Finanzbullen statt Heuschrecken

Franz Müntefering verdient Anerkennung dafür, dass er eine realistische Kapitalismuskritik wieder hoffähig gemacht hat. Gegenüber den bisher vorherrschenden, die Realität verklärenden Leitbegriffen "freie Marktwirtschaft" und "Stärkung der privaten Marktkräfte" werden die realen Triebkräfte der kapitalistischen Privatwirtschaft endlich wieder in den Mittelpunkt gerückt. Müntefering bleibt jedoch nicht bei einer allgemein gehaltenen Kapitalismuskritik stehen. Vielmehr beschreibt er instinktsicher die jüngste, sich abzeichnende Etappe kapitalistischer (Fehl-)Entwicklung: "Großes Geld kauft sich mit kurzfristigem Profitinteresse hier ein und beutet Unternehmen in kurzatmigen Zyklen aus." Die Folge seien Arbeitsplatzvernichtung und ein einschneidender Verlust staatlicher Handlungskompetenz.

Gegeißelt werden vor allem die gigantischen Finanzfonds aus den USA. Sie versuchen die überschüssige Liquidität, die bei Pensionsfonds und reichen Familien lagert, unter Maximierung der Gewinne auf das eingesetzte Kapital weltweit zu platzieren. Bei der hektischen Suche nach maximalen Renditen für dieses vagabundierende Geldkapital fallen die Börsen nach ihrem Zusammenbruch mangels Kurssteigerungspotenzial aus. Die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere sind wegen der historisch niedrigsten Zinssätze völlig unattraktiv. Was aber bleibt dann noch bei der Suche nach hohen Renditen für überschüssiges Kapital?

In das Visier geraten Unternehmen, mit deren Kauf meistens das Ziel verbunden wird, durch das Herausbrechen rentabler Stücke in kürzester Frist Renditen von weit über 25 Prozent zu erreichen. Auf dieses Geschäft, private Unternehmen zu erwerben, konzentrieren sich die so genannten Private Equity Fonds. Meistens werden zu diesem Zweck Unternehmen aus Konzernverbünden herausgekauft bzw. große mittelständische Unternehmen oder aber strategische Beteiligungen erworben. Unter dem Eigentum der Fonds fortgeführte Unternehmen werden dann auf kurzfristige Profitabilität zurechtgetrimmt. Nicht zum Kerngeschäft gehörende, synergetisch jedoch wichtige Produktionsbereiche werden aufgegeben und Arbeitsplätze abgebaut. Maßnahmen zur mittelfristigen Stabilisierung, wie Ausgaben für Forschung und Entwicklung, werden der kurzfristigen Renditesteigerung geopfert. Kunden, Lieferanten sowie das örtliche Umfeld werden dabei ignoriert.

In den meisten Fällen geht es um die Filetierung der gekauften Unternehmenskomplexe. Profitable Teile werden dann zu einem gegenüber dem Kaufpreis erheblich höheren Verkaufspreis veräußert. Dazu setzen diese Finanzfonds nicht nur das ihnen anvertraute Eigenkapital, sondern auch Fremdkapital in erheblichem Umfang ein.

Neben den Private Equity Fonds operieren auch die extrem aggressiven Hedgefonds. Deren Geschäfte basieren auf der sehr risikoreichen Spekulation auf den Verfall der Börsenkurse von Aktiengesellschaften. So werden Unternehmen zur Ausschlachtung der profitablen Teile spekulativ entwertet. Dazu ein Beispiel: Mehr oder weniger anonym gebliebene Finanzfonds versuchten im Januar 2004, die lukrative Tochter Hapag Lloyd durch Zerschlagung des TUI-Konzerns zu ergattern. Dabei spielte das Investmenthaus Goldman Sachs, das als einer der Konsortialführer beim geplanten Börsengang von Hapag Lloyd fungierte, eine dubiose Rolle. Dieser unfreundliche Angriff konnte jedoch durch die Geschlossenheit von Vorstand und Aufsichtsrat, vor allem aber durch die handelnde Betriebsvertretung unter Zuhilfenahme einer klugen Investmentbank gerettet werden. Dieses Beispiel demonstriert, dass solche spekulativen Attacken auch verhindert werden können. Um das Gesamtunternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu retten, bedurfte und bedarf es auch in Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung.

Die Praxis der "Financial Raiders"

Die Liste der Versuche von in der angloamerikanischen Wirtschaftspresse als Financial raiders (Finanzgangster) titulierten Fonds, Unternehmen auszuschlachten, obwohl diese eigentlich durch Restrukturierung stabilisiert werden könnten, ist lang. Die Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young schätzt allein das in Deutschland eingesetzte Spekulationskapital auf mehr als 23 Mrd. Euro in insgesamt 85 Unternehmen. An der Spitze steht das US-Unternehmen KKR (benannt nach den drei Gründern Kohlberg, Kravis und Roberts). KKR ist eingestiegen beim Turbinenhersteller MTU, beim Dualen (Abfall-)System, beim Chemieunternehmen Dynamit Nobel und bei Auto- Teile-Unger (ATU). Nicht in allen Fällen wurden diese Unternehmen filetiert. Dies zeigt das Beispiel ATU.

Seit dem Kauf der Beteiligungsgesellschaft Doughty Hanson zu einem Preis von 1,45 Mrd. Euro ist KKR mit 80 Prozent an ATU beteiligt. In diesem Fall hat sich bisher die Fortführung der Geschäfte unter allerdings harten Bedingungen für die rund 2 500 Beschäftigten gelohnt. Allerdings stellen die entstandenen Firmenschulden eine schwere Belastung für ATU dar. Denn die Übernahme wurde zu ungefähr zwei Dritteln durch den Einsatz von Fremdkapital finanziert. Die Beteiligungsgesellschaft reichte die Verschuldung und damit den Kapitaldienst an das erworbene Unternehmen weiter. Laut ATU sind die Finanzschulden da- durch von 490 Mio. Euro Ende 2003 auf 894 Mio. Euro Ende 2004 gestiegen.

Auch die Übernahme des Herstellers von Kommunikationsprodukten Tennovois steht für die Fortführung eines Unternehmens. Allerdings wurden hier die Löhne massiv gesenkt. Selbst dadurch wurde die Vernichtung von Arbeitsplätzen jedoch keineswegs gestoppt. Im Gegenteil: Nach dem Verzicht auf 12,5 Prozent ihres Arbeitseinkommens wurde entgegen der Absprache anschließend die Hälfte der Mitarbeiter entlassen.

Die in Deutschland besonders gefürchteten Finanzfonds sind Fortress, Cerberus und Blackstone aus den USA. Aus England kommen Apax und Permira hinzu. Operiert wird von Deutschland- und Regionalbüros aus unter Einsatz teuer eingekaufter deutscher Manager. Neuerdings konzentrieren sich spezielle Real Estate Investment Trusts, die eine Kombination aus unternehmerisch tätiger, börsennotierter Immobilien AG und Immobilienfonds darstellen, auf die Ausschlachtung großer Wohnungsgesellschaften. Derzeit wird erheblicher Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, die noch existierenden steuerlichen Hindernisse abzubauen. Dabei locken die Finanzfonds mit einem gegenüber dem üblichen Marktwert vergleichsweise hohen Kaufpreis. So wurde die "Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten" mit ihren 80000 Wohnungen zu Gunsten des Bundeshaushalts durch den US-Fonds Fortress übernommen. Trotz massiver Proteste droht nun der Verkauf lukrativer Eigentumswohnungen und damit die soziale Spaltung in den großen Wohnquartieren.

Faktisch kennzeichnen die Private Equity und Hedgefonds eine neue Stufe des Kapitalismus. Vagabundierendes Spekulationskapital lenkt die milliardenschweren Fonds in die wertschöpfenden Unternehmen - mit den beschriebenen dramatischen Folgen. Sie wirken damit wie ein Turbo an der Kapitalismusmaschine. Insoweit trifft die Beschreibung dieser jüngsten Etappe als Turbokapitalismus durchaus zu.

Die Zahl dieser Finanzfonds zeigt jedoch: Das eindrucksvolle Bild Münteferings von den über Deutschland hereinfallenden Heuschrecken unterschätzt die konzentrierte Dynamik. Als Verwertungsagenten treten nur wenige, jedoch riesige Finanzfonds auf. Aufgrund ihres Hauptkampffeldes, der Börse, gleichen sie nicht Heuschrecken, sondern vielmehr Finanzbullen.

Diese Finanzfonds verändern grundlegend die Marktwirtschaft in Richtung wachsender Konzentration. Sie sind die Feinde funktionierender Finanzmärkte als wesentlichem Bereich der Wettbewerbswirtschaft. Die neoliberale Politik der Marktöffnung und Ausweitung der Märkte stärkt somit nicht die Wettbewerbswirtschaft, sondern öffnet vielmehr diesen Finanzbullen Tür und Tor. Nicht nur Arbeitsplätze fallen ihrer Kurzfrist-Profitlogik zum Opfer. Auch die mittelständische Wirtschaft, deren Zugang zu Krediten ohnehin erschwert ist, wird durch diese Konzentration der Finanzierungsressourcen belastet.

Durch das Treiben der Finanzfonds wird die neoklassische Deutung der Ursachen der Arbeitslosigkeit schlagartig widerlegt: Nicht auf den Arbeitsmärkten wird durch Lohnsenkungen und Flexibilität der Beschäftigten über Höhe und Struktur der Beschäftigung entschieden. Es sind vielmehr die hoch konzentrierten Finanzmärkte, die maßgeblich die Arbeitslosigkeit bestimmen. Wenn beispielsweise der Finanzgigant KKR im Zuge der Filetierung von gekauften Unternehmen tausende Arbeitsplätze streicht, dann hat das kaum etwas mit den Löhnen und Gehältern, den Gewerkschaften und der Mitbestimmung zu tun. Im Gegenteil, viele Beispiele zeigen, dass der Verzicht auf Arbeitseinkommen und längere Arbeitszeiten wegen der kurzfristigen Profitinteressen mit dem Abbau von Arbeitsplätzen, ja der Schließung von Unternehmen "belohnt" worden sind.

Die Neoklassik, die unerschütterlich behauptet, die Arbeitslosigkeit müsse durch individuelles und institutionelles (Fehl-)Verhalten auf den Arbeitsmärkten erklärt werden, irrt offensichtlich. Sie übersieht den machtvollen Einfluss dieser Finanzgiganten. Die jüngste Kapitalismusentwicklung bestätigt dagegen das Grundmodell der postkeynesianischen Makroökonomie: Entscheidend ist die machtspezifisch differenzierte Hierarchie der Märkte. Nicht die Arbeitsmärkte, sondern die Güter- und Finanzmärkte bestimmen über Höhe und Struktur der Beschäftigung. Unternehmen entscheiden über Investitionen und damit auch über Arbeitsplätze durch Renditenvergleich auf den Güter- und Finanzmärkten. Nachgelagert werden dann auf den Arbeitsmärkten die Bedingungen definiert, zu denen die erzeugte Arbeitslosigkeit ihrerseits zu verarbeiten ist. Dazu gehören die Forderungen nach Lohnverzicht und Flexibilisierung.

Ansätze einer Zähmungspolitik

Gegenüber dieser aus dem kapitalistischen Investitionsmonopol geborenen Abhängigkeit der Beschäftigten von den Kapitalstrategien der Mega-Fonds stellt sich die Frage nach alternativen Strategien zur Verhinderung oder zumindest zur Bändigung dieser Finanzbullen. Deutlich geworden ist, dass die Politik für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung nur eine Chance hat, wenn sie auf die Investitionsentscheidungen im Zusammenspiel von Güterund Finanzmärkten Einfluss nimmt.

Das Leitbild der "sozialen Marktwirtschaft" wirkt indes gegenüber der wachsenden Macht der Finanzbullen viel zu schüchtern und zu harmonistisch. Es geht um den politischen Mut innerhalb und außerhalb der Unternehmen, mit angemessenen Instrumenten zwischen den "Rettern und Raubrittern" ("Manager Magazin") zu unterscheiden, nicht um das generelle Verbot von Finanzfonds. Wie ausgeführt wurde, gibt es durchaus Beispiele für zwar problematische, aber letztlich gelungene Sanierungen durch den Einsatz dieses konzentrierten Finanzkapitals. Es kommt aber darauf an, dass die Auswüchse ausschließlich profitorientierten Schaltens und Waltens vermieden werden und das normale Geschäft zielorientiert reguliert wird.

Müntefering hat ebenfalls Recht, wenn er vor diesem Hintergrund eine stärkere Internationalisierung der Politik gegenüber der rasant voranschreitenden Internationalisierung des Kapitals fordert. Über Deutschland hinaus muss sich die Politik der EU gegen diese jüngste Fehlentwicklung richten. Ein erster Schritt wäre der Verzicht auf neoliberale Markthoffnungen im Rahmen der EU zu Gunsten der konzertierten Bekämpfung der Marktbeherrschung durch die Finanzfonds.

Trotz der Internationalisierung der Kapitalmärkte bleibt auch der hiesigen Politik Spielraum zur Eindämmung dieser konzentrierten Finanzmacht. Dazu würde auch gehören, den Zufluss von internationalem Finanzkapital entwicklungsstärkend zu nutzen. Tatsächlich vergoldet die rot-grüne Bundespolitik derzeit jedoch über die Freistellung der Gewinne aus der Veräußerung inländischer Kapitalbeteiligungen das Buy-out an die Finanzgiganten.

Der bisherigen Politik der faktischen Subventionierung könnte mit sieben konkreten Maßnahmen begegnet werden, welche die öffentliche Finanzkraft erheblich stärken würden. Dazu wird erstens die Befreiung der Gewinne aus der Veräußerung inländischer Kapitalbeteiligungen zurückgenommen. Zweitens werden bei der Einführung der Real Estate Investment Trusts für Immobiliengesellschaften auf der Basis von Fonds keine Steuervorteile eingeräumt. Hedgefonds, die mit dem jüngsten Finanzmarktförderungsgesetz überhaupt erst legalisiert worden sind, werden drittens unter scharfe Regeln gestellt, deren Kontrolle durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen gesichert werden sollte (vergleichbar der für die Börsenaufsicht in den USA zuständigen Securities Exchange Commission). Denn das Absturzrisiko dieser Hedgefonds ist besonders groß.1 Viertens werden Leerkäufe, über die die Hedgefonds Aktien nach unten treiben können, untersagt. Fünftens muss das kurzfristige Halten von Unternehmensbeteiligungen steuerlich diskriminiert und der längerfristige Einsatz begünstigt werden. Sechstens wird die Bezahlung des Managements von der Kursentwicklung bzw. kurzfristiger Renditeentwicklung entkoppelt, da Unternehmen durch diese kurzfristig ausgebeutet zu werden drohen. Siebtens schließlich ist die Veröffentlichung aller Komponenten der Vorstandsgehälter der dem Corporate Governance Codex unterliegenden Kapitalgesellschaften sicherzustellen.

Politische Regulierungen in Deutschland und auf internationaler Ebene sind notwendig, aber nicht hinreichend. Letztlich ist der Ausbau der demokratischen Mitbestimmung in den Unternehmen erforderlich. Wie die verhinderte Ausschlachtung der TUI AG zeigt, stärkt die Mitbestimmung in den Unternehmen die Chance für Gegenstrategien zum Erhalt des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze durch Abschotten gegen die Angriffe von Investmenthäusern und Hedgefonds. Der zutreffenden Beschreibung der jüngsten Etappe des Kapitalismus durch Frank Müntefering muss deshalb ein gesteigertes Engagement für eine gestaltende Politik und der Ausbau der Mitbestimmung auf der Ebene der Unternehmen erst noch folgen.

1 Erinnert sei hier an den Zusammenbruch des Fonds Long Term Capital Management in den USA im September 1998, der, bei einem Eigenkapital von 5 Mrd. US-Dollar, 125 Mrd. Euro an Krediten für Spekulationsgeschäfte aufnahm. Als der Fonds zusammenbrach, musste die USNotenbank zusammen mit 14 Banken Zuschüsse in Milliardenhöhe leisten.

Blätter für deutsche und internationale Politik © 2005