Finanzgrundlagen ausbauen: Bei der Diskussion um die Zukunft der Lebensqualitätsbranchen dominieren Finanzierungsfragen. Am deutlichsten wird dies im Gesundheitsbereich. CDU/CSU plädieren dafür, die öffentliche und solidarische Finanzierung durch neue private Finanzierungsformen zu ergänzen, um so die obligatorischen Abgaben zu dämpfen. Die SPD setzt darauf, durch mehr Effizienz und Qualität - bewirkt durch die Fallpauschalen oder andere Produktivitätsanreize - die Kosten in den Griff zu bekommen. Realistisch scheint jedoch, dass es beides geben muss. Prognosen zufolge (vgl. DIW 2001) werden selbst dann, wenn die erhofften Produktivitätsfortschritte gelingen, der soziodemographische Wandel und der medizinische und gesundheitswissenschaftliche Fortschritt die Anforderungen an öffentliche und halböffentliche Finanzwege deutlich steigen lassen. Parallel dazu werden gewandelte Interessen und Präferenzen in der Bevölkerung auch zusätzliche private Kaufkraft aktivieren.
Die derzeitige Diskussion im Bildungswesen ist stark gekoppelt an die Fragen der Finanzierung (z.B. Studiengebühren, Bildungsgutscheine) und der Effizienz und (output-orientierte) Effektivität unseres Bildungssystems, vor allem im internationalen Vergleich. Die Zukunftsfähigkeit des Bildungswesens hängt dabei von mehreren Faktoren ab: Die Lern- und Lehrsituation darf sich nicht verschlechtern, weil öffentliche Mittel in wichtigen Bildungsinstitutionen und bildungsrelevanten Nachbarbranchen (kulturelle Veranstaltungen, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren u.ä.) fehlen. Vielmehr ist die öffentliche Förderung und Finanzierung sicherzustellen. Zudem können Qualitätssicherung und -entwicklung zu einem besseren Ressourceneinsatz beitragen. Durch Benchmarkingverbünde ließen sich Verbesserungspotenziale identifizieren. In den Kern-, Rand- und Nachbarbranchen des Bildungssektors sollten durch das Zusammenspiel von öffentlichen und privaten Bildungsanbietern kundenorientierte Angebote ergänzend zu den bisherigen Leistungen entwickelt werden (z.B. Bildungswegberatung). Die derzeitige Kostendiskussion ist zu eingleisig. In Zukunft müssen wir überall gleichzeitig ansetzen: Produktivitätssteigerungen, Ausweitung der öffentlichen Finanzierung sowie die Aktivierung zusätzlicher privater Mittel für Gesundheit und Bildung.
Innovationsoffensive für neue Angebote im Gesundheitswesen: Dies trifft zunächst für den engeren, medizinisch geprägten Kernbereich zu. Wichtige Impulse werden zunehmend auch aus Nachbarbranchen kommen. Gesundheitswirtschaftspolitik sollte innovationswillige Akteure ermutigen und unterstützen und darauf hinwirken, dass auch Einrichtungen aus den Kernbereichen des Gesundheitswesens in diese Märkte hineindiversifizieren. Unterstützung sollte allerdings nicht mit Subvention oder gar mit der Aufnahme solcher Angebote in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen verwechselt werden. Nötig sind Studien über Marktpotenziale, Marktstrategien und über gelungene Beispiele. Zudem ist für viele innovative Produkte und Dienstleistungen ein Zusammenspiel von Akteuren notwendig, die heute noch zumeist getrennt operieren. Um solche Innovationsallianzen zu ermöglichen, sind öffentliche Impulse erforderlich. Im Bildungswesen zielen Förderprogramme wie die "Lernenden Regionen" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auf Netzwerke von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, Volkshochschulen, Betriebe oder Multimedia-Unternehmen. Dies ermöglicht nicht nur die Abstimmung des Handelns auf die regionalen Bedürfnisse, sondern auch angebots- und kundenorientierte Synergien und Innovationen.
Zusätzliche (Privatï·“) Versicherungslösungen für Produkte aus den Randbereichen des Gesundheitswesens: Produktivitätssteigerungen können helfen, im Rahmen der solidarisch finanzierten Krankenversicherungen ein Optimum an obligatorischen universellen Gesundheitssicherungsleistungen aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sind viele Menschen bereit, zusätzliche private Mittel für weitergehende Angebote auszugeben. In vielen Fällen (etwa für einen Wellness-Gesundheitsurlaub) reicht eine rein private Finanzierung. In anderen Fällen (etwa integrierten Notruf- und Kommunikationssystemen, so weit sie nicht medizinisch erforderlich sind) könnte an breiter angelegte Versicherungslösungen gedacht werden. Damit entsprechende Finanzierungswege nicht nur auf einen kleinen Kreis von sehr einkommensstarken Menschen beschränkt bleiben, sollten neue Wege beschritten werden, um auch Durchschnittsverdiener zu Investitionen in mehr Lebensqualität zu aktivieren. Ansätze könnten in betriebs- oder branchenbezogenen Versicherungslösungen liegen. Denkbar sind Versicherungen, die parallel zu Mietverträgen abgeschlossen werden können, um dann im Falle von Krankheit oder altersbedingten Beeinträchtigungen Unterstützungsdienste zu finanzieren. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen den medizinisch notwendigen Leistungen, die von den obligatorischen Krankenversicherungen garantiert werden, und sonstigen gesundheitsbezogenen Angeboten ist wichtig, um zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren.
Verbraucherschutz: Das steigende Interesse an der Gesundheitswirtschaft und an bildungsbezogenen Dienstleistungen fordert den Verbraucherschutz heraus. Bislang ist das Gesundheitswesen im Hinblick auf die Produkt- und Angebotspalette sehr stark politisch geführt, d.h. die überwältigende Mehrheit der zur Verfügung stehenden Angebote muss zugelassen werden und ist bei der Anwendung auf die Aktivität von professionell Qualifizierten beschränkt. Im Bildungsbereich sind dagegen Unterricht oder Wissensvermittlung nicht notwendigerweise an eine professionelle (didaktisch-methodische) Qualifikation gekoppelt. Starke politische Regulierung und professionelle Dominanz werden auch in Zukunft die Kernbereiche des Gesundheits- und Bildungswesens (vor allem allgemeinbildende und berufliche Schulen) auszeichnen. In den Rand- und Überlappungsbereichen jedoch werden eher Markt, Wettbewerb und Kundenakzeptanz ausschlaggebend sein. Ein Optimum an Verbraucherschutz ist hier nur auf neuen Wegen zu erreichen.
Literatur
Bartens, W., 2001: Körper auf Messers Schneide. In: DIE ZEIT, Nr. 1/2002, 27.12. 2001, 28.
DIW (Hg.) 2001: Wirtschaftliche Aspekte der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, Endbericht. DIW Berlin/ IGES Berlin.
Fels, G. / Heinze, R. G. / Pfarr, H. / Schmid, G. / Streeck, W., 2001: Gute Praxis in der betrieblichen Weiterbildung. Bericht der Benchmarking-Gruppe des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit.
Forschungsgesellschaft für Gerontologie (FfG) / Institut Arbeit und Technik (IAT) / Medizinische Hochschule Hannover (MHH) 2001: Gesundheitswesen und Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen. Studie für das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit NRW.
Kamberovic, R. / Schwarze, B., 1999: Deutsche Fitness Wirtschaft, Hamburg.
Statistisches Bundesamt (Hg.), 2001: Leben und Arbeiten in Deutschland. Mikrozensus 2000, Wiesbaden (www.statistik-bund.de).
Statistisches Bundesamt (Hg.), 2000: Bevölkerungsentwicklung Deutschlands bis zum Jahre 2050.
Wasem, J., 1999: Das Gesundheitswesen in Deutschland: Einstellungen und Erwartungen der Bevölkerung, Neuss.

Michaela Evans studiert Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und ist Mitarbeiterin in der Abteilung Dienstleistungssysteme des Instituts Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen, Dr. Josef Hilbert ist Leiter der Abteilung. Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag bei ProMS Nord und ver.di Lübeck/ Ostholstein am 17.11.2001 in Lübeck.