Adieu, PDS!

Die Berliner Aufregungen um die Teilnahme der WASG an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 17. September 2006 vermitteln das Bild eines klassischen David-gegen-Goliath-Kampfes: der kleine, ...

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den Beschluß seines Bundesvorstandes zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei.PDS kühn ignorierende WASGLandesverband mit seinen zwei- oder dreihundert Mitgliedern hier; der große, an der Regierung beteiligte, um die zehntausend Mitglieder zählende Landesverband der Linkspartei.PDS da. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich - egal, ob die WASG die Fünf-Prozent-Hürde überspringen mag oder nicht - der David dem Goliath beugen muß.

Aber der Schein trügt. Diese regionale Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien spiegelt nicht wider, was bundesweit im Gange ist. Dort wird trotz der Berliner Entscheidungen mit Vehemenz am Zeitplan einer Vereinigung bis zum Sommer 2007 festgehalten. Und: Es sind in diesem Prozeß jetzt schon Kräfteverschiebungen zu registrieren, an deren Ende ein anderer der Goliath sein wird und ein anderer der David.

Denn dies vor allem zeichnet sich ab: daß das Ende der PDS gekommen ist. Nicht das Ende der Linkspartei. Der jetzigen nicht und auch nicht der künftigen, die durch die Vereinigung mit der WASG entstehen soll. Nein, das nicht. Aber das Ende der PDS - das naht mit großen Schritten. Die Übermacht des Westens über den Osten im vereinigten Deutschland - sie wird sich nun endgültig auch in der Linken manifestieren.

Es geht verloren die Ostpartei PDS. Und das ist schlecht, weil die Kluft zwischen West und Ost in jüngster Zeit nicht kleiner, sondern wieder größer geworden ist. Aber der Meinungshauptstrom meint: Wer noch vom verfassungsverbindlichen Auftrag der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse spricht, gilt schon als "Linkspopulist". Und genau in dieser Situation wird im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion der Linken die Ostpartei-Stärke ohne alle Not heruntergeschraubt. Nur noch halbherzig wird die Ost-Problematik thematisiert. In Sachen Wirtschaftsentwicklung wird das damit begründet, daß auch im Westen strukturschwache Regionen entstanden sind, denen besondere Förderfürsorge zu gelten hat. Daran ist nichts zu deuteln. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit.

Erinnern wir uns: Sie ist nicht freiwillig Ostpartei geworden, die PDS, damals, 1989/90. Und es hätte ganz anders kommen können. Zum Beispiel, wenn die SPD nicht in akutem Gedächtnisschwund das 1987 verfaßte gemeinsame Strategiepapier SPD-SED "vergessen" hätte und ihr Programm von 1989 mit seinen demokratisch-sozialistischen Ambitionen gleich mit. Dann, vielleicht, hätte diese SPD sich nicht in der Nach-Wende-DDR von 1990 mit der CDU zur großen Anschluß-, Abwicklungs- und Delegitimierungskoalition zusammengeschlossen, sondern statt dessen in den Trümmern der zerbrochenen SED nach Verbündeten für einen eigenen alternativen Kurs in ganz Deutschland gesucht, und der PDS wäre Aktions- und Identifikationsraum genommen worden. Aber so kam es nicht. Und auch nicht so, daß sich westdeutsche Linke links von der SPD in größerer Zahl für die PDS interessiert hätten. Also blieb "nur" der Osten, und die PDS hat es geschafft, hier in bemerkenswerter Qualität eine doppelte Rolle zu spielen: als Partei von selbstkritisch lernen wollenden, zukunftsoffenen Sozialisten und Kommunisten auf der einen Seite - und zugleich als Stimme der flächendeckend Diskriminierten, Zurückgesetzten, des "falschen Lebens" für schuldig Befundenen auf der anderen.

Welche der beiden Rollen die wichtigere sei, ist auch in der PDS selbst immer schon umstritten gewesen. Jetzt aber geht dieser Streit zuungunsten des "Ost-Flügels" aus. Es ist ihm nicht gelungen, die neuen Partner aus dem Westen davon zu überzeugen, daß diese Ost-Rolle nicht Enge bedeutet, sondern Weitsicht. Weitsicht, weil es sich bei der Diskriminierung der Ostdeutschen nicht um ein "Ost-Problem" handelt, sondern um ein gesamtdeutsches Verfassungsproblem. Weitsicht, weil die Diskriminierung des Ostens ebenso wie seine Deindustrialisierung als Testfeld für eine neoliberale Umgestaltung der gesamten Republik dient. Die Grundgesetzänderungen, wie sie dieser Tage mit der Föderalismusreform der CDU/CSU-SPD-Koalition in Kraft gesetzt werden sollen, beweisen genau das. Sie laufen auf eine weitere Aushöhlung des Sozialstaates durch einen "föderalen Wettbewerb" hinaus, bei dem die ohnehin Starken stärker, die Schwachen schwächer werden. Der Umgang mit dem Osten hat das, was jetzt passiert - und in der alten Bundesrepublik undenkbar gewesen wäre! - vorbereitet. Und trotzdem - siehe oben - bei der Linken ostpolitische Halbherzigkeit.

Es geht des weiteren verloren die PDS der offenen, demokratischen, selbstkritischen und komplexen Geschichtsarbeit. Das ist keine ganz neue Entwicklung. Nur noch Legende sind jene von der Partei in den neunziger Jahren zu Zeiten des im Jahre 2000 verstorbenen Michael Schumann einberufenen Konferenzen, bei denen - zum Beispiel - über Stalinismus nicht als Schlagwort, sondern als umfassendes Problem der Gesellschaftsentwicklung debattiert werden konnte und unterschiedliche Auffassungen Raum hatten, gehört zu werden. Jetzt, wo die neue Linke sich auch eines neuen gemeinsamen Geschichtsverständnisses versichern müßte, gibt es solche Konferenzen nicht, aber statt dessen nervöse Reaktionen - und zwar nicht nur dann, wenn einige Starrköpfe aus dem Ex-MfS auf Unbelehrbarkeit bestehen, sondern auch, wenn etwa Hans Modrow darüber nachzudenken wagt, daß die Grenze zwischen Ost und West vielleicht nicht nur mit dem Osten zu tun hatte.

Es ist bereits verloren jenes Konzept einer Reform der Partei von unten, wie es der ebenfalls verstorbene Michael Chrapa bis zum Jahre 2003 mit großer Energie verfochten hat. Es war ein Versuch, den unvermeidlichen Tendenzen des Sich-Einrichtens in Fraktionen und Parteiämtern etwas entgegenzusetzen, das sich aus den Erfahrungen sowohl des Untergangs der SED als auch des Neuanfangs der PDS in der gänzlich anderen Gesellschaft speist. Die "unvermeidlichen Tendenzen" haben erst einmal den Sieg davon getragen, die Reform von unten spielt im Vereinigungsplan keine Rolle.

Und es geht schließlich verloren die Leistung der PDS in jenen drei Jahren von 2002 bis 2005, da sie im Bundestag "nur" durch die beiden Direktmandatsträgerinnen Gesine Lötzsch und Petra Pau vertreten war und ein Großteil an programmatischer und strategischer Arbeit in der Koordination zwischen diesen beiden, dem Parteivorstand und den Landtagsfraktionen bewältigt wurde. Das Steuerkonzept der PDS etwa, das in dieser Zeit entstanden ist, hat in der Bundestagsfraktion noch keine Beachtung gefunden. Das wäre nicht schlimm, wenn es einfach nur ein Ansatz unter vielen wäre. Aber es ist mehr: Es ist die geronnene Erfahrung hartnäckiger Arbeit in den Landtagsfraktionen, langwierigen Ringens um die Entwicklung alltagstauglicher Finanzierungskonzepte - und: Es ist eine ganz spezifische Ost-Erfahrung, denn Landtagsfraktionen links von der SPD hat es in Westdeutschland seit mehr als fünfzig Jahren nicht gegeben.

Vielleicht muß das alles so sein. Vielleicht ist die Zeit der PDS wirklich abgelaufen. Aber auf ihr Erbe zu verzichten, diesen Verzicht gar als "Befreiung" zu deuten, wird die neue Linke nicht stärken, sondern schwächen. Die 20 bis 25 Prozent Wählerzustimmung im Osten, die mit diesem Erbe verbunden sind, sind ein wertvolles und keineswegs zufällig erworbenes Gut. Die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde bei einer Landtagswahl im Westen hingegen steht noch aus. Trotz all des zweifellos Neuen seit dem Sommer 2005.

in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 26. Juni 2006, Heft 13

Aus dem Inhald des Heftes:
Simone Barck: Hans Leonard und die Nachkriegs-Weltbühne; Hans Leonard: Mein Lebenslauf (1955); Hans Leonard: Aus dem Fragebogen (1945); Hans Leonard: Fragebogen zum "Ariernachweis" (1938); Paul Oswald: Deutschland verrückt. Aber in Gesellschaft.; Sibylle Sechtem: Adieu, PDS!; André Brie: Connecting people. Drei Tage ohne Hoffnung; Wladislaw Hedeler: In Rußlands Mitte; Klaus Hart, São Paulo: Warner aus der Betonwüste; Gerhard Wolf: Unvergessen All Along The Watch Tower; Ove Lieh: Reha-Bücher - Bücher-Reha; André Hagel: Rotkäppchen ist tot