Enthierarchisierung oder Entdemokratisierung des Systems?

Von der normativen zur kontraktualen Steuerung der Hochschulen

Werner Hoffacker über die kontraktuale Steuerung der Hochschulen

Die Entwicklung zur "Massenuniversität" seit den 1960er Jahren war keineswegs nur eine quantitative Angelegenheit. Mit ihr wurden die Hochschulen verstärkt Teil einer pluralistischen Gesellschaft mit ihren divergenten Interessenkonstellationen. Diese "materielle" Demokratisierung hatte zur Folge, dass der bildungsbürgerliche Konsens - kondensiert in der "Idee der Universität" - zu einer von mehreren Optionen hinsichtlich Aufgaben und Funktionsweise der Hochschulen wurde und damit nicht mehr seine systemstabilisierende und steuernde Rolle spielen konnte. An seine Stelle trat das gesetzte Recht als Medium der Handlungsorientierung und Koordination in Systemen mit potentiell divergenten Optionen in Bezug auf Ziele und Aufgaben.1
In den 1960er und 1970er Jahren stand weitgehend außer Frage, dass Hochschulreform mit normativen Steuerungsmitteln möglich sei und das parlamentarisch-politische System mit diesem Medium die Veränderung zu bewirken habe. In den 1980er Jahren verstärkte sich allerdings die Kritik an dem Umfang und der Intensität normativer Steuerung des Hochschulbereichs. Mit den Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes von 1985 und 1987 wurden die bundesrechtlichen Regelungsvorgaben allerdings nur wenig ausgelichtet. Da recht viel von der alten Ordinarienuniversität unter dem Gewand der Gruppenuniversität wieder zum Vorschein kam, war in den 1980er Jahren das Feld der Hochschulreform eher durch eine depressive Grundstimmung der schicksalhaften Unveränderbarkeit des deutschen Hochschulsystems gekennzeichnet.
Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die ostdeutsche Hochschullandschaft nach dem Ebenbild der westdeutschen geformt. Da es galt, den Vorbildcharakter nicht in Frage zu stellen, herrschte in der ersten Hälfte der 1990er Jahre weitgehend Ruhe an der westdeutschen Reformfront. Seit Mitte der 1990er Jahre ist demgegenüber eine geradezu manische Phase des Reformeifers ausgebrochen. Allerdings konnten die traditionellen Lieferanten von Konzepten der Hochschulreform, die Politik- und Sozialwissenschaften sowie die Kultur- und die Rechtswissenschaft, diese Rolle nicht zurückgewinnen. Mit ihnen verschwanden aus der Hochschulreformdiskussion auch weitgehend die bildungspolitischen, demokratietheoretischen und sozialstaatlichen Konzepte, die der Entwicklung des Hochschulsystems in Deutschland seit den 1960er Jahren zugrunde gelegen hatten.
Spätestens seit Beginn der 1990er Jahre wurde deutlich, dass in absehbarer Zeit mit einer relevanten Erhöhung der Staatsausgaben für die Hochschulen nicht zu rechnen war. Nur über die effektivere und effizientere Verwendung der Mittel konnten Spielräume für Veränderungsprozesse eröffnet werden. Insofern lag es nahe, sich in der Wissenschaft, die den effektiven und effizienten Umgang mit knappen Ressourcen zum Gegenstand hat, also der Ökonomie, nach Instrumentarien zur Lösung des Problems knapper Haushaltsmittel für die Hochschulen zu suchen und sie auszuprobieren. Diese Ebene des pragmatischen Zugriffs wurde allerdings sehr schnell verlassen. An seine Stelle trat eine generalisierende Eroberung des Hochschulsystems mit ökonomischen Kategorien. Die neoliberale Grundthese, dass der normativ und planend reglementierende Staat generell eine Fortschrittsbremse darstelle und stattdessen die Entwicklung marktförmigen Wettbewerbsmechanismen zu überantworten sei, wurde auch zur Prämisse für die Konzeptionierung des Hochschulsystems. Zielte die Kritik an der normativen Überregulierung in den 1980er Jahren auf eine angemessenere rechtliche Verfassung des Systems, so geht es in dem neoliberalistisch inspirierten "neuen Steuerungsmodell" darum, dass anstelle des gesetzten Rechts die "unsichtbare ordnende Hand" des marktförmigen Wettbewerbs die Regie und der Kontrakt die Rolle des Mediums der Handlungskoordinierung übernehmen soll.

Kontraktuale Steuerung

Der Vertrag ist als Handlungsform der öffentlichen Verwaltung allerdings kein Novum. Er wird seit dem 19. Jahrhundert in der Verwaltungsrechtslehre diskutiert und ist seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts allgemein anerkannt, so dass es sich um ein rechtsdogmatisch weitgehend erschlossenes Terrain handelt. Danach kann generell mit den Mitteln des Vertrages nicht weiterreichend verhaltenssteuernd interveniert werden, als dies ohnehin über Auflagen und Bedingungen nach den verwaltungsrechtlichen Regelungen möglich wäre. Mit dem Kontrakt wird erst dann eine neue Steuerungsqualität erreicht, wenn der normative Gestaltungsrahmen wesentlich reduziert und die öffentlichen Mittel von vorgängigen Verwendungszweckbindungen befreit werden, so dass über den Vertrag Dienstleistungen und Waren (Lehre und Forschungsergebnisse) geldwertkompatibel und über Angebots- und Nachfragemechanismen "frei" austauschbar werden.2
Durch Novellierung sind in den letzten Jahren in mehrere Landeshochschulgesetze Bestimmungen aufgenommen worden, nach denen über die Bereitstellung der Mittel und die jeweils zu erbringenden Leistungen zwischen den Kultusministerien und den Hochschulen sowie zwischen der Hochschulleitung und den dezentralen Organisationseinheiten der Hochschulen Zielvereinbarungen abzuschließen sind. Die vorherige Verwendungszweckbindung der Mittel durch landeshaushaltsrechtliche Regeln ist in einigen Bundesländern ganz aufgehoben, in anderen erheblich gelockert worden. Darüber hinaus wurde durch Regelungen der Deckungsfähigkeit sowie der Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln die Flexibilität der Mittelverwendung im Haushaltsvollzug erhöht.3 In mehreren Bundesländern sind damit die Voraussetzungen kontraktualer Steuerung des Hochschulsystems geschaffen worden.
Als Vorteil der kontraktualen gegenüber der Steuerung durch gesetztes Recht werden im Wesentlichen folgende Gründe ins Feld geführt:
l erweiterte Handlungsfreiheit und Flexibilität,
l ein fairer Interessenausgleich zwischen den Kontrahenten und
l kein Abbau hierarchischer Steuerungsstrukturen4
Durch eine Reduktion der normativen Vorgaben lassen sich zwar grundsätzlich erweiterte Handlungsspielräume schaffen, werden diese dann allerdings vertraglich ausgefüllt, so kann sich im Ergebnis wiederum eine Regelungsdichte - nur in anderer Form - ergeben, indem an die Stelle der Begrenzung von Handlungsspielräumen durch Normen die der Erfüllung von Vertragspflichten tritt. Soweit die in den Landeshaushalten für Hochschulen ausgewiesenen Mittel von haushaltsrechtlichen Verwendungsbindungen freigestellt worden sind, kommen sie nicht in dieser Form bei den Hochschulen an, sondern ressortieren erst einmal bei den Kultusministerien. Die Weitergabe an die Hochschulen wird dann über "Zielvereinbarungen" von den Ministerien an die Erbringung von Gegenleistungen gebunden, die "die Entwicklung der gesamten Hochschule oder einzelner Bereiche in einem bestimmten Zeitraum betreffen".5

Verstärkte Abhängigkeit

Die Zielvereinbarungen erweisen sich so als ein Medium, mit dem die Ministerialbürokratien ihre Hochschulentwicklungsvorstellungen und Leistungsanforderungen an die Hochschulen noch weitgehender in Detailregelungen durchzusetzen vermögen, als dies mit den "klassischen" normativen Steuerungsinstrumenten möglich war. Um die gegenüber dem Ministerium eingegangenen Verpflichtungen einzulösen, bedarf es wiederum hochschulinterner verhaltenssteuernder Regelungen. In Vereinbarungen zwischen Hochschulleitung und den einzelnen Organisationseinheiten der Hochschule wird die Weitergabe der Mittel an die Erfüllung von Gegenleistungen gebunden. Wird das Ziel verfolgt, das dem Vertragsmodell unterliegt, jeweils "flexibel", d.h. einzelfallbezogen spezifische Regelungen auszuhandeln und zu fixieren, so sind als Folge für die Institution Intransparenz und Regelungsheterogenität unvermeidbar. Wird versucht - wie dies im privatwirtschaftlichen Bereich häufig der Fall ist - durch "allgemeine Geschäftsbedingungen" wieder einen höheren Grad an Transparenz und Typisierung zu erreichen, so läuft dies praktisch auf allgemein verbindliche Regelungen hinaus und der status quo ante ist auf einem Umweg wieder erreicht. Diese allgemeinen Regeln können dann allerdings auf dem Weg nach unten durch vertragliche Regelungen weiter konkretisiert werden, mit der möglichen Folge einer entschieden engeren Fassung der Handlungsspielräume der Subsysteme und des einzelnen Organisationsmitgliedes als dies durch generalisierende Normen möglich wäre.
Die kontraktuale Steuerung führt also keineswegs per se zu einer Erweiterung von Handlungsspielräumen. Deregulierung tritt nur ein, wenn Zuständigkeiten unter reduzierten bindenden Vorgaben, sei es durch allgemeine verbindliche Normen oder vertragliche Verpflichtungen, wahrgenommen werden können.
Das "do ut des" im Sinne eines gerechten Interessenausgleichs als Prinzip der Vertragsfreiheit ist ein theoretisches Konstrukt, das nur unter den Bedingungen symmetrischer Machtverteilung und Kenntnis der Rahmenbedingungen in diesem Sinne funktioniert. Die Ausgangslage beim Aushandeln der Zielvereinbarungen zwischen Ministerien und Hochschulen ist aber durch hochgradige Asymmetrie zum Nachteil der Hochschulen gekennzeichnet. Da sie sich keinen anderen potenten Finanzier aussuchen können, müssen sie sich nolens volens auf die Konditionen der Ministerien einlassen. Entsprechendes gilt im Innenverhältnis der Hochschulen, weil die Hochschulleitungen auf Grund ihrer Verfügungskompetenz über die Haushaltsmittel den längeren Hebel beim Abschluss von Zielvereinbarungen mit den Subsystemen (Fachbereiche, Institute etc.) in der Hand haben. In der Regel geht die Rechtsordnung eines sozialen Rechtsstaates mit dem Problem asymmetrischer Machtverteilung in der Weise um, dass sie die Vertragsfreiheit durch nicht dispositive Schutzrechte zu Gunsten der schwächeren Vertragspartei (z.B. im Mietrecht, Arbeitsrecht, Wettbewerbsrecht usw.) begrenzt. Im Hochschulsystem schuf die rechtliche Absicherung von (ausschließlichen) Zuständigkeiten ein gewisses Korrektiv gegenüber asymmetrischen Machtkonstellationen.
In den "neuen Steuerungsmodellen" für die Hochschulen wird die horizontale Kompetenzgliederung von staatlichen und Selbstverwaltungsangelegenheiten und innerhalb der Hochschule von zentraler und dezentraler Kompetenzzuschreibung durch eine vertikale ersetzt. Dem Staat wird die "politische Führung", den Hochschulleitungen die "strategische Führung" und die "operative Führung" den Subsystemen der Hochschule zugeordnet.6 Die "Führung" soll gestuft über die verschiedenen Ebenen durch den Abschluss von Zielvereinbarungen realisiert werden. Da der Finanzmittelfluss von der politischen über die strategische zur operativen Ebene in Abhängigkeit von vertraglichen Regelungen über die "Gegenleistungen" erfolgt, kann in Bezug auf die jeweils untere Ebene auf Grund der Abhängigkeit von der Mittelzuführung durch die höhere Ebene materiell nicht von einer über das Medium des Vertrags vermittelten Gleichstellung der Vertragschließenden die Rede sein, sondern sinnvoller Weise nur von einer mittels der Verfügungsmacht über die Ressourcen hierarchisch aufgebauten Steuerungsstruktur.
Das Ergebnis ist wenig originell, da mit den "alten" Steuerungsmitteln der haushaltsrechtlichen Zweckbindung der Mittelverwendung und der Bestimmung von Auflagen in ähnlicher Weise interveniert worden ist. Durch die vertikale Kompetenzgliederung entfällt allerdings auch formell der interventionsgeschützte Kompetenzbereich der Selbstverwaltungsaufgaben der Hochschulen und ihrer Subsysteme. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Verstärkung der "autokratischen" Steuerungsstrukturen, da die Mittelverfügungs- und Zielvereinbarungskompetenzen auf staatlicher Seite bei der Exekutive, auf der Hochschulseite bei der Leitung und den Leitungen der Subsysteme verortet sind.

Vorwärts in die Vergangenheit

In der Begründungsrhetorik spielt das Argument, mit dem neuen Steuerungsmodell werde die notwendige Modernisierung des Hochschulsystems erreicht, eine wesentliche Rolle. Die dem Modell zu Grunde liegende Vorstellungswelt in Bezug auf das Regierungs- und Rechtssystem führt allerdings recht weit zurück in die Vergangenheit. In Bezug auf das Budgetrecht erfolgt ein Rekurs in den alten Dualismus der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts - und zwar vor der Entscheidung des Budgetstreits zu Gunsten der Parlamente. Der Verweis auf Sachkompetenz und persönliche Verantwortung zur Rechtfertigung der Verortung der Verfügungskompetenz über die Haushaltsmittel bei der Exekutive bzw. der Hochschulleitung rekurriert auf Legitimationsvorstellungen des aufgeklärten Absolutismus, nach denen nicht das Parlament, sondern allein der Monarch (und seine Administration) zureichend aufgeklärt seien, um rational und verantwortlich über die Staatsfinanzen zu verfügen. Im Hochschulverfassungsrecht führt der Weg zurück hinter die durch das Hochschulrahmengesetz von 1976 installierte Einheitsverwaltung, nach der die Selbstverwaltungsgremien auch - soweit nicht durch Landeshaushaltsgesetzgebung vorab bestimmt - über die Verwendung der finanziellen Ressourcen innerhalb der Universität zu befinden hatten, zurück in die Kuratorialverfassung, nach der die Selbstverwaltungsgremien nur über die akademischen, aber nicht über die finanziellen Angelegenheiten entscheiden.
Die weitgehende Ersetzung der normativen durch eine kontraktuale Steuerung führt zu einer Absorption des Verwaltungsrechts, diesmal nicht durch das Staatsrecht wie in den 1960er Jahren in der DDR; sondern durch privatrechtliche Konstrukte als Vehikel der Ökonomisierung der Verhaltensorientierung und Koordination. Die Folgeprobleme dürften sich aber weitgehend entsprechen: Privilegien und finanzielle Zuwendung für Wohlverhalten statt durchsetzbare Rechtsansprüche. Da im Vertragsmodell die Machtbeziehungen sich erst aus den konkreten Verhältnissen der Akteure heraus konstituieren, führt der Weg quasi zurück in die mittelalterliche (Staats-)Rechtskultur, in der Herrschaft und Macht nicht konstitutionell festgelegt waren, sondern immer neu erobert, behauptet und legitimiert werden mussten.
Der Vertrag ist ein Instrument der Koordination und, unter der Voraussetzung symmetrischer Machtkonstellationen, auch des fairen Ausgleichs von Partikularinteressen. Spätestens seit der verfassungsrechtlichen Garantie der Wissenschaftsfreiheit besteht das grundlegende und spezifische Hochschulorganisations- und Steuerungsproblem darin, die Wissenschaftsfreiheit (individuell und institutionell) und die Gemeinnützigkeitsanforderungen an Forschung und Lehre in der Balance zu halten. Nicht das kontraktuale Austarieren von Partikularinteressen, sondern deren Überprüfung auf ihre Integrationsfähigkeit in ein Konzept gesamtgesellschaftlicher Gemeinnützigkeitsanforderungen an das Hochschulsystem unter gleichzeitiger Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit ist das wesentliche Steuerungsproblem - ein Problem, das nicht ein für alle Mal in einem richtigen Steuerungsmodell zu lösen ist. Im politischen System des aufgeklärten Absolutismus und in einer Gesellschaft mit bildungsbürgerlicher Elite war die HumboldtÂ’sche Lösung des Organisationsproblems offenbar die gelungenste. Unter geänderten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen stellt sich das Problem der Balance zwischen Freiheit und Gemeinnützigkeit und der Organisationsformen und Verfahren, mit denen es zu lösen ist, auch für das Hochschulsystem jeweils neu.

Entdemokratisierung der Steuerung

Die normative Regulierung der ausgehenden 1960er und der 1970er Jahre hatte für die Regie des Hochschulsystems zwei demokratische Legitimationsquellen erschlossen: auf der staatlichen Seite die parlamentarische Gesetzgebung, auf der universitären Ebene durch die satzungsrechtliche Normgebung die mitgliedschaftlich organisierte Selbstverwaltung. Damit war ein der parlamentarischen Demokratie angemessenes entscheidungsorganisatorisches Grundmuster angelegt, in dem die Problematik der Balance von Gemeinnützigkeitsanforderungen und der Freiheit von Forschung und Lehre mit einem erheblichem Legitimationspotential grundsätzlich bearbeitbar und lösbar wurde. Aus verschiedenen Gründen ist die Ausgestaltung im Einzelnen nicht sonderlich gut gelungen. Auf der staatlichen und spiegelbildlich auch auf der Seite der Hochschuladministration etablierte sich eine kleinkarierte, bürokratische "Zerwaltung" der Hochschulen. Das Agieren der Selbstverwaltung der Hochschulen war oft nicht durch Autonomiebestrebungen, also die eigene Steuerung von Austauschprozessen mit der Umwelt durch hochschulsystemspezifische Strukturen und Verfahrensweisen gekennzeichnet, sondern zielte auf Autarkie, auf die Drosselung dieser Kommunikationsprozesse. Dass in den Selbstverwaltungsgremien nicht Wissenschaft zu betreiben ist, sondern ausbildungs- und forschungspolitische Entscheidungen zu treffen sind (wie nützlich wissenschaftliches Wissen dabei auch immer sein mag) und damit das Rationalitätskriterium nicht wissenschaftlich, sondern politisch zu definieren ist, konnte sich trotz der intensiven Diskussionen in den 1960er und 1970er Jahren im institutionellen Selbstverständnis der Hochschulen nicht verfestigen.7 Der Wechsel von der normativen zur kontraktualen Steuerung zielt jedoch nicht auf einen Abbau dieser Defizite in Bezug auf die (aus-)bildungs- und wissenschaftspolitische Problemaufnahme-, -verarbeitungs- und -entscheidungsfähigkeit des Hochschulsystems, sondern verfolgt mit der Herauslösung der Hochschulen aus der Systematik parlamentarischer und korporativer Steuerung die Trockenlegung der demokratischen Legitimationsquelle des gesetzten Rechts.
Die Rolle der parlamentarisch demokratischen Institutionen ist nach dem "neuen Steuerungsmodell" beschränkt auf die Formulierung der "Unternehmensphilosophie" und die allgemeine Festlegung von Zielen und Leistungsaufträgen. Da über die Allokation der (knappen) Mittel via Kontrakt in den Leitungshierarchien befunden wird, fallen dort die Entscheidungen darüber, was von all dem eine Realisierungschance erhält. Auch die ex post gegenüber den parlamentarischen Gremien bestehenden Berichts- und Rechenschaftspflichten eröffnen wenig Kontrollmöglichkeiten, da zu diesem Zeitpunkt häufig die Dinge schon irreversibel ins Werk gesetzt worden sind. Entsprechend seiner Herkunft aus der marktwirtschaftlichen Ökonomie, ist das Modell auch gar nicht auf eine Optimierung der Kontrolle und Steuerung durch ein System der Gewaltenteilung angelegt, sondern darauf, dass die "Gesetze des Marktes" über die Richtigkeit der Managemententscheidungen befinden (sollen).
Der Umstieg von der normativen zur kontraktualen Steuerung ist ein wesentliches Instrument zur Herstellung der systemischen Kompatibilität von Hochschul- und Wirtschaftssystem in dem Sinne, dass Leistung und Gegenleistung ohne den Filter hochschulsystemspezifischer Entscheidungsverfahren über vertragliche Vereinbarungen kommunizierbar werden.
Der Einzelne soll nicht mehr als homo politicus über seine Mitwirkung an (hochschul)politischen Entscheidungsprozessen, sondern - soweit überhaupt - als homo ökonomicus, als Kunde, Produzent, Investor die Flussrichtung der Geldströme beeinflussend, die Entwicklung der Hochschule mitbestimmen.

Anmerkungen

1)
Vgl. Werner Hoffacker: Zur Rolle von Vertrauen und Recht, Markt und Kontrakt als Steuerungselemente des Hochschulsystems, in: Wissenschaftsrecht, Bd. 36 (2003), S.93ff
2)
Zur marktförmigen Qualitätsfeststellung von Forschung und Lehre über "Ersatzindikatoren" vgl. Georg Franck: Wettbewerb im Hochschulwesen, in: Forschung & Lehre 2/2002 S. 174f; Werner Hoffacker, a.a.O.
3)
Vgl. Werner Hoffacker: Kontrakt- und Kontraktmanagement: Neue Instrumente der Steuerung in Hochschulbereich in DÖV 16/2001 S. 681. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft: Qualität durch Wettbewerb und Autonomie, Landeshochschulgesetze im Vergleich, Positionen, Aug. 2002
4)
Vgl. Jutta Fedrowitz, u.a. (Hrsg.): Hochschulen und Zielvereinbarungen - neue Perspektiven der Autonomie, Gütersloh 1999
5)
§105a Abs. 1 BremHG, entsprechende Regelungen finden sich z.B. auch im Hessischen (§88 Abs.2) und im Nordrheinwestfälischen Hochschulgesetz (§9)
6)
Vgl. Detlev Müller-Böling: Für ein neues Verhältnis von Staat und Hochschule, in: Deutscher Hochschulverband (Hrsg.): Streitfall Hochschulrat, 1998 S.54ff.
7)
Zu diesem Problem und Lösungsmöglichkeiten mit hohem demokratischen Legitimationsgehalt, vgl. Werner Hoffacker: Die Universität des 21. Jahrhunderts. Dienstleistungsunternehmen oder öffentliche Einrichtung? Neuwied 2000, S.139ff. bzw. 165ff.

Dr. Werner Hoffacker ist Jurist und arbeitet an der Universität Bremen in der Hochschulforschung mit dem Schwerpunkt Hochschulrecht, -organisation und -entwicklung.

Aus: Forum Wissenschaft 3/2003