Prävention oder Selbstbestimmung?

Zur Begriffsklärung in der drogenpolitischen Debatte

in (13.04.2006)

Auch in der Drogenpolitik scheint die schwerpunktmäßige Verwendung bestimmter Begriffe seitens bürgerlicher PolitikerInnen und Regierungen nicht ohne Grund zu passieren.

"Betrunken war ich noch nie. Prävention hat bei mir funktioniert", so die neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing (SPD) in einem Interview. Nach ihren künftigen Schwerpunkten gefragt, antwortet Bätzing, Dreh- und Angelpunkt sei die Prävention. Was sonst - so inflationär, wie dieser Begriff hier verwandt wird, müsste man sich fast wundern, setzte bürgerliche Drogenpolitik einmal nicht auf Prävention. Denn Vorbeugen ist ja bekanntlich besser als Heilen und wenn von vorneherein überhaupt nie jemand Drogen konsumieren würde, wäre auch keiner abhängig. Logisch, oder?

Anhand eines 1997 von der damals noch rot-grünen NRW-Regierung herausgegebenen Infoblattes für Schulen, passend übertitelt: "Vorbeugen ist besser als Spritzen" (sic!), lässt sich Aufschluss darüber gewinnen, was mit dem Begriff Prävention eigentlich gemeint ist. So heißt es etwa im Abschnitt "Leitbilder und Leitziele": "Die suchtpräventiven Bemühungen [...] zielen auf die mündige Schülerin und den mündigen Schüler, die [...] verantwortlich mit Suchtmitteln umgehen, d.h.: vollkommene Abstinenz im Hinblick auf illegale Suchtmittel, verantwortlicher [...] Umgang mit Alkohol mit dem Ziel weitgehender Abstinenz, [...]selbstkontrollierter Umgang mit Tabakerzeugnissen mit dem Ziel möglichst weitgehender Abstinenz, [...]". Prävention - das heißt also nicht: Umfassende Information und danach (in Bezug auf Handlungen, die wenn, dann nur einem selbst schaden) umfassende Freiheit. Hier geht es vielmehr darum, den Konsum auch solcher illegalen Rauschdrogen, die nachgewiesenermaßen weniger gefährlich sind als Alkohol, komplett zu unterbinden, vor den Menschen da zu sein und für sie zu entscheiden, bevor sie es selbst tun.

Woher nimmt der Staat aber das Recht, die Konsumgewohnheiten Einzelner ‚von obenÂ’ so genau bestimmen zu wollen? Woher kommt die unglaubliche Weisheit, dass Gesundheit absolut wichtiger sei als Abenteuer und Erlebnis, als Inspiration, als (Aus-?)Gelassenheit und alle anderen Dinge, die Rauschmittel mit sich bringen können - für jedefrau und jedermann? Warum wird statt dessen nicht als Ziel von Drogenpolitik formuliert, dass alle möglichst umfassend und objektiv informiert und aufgeklärt sind und auf dieser Basis eigenverantwortlich entscheiden? Vermutlich hat die grobe staatliche Einmischung in die individuelle Lebensführung den Hintergrund, dass die SchülerInnen in ein paar Jahren mit möglichst guter Qualifikation dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und dort dem Standort dienen ‚sollenÂ’, um diesen im internationalen Wettbewerb voranzutreiben: Deutschland gegen den Rest der Welt. Da hat eine Gestaltung des eigenen Lebens in Freiheit - zu der zumindest in manchen Lebensentwürfen auch Experimente mit und Nutzung von Rauschmitteln gehören - wohl keinen Platz mehr.

Prävention ist eigentlich ein Stück aktive Bildungsbegrenzung, das auch Frau Bätzing erfahren hat. Aber anscheinend ist sie damit ja nicht ganz unglücklich.
Felix Wiese