'Bedingungsloses Grundeinkommen'

Verwirrung, Fallen und Legenden

Das Ziel, die Herrschaft entfremdender Lohnarbeit über das Leben der BürgerInnen zurückzudrängen, ist [..] allein im Wege kollektiver Arbeitszeitverkürzungen erreichbar.

Angesichts des neoliberalen Systemwechsels, der die Arbeitspflicht umso schärfer hervorhebt, je hoffnungsloser die Lage am Arbeitsmarkt ausfällt, das Recht auf existenzsichernde Erwerbsarbeit zur sanktionsbewehrten Pflicht zur Annahme von Billigst-Jobs und entrechteter Nicht-Arbeitsverhältnisse (,,Ein-Euro-Jobs") umdeutet und soziale ,,Sicherung" allenfalls auf Armutsniveau gewährleistet, nehmen Diskussionen um ein ,,bedingungsloses Grundeinkommen" (BGE) zu. In Deutschland gruppiert sich diese Debatte um das Mitte 2004 gebildete Netzwerk Grundeinkommen, das als hiesiger Zweig eines ,,Basic Income Earth Network" fungiert.

Das Netzwerk propagiert den Rechtsanspruch jedes Einzelnen auf ein staatlich garantiertes Einkommen, das bedingungslos gezahlt wird, weil es weder von sonstigen vorhandenen Einkommen, noch von Arbeitsleistung oder auch Arbeitsbereitschaft abhängig gemacht wird. Damit werde nicht nur die Armut selbst, sondern auch die Drohung der Armut ,,nachhaltig abgeschafft". Um gleichwohl Menschen zur Übernahme ,,unattraktiver Arbeiten" zu gewinnen, sei dann deren bessere Entlohnung zwingend - oder die sukzessive Abschaffung solcher Arbeiten durch Technikeinsatz oder Vermeidungsstrategien.1

Solche Vorstellungen klingen nach einem weit reichenden Programm sozialer Emanzipation, nach der Vision einer Gesellschaft, in der jeder Mensch frei ist, sich gegen die Lohnarbeit und für eine anderweitige freie Selbstentfaltung zu entscheiden - auf der Grundlage eines zwar bescheidenen, aber doch armutsfesten Einkommens. ,,Es ist ein Projekt für mehr Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Es weist über die bestehende Gesellschaft hinaus", heißt es denn auch unter www.archiv-grundeinkommen.de, wo eine Sammlung von Beiträgen zur BGE-Debatte geboten wird.

Auffällig indes: zahlreiche Beiträge stammen von Autoren, denen zwar ebenfalls ,,über die bestehende Gesellschaft hinausweisende" Motive unterstellt werden können, jedoch solche in umgekehrter Richtung. Etwa von Milton Friedman, dem ,,Vater" des Neoliberalismus und Urheber der ,,negativen Einkommensteuer", oder von Mitschke und dem neoliberalen ,,Kronberger Kreis", die in den 1980er und 90er Jahren Friedmans ,,negative Einkommensteuer" als ,,Bürgergeld" für die deutsche FDP adaptierten. Auch deren Bürgergeld-Texte sind vertreten. Diese und manch andere Beiträgen basteln an Radikalutopien, die dem Sozialstaat den Garaus machen und die Armutspeitsche in den Billig-Job verallgemeinern wollen. Sie gelten im Netzwerk keineswegs als Beispiele gegnerischer Positionen, denen man den Kampf angesagt hätte. Eher im Gegenteil sollen sie offenbar eine respektable ,,Breite der Debatte" suggerieren.

Zum Grundeinkommen gebe es, so das Netzwerk, eine ,,große Bandbreite von Modellvorschlägen", die sich hinsichtlich der Höhe des Grundeinkommens, der Finanzierung, der Einsparung anderer Sozialleistungen ,,und in vielen weiteren Hinsichten" unterschieden. ,,Kurzfristige" Vorschläge zielten auf ein ,,partielles Grundeinkommens", das zwar ,,kein voller Ersatz" für ALG II oder Sozialhilfe sei, aber durch andere Einkommen ,,inklusive herkömmlicher Transferzahlungen reduziert um den Betrag des partiellen Grundeinkommens" aufgestockt (?) werden könne.

Begriffliche Verwirrungen

Der Wunsch, sich näher über die ,,große Bandbreite von Modellvorschlägen" zu orientieren, führt unvermeidlich zu einem als einschlägig geltenden Papier von Roland Blaschke, einem der Sprecher des Netzwerks.2 Mit den Versprechen begrifflicher Klärung und Bereinigung bisheriger Unschärfen führt Blaschke seine Leserschaft in eine Konfusion, die größer kaum sein könnte, aber doch typisch für die BGE-Debatte zu sein scheint. Sie erweckt am Ende das Gefühl, hier gebe eine gemeinsame sozialpolitische Reformplattform mit Akteuren neoliberaler Provinienz.

Ausgehend vom Oberbegriff des ,,garantierten Mindesteinkommens", dessen gemeinsamer Ausgangspunkt ,,zumeist" das Ziel der Armutsvermeidung sei, unterscheidet Blaschke zunächst ,,grundlegend" Modelle eines Grundeinkommens von solchen einer Grund- oder Mindestsicherung (Sozialhilfe, ALG II) anhand der für das Grundeinkommen charakteristischen Merkmale der Bedarfsunabhängigkeit (keine Bedürftigkeitsprüfung), der fehlenden Arbeitsverpflichtung und der Individualisierung des Leistungsanspruchs (nicht haushaltsbezogen) und stellt fest: ,,Diese Merkmale kennzeichnen das Grundeinkommen als ein Bedingungsloses Grundeinkommen".3

Dann werden dem BGE zwei Modell-Typen zugeordnet: solche einer Negativen Einkommenssteuer (,,NES") und solche einer ,,Sozialdividende". Beide unterscheiden sich maßgebliche dadurch, dass die ,,Sozialdividende" eine bedingungslose und einkommensunabhängige Vorauszahlung an jeden Einzelnen sei, während der NES-Leistung stets eine Bedürftigkeitsprüfung des Einkommens vorausgeht. Die Schlussfolgerung, dass sich die NES damit nach Blaschkes eigenen Definitionen als Grundeinkommensmodell erledigt hat, wird jedoch nicht gezogen.

Im Gegenteil werden munter Modelle der NES diskutiert. Zu unterscheiden seien solche eines ,,poverty-gap- (Armutsfallen-) Typs" und solche eines ,,social-dividend-Typs". Während wir über Letztere nichts weiter erfahren, liegt das Leistungsniveau bei Ersteren unterhalb der Armutsgrenze, um einen ökonomischen Arbeitszwang zu implementieren. Der offenkundige Widerspruch nicht nur zum Grundeinkommen, sondern selbst zu den meisten Grund- oder Mindestsicherungen in der Definition Blaschkes (,,Armutsvermeidung") müsste nun zumindest dazu führen, den Armutsfallen-Typ der NES aus dem Bereich der ,,garantierten Mindesteinkommen" überhaupt herauszunehmen. Doch davon kann keine Rede sein.

Stattdessen stellt der Begriffsklärer fest: ,,Die Grundeinkommensform Negative Einkommensteuer ... kann dem Bedingungslosen Grundeinkommen analog gestaltet sein" - obgleich stets bedürftigkeitsgeprüft -, ,,sie kann aber auch vollkommen bzw. partiell vom Grundeinkommen abweichen". Und ,,fließende Übergänge ... zwischen den einzelnen Modellen der Grundsicherung und des Grundeinkommens sind je nach konkreter Ausgestaltung durchaus gegeben"4. Warum die NES dann überhaupt allgemein in die Grundeinkommensdiskussion eingeführt wurde - zumal bislang kein (!) NES-Modell bekannt ist, dass den Merkmalen des Grundeinkommens entspräche -, bleibt ebenso sein Geheimnis wie der Sinn begrifflicher ,,Unterscheidungen", die sich im Anwendungsfall auch in ihr Gegenteil verkehren können.

Später behauptet Blaschke nochmals verallgemeinernd, die ,,Vorbeuge gegen Einkommensarmut" sei eines von drei Zielen der NES. Jedoch beeilt er sich hinzuzufügen, dass diese Ziele ,,je nach konkretem Modell unterschiedlich betont bzw. vollkommen negiert (!) werden" - womit sich die Frage stellt, wieso es sich dann überhaupt noch um ,,Ziele der NES" im Allgemeinen handeln kann. Indes wird die NES an dieser Stelle systematisch vom BGE unterschieden und bildet plötzlich eine eigenständige dritte Kategorie neben BGE und Grund- oder Mindestsicherung. Wurde sie nicht zuvor zusammen mit dem BGE ,,systematisch" der Grund-/Mindestsicherung gegenübergestellt? Wurde sie nicht anfangs gar als eine Form des BGE eingeführt? Hat es nicht dem BGE ,,analoge" NES-Modelle geben sollen?

Den letzten Teil der Blaschke-,,Studie" bildet eine Darstellung ,,gegenwärtiger und alternativer Modelle garantierter Grundeinkommen"5. Zu den ,,alternativen" zählt hier auch das liberale ,,Bürgergeld" nach Mitschke mit einem Leistungsniveau unter der Sozialhilfe, das Mitte der 1990er Jahre auf Druck der FDP Gegenstand einer von der Kohl-Regierung eingesetzten Kommission wurde. Dazu gehört weiter das ,,Transfergrenzen-Modell" von Pelzer/Fischer, das in der Debatte als bedeutsames Konzept eines BGE gilt. Es hat allerdings den Schönheitsfehler, auf die Bestimmung eines Leistungsniveaus überhaupt zu verzichten, um dies ins Belieben der Politik zu stellen - ein Verfahren, das mit dem Ziel der Armutsvermeidung schwerlich in Einklang zu bringen ist.

Im Modell der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Aachen ist das bedarfsunabhängige Grundeinkommen an die Bedingung geknüpft, dass bezahlte oder unbezahlte Arbeit (ehrenamtliche Gemeinwesenarbeit, Familienarbeit) im Gesamtumfang von Vollzeitarbeit (1.500 Jahresstunden) nachzuweisen ist. Von Verzicht auf eine Arbeitspflicht kann hier keine Rede sein, eher von Verzicht auf bezahlte Arbeit. Von allen dargestellten Grundeinkommensmodellen entspricht überhaupt nur eines den BGE-Kriterien der bedarfs- und arbeitsunabhängigen Sicherung gegen Armut - das ,,Existenzgeld" der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen. Für eine ,,breite Debatte um BGE-Modelle" recht wenig Substanz.

Grundeinkommen für den Chef

Als prominenter Vertreter der BGE-Debatte machte in letzter Zeit der Chef der Drogeriemarktkette ,,dm", Götz Werner, von sich reden. Er fordert ein ,,bedingungsloses Bürgergeld" von 1300 bis 1500 Euro als staatliche ,,Lebensrente für jeden Bürger". Im Gegenzug sollen die das ,,Bürgergeld" übersteigenden und vom Arbeitgeber zu zahlenden Löhne und Gehälter um den gleichen Betrag gekürzt werden.6 Finanziert werden soll dies - und der gesamte sonstige öffentliche Aufwand gleich mit - durch eine drastisch erhöhte Mehrwertsteuer von 48 %, die alle anderen Steuern ersetzt (!).7

Eine solche Vision, die zur finalen Entlastung der Arbeitgeber die Finanzierung des gesamten Staatsaufwands einschließlich einer dauerhaften und allgemeinen Lohnsubventionierung vor allem den BezieherInnen unterer und mittlerer Einkommen aufhalsen will, würde normalerweise von allem, was sozialpolitisch fortschrittlich sein will, mit Abscheu zurückgewiesen. Doch auf dem Ticket ,,Grundeinkommen" scheinen selbst solch abstruse Ideen diskutabel zu werden. Einer der Mentoren des Netzwerk Grundeinkommen, Prof. Michael Opielka, kommentiert Herrn Werners Rolle so: ,,Der könnte sehr wichtig werden. Große Themen hängen immer an großen Personen. Werner ist Unternehmer, der Chef eines Milliardenkonzerns. Man kann wirklich froh sein, dass sich so einer dieses Themas annimmt."8

Das Netzwerk wirbt ausdrücklich damit, dass ,,auch die Unternehmen gewinnen: motivierte MitarbeiterInnen, mehr Risikobereitschaft aufgrund der Einkommenssicherheit, niedrigere Lohnnebenkosten wegen der Verlagerung auf Steuerfinanzierung"9. Das Versprechen niedrigerer Lohnnebenkosten kann nur daher rühren, dass auch Lohnersatzleistungen aus der Sozialversicherung mit dem BGE erledigt werden sollen - was aber nirgends offen ausgesprochen wird. Im Gegensatz zu Herrn Werners famoser Mehrwertsteuer-Idee sieht allerdings das Netzwerk ,,die Notwendigkeit, die Wohlhabenden stärker zu besteuern"10 - auch dieser Widerspruch scheint gleichwohl keiner Konsequenz für eine der Seiten wert.

Unter www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de, der Internetseite einer gleichnamigen Initiative unter Mitwirkung der BGE-,,Transfergrenzenmodell"-AutorInnen Fischer und Pelzer, wird für ein BGE mit dem Argument geworben, dies stärke die Unternehmen: ,,Sie können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen." Nun spricht die Entwicklung der betrieblichen Personalpolitiken und des Arbeitsmarkts nicht unbedingt dafür, dass solche ,,Sorgen" der Bedienung der Aktionäre ernstlich entgegenstünden.

Mit zwei parallelen Papieren sucht ,,Freiheit statt Vollbeschäftigung" auf der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite für ein BGE zu werben11. Den Gewerkschaften unterstellt man schlichte Maschinenstürmerei: sie hielten Automatisierung für ein Übel und stritten für einen Verzicht auf ,,diese Form der Innovation". Das BGE mache ,,vorgeschriebene Arbeitszeiten" und ein ,,vorgeschriebenes Rentenalter" gleichermaßen entbehrlich, weil jeder frei sei, so lange zu arbeiten, wie er will. Eine Arbeitsplatzgarantie sei unmöglich, es sei denn ,,in der Planwirtschaft". Woher die AutorInnen die Zuversicht nehmen, der reale Kapitalismus könne eine bedingungslose Einkommensgarantie auch ohne Erwerbsarbeit übernehmen, erfährt man nicht.

Der Text für Arbeitgeber stilisiert eingangs das Unternehmen zum ,,Problemlöser" und ,,Agenten des Fortschritts" schlechthin. Die ,,Höhe der Löhne" sei Triebkraft von Rationalisierung und Arbeitslosigkeit. So lange die Arbeitgeberverbände ,,wie die Gewerkschaften" (!) ihre Aufgabe in der Schaffung von Arbeitsplätzen sähen, würde der innovative ,,Unternehmensführer" bei der Nutzung der Automatisierungschancen behindert. Das BGE ermögliche den Unternehmen, ,,nicht genügend leistungsbereite" Arbeitnehmer ,,leichter zu entlassen als heute - ohne dabei eine Verletzung ihrer Gemeinwohlverpflichtung befürchten zu müssen". Und: ,,Wer sich mit seiner Arbeit identifiziert, wird immer bereit sein, mehr zu arbeiten als andere".

Fatale Legende: Massenerwerbslosigkeit irreversibel

Der Name der Initiative ,,Freiheit statt Vollbeschäftigung" verweist indes auf den maßgeblichen Impuls für die Verbreitung der BGE-Idee, den das Netzwerk im ,,Scheitern aller bisherigen Versuche zur Lösung des Problems der Massenarbeitslosigkeit" sieht.12 Massenerwerbslosigkeit als Folge der Produktivitätsentwicklung gilt hier als ,,Zeichen für ökonomischen Erfolg".13 Ein einschlägiges Papier von attac-Österreich behauptet, Ergebnis der Produktivitätszuwächse des globalisierten Kapitalismus sei ,,eine Dienstleistungsgesellschaft, in der keine Kompensation der ansteigenden Arbeitslosigkeit mehr möglich ist".14 Auch attac-Deutschland begrüßte die ,,Ansicht von Regierungsexperten", dass Vollbeschäftigung nicht mehr erreichbar sei, und forderte deshalb ein Grundeinkommen.15

Schon seit Jahren geistern Thesen, der Arbeitsgesellschaft gehe die Arbeit aus und Massenerwerbslosigkeit sei zu einer objektiv irreversiblen Erscheinung geworden, durch ,,alternative" Zirkel. Ihre hartnäckige Blindheit gegenüber den Verteilungsfragen des ,,knappen Gutes" Erwerbsarbeit bleibt frappierend. Dass sich die Arbeitskräftenachfrage durch Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit maßgeblich beeinflussen lässt, ist theoretisch kaum bestreitbar und empirisch seit langem belegt. Zahlreiche Landesregierungen haben dies jüngst bestätigt, indem sie ihre Forderung nach längeren Wochenarbeitszeiten im Öffentlichen Dienst mit dem Ziel durchgreifenden Stellenabbaus zugunsten der Haushaltskonsolidierung begründen. Wenn dies so herum funktioniert, dann auch anders herum.

Anders als die BGE-Forderung wäre eine Strategie beschäftigungswirksamer Umverteilung von Erwerbsarbeit durch radikale Arbeitszeitverkürzung bei regulierter Lage und Verteilung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten nicht auf den Gesetzgeber als maßgeblichen Akteur angewiesen. Sie könnte im Wege des gewerkschaftlichen Tarifkampfes verfolgt werden. Umverteilung zugunsten von Arbeitszeitverkürzung könnte neben Lohnerhöhung zur regelmäßigen Zielsetzung der Tarifpolitik werden. Ließe sich zudem noch eine expansive öffentliche Investitions- und Nachfragestrategie durchsetzen, käme eine neue Vollbeschäftigung durchaus in Reichweite.

Auffassungen, dass Massenerwerbslosigkeit gleichsam schicksalhaft sei und daher Fragen der ,,anständigen Alimentierung" Vorrang hätten, kollidieren hart mit gerade entgegengesetzten Bedürfnissen der Bevölkerung, der ArbeitnehmerInnen und erst Recht der Erwerbslosen. Dass eine dauerhafte und tiefe Gesellschaftsspaltung durch Massenerwerbslosigkeit Demokratie gefährdende Potenziale birgt, sollte gerade in Deutschland nicht in Vergessenheit geraten.

All denen, die sich mit Massenerwerbslosigkeit nicht abfinden wollen, gleichsam zuzurufen ,,Lasst ab von euren Kämpfen, sie sind dummes Zeug!" würde tiefe Gräben im gesellschaftlichen Oppositionspotenzial gegen den neoliberalen Wettbewerbsstaat aufreißen. Dabei bleiben auch diejenigen, die im BGE tatsächlich einen Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit sehen und einer ,,Neuen Vollbeschäftigung" skeptisch gegenüber stehen, auf eine hegemoniefähige gesellschaftliche Bewegung angewiesen. Vorstellungen, es sei ,,realpolitisch leichter", eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle durchzusetzen als radikale Arbeitszeitverkürzungen bei Sicherung auskömmlicher Einkommen, entbehren jeder Grundlage.

Wozu überhaupt ein BGE?

Nimmt man die Verlautbarungen des Netzwerks beim Wort, geht es vorrangig um den Schutz vor Armut als voraussetzungslos garantiertes ,,soziales Grundrecht", das auch bei Ablehnung von Arbeitsangeboten gewahrt bleibt. Diese Zielsetzung kann sich durchaus auf den Menschenwürdegrundsatz von Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz berufen. Menschenwürde ist jedem und jeder Einzelnen Kraft des Menschseins eigen und darf nicht von Bedingungen - etwa ,,erwünschtem Verhalten" - abhängig gemacht werden. Fraglos verletzen Armut und sozialer Ausschluss die Menschenwürde. Davor zu schützen, muss also zum ,,Auftrag aller staatlichen Gewalt" zählen.

Wenn es um diese Zielsetzung geht, wäre sie auch im Wege einer Reform gegebener Mindestsicherungssysteme erreichbar. Diese hätte zum einen den Schutz vor Armut mit einem deutlich höheren Leistungsniveau zu garantieren, das für die Wechselfälle menschlichen Lebens möglichst rechtssicher (ermessensfrei) ausgestaltet wird. Zum anderen hätte sich - wie im ursprünglichen BSHG angelegt - das Leistungsrecht jeder Sanktion ,,unerwünschten Verhaltens" durch Kürzung oder Entzug des Existenzminimums zu enthalten. Was wäre dann gegen ein staatliches Bemühen einzuwenden, ,,unerwünschtem Verhalten" mit Mitteln der sozialen Arbeit zu begegnen?

Solche Orientierungen fanden teils Niederschlag in früheren Konzepten ,,bedarfsorientierter Grundsicherung". Sie waren meist verbunden mit Forderungen nach Entschärfung der arbeitsmarktpolitischen Zumutbarkeitsregelungen (Schutz vor unterwertiger Arbeit und langen Wegezeiten) sowie Sicherung des ,,Lohnabstands" auf der Seite des Lohnsystems (höhere Löhne) und der vorrangigen Sozialleistungen (z.B. bei Kinder- und Wohngeld). Demgegenüber erscheint die Kosten-Nutzen-Relation eines BGE vom Typ ,,Sozialdividende" als ,,einkommensunabhängige Vorauszahlung" (Blaschke) außerordentlich fragwürdig. Um für 25 % der Bevölkerung einen wirksamen Schutz vor Armut zu ermöglichen, müsste zunächst für 100 % der Bevölkerung - bis hin zum Einkommensmillionär - das individuelle BGE ausgezahlt werden, um es danach bei 75 % über Steuern wieder zu kassieren. Einen derart verschwenderischen bürokratischen Aufwand kann nur in Kauf nehmen wollen, wem es weniger um Probleme der Lebenswirklichkeit geht als um ein ,,hehres Prinzip".

BGE als ,,Ende der Lohnsklaverei"?

Im ,,linken Flügel" der Debatte scheint das BGE teils als probater Hebel zur Beendigung der Lohnsklaverei zu gelten. Wer wollte sich noch den Zwängen der Lohnarbeit unterwerfen, ist das Leben auf armutsfreiem Wohlstandsniveau auch ohne diese gesichert? Privilegierte vielleicht, denen ihre Arbeit als persönliche Selbstentfaltung gilt, oder Konsumjunkies, die mehr materiellen Wohlstand wollen. Wer nicht will, kann aussteigen.

Eine solche - nur scheinbar ,,radikale" - Betrachtung blendet aus, dass die Reproduktion eines materiellen Wohlstandsniveaus bei aller Automatisierung ein beachtliches Quantum notwendiger Arbeit erfordert. Das ,,Reich der Freiheit" kann immer erst dort beginnen, wo das Reich der notwendigen Arbeit endet. Die aber bleibt stets gleichsam ,,kollektive Pflichtarbeit". Es ist eine elementare Gerechtigkeitsfrage, für eine möglichst gleiche Verteilung der notwendigen (bezahlten wie unbezahlten!) Arbeit Sorge zu tragen, damit der mögliche Raum selbstbestimmt gestaltbarer Zeit, des ,,Lebens im Leben", allen gleichermaßen eröffnet wird. Das Ziel, die Herrschaft entfremdender Lohnarbeit über das Leben der BürgerInnen zurückzudrängen, ist nie im Wege eines individuellen opt-out nach dem Modell des Vermögensbesitzers, sondern allein im Wege kollektiver Arbeitszeitverkürzungen (und einer Umverteilung unbezahlter Arbeit unter den Geschlechtern) erreichbar. So inakzeptabel es ist, einen Teil der Gesellschaft zu einem Leben in Armut mit Arbeitsdienst zu verurteilen, so inakzeptabel wäre es auch, einen Teil der Erwerbsfähigen mit überlangen Arbeitszeiten um ihr Recht auf ,,Leben im Leben" zu bringen. Beides zeitigt fatale Folgen für soziales Leben, Gesundheit und Gerechtigkeit.

1 Selbstdarstellungsflyer des ,,Netzwerk Grundeinkommen", www.netzwerk-grundeinkommen.de

2 Roland Blaschke, Garantierte Mindesteinkommen, Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen im Vergleich, Dresden/Meißen 2005

3 Ebd., S. 13

4 Ebd., S. 17

5 Ebd., S. 32 ff

6 ,,Nehmen wir an, eine Krankenschwester verdient 2500 Euro. Nach Abzug des Bürgergelds müsste das Krankenhaus ihr noch 1200 Euro bezahlen. Sie hätte danach gleich viel, aber ihre Arbeitsleistung wäre für das Krankenhaus viel leichter zu finanzieren." (G- Werner im Interview mit der Süddeutschen Zeitung v. 02.07.05)

7 Werner: ,,Ich bin dafür, alle Steuern abzuschaffen. Bis auf eine: die Mehrwertsteuer." Frage: Und wie hoch soll die dann sein? Werner: ,,Das könnten bis zu 48 Prozent sein." (ebd.)

8 Süddeutsche Zeitung, 05.07.05

9 Selbstdarstellungsflyer

10 ebd.

11 Freiheit statt Vollbeschäftigung, Konsequenzen für Arbeitnehmer und Gewerkschaften, und ders., Konsequenzen für Unternehmen und Arbeitsgeberverbände, www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de

12 www.netzwerk-grundeinkommen.de

13 Selbstdarstellungsflyer

14 www.attac.at , Das bedingungslose Grundeinkommen: Eine neue Forderung von attac?

15 ,,Attac fordert Debatte um zukunftsweisende Reform der sozialen Sicherungssysteme - Abschied von der Vollbeschäftigung - Hartz IV am Ende", Pressemitteilung attac Deutschland vom 01.03.05