In tempore belli

Die Voraussage erfüllt sich selbst - oder besser, die sie kolportierten, wollen sie sich erfüllen machen. Der "Kampf der Kulturen" wird nun zu einem Faktum, nachdem er vor einem Jahrzehnt ...

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das Wahnbild eines skurrilen Alten zu sein schien. Welche Einflußagenten hatten eigentlich ihre Finger im Spiel, als die Karikaturen des Propheten Mohammed lanciert wurden? Dieses absurde Spiel soll tatsächlich von den Provinzgazetten der dänischen Schweinemäster ausgedacht worden sein? Dazu paßt es viel zu gut in die Kriegspläne des Imperators in Übersee. Der andere Extremist, der in Teheran den Präsidenten gibt, liefert jenem die Argumente, wie dieser seine aus jenen ableitet. Der Irrsinn nimmt seinen Lauf: Du schändest meine Heiligen Kühe, ich also deine - nichts soll mehr heilig sein, der Prophet nicht, die Opfer des Holocausts ebenfalls nicht. Deine "Pressefreiheit" wird von meiner "beantwortet" - Auge um Auge, Zahn um Zahn. In der Türkei wird randaliert, im Libanon brennen Botschaftsbüros, in Nigeria gibt es Tote. Der Oberste Kriegsherr kann schreiben lassen: Ihr seht, wie nötig Ihr unsere Militärmacht braucht! Dafür kann getrost auch gefoltert werden.

Das Zeitalter der imperialistischen Kriege produziert seine Kriegsvorwände. Nahezu starr vor Staunen steht man dabei und denkt fast nostalgisch an die Zeiten des "Gleichgewichts des Schreckens" zurück, als klar war, daß der "präventive" Atomkrieg nicht stattfindet: weil auf dem Welt-Schachbrett der Logik des Kalten Krieges der Einsatz nuklearer Waffen der einen Seite zwangsläufig den der anderen Seite zur Folge gehabt hätte. Jetzt droht die eine, selbsternannte Supermacht mit dem nächsten Krieg, und die anderen schweigen. China wird dem großen Konflikt mit den USA weiter ausweichen, weil es darauf rechnet, daß diese eines Tages ihre eigene Militärmaschine nicht mehr werden bezahlen können; jedenfalls wird es weder wegen Iran noch wegen Kuba in einen Krieg ziehen. Nur im Falle Nordkoreas hatte es insistiert, was wiederum die USA geopolitisch akzeptierten. Und Rußland leckt noch immer die Wunden der historischen Niederlage des Kommunismus. Vielleicht sind auch die sowjetischen Großraketen inzwischen so verrostet wie die U-Boote im Murmansker Gebiet.

Mittlerweile verkehren sich die Seiten. Der Nachfolger Napoleons in Paris, der eben noch gegen den Irakkrieg zu sein vorgab, erklärte vollmundig, Frankreich würde seine Kernwaffen auch in den Ersteinsatz bringen, wenn denn Terroristen Â… Es war klar, daß der Iran gemeint war. Damit mußte der Imperator so etwas jetzt nicht selbst sagen oder sagen lassen. Schröder ist als Frühstücksdirektor bei Gasprom angestellt und fällt als Kriegsablehner ebenfalls aus. Frau Merkel dagegen läßt schon mal erklären, daß im Falle des Falles Â… Und der Hindukusch läßt grüßen. Die Briten dagegen signalisieren, daß der Nahe und Mittlere Osten mit dem Irakkrieg so schon unruhig genug sind; man dürfe die Region durch einen weiteren Krieg nicht vollends ins Chaos stürzen. Schließlich gebären die Gewaltaktionen des Westens immer nur wieder weitere Selbstmordattentäter, jedenfalls keinen Frieden.

Die USA meinen, noch Rechnungen offen zu haben. Im Jahre 1953 ließen sie den iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh per Militärputsch stürzen, weil dieser auf die Idee gekommen war, das iranische Erdöl zu nationalisieren. Es folgten Jahrzehnte der Schah-Diktatur. Die Volksbewegung zu dessen Sturz nahm dann islamistische Gestalt an - die säkular-demokratische war ihr ja verwehrt. Das Ajatollah-Regime war die Folge. Schon damals sannen die USA auf Revanche. Es begannen der Aufbau des Militärstützpunktes Diego Garcia im Indischen Ozean und die Aufpäppelung von Saddam Hussein als Aggressor gegen den Iran. Heute, nach der Besetzung von Irak und Afghanistan durch die USA, in Verbindung mit den USA-Militärvereinbarungen mit Pakistan und den Flottenkräften im Indischen Ozean, ist der Iran eingekreist von allen Seiten. Es kann also "losgehen".

Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die erst vorgaben, als Troika zu vermitteln, sind jetzt dabei, den USA bei der Verfertigung der "Kriegsgründe" zu helfen. Angeblich produziert der Iran Atomwaffen - daher die Instrumentalisierung der Internationalen Atomenergiebehörde und der Gang zum UN-Sicherheitsrat. Laut Atomwaffensperrvertrag hat der Iran selbstredend das Recht, Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu unterhalten. Alles andere ist Unterstellung. Aber diese soll den Kriegsvorwand liefern.

Es werden Atomwaffen eingesetzt werden. Gilt bei den Terror-Szenarien in Deutschland der Angriff auf ein Atomkraftwerk schon als ein Super-GAU; die USA - oder von ihren Gnaden Israel - wollen genau dies tun: iranische Atomanlagen bombardieren. Dazu braucht man mit Atomsprengköpfen bestückte bunkerbrechende Waffen. Bereits diese setzen Radioaktivität frei. Die bürgerlichen, vom Imperium aus gesteuerten Medien werden uns weiszumachen versuchen, dies seien "saubere" Bomben, weil "Mini-Nukes" auch nur Mini-Radioaktivität freisetzten. Außerdem seien das natürlich "unsere" Bomben und als solche die guten Bomben.
Keine Rede ist davon, ob es denn zu bombardierende Ziele sind, in denen sich bereits atomare Materialien befinden. Das würde die radioaktiven Wolken wesentlich vergrößern.

Wieviel Tausende, Zehntausende oder Hunderttausende Opfer in der iranischen Zivilbevölkerung es geben wird, davon redet ebenfalls niemand. Die wird es aber geben. Zudem ist der Iran nicht durch frühere Kriege ausgelaugt und geschwächt wie der Irak, bevor er von den USA überfallen wurde. Die Gefahr eines längerdauernden, sich verschärfenden Krieges also ist real. Dem Mann in Washington reichen die bisherigen Kriege wohl nicht. Dieser soll noch dazukommen. Es geht weiter um das große Spiel um das Öl.

Wir bleiben hineingeworfen in Zeiten des Krieges. Es sei denn, in tempore belli schafft hinreichende Gegenkräfte. Es ist zumindest den Versuch wert. Wer Tschernobyl erlebt hat, erinnert sich vielleicht noch an die Atembeschwerden und den Druck auf der Schilddrüse während der ersten Nächte, auch in Berlin. Die nächsten Wolken werden vom Iran aus herüberziehen.

in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 6. März 2006, Heft 5

aus dem Inhalt
Wladislaw Hedeler: Nach fünfzig Jahren; Erhard Crome: In tempore belli; Antonio Gramsci: Islam; Uri Avnery, Tel Aviv: Ein Krieg zwischen Religionen?; Jörn Schütrumpf: Kalter Bürger-Krieg; Heerke Hummel: Wohin ich auch schaue - Illusionen!; Jochen Mattern: Jeder hat verdient, was er bekommt; Anna Scheer: Berlinale I; F.-B. Habel: Berlinale II; Ursula Malinka: Lea Grundig; Jens Knorr: Wohlständisches Elendsgesülze; Holger Politt, Warschau: Schwarzwerdende Republik; Helmut Höge: Globaltrottel auf dem Vormarsch