Flüchtlinge sind dem Minister zu teuer

in (16.03.2006)

"Kein Vorschlag kann abwegig genug sein, um nicht zumindest vom niedersächsischen Innenminister verbreitet zu werden." Mit seiner spöttischen Kritik an den Forderungen seines niedersächsischen

Amtskollegen Uwe Schünemann (CDU) nach elektronischen Fußfesseln und einer Verschärfung des Einbürgerungsrechts hatte der schleswig-holsteinische Innenminister Ralf Stegner (SPD) die Lacher auf seiner Seite. Menschenrechtsaktivisten bleibt angesichts der vom Land Niedersachsen verfolgten Flüchtlingspolitik jedoch das Lachen im Hals stecken.

Schon zu Beginn seiner Amtszeit ordnete Schünemann an, einen Landeserlaß abzuschaffen, der unverhältnismäßige Abschiebungen und Abschiebungshaft vermeiden und die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen schützen sollte. Stattdessen forderte er die Ausländerbehörden auf, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen und dabei auf Erkrankungen und kriegsbedingte Traumatisierungen keine Rücksicht zu nehmen. Abgeschafft wurde unter anderem die Verpflichtung der Ausländerbehörden, Abschiebungstermine im Regelfall vorher anzukündigen.

Seither erleben wir in Niedersachsen überraschende, überfallartige Abschiebungen im Morgengrauen, sogar von Familien, die jahrzehntelang in Deutschland gelebt hatten. Auch vor einer Trennung von Familienmitgliedern scheuen viele Ausländerbehörden nicht mehr zurück. Als die 24jährige schwangere Gazale Salame mit ihrer einjährigen Tochter abgeschoben wurde, brachte ihr Mann die älteren Kinder gerade zur Schule. 17 Jahre hatte Gazale Salame in Deutschland gelebt, jetzt ermöglichten die Behörden ihr nicht einmal den Abschied von ihren Kindern, die seither allein mit ihrem Vater in Deutschland leben und durch das plötzliche Verschwinden ihrer Mutter traumatisiert und verängstigt sind. Das Innenministerium stellte sich hinter die Ausländerbehörde, deren Vorgehensweise "im Einklang mit den in der Dienstbesprechung vereinbarten Grundsätzen" stehe.

Offenkundig sorgt das Ministerium selbst dafür, daß der Umgang der Behörden mit Flüchtlingen immer brutaler wird: Mehrere Ausländerbehörden beklagten sich gegenüber dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat darüber, daß das Ministerium Druck mache und von ihnen Begründungen einfordere, warum Abschiebungen nicht schneller und rücksichtsloser durchgeführt würden. "Wir sind aufgefordert worden, dem Innenministerium täglich Bericht über den Stand des Abschiebungsverfahrens zu erstatten", erklärte der Leiter einer Ausländerbehörde, um sich zu entschuldigen.

In Niedersachsen leben mehr als 22.000 prinzipiell von Abschiebung bedrohte Menschen mit Duldungsstatus, davon rund 15.000 länger als fünf Jahre. Obwohl es ein erklärtes Ziel des Zuwanderungsgesetzes war, von den regelmäßig erneuerten Duldungen ("Kettenduldungen") abzukommen, hat nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Betroffenen inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Dem Gesetz zufolge sollen geduldete Flüchtlinge ein Aufenthaltsrecht erhalten, wenn sie weder ausreisen noch abgeschoben werden können. Doch wer kann ausreisen? Kommt es dabei auch auf die Zumutbarkeit an? Nein, sagt das niedersächsische Innenministerium. Anders als in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern genügt allein die technische Möglichkeit einer Ausreise, um ein Aufenthaltsrecht zu verweigern. So wurde einem 18jährigen afghanischen Mädchen, das in Hannover aufgewachsen ist, zugemutet, ohne seine aufenthaltsberechtigten Eltern nach Afghanistan auszureisen. Dem Flüchtlingsrat sind nur einige wenige Fälle bekannt, in denen niedersächsische Behörden eine Aufenthaltserlaubnis erteilt haben. Eine Statistik dazu führt das Innenministerium nicht. Zum Vergleich: Das viel kleinere Bundesland Rheinland-Pfalz legalisierte im vergangenen Jahr den Aufenthalt von rund 2.600 Geduldeten.

Auch die Härtefallregelung des Aufenthaltsgesetzes, die zumindest für einige schon lange hier lebende Flüchtlinge eine humanitäre Lösung bieten könnte, wird in Niedersachsen fast nie genutzt. Im vergangenen Jahr hat das Innenministerium in nur sechs Fällen nach Empfehlung des Petitionsausschusses ein Aufenthaltsrecht auf Grund besonderer Härte zugestanden. In anderen Bundesländern (Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein) erhielten immerhin einige Hundert Flüchtlinge eine Anerkennung als Härtefälle.

Inzwischen befürworten mehrere, auch konservativ regierte Bundesländer eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete. Das kategorische Nein Schünemanns gemeinsam mit seinem bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU) verhinderte bislang einen Bleiberechtsbeschluß der Länderinnenminister.
Stattdessen propagierte Schünemann eine Wiederkehr- und Bleiberechtsregelung für bundesweit rund 4.000 bereits lange hier lebende Jugendliche. Sie könnten "Deutschland künftig etwas von dem zurückgeben, was es in ihre Ausbildung investiert hat", heißt es in einem Vermerk des niedersächsischen Innenministeriums vom vergangenen November. Sie sollen ein Aufenthaltsrecht erhalten, ihre unproduktiven Eltern allerdings sollen gehen: Für die, so rechnete Schünemann in einem NDR-Interview vor, fällt die Kosten-Nutzen-Analye negativ aus: "...wenn man mit 45 Jahren 1.500 Euro verdient und das bis zum 65. Lebensjahr durchhält, dann hat man einen Rentenanspruch von 325 Euro; mit allen Sozial-leistungen, die man dann zusätzlich bekommt, macht das etwa 600 Euro aus. Das ... ist für die Gesellschaft insgesamt auf jeden Fall eine Belastung."

Schünemann gibt sich als Anhänger eines modernen Migrationsregimes zu erkennen, das sich nicht mehr der verquasten Fremdenabwehrpolitik des alten Ausländerrechts verpflichtet fühlt, sondern die Migrantengruppen nüchtern nach ihrer Nützlichkeit für die deutsche Volkswirtschaft selektiert. Ein Innenminister, der ein Aufenthaltsrecht für Kinder von der Bedingung abhängig macht, dass die Eltern das Land verlassen, setzt die Familien einem ungeheuren Druck aus und stellt das Grundrecht des Schutzes von Ehe und Familie insgesamt in Frage.

Zum Inhalt der Schünemannschen Politik paßt ihr Stil. Ruppig schlägt der Innenminister die Forderungen von Flüchtlingsverbänden in den Wind, sagt Gesprächstermine ab und begibt sich auch öffentlich in Konfrontation zu den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. Die hannoversche Bischöfin Margot Käsmann, die sich für ein Bleiberecht von Geduldeten engagiert und mehrere Fälle von Abschiebung angeprangert hatte, erhielt vom Innenminister einen wütenden siebenseitigen Brief mit Rechtfertigungen und Vorhaltungen an die Adresse der evangelischen Kirche. Auch in der katholischen Kirche rumort es, nicht erst seit der neue Hildesheimer Bischof Trelle ein Bleiberecht für Geduldete gefordert hat. Den Flüchtlingsrat sperrte das Innenministerium trotz früherer fester Zusage von einem Seminar aus; Begründung: Er habe seine Kritik an der Räumung eines Kirchenasyls trotz der Ausführungen des Innenministers im Landtag nicht revidiert. Ist das nun mangelnde Souveränität im Umgang mit Kritik, oder verfolgt Schünemann eine gezielte Eskalationsstrategie? An einer Verständigung scheint er jedenfalls nicht interessiert: "Ich habe keine Angst, der Buhmann zu sein", erklärte er in einem Interview.

Seine Kostenrechnungen, mit denen er Flüchtlinge auf ihre ökonomische Funktion reduzierte, veranlaßten ein Bündnis von Wohlfahrts- und Menschenrechtsverbänden, ihm empört vorzuhalten: "Menschen sind nicht nur Kostgänger, Herr Schünemann!" Darauf hat er bislang keine Antwort gegeben.