Time to say goodbye

Für einen Wechsel in die Linkspartei!

Mit diesem Text sollen Gründe für einen Wechsel der Mitglieder unserer Strömung von der SPD in die sich bald konstituierende Linkspartei präsentiert werden.

Mit diesem Text sollen Gründe für einen Wechsel der Mitglieder unserer Strömung von der SPD in die sich bald konstituierende Linkspartei präsentiert werden. Die Gründe, die für diesen Schritt sprechen, beziehen sich nicht nur auf kurzfristige Entwicklungen der Gesellschaft und der Parteienlandschaft, sondern nehmen auch längerfristige Tendenzen ins Visier. Eine solche Herangehensweise macht allein schon deshalb Sinn, weil sich auch das bisherige Engagement der meisten Mitglieder unserer Strömung innerhalb der SPD nicht durch eine positive Bezugnahme auf das aktuelle Erscheinungsbild der SPD, sondern durch längerfristige Erwägungen begründet hat.

Dabei sollen zur Untermauerung des Plädoyers für einen Wechsel nicht nur Gründe genannt werden, die für die Linkspartei sprechen, sondern soll auch antithetisch gezeigt werden, dass die bislang angeführten Gründe für ein Verbleiben in der SPD nicht oder nicht mehr ausreichende Geltung besitzen.

I Politische Grundrichtung unserer Strömung

Der Kern unserer Strömung strebt eine sozialistische Gesellschaft an, ,,in der die gesellschaftliche Produktion und die im gesellschaftlichen Leben unvermeidbare Planung der Zufälligkeiten tatsächlich der bewussten gemeinsamen Kontrolle aller Glieder der Gesellschaft unterstellt"1 werden. Dabei werden systemimmanente Reformen und der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft nicht als Gegensatz begriffen: ,,Zum einen bergen über Reformen durchgesetzte ökonomisch-soziale Regulierungsformen, kollektiv-sozialstaatliche Strukturen sowie reale Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie ein Potenzial in sich, das auch in einer sozialistischen Ökonomie, wenngleich modifiziert, von Bedeutung sein wird. Zum anderen zeigen erfolgreich durchgesetzte Reformen, die die Lage der Menschen verbessern, dass eine andere Welt prinzipiell möglich ist. Solche Erfolge sind ein Signal dafür, dass Leben und Arbeiten - ohne sich der Kapitallogik vollständig zu unterwerfen - möglich ist. Sie stärken das Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung und können potenziell Ausgangspunkt sein, diese Gesellschaft insgesamt grundlegend zu verändern. Solche Signale mit Wirkungen auf das Bewusstsein der Menschen sind deshalb so wichtig, weil der Weg zur Überwindung des Kapitalismus nur über die Gewinnung von mehr MitstreiterInnen, mehr Macht und mehr Einfluss, also über eine andere Hegemonie gelingen kann."2

Bis heute wird dabei von unserer Strömung die Bedeutung der gesellschaftlichen Gruppe der Lohnabhängigen betont: ,,Das objektive Interesse an progressiven gesellschaftlichen Veränderungen ist (.) bei der Klasse der lohnabhängig Beschäftigten aufgrund ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln der Gesellschaft als Nichteigentümer am stärksten ausgeprägt. Eine progressive Politik muss daher verstärkt an den Interessen der Klasse der lohnabhängig Beschäftigten ansetzen."3 Eine besonders wichtige Rolle spielen hierbei die gewerkschaftlich organisierten, politisch bewussten Lohnabhängigen - eine Rolle, die sich ergibt aus ihrer Verankerung in der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion, in den Betrieben und Verwaltungen, aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke und Organisiertheit und aufgrund des kollektiven Bewusstseins, das sich in der Bewegung ausdrückt."4 Der Kampf für gesellschaftliche Veränderung ist jedoch daran geknüpft, dass die Gewerkschaften nicht alleine streiten, sondern Bündnisse mit all jenen Nicht-Lohnabhängigen schließen, die bereit sind, sich für ein soziales, demokratisches und ökologisches Modernisierungsprojekt zu engagieren. Wichtig ist es also, soziale Bewegungen und Bürgerinitiativen, Wissenschaftler und Kulturschaffende, ja auch leitende Angestellte und Selbständige für eine fortschrittliche Politik zu gewinnen und in einem Bündnis von Arbeit, Wissenschaft und Kultur zu organisieren.5 An dieser politischen Grundrichtung unserer Strömung gilt es festzuhalten, denn sie ist nach wie vor richtig. Die Frage lautet aber, in welcher Formation sich die strategischen Ansätze am besten umsetzen lassen.

II Bisherige Gründe für ein Verbleiben in der SPD

Entscheidend für die strategische Orientierung auf die SPD war bislang die Auffassung, dass die Frage, inwieweit der Forderungskatalog eines fortschrittlichen Bündnisses von Arbeit, Wissenschaft und Kultur ,,auf die politischen Machtstrukturen ausgreifen und in gesellschaftsverändernde Strukturreformen umgesetzt werden kann, sich innerhalb (...) der SPD mit ihrer sozialen Verankerung und ihren gesellschaftlichen und internationalen Beziehungen" entscheide. Denn hier fänden sich ,,die strategisch bedeutsamsten Bezugspunkte für eine langfristig angelegte sozialistische Politik".6 Knapper formuliert: Wer an fortschrittlichen Veränderungen interessiert sei, komme an der SPD nicht vorbei, denn sie sei das entscheidende Spielfeld für Auseinandersetzungen. Für diese These wurden im Wesentlichen fünf Gründe angeführt.

Erstens wurde bei aller Kritik an Einzelpunkten und an der unzureichenden Konsequenz und Reichweite der SPD-Politik betont, dass es in ihr relevante Bereiche gebe, die zustimmungsfähig seien. Verwiesen wurde auf soziale Errungenschaften der bundesrepublikanischen Gesellschaft wie etwa ausgebaute soziale Sicherungssysteme, keynesianische Stabilisierungspolitik oder Erfolge im Bildungssystem.

Zweitens wurde angenommen, die SPD sei die Partei in der BRD, die ,,am stärksten sozial und politisch in der Arbeiterklasse verankert"7 sei. Die politischen Prozesse würden bei Wahlen wie auch bei sozialen Konflikten zeigen, dass ,,die gewerkschaftlich organisierten Teile der Klasse den mit Abstand solidesten und häufig entscheidenden Grundpfeiler der Sozialdemokratie"8 darstellten. Gemäß der strategischen Orientierung war diese These von hoher Bedeutung. Denn gefolgert wurde einerseits, dass die Lohnabhängigen im Allgemeinen sich bei der Artikulation ihrer Interessen an die SPD wenden und ihre am meisten bewussten Teile sogar in der SPD mitwirken würden, so dass die SPD fortschrittlichem Einfluss ausgesetzt sei. Andererseits versprach die Orientierung der Lohnabhängigen auf die SPD, dass innerparteiliche Erfolge der SPD-Linken positiv auf die Bewusstseinsformierung der Lohnabhängigen wirken könnten, so dass die SPD auch fortschrittlichen Einfluss ausüben könnte.

Drittens wurde die Auffassung vertreten, dass die für die Konstituierung des Bündnisses von Arbeit, Wissenschaft und Kultur relevanten gesellschaftlichen Kräfte sich auf die SPD bezögen oder gar als Mitglieder in ihr fortschrittlich wirkten. Unterstellt wurde eine in der SPD verankerte Tendenz zu einer demokratisch-emanzipatorischen Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, die ,,zu starkem Mitgliederzuwachs insbesondere unter den jüngeren Teilen der Arbeiterinnenklasse, der lohnabhängigen Mittelschichten und vor allem der Intelligenz"9 geführt habe. Auf dieser Unterstellung einer zivilgesellschaftlichen Prägung der SPD beruhte die Hoffnung, dass ein wechselseitiger Beeinflussungsprozess auch zwischen Sozialdemokratie, sozialen Bewegungen und Intelligenz stattfinden könne.

Viertens gingen die LinkssozialistInnen davon aus, dass sie Bestandteil einer größeren und einflussreichen Parteilinken seien. Den nicht linkssozialistischen Teilen der Parteilinken wurde zwar immer wieder vorgeworfen, in einzelnen Fragen nicht konsequent genug zu sein oder auch zuweilen die falschen Positionen zu vertreten, aber dennoch überwog die Hoffnung der LinkssozialistInnen, zusammen mit anderen Parteilinken Erfolge in der SPD durchsetzen zu können.

Fünftens wurde ein pragmatisches Argument genannt, das sich auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Volkspartei SPD bezog. Wer Mitglied der SPD sei, dem würden sich Türen öffnen, die Mitgliedern anderer linker Parteien verschlossen seien - Kontakte zu Gewerkschaften und anderen Instanzen der Arbeiterbewegung, Beziehungen zu Einrichtungen in Wissenschaft und Kultur, Einladungen zu gesellschaftlich relevanten Veranstaltungen, besseres Gehör bei Repräsentanten in Presse und Medien, beruflicher Zugang zu parteinahen Institutionen oder gar Ministerien usw. Überdies versprach die Tatsache, Mitglied der SPD zu sein, infrastrukturelle Vorteile bei der Bewerbung von Veranstaltungen sowie bei der Neumitgliederwerbung.

III Die heutige SPD hält nicht ein, was wir uns von ihr versprachen

Ob ein Verbleib in der SPD sinnvoll ist oder nicht, hängt auch davon ab, inwiefern die Hoffnungen, die wir auf eine Mitarbeit in ihr gesetzt haben, überhaupt noch erfüllt werden können. Hier wird die Auffassung vertreten, dass die SPD unsere Hoffnungen auf absehbare Zeit kaum noch erfüllen kann.

1) Kaum noch zustimmungsfähige SPD-Politik

Die SPD betreibt seit dem Abgang von Oskar Lafontaine im Jahre 1999 eine katastrophale Politik. Im Kernbereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sie an die Politik der konservativen Vorgängerregierung Kohl angeknüpft und hieraus eine spezifische sozialdemokratische Konzeption unter den Labeln ,,Dritter Weg" oder ,,linke Angebotspolitik" entwickelt, die sich vom neoliberalen Grundkonzept allenfalls graduell, aber nicht fundamental unterscheidet. Dieses neo-sozialdemokratische Konzept setzt auf einen neuen Klassenkompromiss, der erstens massiv zugunsten des Kapitals verschoben ist und bei dem zweitens die marginalisierten und von Marginalisierung bedrohten Schichten der Lohnabhängigen nicht mehr als soziale Basis betrachtet werden, deren Interessen zu berücksichtigen seien, sondern als Objekte der Integration und Ruhigstellung oder gar der Repression, sofern sie sich weigern, die Zumutungen zu akzeptieren.10

So hart es auch klingen mag: Es war der rot-grünen Bundesregierung vorbehalten, für den größten Sozialabbau in der BRD seit 1945 verantwortlich zu sein: Die Privatisierung von Leistungen und Finanzierungsstrukturen sowie Leistungskürzungen in den Sozialsystemen sind genauso Ingredienzien der SPD-Politik wie Deregulierung und Liberalisierung von Handel und Finanzströmen. Die Abkehr von nachfragepolitischen Konzepten und die Akzeptanz neoklassischer Dogmen bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik haben ein Desaster aus Krisenverschärfung, Wachstumsschwäche, Massenarbeitslosigkeit, Ungleichverteilung, maroder öffentlicher Infrastruktur sowie zunehmenden gesellschaftlichen Anomien hinterlassen. Auch die Militarisierung deutscher Außenpolitik sowie Repressionstendenzen in innenpolitischen Bereichen sind auf Anstrengungen der SPD zurückzuführen. Daher ist es berechtigt, trotz einiger weniger Fortschritte in zivilgesellschaftlichen Bereichen festzustellen, dass die SPD zusammen mit den Grünen einen aktiven Beitrag zur Zerstörung der von ihr selbst miterkämpften sozialen Errungenschaften und zur Desorientierung und Rechtsentwicklung gesellschaftlichen Bewusstseins geleistet hat und auch weiterhin leisten würde, wenn man sie ließe.

2) Keine positive Beziehung mehr zwischen SPD und Lohnabhängigen

Die Politik der SPD in den letzten Jahren hat die soziale Position der Lohnabhängigen deutlich geschwächt. Ihre relative Reichtumsposition in der Primärverteilung hat sich auch unter Rot-Grün verschlechtert; ihre sozialstaatlich garantierten Ansprüche auf Lebensstandardsicherung und Vorsorge gegen Risiken unter Beachtung solidarischer Prinzipien wurden durch Rot-Grün in Teilen zerschlagen; in der Sekundärverteilung waren per saldo für die Beschäftigten keine Fortschritte festzustellen, die Arbeitslosen wurden gar mit Einschnitten konfrontiert; die Kampfkraft der Lohnabhängigen wurde durch eine Politik aus Kürzung, Repression und Lohndruck reduziert. Dass angesichts dieser Politik eine Entfremdung zwischen Gewerkschaften und SPD stattgefunden hat, kann nicht nur nicht verwunden, sondern ist sogar richtig. Denn eine SPD, die die Position der Lohnabhängigen verschlechtert, muss durch die Gewerkschaften kritisiert werden.

Wenngleich zuzugestehen ist, dass Teile der Gewerkschaftsführungen und manche wichtigen Betriebsräte im Wissen darum, dass Schwarz-Gelb das größere Übel darstellt, nachvollziehbarer Weise nicht sämtliche Bindungen zur SPD aufgeben möchten, bleibt in grosso modo die Erkenntnis, dass die früher als fruchtbar erhoffte Wechselwirkung zwischen Lohnabhängigen und der SPD die positiven Erwartungen nicht erfüllt. Was die Wirkung der SPD auf das Bewusstsein der Lohnabhängigen anbetrifft, so ist diese Wirkung rückschrittlich. Was die Wirkung fortschrittlicher Kräfte in den Gewerkschaften auf die SPD anbetrifft, so überwiegen die Misserfolge. Die Agenda-2010-Politik konnte trotz zahlreicher gewerkschaftlicher Proteste nicht verhindert werden; progressive Gewerkschaftsvertreter verfügen über nur noch wenig Durchsetzungskraft in der SPD. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass viele Gewerkschaftsvertreter sich entweder nicht mehr in der SPD engagieren oder gar aus ihr austreten.

Auch die lohnabhängigen Wähler haben der SPD infolge ihrer Politik zunehmend die Zustimmung verweigert und stattdessen entweder Wahlabstinenz geübt oder andere Parteien gewählt. Offenbar empfinden viele Lohnabhängige, insbesondere die marginalisierten oder von Marginalisierung bedrohten, die SPD aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr als die Instanz, die ihre Interessen vertritt und an der sie sich bei der Bildung ihres politischen Bewusstseins ausrichten können.

,,(D)er Abfall der Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie scheint zukunftsträchtig zu sein - denn je jünger die Arbeiter, desto größer ist der Abstand zur SPD. Das ist zweifelsohne ein historisch säkularer Einschnitt für die Partei, da die industrielle Arbeiterklasse über mehrere Epochen hinweg gleichsam axiomatisch das historische Subjekt, der ideologische Fixpunkt und das soziologische Fundament aller Parteiaktivitäten, ja der Parteistabilität schlechthin war. Der kühle, ganz unsentimentale Exodus der Arbeiterklasse hat dem über ein Jahrhundert aufgeschichteten sozialdemokratischen Selbstverständnis somit seinen Kern genommen, mehr noch: Er hat der Partei ihre historischen Voraussetzungen und ihre historische Zielsetzung - die Emanzipation der unteren Schichten - entzogen. Die signifikanten Identitätsunsicherheiten vieler Sozialdemokraten in den letzten fünf Jahren sind letztlich darauf zurückzuführen. In früheren Jahrzehnten waren sich die Sozialdemokraten ihres gesellschaftlichen Ortes, ihrer sozialen Ursprünge und materiellen Interessen sicher. Diese Gewissheit und Übereinstimmung von Ort, Subjekt und Ziel existiert nicht mehr."11

3) Keine positiven Bezüge der SPD zum zivilgesellschaftlichen Bereich

Kaum besser als das Verhältnis der SPD zu den Lohnabhängigen ist jenes zu kritischen Intellektuellen und zu sozialen Bewegungen. Die meisten kritischen Intellektuellen jedenfalls können der SPD-Politik der vergangenen Jahre nichts Positives abgewinnen und sehen die SPD vor einer bedrohlichen Zukunft. Michael Heinrich z. B., Redakteur der linken Zeitschrift ,,Prokla", analysiert die Lage wie folgt: ,,Die einzige Hoffnung der gegenwärtigen SPD-Führung, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung die sozialen Härten vergessen macht und als Erfolg der eigenen Politik ausgegeben werden kann, wird sich wohl kaum erfüllen. Stattdessen dürfte die SPD aufgrund der Politik von Schröder, Clement und Müntefering auf lange Zeit beschädigt bleiben."12 Prof. Altvater, marxistischer Professor aus Berlin, sieht daher die SPD den Weg in die Opposition gehen: ,,Der wahrscheinliche Regierungswechsel ist der angemessene Ausdruck von Kontinuität. Weder die SPD noch die Grünen können dagegen eine glaubwürdige Opposition bilden. Es ist ja ihr neoliberales Projekt, das da fortgesetzt wird. Es war immer schon schwarz und hatte nur eine rot-grüne Tünche."13

Auch hier hat eine zweiseitige Entfremdung stattgefunden. Die politische Botschaft der SPD wird von kritischen Intellektuellen zu Recht als rückschrittlich abgewiesen; umgekehrt scheint die SPD auch keinen Sinn darin zu sehen, auf die Kritik der linken Intelligenz Rücksicht zu nehmen, sondern setzt ihren Kurs unbeirrt fort und macht auch keine Anstalten, hieran etwas zu ändern. Daher ist es nur folgerichtig, wenn Kritiker wie Altvater für Opposition gegen die SPD als Bestandteil bürgerlicher Politikverwaltung plädieren: ,,Die Opposition gegen die ,pensée unique', gegen das Einheitsdenken, und auch gegen die neoliberale Einheitspartei in gelb, schwarz, rot und grün ist so wichtig wie nie zuvor in der jüngeren deutschen Geschichte."14

Ähnliches lässt sich für die sozialen Bewegungen feststellen. Dabei sind wenigstens drei Probleme zu benennen: Zum ersten vertreten die sozialen Bewegungen eine Programmatik, die zur Ausrichtung der SPD in deutlichem Widerspruch steht. Attac etwa lässt verlauten: ,,Dafür, dass Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 den größten sozialen Einschnitt in den deutschen Wohlfahrtsstaat seit Beginn der Bundesrepublik vollzogen hat, möchten wir ihm den Ehrendoktortitel Dr. h. c. Sozialabbau verleihen. In diesem Sinne - herzlichen Glückwunsch!"15 Zum zweiten hat die SPD-Führung den Kontakt zu sozialen Bewegungen völlig abreißen lassen: Weder die Forderung nach Rücknahme der Privatisierungen im Gesundheitssektor, noch jene nach Einführung einer Tobin Tax, noch jene nach Einführung eines repressionsfreien Anspruchs auf Grundsicherung wurden von der SPD-Führung auch nur im Ansatz mit realpolitischer Perspektive aufgegriffen. Stattdessen folgte von dieser entweder Ablehnung oder Ignoranz, bestenfalls das Bekenntnis, sich mit den Forderungen irgendwann einmal beschäftigen zu wollen. Zum dritten ist die Anzahl kritischer SozialdemokratInnen in sozialen Bewegungen sehr gering - und zwar deswegen, weil es nicht mehr allzu viele kritische GenossInnen in der SPD gibt, die sich ein Engagement in sozialen Bewegungen vorstellen können. Dass das Verhältnis zwischen SPD und sozialen Bewegungen zerrüttet ist, kann nicht verwundern, und es spricht vieles dafür, dass sich diese Zerrüttung nicht so rasch kitten lässt.

4) Keine starke SPD-Linke mehr

Zuweilen wird in den Medien, aber auch in der SPD selber noch kolportiert, dass es einen Widerspruch zwischen einer eher konservativen SPD-Führung und einer deutlich links davon stehenden Parteibasis gäbe. Diese Auffassung hält einer Überprüfung an der Realität allerdings nicht stand. Denn die Politik wird zwar von der SPD-geführten Regierung und der sie stützenden Fraktion durchgeführt, aber daraus folgt nicht, dass Regierung und Fraktion alleine den Kurs der SPD richtig fänden. Große Teile der SPD standen und stehen vielmehr hinter Schröders Kurs.

Diese Feststellung trifft auch auf die Parteilinke, die DL 21, zu, die auf die Rechtsentwicklung der SPD wie ein Kaninchen reagierte, ,,das auf die Schlange starrt. Schon zwischen 1999 und 2002 waren diese GenossInnen zumeist wirkungslos, weil sie sich zwar über den Druck des Kanzlers und manches Ausmaß der Spar- und Kürzungspolitik empörten, nicht aber die zugrunde liegenden Annahmen der Schröderschen Politik (,Sparen für die Generationen von morgen' oder ,Lohnnebenkostensenkung für mehr Beschäftigung') zu kritisieren bereit waren. Doch auch nach der gewonnenen Bundestagswahl wurde es kaum besser: Unter dem ewigen Verweis auf das ,größere Übel' CDU/FDP stimmten auch große Teile der SPD-Linken dem Kurs der ,Agenda 2010' zu; Schröder erhielt auf Parteitagen deutliche 80-90%-ige Mehrheiten für seine Politik."16

Anders als die offen konservativen Teile der SPD, die in Zustimmung und Unterstützung des Regierungskurses geeint sind, verhält sich die sozialdemokratische Linke uneinheitlich. Der größte Teil von ihr findet den Regierungskurs richtig und hat allenfalls an Kleinigkeiten Kritik zu üben - die Selbstzuschreibung als links verkommt hier zunehmend zum bloßen Etikett, Unterschiede zur Parteirechten verschwimmen. Ein eher kleiner Teil der sozialdemokratischen Linken ist unzufrieden, kann sich aber aufgrund falsch verstandener Loyalität und mangels intellektueller Kompetenz noch nicht dazu durchringen, ihre Kritik auch entschlossen zu artikulieren. Nur ein winzig kleiner Teil der sozialdemokratischen Linken schließlich hat die Kraft für deutliche Kritik und vermag es, die eigene links-sozialdemokratische Programmatik offen zu vertreten.17

Das Dilemma besteht also darin, dass für LinkssozialistInnen innerparteiliche Bündnispartner, die gegen den aktuellen SPD-Kurs vorzugehen bereit und in der Lage wären, kaum mehr vorhanden sind. Jene sogenannten Parteilinken, die den Regierungskurs im Kern richtig finden, sind als Kooperationspartner ausgeschlossen. Kaum Hoffnung besteht aber auch bei jenen, die teilweise unzufrieden sind. Denn diesen fehlt zum Protest gegen die aktuelle Politik nicht nur Mut bzw. die Bereitschaft, Loyalität zum Zwecke notwendiger Kritik hintanzustellen; ihnen fehlt überdies die intellektuelle Einsicht, warum die SPD-Politik falsch ist. Diesen GenossInnen bleibt nur moralisches Unbehagen ohne intellektuelles Fundament, das allein schon deswegen nicht in kritische Politik transformiert werden kann, weil jedes Aufbegehren dann gestoppt wird, wenn die Parteiführung von angeblich alternativlosen Sachzwängen redet. Anders formuliert: Nicht so sehr die von der Parteiführung herbei geredete Sachzwanglogik hat bei Großteilen der Parteilinken die Debatte um Reformalternativen verhindert - verhindert wurde diese Debatte eher dadurch, dass die linken Parteimitglieder nicht in der Lage waren, die Sachzwanglogik fundiert zu kritisieren.18

Angesichts dessen wird der Kampf der wenigen verbliebenen Parteilinken mit linker Programmatik, die für den innerparteilichen Kurswechsel bereit und kompetent genug sind, zu einer Herkulesaufgabe, bei der der Aufwand - all die Mühen um die Etablierung kritischer Diskurse - und der Ertrag - Kursänderungen nur bei sehr wenigen Mitgliedern - in keinem guten Verhältnis stehen. Wenn sich die neue Linkspartei etablieren wird, droht sich diese Tendenz sogar noch zu verschärfen. Denn links anpolitisierte Menschen werden künftig seltener den Weg in die SPD finden - sehr wohl aber jene, die den Schröder-Kurs richtig finden.

5) Was bleibt, ist dürftiger Pragmatismus

Da nahezu alle strategischen Erwägungen, die unsere Strömung einst zum Anlass für die Mitarbeit in der SPD genommen hat, an der Realität der heutigen und sich abzeichnenden künftigen SPD scheitern, entfällt die positive Notwendigkeit, die Arbeit in der SPD fortzusetzen. Offenbar ist die SPD momentan, und wenig spricht dafür, dass sich dies ändert, nicht das Feld, auf dem politische Kämpfe mit großem Erfolg bestritten werden können.

Was daher bleibt, ist Pragmatismus. Es ist unbestreitbar richtig, dass die Mitgliedschaft in der SPD gewisse Türen öffnet und infrastrukturelle Vorteile bietet; richtig ist auch, dass manche Nischen wie etwa der Juso-Unterbezirk Köln die Möglichkeit bieten, unter ungeheurem Aufwand Neumitglieder für den eigenen politischen Zusammenhang zu gewinnen. Das ändert aber nichts an der Einschätzung, dass die SPD als ganze für linke Politik momentan fast nur noch Brachland darstellt. Viel Energie steht mit Blick auf die gesamte Partei vergleichsweise wenig Perspektive gegenüber.

Diese Entwicklung ist allerdings nicht gänzlich neu. Bereits 1999 plädierten Mitglieder unserer Strömung ,,für eine konsequente Oppositionshaltung, dafür, den Kopf frei zu bekommen von all den selbst auferlegten Zwängen und Rücksichtnahmen."19 Und weiter: ,,Ob die parteipolitische ,Heimat' deutscher SozialistInnen auf mittlere Sicht weiter in der SPD liegen wird, ist für uns eine offene Frage. Die Entwicklungen im europäischen Ausland bieten reichhaltigen Anschauungsunterricht für mögliche Veränderungen in der Parteienlandschaft."20 Gleichwohl blieben die beiden Genossen bis heute Mitglied in der SPD - nicht, weil die SPD große Perspektiven bot und bietet, sondern weil es bislang keine wirklich gesellschaftlich relevante Organisationsalternative für linkssozialistisches Engagement gab. Leitbild war also der Satz: ,,Wir bleiben in der SPD, weil sie uns ein wenig nutzt, kaum schadet und weil es noch nichts Besseres gibt." Dies scheint sich jetzt jedoch mit der Entstehung der neuen Linkspartei zu ändern.

IV Zur Perspektive der neuen Linkspartei

Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber den sich bereits jetzt abzeichnenden Tendenzen der künftigen Linkspartei halten wir ihre sich anbahnende Neugründung für ein neuartiges und hoffnungsvolles politisches Moment in der bundesdeutschen Parteiengeschichte. Denn zum ersten Mal seit 1945 finden sich sozialdemokratische, linkssozialistische und kommunistische GenossInnen in der Bundesrepublik in einer Partei zusammen, um für eine gemeinsame linke Politik zu kämpfen, die nicht nur antikapitalistische Kritik übt, sondern das Feld linker Reformpolitik real besetzt und in der Lage sein könnte, eine Schnittstelle zwischen konkreten Klassenkämpfen, sozialen Bewegungen und bürgerlichem Parlamentarismus zu bilden.

Wenn LinkssozialistInnen in der SPD die Frage zu beantworten versuchen, ob sich ein Übertritt in die SPD lohnt, stehen sie vor dem Problem, dass die WASG als eine der beiden Parteien, die sich in der Linkspartei zusammenfinden werden, erst seit kurzem existiert und die Linkspartei sich sogar erst noch gründen muss. Prognosen sind also mit Vorsicht zu genießen. Gleichwohl stellt sich auch bei der Linkspartei die Frage, was dafür spricht, in ihr mitzuwirken.

Der wichtigste Grund, der dafür spricht, der Linkspartei eine gedeihliche Entwicklung zu wünschen, besteht darin, dass eine starke politische Alternative zur neoliberal bestimmten Einheitspolitik der etablierten Parteien unerlässlich ist. Ohne die Formierung einer solchen Partei gäbe es für die marginalisierten Lohnabhängigen in Prekarität und Arbeitslosigkeit, aber auch für die lohnabhängigen Mittelschichten, die von Marginalisierung bedroht sind, keinerlei politische Repräsentanz im bürgerlich-parlamentarischen Raum. Die Formierung der Linkspartei ist also in jedem Fall notwendig. Das Bekenntnis der beiden in der Linkspartei zusammenkommenden Parteien, die Interessen dieser gesellschaftlichen Gruppen umzusetzen, reicht jedoch alleine nicht aus. Wichtig sind auch und vor allem die Programmatik sowie die soziale Verankerung der Linkspartei.

1) Programmatik der Linkspartei

Es gibt selbstredend noch kein Programm der Linkspartei, aber es gibt eine Programmatik der WASG und der PDS. In beiden Parteien gibt es, und das ist erfreulich, eine Ablehnung der neoklassisch fundierten Angebotspolitik mitsamt ihrer zynischen und repressiven Gesellschaftspolitik. Alternativ hierzu wird für eine postkeynesianische Nachfragepolitik, einen Ausbau des Sozialstaats und eine alternative Verteilungslogik plädiert. Diese richtige Wirtschafts- und Sozialpolitik, die einen erfrischenden reformerischen Politikwechsel verheißt, ohne darüber hinaus gehenden sozialistischen Politikentwürfen eine Absage zu erteilen, wird ergänzt durch in weiten Bereichen richtige Positionen in gesellschafts-, innen- und außenpolitischen Fragen. Dabei lässt sich Folgendes feststellen: Ist die WASG aufgrund ihrer gewerkschaftlichen Basis und ihrer Verankerung im Umfeld der ,,Memorandum"-Gruppe pointierter und solider im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, so überzeugt bei der PDS, dass ihre Politikkonzeption breiter angelegt ist und stärker gesellschaftspolitische Fragestellungen thematisiert.

Wenn hier positiv auf die Programmatik der Linkspartei Bezug genommen wird, soll nicht verschwiegen werden, dass es auch in der WASG und der PDS problematische Tendenzen gibt: Populistische Auffassungen zu Migrationsfragen, personalisierte Gesellschaftsvorstellungen, falsche Parteinahmen im Nahostkonflikt, gut gemeinte, aber fatal wirkende Grundeinkommensmodelle ohne Bedarfsorientierung etc. pp. - all das wird es auch in der Linkspartei geben. Doch was folgt hieraus? Offenbar müssen LinkssozialistInnen auch dann, wenn sie sich der Linkspartei anschließen, politische Kämpfe um die richtige Richtung austragen, und das ist auch gut so.

Auch eine Linkspartei ist kein monolithischer Block; auch in ihr spiegeln sich fetischisierte, notwendig falsche Bewusstseinsformen sowie gesellschaftlich-medial vermittelte Fehlschlüsse wider. Gleichwohl gilt es festzuhalten, dass die Gesamtprogrammatik der Linkspartei der inhaltlichen Ausrichtung unseres politischen Zusammenhangs weitaus stärker entspricht als die Gesamtprogrammatik der SPD. Dies macht sich vor allem daran fest, dass die falsche Auffassung, die Senkung von Kapitalsteuern und Lohnkosten sorge für mehr Beschäftigung und sei daher trotz des damit verbundenen Sozialabbaus hinzunehmen, in der Linkspartei nicht hegemonial ist. Dies hat eine ganz entscheidende Konsequenz: Die Mitarbeit in der Linkspartei ermöglicht es, zwar auch, aber eben weniger Kräfte auf innerparteiliche Kämpfe gegen falsche Positionen und mehr Energie für den gesellschaftlich Kampf um die richtige Politik aufzuwenden. Der Blick der eigenen Politik wird also stärker auf die Gesellschaft als ganze gerichtet, und dies ist durchaus notwendig.

Überdies ist zu betonen, dass die richtige Kritik, die an verkürzten und falschen Positionen in WASG und PDS geübt wird, auch innerhalb der SPD fündig wird: Nationaler Populismus und Personalisierung z. B. sind auch auf SPD-Ortsvereinsversammlung üblich. Das ideelle Konstrukt eines Gegensatzes zwischen vermeintlich aufgeklärter SPD und angeblich unaufgeklärter Linkspartei ist also keineswegs realitätstüchtig.

2) Beziehung der Linkspartei zu den Lohnabhängigen

Selbstredend verfügt die Linkspartei nicht über die traditionalen Bindungen zur Arbeitnehmerschaft, wie es bei der SPD der Fall ist. Auch sind noch immer die meisten Gewerkschaftsfunktionäre Mitglieder der SPD, was sich so schnell auch nicht ändern wird - mal ganz abgesehen davon, dass auch nichts dagegen spricht, dass manche Gewerkschaftsfunktionäre in der SPD organisiert sind. Die bereits beschriebene Entfremdung zwischen organisierter Arbeiterbewegung und SPD sowie die rückgängige Wahlsympathie der Lohnabhängigen für die SPD machen jedoch deutlich, dass es der Linkspartei gelingen kann und muss, das Vakuum in der Interessenvertretung der Lohnabhängigen auszufüllen.

Die Linkspartei hat die Chance, durch eine entschiedene Politik für Lohnabhängige an Akzeptanz weiter zuzulegen und Lohnabhängige verstärkt als Mitglieder für sich zu gewinnen. Hilfreich sind hierbei zwei Faktoren: Zum einen haben vor allem die Vertreter der WASG erkannt, dass ein ganz wesentlicher Zweck des Sozialstaats in der Sicherung des Lebensstandards und in der Absicherung von Risiken liegt. Eine solche linke Auffassung fasst die Grundsäulen der Sozialversicherungen: Solidaritäts- und eben auch Äquivalenzprinzip, programmatisch integral zusammen, anstatt den Lohnabhängigen wie die etablierten Parteien soziale Sicherung auf egalitärem und repressiv konditioniertem Minimalniveau zu verabreichen.

Zum anderen verfügt die Linkspartei durch die Integration der WASG über gewerkschaftliche Repräsentanz, die für das junge Alter der WASG bemerkenswert ist. Dass linke IG-Metall-Funktionäre wie Klaus Ernst und Thomas Händel die WASG führen und wohl auch in der Linkspartei eine tragende Rolle spielen werden, dass der renommierte Ex-Vorsitzende der IG Medien, Detlev Hensche, der WASG beigetreten ist und dass der Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung von ver.di, Michael Schlecht, über einen Wechsel zur WASG nachdenkt - all das sind Anzeichen dafür, dass die traditionalen Bindungen zwischen SPD und Gewerkschaften an Stärke verlieren und die Linkspartei an Bedeutung für die Interessenvertretung der Lohnabhängigen zulegen kann. Erwähnenswert ist überdies, dass die Linkspartei trotz ihrer schwerpunktmäßigen Verankerung in der ,,klassischen" Lohnarbeiterschaft auch Bezüge zu neuen, von Prekarität bedrohten Lohnarbeiterschichten sucht und die Vertretung von Arbeitslosen zum Gegenstand der eigenen Politik macht. Auch wenn hier sicherlich noch Fortschritte zu machen sind, sind dies hoffnungsvolle Signale.

3) Beziehung der Linkspartei zum zivilgesellschaftlichen Bereich

Schon heute gibt es Beziehungen zwischen sozialen Bewegungen und WASG bzw. PDS. Mit Sabine Lösing sitzt eine Attac-Aktivistin im WASG-Bundesvorstand, die WASG wie auch die PDS reklamieren für sich, die Positionen sozialer Bewegungen aufzugreifen, und die Programmatik von Attac und WASG / PDS weisen beträchtliche Überschneidungen auf. All dies ist erfreulich, jedoch keine Garantie dafür, dass alte Fehler im Zusammenhang zwischen Bewegungs- und Parteipolitik nicht wiederholt werden. Soziale Bewegungen sind kein verlängerter Arm der Linkspartei; die Linkspartei ist nicht einfach das Megafon sozialer Bewegungen ins Parlament hinein.

Erfolgreiche linke Politik ist also auf organisatorische Trennung angewiesen. Dennoch ist Ergänzung in der politischen Arbeit essentiell. Soziale Bewegungen stünden vor einem Problem, wenn sie keinerlei parlamentarische Repräsentanz der Linken vorfänden, wie auch die Linkspartei an Bedeutung verlöre, wenn sie über wenig Verankerung im zivilgesellschaftlichen Bereich verfügte. Das gilt es zu beachten, um blanken Reformismus wie auch idealistische, appellative Bewegungsallüren zu vermeiden.

Was die Verankerung im Bereich der linken Intelligenz anbetrifft, so finden sich sowohl Unterstützer wie auch entschiedene Gegner der Linkspartei. Die Gegnerschaft korrespondiert zumeist einer starren Fixierung auf die SPD bzw. die Grünen oder aber antikommunistischen Reflexen. Zum Teil ist sie aber auch in einer Skepsis von Linksintellektuellen begründet, die Linkspartei sei nicht in der Lage, auf neue Zeiten moderne Antworten zu liefern. Diese Skepsis ist einerseits Ausdruck einer falschen Auffassung der Kritiker, wonach die Zeiten der nationalstaatlichen Gewährleistung von sozialer Sicherheit endgültig vorbei seien. Solche Kritiker bemängeln, dass die Linkspartei einen Ausbau des Sozialstaates ohne Rücksicht auf die Kosten und die Belastungsfähigkeit der Bürger fordere und dass der Ausbau von Schutzrechten der hier lebenden Lohnabhängigen fremdenfeindlich sei. Eine solche Kritik tappt selber in die Falle neoklassischer Annahmen und unterliegt dem neoliberalen Fehlschluss nationalstaatlicher Alternativlosigkeit. Dieser Kritik ist also mit einer dezidiert linken Gegenkritik zu begegnen.

Andererseits trifft eine solche Kritik aber auch einen wahren Kern. Der Wandel der Erwerbstätigkeit, die Internationalisierung von Ökonomie, die Entstehung neuer Formen von Individualität stellen politische Fragen, auf die auch die Linkspartei noch keine fertigen Antworten und Konzepte liefern kann. Dies trifft jedoch genauso sehr, wenn nicht noch stärker auf die etablierten Parteien zu. Aufgabe von LinkssozialistInnen wird es sein, auch in diesen Feldern fortschrittliche Programmatik mit zu entwickeln.

V Für einen Wechsel in die Linkspartei!

Wir meinen, dass die politische Rolle von Teilen der Linken, die sich im Rahmen einer kleinen Linkspartei mit innerparteilich größerem Einfluss für gesellschaftlichen Fortschritt engagieren, genauso zu respektieren ist wie die Rolle jener Linker, die als SPD-Mitglieder gesellschaftlichen Fortschritt über den kleineren Einfluss in einer großen Partei bewirken wollen. Wir sind sogar der Meinung, dass das eine wie das andere erforderlich ist. Einerseits gilt, dass trotz des fatalen momentanen Erscheinungsbildes der SPD eine soziale, ökologische und demokratische Erneuerung der Gesellschaft ohne die Sozialdemokratie und damit ohne linke Kräfte in der SPD kaum möglich ist. Andererseits wissen wir, dass eine solche Erneuerung der Gesellschaft auf sozialen Druck angewiesen ist - auf sozialen Druck durch soziale Bewegungen und eben auch durch eine links von der SPD stehende Linkspartei.

Die Ausführungen sollten verdeutlichen, dass die SPD momentan und auf absehbare Zeit immer weniger in der Lage ist, die strategischen Erwartungen zu erfüllen, die LinkssozialistInnen einst in sie gesetzt haben, und dass die Linkspartei bei aller Skepsis hoffnungsvolle Ansätze aufweist. Angesichts dessen vertreten wir aktuell den Standpunkt, dass der Kampf für diese Erneuerung außerhalb der SPD auf absehbare Zeit perspektivisch effektiver ist, und plädieren daher für einen Wechsel der Mitglieder unseres Zusammenhangs in die Linkspartei. Also: Time to say goodbye - für einen Wechsel in die Linkspartei!

1 Sozialistisches Forum Rheinland: Für eine sozialistische Zukunft! Beschluss der Jahreshauptversammlung 2004, unveröffentlichtes Papier, Köln 2004, S. 4 f.

2 Ebenda, S. 6.

3 Recht, Alexander / Stiegen, Christina / Vietzke, Christoph: Kampf um die Linksorientierung des Juso-Verbandes. Offener Brief der Juso-Linken Rheinland, Köln 2001, ohne Seite, URL: http://www.linksnet.de/artikel.php?id=492.

4 Möbbeck, Susi / Saß, Fiete / Zoerner, Birgit (Hg.): Projekt Moderner Sozialismus - 53 Thesen, Reihe Moderner Sozialismus, Heft 1, Dortmund 1989, S. 14, URL: http://www.spw.de/archiv/53thesen/53thesen.htm.

5 Vgl. ebenda, S. 49.

6 Ebenda, S. 50.

7 Bezirksvorstand der Jusos in der SPD OWL (Hg.): Herforder Thesen. Zur Arbeit von Marxisten in der SPD, spw-Sonderheft 2, wesentlich überarbeitete, erweiterte Ausgabe, 2. Auflage, Berlin 1981, S. 96.

8 Möbbeck, Susi / Saß, Fiete / Zoerner, Birgit (Hg.): 53 Thesen, a. a. O., S. 33.

9 Ebenda, S. 32.

10 Vgl. Krämer, Ralf: Die Zukunft der SozialistInnen liegt links - von der SPD, unveröffentlichtes Manuskript vom 29.10.1999, Dortmund 1999, S. 3.

11 Walter, Franz: Jenseits der SPD. Die Sozialdemokratie nach Schröder, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 5/2004, S. 554.

12 Heinrich, Michael: Agenda 2010 und Hartz IV, in: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 136, September 2004, S. 483, URL: http://www.prokla.de/Volltexte/136heinrich.rtf.

13 Altvater, Elmar: Der Lack ist ab, in: Freitag 27/28, 08. Juli 2005, S. 1, URL: http://www.freitag.de/2005/27/05280101.php.

14 Ebenda.

15 Attac Deutschland: Dr. h. c. Sozialabbau für Kanzler Schröder, Göttingen 2005, ohne Seite, URL: http://www.attac.de/aktuell/
mitteilung-goettingen.php
.

16 Recht, Alexander / Voss, Achim: Gerecht weiter denken? Der Juso-Verband im Umbruch, in: kritik. Forum für sozialistische Intervention, Ausgabe # 1, Juni 2004, S. 3, URL: http://www.sozialistische-linke.de/kritik1.pdf.

17 Vgl. o. V.: Editorial, in: kritik. Forum für sozialistische Intervention, Ausgabe # 2, Januar 2005, S. 2, URL: http://www.
sozialistische-linke.de/kritik2.pdf
.

18 Vgl. Recht, Alexander: Quo vadis, Juso-Verband? Nach der Agenda 2010, in: kritik. Forum für sozialistische Intervention, Ausgabe # 1, Juni 2004, S. 8, URL: http://www.sozialistische-linke.de/kritik1.pdf.

19 Bell, Hans Günter / Recht, Alexander: Erneuerung braucht Druck von links! Zum Diskussions- und Strategiepapier der Juso-Linken, in: spw. Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, Ausgabe 4/1999, S. 54.

20 Ebenda.