Vom Heiligen Wasser zum antikolonialen Kampf

Vor 100 Jahren: Maji-Maji-Aufstand in "Deutsch-Ostafrika".

Die tanzanische Gesellschaft sei "in dieser Form ohne die historische Erfahrung des Maji-Maji-Krieges nicht denkbar", sagte der erste Staatspräsident von Tanzania, Julius Nyerere, 1956 vor einem Ausschuss der UNO zur Bedeutung des sog. Maji-Maji-Aufstands im damaligen Deutsch-Ostafrika, dem Festlandteil des heutigen Tanzania. Diese Erhebung jährt sich in diesem Jahr zum hundersten Mal.
Maji war die Bezeichnung für das Wasser des Rufiji-Flusses, das vermischt mit Mais und Hirse über die Hände, die Brust und den Rücken gegossen wurde. "Dann nahm man Hirsestrünke oder mbalika und flocht daraus ein Gebinde in Form einer Krone, die man auf dem Kopf trug." So berichtete es der Zeitzeuge Laurenti Fusi Gama. Das Ritual sollte u.a. gegen die Kugeln der Weißen unverletzbar machen.
Der Aufstand begann am 20.Juli 1905, als im Süden der Kolonie im Dorf Nandete im Matumbiland zwei Männer und eine Frau begannen, Baumwollpflanzen auszureißen. Damit sind wir auch schon bei den eigentlichen Ursachen des Aufstands, die nicht im magisch-rituellen Bereich zu suchen sind. Seit 1902 wurde auf staatlichen Plantagen Baumwolle angebaut. Alle Männer, die im Umkreis einer solchen Plantage lebten, mussten 28 Tage im Jahr gegen ein geringes Entgelt dort arbeiten. Vom Baumwollanbau versprach man sich höhere Gewinne in der defizitären Kolonie. 1905 wurde die sog. "Hüttensteuer" dahingehend abgeändert, dass sie nicht mehr pro Hütte sondern pro Kopf bezahlt werden musste. Das entsprach einer Vervierfachung. Außerdem musste sie von da an in Bargeld bezahlt werden. Da die meisten Afrikaner darüber nicht verfügten, musste die Steuer abgearbeitet werden, was die Zwangsarbeit noch weiter ausdehnte.
Weitere Gründe waren die miserablen Arbeitsbedingungen, Lohnbetrug sowie Übergriffe von Kolonialbeamten und -soldaten, von denen viele Einheimische waren. Aber auch schon damals wurde der Erhebung eine weiter reichende Qualität zugesprochen. Selbst der deutsche Gouverneur von Götzen sprach von einem "Kampf gegen die Fremdherrschaft". Götzen sagte aber auch, "dass es sich um eine rein heidnische Bewegung handelt, um ein Reagieren des ›Buschnegers‹ gegen die eindringende Kultur Â… Kolonialpolitik ist noch immer Eroberungspolitik gewesen." Damit war klar, dass die Kolonialmacht keinesfalls nachgeben würde.
Der spirituelle Anführer des Aufstands war ein Mann namens Kinjikitele. Er wurde bereits am 5.August 1905 hingerichtet. Wie er vorausgesagt hatte, hatte das keinen Einfluss auf den Aufstand, der unvermindert weiterging. Schon bald merkten die Kämpfer, dass das Maji sie nicht unverwundbar machte. Sie gingen deshalb zur Guerillataktik über. Letztlich hatten sie aber militärisch gegen die Deutschen keine Chance. Der Guerillakrieg zog sich zwar in einigen Gegenden bis 1908 hin, aber Ende 1905 war der Krieg zugunsten der Kolonialmacht entschieden. Er hatte etwa die Hälfte des Landes, vor allem den Süden, erfasst und mehrere Ethnien kämpften gemeinsam. Das war das eigentlich Neue. Vorher hatten die Deutschen immer einzelne Völker bekämpft, wie z.B. der Krieg gegen die Hehe in den 90er Jahren des 19.Jahrhunderts. Der Maji-Maji-Aufstand war die erste multiethnische antikoloniale Erhebung. Allerdings muss auch gesagt werden, dass die Einheit nicht lange hielt und nicht alle Gruppen umfasste. Einige Stämme kollaborierten sogar mit den Deutschen.
Die deutsche Kolonialmacht bekämpfte den Aufstand mit Massenhinrichtungen, Massakern und einer Politik der verbrannten Erde, die eine Hungersnot zur Folge hatte. Unter den Einheimischen gab es zwischen 120000 und 300000 Tote. Nur 500 deutsche Soldaten waren an den Kämpfen beteiligt, die restliche Kolonialstreitmacht bestand aus "Askaris" (afrikanischen Söldnern im Dienste der Deutschen) und einheimischen "Hilfskriegern". 15 Deutsche, 73 "Askaris" und 316 "Hilfskrieger" kamen ums Leben.
Als Folge des Maji-Maji-Aufstands führte der seit 1906 amtierende Gouverneur von Rechenberg einige Reformen durch, die die schlimmsten Übergriffe gegen die Afrikaner verhindern sollten. Im Prinzip änderte sich aber nichts an der deutschen Kolonialpolitik in Ostafrika.
Im deutschen Mythos blieb Ostafrika vor allem deshalb in Erinnerung, weil es die einzige Kolonie war, wo sich die deutsche "Schutztruppe" im Ersten Weltkrieg fast bis zum Kriegsende militärisch halten konnte. Der Maji-Maji-Aufstand ist jedoch in Deutschland noch weniger im kollektiven Gedächtnis verankert wie der zeitgleich stattfindende Herero-Aufstand in Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Der ehemalige tanzanische Staatspräsident Nyerere brachte den eigentlichen Grund für den Aufstand auf den Punkt: "Die Menschen kämpften, weil sie nicht an das Recht des weißen Mannes glaubten, die Schwarzen zu regieren und zu zivilisieren."