Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus

Der Text von Alexander Recht zur "Theorie des Stamokap" erschien Ende der 90er Jahre im damals noch so lautenden spw-Info Rheinland. Er wird hier leicht ergänzt dokumentiert.

Dem Rücktritt Lafontaines im Jahre 1999 ging massiver Druck der Großindustrie voraus. Sie zeigte der Regierung die Grenzen demokratischer Entscheidungen auf und drängte den Finanzminister aus dem Amt. Anlass für uns, nochmals die SMK-Theorie vorzustellen.

I Einfluss der SMK-Theorie in den 70er und 80er Jahren

Die Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus (kurz: Stamokap oder SMK) wurde in den 70er und 80er Jahren von großen Teilen der sozialistischen und kommunistischen Linken als Kern ihrer Kapitalismus-Analyse vertreten. In den 90er Jahren ist es um diese Theorie still geworden. Dies hat diese Theorie nicht verdient, beschreibt und erklärt sie doch auch heute noch manche Entwicklungen des Kapitalismus zutreffend.

II Kernaussagen der SMK-Theorie

a) Der SMK-Theorie zufolge ist der SMK eine historische Phase des Spätkapitalismus, die durch besondere ökonomische und politische Merkmale gekennzeichnet sei. Was die ökonomische Seite betrifft, spiele in jeder Branche eine kleine Anzahl großer Unternehmen eine bedeutende Rolle.

Diese Großunternehmen, die in einem widersprüchlichen Verhältnis aus Konkurrenz und Kooperation zueinander stünden, würden erstens über eine große Marktmacht verfügen und zweitens aufgrund ihres Monopolcharakters sowie ihrer Größenvorteile Rentabilitätsvorteile gegenüber anderen kleineren Unternehmen besitzen.

b) In politischer Hinsicht seien staatliche Eingriffe in die kapitalistische Produktionsweise charakteristisch für den SMK. Diese Regulierung zeichne sich aus durch staatliche Steuerpolitik, Subventionen, Investitionen, Verteilungspolitik, Sozialtransfers etc.

Nur durch staatliche Einflüsse gelinge es noch, den kapitalistischen Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatkapitalistischer Aneignung zu entschärfen. Denn unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution seien trotz des immensen Reichtums der Großunternehmen zwecks Erhaltung deren Verwertungsbedingungen staatliche Ausgaben erforderlich, um zum einen durch Subventionen kostenintensive, produktivitätssteigernde Investitionen der Großunternehmen mitzufinanzieren und zum anderen über staatliche Nachfragepolitik für eine Kompensation des Rückgangs der Binnennachfrage zu sorgen, der mit der monopolistischen Aneignung gesellschaftlichen Reichtums verbunden sei.

c) Der ökonomische Einfluss der Großunternehmen wirke in die politische Sphäre hinein. Über Verbindungen zum Staat versuchten die Großunternehmen, die Richtung und Maßnahmen der Politik zugunsten ihrer Interessen zu lenken und zu beeinflussen.

Die Einflussnahmen erfolge durch Verbandslobbys, Personalaustausch zwischen Wirtschaft und Politik sowie institutionalisierte Bündnisse. Letztlich sei der imperialistische Staat ideeller Gesamtkapitalist.

d) Der hohe Grad gesellschaftlicher, wenngleich monopolisierter Produktion im SMK weise Potentiale hin zum Sozialismus auf. Es komme, so vor allem die Diskussion der marxistischen Linken bei den Jusos, darauf an, die Produktion unter wahrhaftig gesellschaftliche Kontrolle zu stellen und die Betriebe wie auch den Staat zu demokratisieren.

Die Richtung und das Wie der staatlichen Eingriffe seien im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem der Erwerbstätigen, umzulenken. Zur Erreichung dieses Ziels seien übergangsweise antimonopolistische Bündnisse der lohnabhängigen Klasse mit nicht-monopolistischen Schichten notwendig.

III Was bleibt von der SMK-Theorie?

Auch die wichtigsten Exponenten der SMK-Theorie wie Heininger oder Huffschmid bestreiten nicht gewisse Fehlentwicklungen der SMK-Theorie. Als exemplarische Schwächen der Theorie seien hier genannt die nicht unwichtige Rolle kleiner Unternehmen für die Entwicklung der Produktivkräfte, die Vernachlässigung eigenständiger, nicht-ökonomischer politischer und ideologischer Prozesse, die Tendenz zur deterministischen Geschichtsauffassung mit dem SMK als letzter Phase des Spätkapitalismus und Vorstufe zum Sozialismus sowie die Annahme eines einheitlichen Interesses des Monopolkapitals und divergierender Interessen zwischen Monopol- und Kleinkapital.

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Teilaspekte der SMK-Theorie auch heute noch stimmen. Monopolisierungsprozesse sind heute gang und gebe, siehe Daimler-Chrysler oder den Telekommunikationssektor. Alle bürgerlichen Politikansätze setzen ihren Schwerpunkt darauf, durch geeignete Maßnahmen die Interessen des nationalen Monopolkapitals zu bedienen. Und die Lobby des Großkapitals, der BDI, übt über Einflüsse ins Kanzleramt einen solchen Druck darauf aus, damit ihre Interessen beachtet werden, dass dieser dazu beiträgt, dass Finanzminister Lafontaine das Handtuch geworfen hat.

Lafontaine selbst hat sich im übrigen 1999 auch innerhalb der Strukturen des SMK bewegt, indem er für staatliche Nachfragepolitik eingetreten ist. Dies macht die prinzipielle Flexibilität und Offenheit des SMK deutlich: Flexibilität, weil es nicht DIE Politik im SMK gibt, sondern verschiedene systemimmanente Politikansätze von Stoiber über Hombach bis Lafontaine; Offenheit, weil es eben auch innerhalb des SMK Platz für temporäre fortschrittliche Reformen gibt, etwa Sozialleistungen.

Allerdings wird eine sozialistische, antikapitalistische Alternative nicht bei systemimmanenten Reformen stehenbleiben können, sondern muss eine Beseitigung der Vermachtung des Großkapitals UND eine demokratische Vergesellschaftung der ökonomischen Basis im Interesse der Menschen anstreben. Die Systemfrage bleibt also aktuell, und die SMK-Theorie leistet bei der politischen Analyse gute Dienste, wenn sie um weitere theoretische Ansätze ergänzt wird, etwa um jene, die die Internationalisierung der Produktion berücksichtigen.

IV Nachtrag

Im ursprünglichen Text nicht erwähnt, hier aber nachträglich aufgeführt seien folgende Schwächen der SMK-Theorie (die die SMK-Theorie jedoch NICHT völlig entwerten):

1) Die Existenz von Unternehmen mit marktbeeinflussendem Charakter - ob man hierzu Monopole sagen sollte, ist nochmals eine weitere Frage - modifiziert zwar die Wertgesetzlichkeit der Marktstrukturen, hebt sie aber nicht auf. Die zuweilen von Vertretern der SMK-Theorie geäußerte Annahme einer Beseitigung der Wertgesetzlichkeit durch Großkonzerne, die die Ökonomie angeblich steuern könnten, ist weder theoretisch begründet noch empirisch belegt.

Große Konzerne determinieren trotz aller Marktbeeinflussung nicht die regelnden Strukturen, nach denen sie konkurrieren, fusionieren, investieren und produzieren,
sondern diese werden auch ihnen durch die Logik der anonymen abstrakten Kapitalbewegung aufgenötigt.

2) Die SMK-Theorie erklärt nur unzureichend, welche spezifische Formbestimmung der Staat im engeren Sinne im Kapitalismus notwendigerweise aufweist, nämlich die einer Trennung verselbständigter staatlicher Apparate von der Gesellschaft, in denen sich jedoch gesellschaftliche Auseinandersetzungen - wenn auch gebrochen - materialisieren und widerspiegeln.

3) Die SMK-Theorie stellt Geschichte zu stark als ein vom Menschen frei ausgehendes Willens- und zu wenig als ein das menschliche Handeln anleitendes Strukturverhältnis dar. Kapitalismus ist aber in hohem Maße auch Herrschaft der durch die Menschen im Rahmen der Wert- und Kapitallogik hinterrücks und nicht bewusst geschaffenen Verhältnisse über die Menschen.

Der Staat ist also im Kapitalismus keine Instanz beliebiger Freiheitsgrade, deren sich gesellschaftliche Kräfte wie Großunternehmen leicht und "mal eben so" bedienen könnten, sondern der Staat ist auch selber - wie übrigens auch kapitalistische Unternehmen - eingeordnet in eine kapitalistische Struktur der Vergesellschaftung durch Werte.

Sozialismus heißt also daher nicht nur, die Beseitigung der Vermachtung des Großkapitals, worauf die SMK-Theorie stark fokussiert, anzustreben, sondern Ziel muss es sein, die kapitalistischen, die Menschen beherrschenden Verhältnisse als Ganzes aufzuheben und in einen "Verein freier Menschen" zu überführen, in dem die Individuen ihre Verhältnisse möglichst bewusst, rational und kooperativ steuern.

4) Geschichte ist trotz der das Handeln der Menschen strukturierenden Verhältnisse nicht totaldeterminiert, sondern lässt Freiräume für Handlungen. Will man diese analysieren, so ist jedoch einzuräumen, dass der Staatsbegriff der SMK-Theorie auf die direkte Staatlichkeit beschränkt und daher im Sinne Gramscis erweitert zu betrachten ist.

Zum Staat im unfassenden Sinne gehören die politische Gesellschaft, die über die direkten Staatsapparate verfügt, wie auch die sog. Zivilgesellschaft, d. h. gesellschaftliche Instanzen wie Kirche, Verbände usw. Sowohl die Praktiken in den direkten Staatsapparate wie auch die Auseinandersetzungen in der Zivilgesellschaft spielen eine wichtige Rolle beim Kampf gesellschaftlicher Kräfte um Hegemonie.