Die Auswirkungen von Studiengebühren auf Bildung und Wissenschaft

in (14.06.2006)

Im Zentrum des aktuellen Abwehrkampfes gegen Studiengebühren stehen sozialpolitische Argumente.

Das ist völlig berechtigt, da aller Anlass zur Vermutung besteht, dass Studiengbühren die Negativeffekte eines ohnehin sozial selektiven Bildungssystems verstärken wüden. Allerdings sollten wir bei dieser Betrachtung nicht stehen bleiben, da Studiengebühren auch erheblich Auswirkungen auf eine Neuausrichtung des Verhältnisses von Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt haben. In der Begründung des aktuellen NRW-Gebühren-Gesetzesentwurfes steht etwa zu lesen, dass es durch die geplanten "Studienbeiträge" gelänge, "wettbewerbliche Steuerungsmechanismen in das Hochschulsystem einzubringen". Über solche Formeln wird leicht hinweg gelesen, weil sie zum üblichen neoliberalen Phraseneintopf zu gehören scheinen. Ich plädiere dafür, solche Aussagen wörtlich zu nehmen und nach den Konsequenzen zu fragen. Denn in den vorherrschenden Hochschulumbaukonzepten sollen Gebühren tatsächlich im umfassenden Sinne "steuern": das individuelle Bildungsverhalten, den Einsatz des wissenschaftlichen Personals, die staatlichen Hochschulfinanzen und - last not least - die Inhalte von Forschung und Lehre. Unterstellt wird dabei - in der Regel ohne jegliche argumentative Begründung -, dass auf diese Weise durch mehr Wettbewerb auch der gesellschaftliche Nutzen von Wissenschaft erhöht würde.

Gemäß den gängigen "Humankapital"-Theorien erzeugen Studiengebühren, verstanden als "Investition", ein ziel- und zweckorientierteres Bildungsverhalten, da sie in Erwartung einer künftigen Bildungsrendite ("Return of Investment") in Gestalt eines Markteinkommens gezahlt bzw. als Kredit in Anspruch genommen würden. Die Kehrseite davon: in den Köpfen findet bereits während des Studiums tendenziell eine Art Vor-Selektion statt: gesellschaftliche Fragestellungen und Probleme werden nicht mehr unvoreingenommen betrachtet und wissenschaftlich-intellektuell frei bearbeitet, sondern auf ihre künftige Vermarktungsfähigkeit hin identifiziert. Der Markt definiert in den neoliberalen Modellen aber zugleich den "Erfolg" der gesamten Hochschulorganisation. "Gute" Lehre zieht dementsprechend viele Studierende an - die Gebühreneinnahmen der jeweiligen Hochschuleinrichtungen steigen usf. Manche Modelle wollen diesen Effekt verstärken, indem sie auch die staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen - und damit etwa den Einsatz des wissenschaftlichen Personals - stärker an der sog. studentischen "Nachfrage" nach Studienangeboten ausrichten. Stark nachgefragt in diesem Sinne ist aber vor allem das, was vorher schon erfolgreich war: etwa auf dem Arbeitsmarkt! Dies bewirkt einen inhaltlichen Konzentrationseffekt auf den Mainstream. Wirkliche wissenschaftliche Innovation funktioniert aber genau andersherum, nämlich im Bruch mit etablierten Anschauungen und Erfolgsprognosen.

Wird nun durch eine solche Nachfrageorientierung die Stellung der StudentInnen in der Hochschulorganisation gestärkt? Die Gebührenanhänger behaupten dies zumindest penetrant. In Wirklichkeit tendiert der studentische Einfluss auf die Studieninhalte gegen Null. In der Rolle zahlender Kunden können StudentInnen Studienangebote nicht inhaltlich (mit)bestimmen, sondern lediglich ablehnen oder annehmen, mehr nicht! Wird etwa ein Studienangebot in Folge einer rückläufigen "Nachfrage" geändert, wirkt sich dies erst zeitverschoben aus, d.h. diejenigen, die das jeweilige, vom Markt "schlechter" bewertete, Fach unmittelbar studieren, haben davon nicht das geringste. In dem Maße schließlich, wie "Studienerfolg" mit der Erzielung von Einkünften auf akademischen Arbeitsmärkten ("Bildungsrendite") in eins gesetzt wird, geraten eher diejenigen, die Arbeitskräfte einstellen, in eine bestimmende Position auf die inhaltlichen Abläufe der Hochschulen. Wer etwa ein technisches Fach studiert, beurteilt die Kriterien des Einsatzes von Technik eher vom Standpunkt der Unternehmer. Dass etwa die Gewerkschaften im gleichen Betrieb oder auch ein breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit andere Interessen an technologischen Entwicklungen haben könnten (soziale Gestaltbarkeit, Umweltverträglichkeit, Gesundheitsschutz etc.) gerät so gar nicht erst in den Blick.

Das Fazit kann daher nur lauten: Studiengebühren als zentrales Kettenglied für eine künftige Marktverfassung der Hochschulorganisation sind nicht nur aus sozialen Gründen zu bekämpfen, sondern müssen auch aus elementaren bildungs- und wissenschaftspolitischen Gründen abgelehnt werden. Sie behindern wirkliche wissenschaftliche Innovation und schränken den gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft drastisch ein.

von Torsten Bultmann
(Bund demokratischer WissenschaftlerInnen BdWi e.V.)