Wem die geheimen Dienste dienen

Seit es Geheimdienste gibt, sind sie für alles Schlechte gut: Einbruch, Diebstahl, Lauschangriffe, Bespitzelungen, Kidnapping, Folter, Aufruhr, gezielte Morde, Krieg ... - der Katalog ist offen. Aber

reden wir nicht über fremde Bösewichte wie CIA, Savak, Mossad, KGB, P2 und so weiter. Reden wir konkret vom Bundesnachrichtendienst.

Als der Hitlerfaschismus besiegt war, wollten die westlichen Siegermächte gleich in Richtung Osten weitermarschieren, um das "richtige Schwein zu schlachten" (Churchill), am liebsten mit kampferprobten deutschen Soldaten. Deswegen suchten sie nach "politisch wertvollen" Nazis, die sich im Ausrottungskrieg gegen das "bolschewistische Untermenschentum" qualifiziert hatten. Sie wurden schnell fündig, besonders unter den Fachleuten des weltanschaulichen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Zuhauf dienten sich Generäle und Admiräle den Westalliierten zur weiteren Verwendung an.

General Reinhard Gehlen hatte von 1942 bis 1945 die Wehrmachtsabteilung "Fremde Heere Ost" geleitet. Daher konnte er 1945 den US-Amerikanern "politisch Wertvolles" bieten: zahlreiche Geheimdienstler der Wehrmacht, SS und Gestapo sowie Tausende mit Folter und Mord erpreßte Vernehmungsprotokolle. Mit diesem "Material" führte die "Organisation Gehlen" im Dienste der USA den - jetzt kalten - Krieg gegen den altneuen Feind weiter. 1956 erhielt er den Namen "Bundesnachrichtendienst" (BND). Sitz wurde Pullach bei München, Präsident blieb Gehlen, den die Bundesrepublik Deutschland erst 1968 in den Ruhestand schickte, nicht ohne ihn vorher mit dem "Großen Bundesverdienstkreuz des Bundesverdienstordens mit Stern und Schulterband" zu dekorieren. Seither hat der BND ein gehöriges Maß an verfassungswidrigen Delikten angehäuft: Bespitzelung von Journalisten, Schriftstellern und Politikern aller Parteien, Beschäftigung gekaufter Journalisten, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete über eigens dazu gegründete Tarnfirmen, massenweise Öffnung von Briefen, technische Hilfe bei Lauschangriffen gegen kritische Bürger und so weiter. Mit alledem war er das viele Steuergeld, das die Dienste des Dienstes kosteten, nie wert.

Zusammenarbeit mit Waffenbauern und -händlern gehört zum geheimdienstlichen Alltag, störend für jede Friedenspolitik, die den Namen verdient. Der BND lieferte ab 1965 über seine Partnerfirma Dobbertin und später über deren Tochterfirma Werkzeug-Außenhandel GmbH - in deren Vorstand der letzte Adjutant Hitlers, Gehlen-Agent General Engel, und der für einige Jahre beurlaubte BND-Regierungsdirektor Hauschildt saßen - "Waffen und Geräte" an Pakistan, das Krieg gegen Indien führte, an Indien, das Krieg gegen Pakistan führte, an Nigeria, auch und gerade während des dortigen Bürgerkriegs, in dem zwei Millionen Menschen starben, an Südafrika, als es noch der international geächtete Apartheidstaat war, an Griechenland (1967-1974 Militärdiktatur) an Saudi Arabien, an Jordanien.
Bis zur Bildung der sozialliberalen Koalition (1969) betätigte sich der BND außerdem da, wo es ihm verboten ist: im Inland, und zwar besonders emsig. Neben Verlagen, Journalisten, Schriftstellern und Gewerkschaftern standen 54 Politiker aller Parteien auf der Liste der bespitzelten Personen, zum Beispiel Wolfgang Abendroth und Sebastian Haffner. Die entstandenen Dossiers wurden oft für anti-linke Kampagnen weitergereicht.

Ein Fachmann dafür war der Inlandsagent Günther Heysing. Von ihm stammt beispielsweise der Vermerk: "Eine Einschränkung der Wirksamkeit von H(affner) kann nur erreicht werden, wenn ihm die publizistische und wirtschaftliche Basis beim stern zerstört wird."

Im November 2005 machten "ungetreue" Mitarbeiter des BND eine umfassende Observation von etwa 50 Journalisten in den Jahren 1993 bis 1996 bekannt. Der BND-Kritiker Erich Schmidt-Eenboom, der ein Buch mit Insiderinformationen über den BND verfaßt hatte, aber auch alle, die ihn zu Hause besuchten, wurden in allen Lebenslagen überwacht und verfolgt; bis zu 15 Agenten waren dazu angesetzt. BND-Präsident war zu der Zeit der ehemalige Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Konrad Porzner.

Mitbestimmung im demokratischen Rechtsstaat setzt Transparenz voraus. Darum sind Geheimdienste natürliche Feinde der Demokratie. Ein Parlamentarisches Kontrollgremium (PKG) wie es der Bundestag eingesetzt hat, kann die Geheimdienste nicht kontrollieren, weil die zu Kontrollierenden entscheiden, welche Informationen ungefährlich genug sind, um sie den Kontrolleuren als Spielmaterial zu überlassen. Außerdem sind die Kontrolleure zur Geheimhaltung verpflichtet. Was sie aus "Sicherheitsgründen", die sich immer irgendwie konstruieren lassen, geheimhalten sollen, bekommen sie von der Exekutive gesagt. Indem sie sich daran halten, werden sie zu Komplizen. Hinzukommt, daß sie schnell Gefallen an ihrer Geheimnisträgerschaft finden, die ihnen einen Statusgewinn beschert; also spielen sie meistens mit.

Warum hat sich noch nie einer dieser Geheimnisträger entschlossen, aus Gewissensgründen seinen Wissensvorsprung mit der Öffentlichkeit zu teilen? Zum Beispiel, wenn es um Folter geht?
In einem Verfassungsstaat gibt es keine Staatsräson außerhalb der Verfassung, denn "jede Spekulation mit einem verfassungslosen Ausnahmezustand wechselt vom normativen Denken der Rechtsstaatlichkeit hinüber in die alles Recht als Wertesystem auflösende Opportunität des Dezisionismus und trifft die Verfassung nicht minder störend als andere Gegner, die ihre Untergrabung vorbereiten", wie der sozialdemokratische Rechtspolitker Adolf Arndt einmal formulierte. Geheimdienste sind aber in jedem demokratischen Rechtsstaat ein permanenter Ausnahmezustand ohne förmlich erklärten Notstand. Ihre Konspirationssucht und kriminelle Energie sind nicht zu bändigen. Selbst ihre Abschaffung wäre schwer zu kontrollieren, weil sie im Unter-Untergrund weiter agieren würden.

Dennoch: Der schleichende Wandel der republikanischen Verfassungswirklichkeit durch die Aktivitäten der Geheimdienste muß gestoppt werden. Vordringlich gilt es, alle gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer schärferen Überwachung auszuschöpfen: Der BND-Präsident sollte jede Aktion dem Parlamentarischen Kontrollgremium anzeigen und darüber Rechenschaft ablegen. Die einzelnen Titel des Haushaltsplans müßten vom Haushaltsausschuß des Bundestages genehmigt und vom Bundesrechnungshof überprüft werden. Außerdem sollte das Parlament, so wie es einen Wehrbeauftragten bestellt, auch einen Geheimdienstbeauftragten ernennen und mit ausreichenden Kompetenzen ausstatten. An ihn müßte sich jeder Geheimdienstmitarbeiter mit Bitten und Beschwerden wenden können. Er müßte jederzeit unangemeldet die Geheimdiensttätigkeit kontrollieren und ermittelte Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte zur Anzeige bringen dürfen und dem Parlament regelmäßig über seine Tätigkeit berichten.

Ossietzky Heft Nr. 1/06