Eine Handvoll Elite

Hochbegabtenförderung

in (05.12.2004)

Überdurchschnittlich Begabte sollen überdurchschnittlich gefördert werden -mittels Ansätzen, die auch den "normalen" guttäten.

Der Durchschnitts-IQ liegt bei 100 Punkten. 95% der Bevölkerung besitzen einen IQ von 70 bis 130. Die restlichen 5% sind besonders ausgeprägt oder nur schwach begabt.

An einer Schule mit rund 1000 SchülerInnen gibt es statistisch gesehen 20 Personen (auf alle Jahrgangsstufen verteilt), die nach gängigen Intelligenztests einen "IQ über 130" besitzen. Das bedeutet, dass im Idealfall - falls jemand merkt, dass sein/ihr Kind, seinE/ihrE SchülerIn "hochbegabt" ist - diesen eine individuellere Förderung zuteil wird als den SchülerInnen, deren IQ im Normalbereich liegt.
Immerhin geht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) soweit zu sagen, dass einE SchülerIn mit einem IQ von 128 ebenso förderungswürdig ist wie einE SchülerIn mit einem IQ von 132.

In der Vergangenheit hat man versucht, die Gruppe der überdurchschnittlich Begabten in einer Schulform zusammen zufassen, dem Gymnasium. Für die nun noch kleinere Gruppe der besonders Begabten werden folgende Maßnahmen je nach Bundesland unterschiedlich praktiziert.
Erstens: die Akzeleration, dh. beschleunigendes Lernen. Der "Stoff" bleibt gleich, nur der Zeitraum, in der er bewältigt werden muss, ist kürzer. Die SchülerInnen bzw. deren Eltern können zwischen dem Überspringen einer oder mehrerer Klassenstufen oder vorzeitiger Einschulung wählen.
Zweitens: Enrichment, d.h. vertiefendes Lernen, es werden zusätzliche Lernangebote bereitgestellt, wie z.B. Arbeitsgemeinschaften, Intensivkurse, Wahl eines dritten zusätzlichen Leistungskurses in der Sekundarstufe II oder Kooperationen mit Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen. Dabei wird in "innerer" (individuelleres Lerntempo), und "äußerer" ("Drehtürmodell", stundenweiserBesuch höherer Klassen) Differenzierung unterschieden.
Daneben existieren Mischformen wie altersgemischte Klassen, Schulen mit bilingualen Zügen und Spezialschulen.

Eine Grundschule aus Schleswig- Holstein stellte fest, dass individuelle Förderung keine isolierte Maßnahme für Hochbegabte darstellt, sondern alle SchülerInnen gleichermaßen betrifft. Da hat sie sicher Recht. Es drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass diese schönen Worte in den seltensten Fällen in die Tat umgesetzt werden. Die hessische Kultusministerin Wolff verlieh Ende des letzten Schuljahres 62 Schulen das Gütesiegel, weil sie hochbegabte SchülerInnen besonders fördern. Das für drei Jahre gültige
Siegel wird verliehen, wenn sieben zentrale Kriterien erfüllt sind (u.a. Entwicklung begabungsbezogener individueller Förderpläne, Beratung von Eltern und LehrerInnenfortbildung). Dafür gibt‘s gegebenfalls finanzielle Unterstützung durch Haushaltsmittel für "die Förderung Hochbegabter an hessischen Schulen".

Im Ansatz sind darunter gute Ideen zu erkennen. LehrerInnenfortbildung, individualisiertes Lernen und altersgemischte Klassen sind Dinge, die letzten Endes jedeN SchülerIn motivieren würden, nicht nur die die angepeilte Elite. Trauriger Nebeneffekt der Förderung scheint angesichts knapper Finanzen die Vernachlässigung der "normalen" Schulen und Klassen zu sein.
Die Bildungsverantwortlichen sollten daran erinnert werden, dass Bildung den ganzen Menschen zum Ziel hat und dass ein offener und individueller Zugang zu Bildung für alle dem Ziel einer demokratischen, emanzipatorischen Gesellschaft am nächsten kommt.