Die Spaltung der Sozialdemokratie in Insider und Outsider.

Beschäftigungsförderung und Großbritanniens ‚Third Way‘

Das goldene Zeitalter der Sozialdemokratie war in Westeuropa Mitte der 1970er Jahre zu Ende.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Strategie der Sozialdemokratie, Ungleichheit und Unsicherheit der prekären Sektoren des Arbeitsmarktes zu reduzieren und gleichzeitig allgemein Wachstum und Beschäftigung zu fördern, sehr erfolgreich. Nach dem ersten Öl-Schock nahm die politische Bedeutung der Sozialdemokratie jedoch stetig ab (vgl. Moene/Wallerstein 1999; Pontusson 1995: 495ff.; Kitschelt 1994; Piven 1992). Eine Reihe von Strukturveränderungen konnte dabei als wichtige Herausforderung für die Sozialdemokratie identifiziert werden: geringeres Wirtschaftswachstum, technischer Wandel mit negativen Effekten für Geringqualifizierte, Veränderungen in der Produktion, die Entstehung des Post-Fordismus, Internationalisierung und zunehmender Wettbewerb mit neuen Industrieländern. In diesem Beitrag wird dargelegt, daß die größte Herausforderung der Sozialdemokratie in dieser Aufzählung nicht enthalten ist. Es ist eine Herausforderung, die grundlegend verbunden ist mit Differenzen innerhalb der abhängig Beschäftigten und die in bedeutsamer Weise die Strategien der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften beeinflußt.
Das traditionelle Konzept der Sozialdemokratie beruht auf der Verbindung zwischen der Arbeiterschaft (die als relativ homogen angesehen und durch Gewerkschaften repräsentiert wird) und sozialdemokratischen Parteien. Bei genauer Betrachtung demokratischer Industrieländer wird jedoch immer klarer, daß die Beschäftigten in zwei Gruppen aufgeteilt sind: Es gibt Personen mit sicherer Beschäftigung (Insider) und Personen ohne sichere Beschäftigung (Outsider). Aufgrund der zunehmenden Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern haben sozialdemokratische Regierungen ihre Handlungsstrategien zwar verändert, aber die Konsequenzen dieser Veränderungen für Wahlen und für die Politik sind weitgehend ungewiß.
Im folgenden Abschnitt wird erläutert, welche Herausforderung die Spaltung zwischen Insidern und Outsidern für die Sozialdemokratie darstellt. Dabei steht die Beschäftigungsförderung im Mittelpunkt. Im Anschluß daran wird die Entstehung von ‚New Labour‘ in Großbritannien als ein Beispiel analysiert, wie die Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern die Strategien der linken Parteien verändert haben. Zuletzt werden dann einige Schlußfolgerungen aus der Analyse gezogen.

Ursprung und Logik der Insider-Outsider-Spaltung
Das angemessene Verständnis für die Herausforderungen, denen die Sozialdemokratie seit den 1970er Jahren gegenübersteht, basiert auf zwei Sachverhalten: (1) Arbeitnehmer sind in Insider und Outsider geteilt, und (2) die Interessen von Insidern und Outsidern unterscheiden sich fundamental.2 Insider werden definiert als Beschäftigte mit sicheren Arbeitsplätzen. Sie sind ausreichend geschützt, um sich nicht in größerem Maße durch die hohen Arbeitslosenzahlen bedroht zu fühlen. Im allgemeinen werden Personen mit unbefristeten Arbeitsverträgen zu dieser Gruppe gezählt. Outsider befinden sich dagegen in Beschäftigungsverhältnissen, die mit niedrigen Löhnen und einem geringen Niveau an Sicherheit, Arbeitsrecht, Vergünstigungen und Privilegien der Sozialversicherung verbunden sind. Diese Gruppe umfaßt Personen, die arbeitslos sind, Zeitarbeitsverträge besitzen oder in Teilzeit beschäftigt sind.
Die Interessen der Angehörigen beider Gruppen unterscheiden sich fundamental. Die Insider sorgen sich eher um die Sicherheit ihrer eigenen Beschäftigungsverhältnisse als um die Arbeitslosigkeit der Outsider. Die Outsider sorgen sich eher um ihre Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsplatzunsicherheit als um den Beschäftigungsschutz der Insider. Die Divergenz zwischen den Interessen der Insider und der Outsider ist dabei unauflöslich mit der Entstehung des Beschäftigungsschutzes verbunden. Aufgrund des Wachstums und der Stabilität der späten 1960er Jahre sowie der sozialen Unruhen und der Aktivitäten der Gewerkschaften in den frühen 1970er Jahren akzeptierten Firmen für sie hochrestriktive unbefristete Beschäftigungsverhältnisse und Abfindungszahlungen. Als Folge wurde ein erheblicher Teil des Arbeitsmarktes dauerhaft von der Angst vor Arbeitslosigkeit befreit. Doch gleichzeitig mit den Insidern entstanden auch Outsider. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit, die in den meisten OECD-Staaten nach der Ölkrise einsetzte, trug zum Ansteigen der Outsider bei. Das Arbeitsangebot wurde darüber hinaus durch die große Zahl von Frauen strapaziert, die auf den Arbeitsmarkt strömten. Dazu kamen eine allgemeine Intensivierung des internationalen Wettbewerbs und Arbeitszeitflexibilität. Eine Konsequenz dieser Entwicklungen war das dramatische Ansteigen von Teilzeitarbeit und befristeten Arbeitsverträgen. Die große Mehrheit der Arbeitnehmer in solchen Beschäftigungsverhältnissen ist ungelernt und schlecht bezahlt. Ihnen werden nur minimale Rechte und Vergünstigungen gewährt. Wichtiger ist jedoch, daß prekär Beschäftigte und Arbeitslose zu der Gruppe gehören, die am stärksten unter ökonomischen Veränderungen leidet (in guten Zeiten werden sie angestellt, in schlechten entlassen).
Politische Parteien müssen sich auf ihre Stammwähler verlassen können, um Wahlen zu gewinnen. Es ist nicht zu bestreiten, daß sozialdemokratische Parteien starke Anreize haben, Insider als ihre Stammwählerschaft anzusehen. Einerseits gibt es sowohl historische als auch ideologische Gründe dafür, andererseits existiert noch ein weiterer wichtiger Faktor: Outsider tendieren dazu, politisch weniger aktiv (und weniger ökonomisch unabhängig) als Insider zu sein; sie sind damit automatisch für Wahlen weniger relevant. Wenn sozialdemokratische Regierungen zwischen Insidern und Outsidern entscheiden müssen, stellen sie sich an die Seite ihrer Stammwähler.
Die zunehmende Internationalisierung von Kapital wurde oft als Hauptproblem sozialdemokratischer Regierungen seit den frühen 1970er Jahren betrachtet. Hochmobiles Kapital, so wird argumentiert, schränkt die Fähigkeit sozialdemokratischer Regierungen ein, eine Politik zu vertreten, die sich signifikant von der Politik konservativer Regierungen unterscheidet. In einer offenen Wirtschaft stehen jedoch immer auch einige Möglichkeiten für sozialdemokratische Regierungen zur Verfügung. Beschäftigungsförderung durch aktive Arbeitsmarktpolitik gehört zu denjenigen angebotsorientierten Maßnahmen, die von parteipolitisch motivierten Regierungen eingesetzt werden können, um Beschäftigung, Wachstum und Gleichheit im Kontext zunehmender Internationalisierung zu fördern (vgl. Garrett/Lange 1991: 539ff.; Boix 1998).
Aktive Arbeitsmarktpolitik stellt ein Dilemma für sozialdemokratische Parteien dar. Da sie zur Beschäftigungsförderung entwickelt wird, begünstigt aktive Arbeitsmarktpolitik eindeutig Outsider. Die Interessen der Insider werden hingegen durch deren politische Effekte für Steuern und Arbeitsmarktwettbewerb mög-licherweise sogar verletzt3, denn eine aktive Arbeitsmarktpolitik trägt unmittelbar zu einer höheren Steuerbelastung der Insider bei. Langfristig würde die Steuerbelastung wahrscheinlich sinken, wenn die aktive Arbeitsmarktpolitik neue Arbeitsplätze schafft, aber zumindest kurzfristig müssen die Insider die Kosten dieser Maßnahmen mittragen. Zusätzlich können infolge einer erfolgreichen aktiven Arbeitsmarktpolitik Personen Zugang zu Beschäftigung erlangen, die die Lohnforderungen der Insider unterbieten. Aus der Perspektive der Insider führt der Einsatz öffentlicher Ressourcen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik also zum Wettbewerb um Niedriglöhne. Daraus folgt, daß die bestehenden Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern paradoxerweise dazu beitragen, daß sozialdemokratische Parteien, die sich für Insider engagieren, ihre aktive Arbeitsmarktpolitik nur mit Schwierigkeiten ausbauen können.
Es gibt jedoch einige Faktoren, die unter Umständen zu einer Abmilderung des Interessengegensatzes zwischen Insidern und Outsidern führen. Die Spezifik der Gesetzgebung eines Landes zum Beschäftigungsschutz ist ein wichtiger Faktor zur Unterscheidung von Insidern und Outsidern. Die Gesetzgebung hat Einfluß auf Entlassungen, temporäre Arbeitszeitverkürzungen, Abfindungen und Kündigungsfristen. Da diese Regelungen die Fundamente für den Schutz der Insider darstellen, ist klar, daß die Abnahme von Beschäftigungssicherheit einen direkten Einfluß auf die Zunahme der Angst der Insider vor Arbeitslosigkeit hat. Wird die Entlassung von Insidern einfacher, gleichen sich die Interessen von Insidern und Outsidern an. Die Vorteile von Maßnahmen, die auf Beschäftigungsförderung abzielen, werden so für Insider attraktiver, denn die Wahrscheinlichkeit nimmt zu, daß auch diese sie brauchen können. Paradoxerweise führen die Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern also dazu, daß eine Abnahme des Beschäftigungsschutzes mit einem höheren Interesse der sozialdemokratischen Parteien an Beschäftigungsförderung verbunden ist.
Diese Sicht auf die Sozialdemokratie - als dominiert von den Präferenzen der egoistischen Insider, die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Outsider nur unterstützen, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, selbst zum Outsider zu werden - ist unkonventionell. Sie unterscheidet sich vom traditionellen Konzept, dem zufolge die Sozialdemokratie solidarisch und großzügig ist. Aber ist diese Sichtweise auch zutreffend? Eine Analyse der Entstehung des "Third Way", d.h. der Strategie der Labour Party, Beschäftigungsförderung zum vorrangigen Ziel zu machen, illustriert die Veränderungen in den Strategien linker Parteien, wenn Insider den Outsidern ähnlicher werden.

Beschäftigungsschutz und "Third Way"
Zum Ende der 1960er Jahre waren die Insider in Großbritannien vor Entlassungen geschützt durch eine Reglementierung, die im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern sehr ausgeprägt war. Seit 1965 gab es in Großbritannien Abfindungen, nachdem der "Redundancy Payments Act" von Harold Wilsons sozialdemokratischer Regierung verabschiedet worden war. Insider wurden außerdem durch einflußreiche Gewerkschaften betreut, die mit Arbeitgebern in einem von staatlicher Seite relativ wenig beeinflußten tariflichen Rahmen verhandelten. Es gab nur wenige Beschränkungen für die Gewerkschaften (im Hinblick auf Streiks) und für die Arbeitgeber (im Hinblick auf das Aussperren der Arbeiter; vgl. Visser/Van Ruysseveldt 1996).
Die Beziehung zwischen den Gewerkschaften und der Labour-Partei war ein wichtiger Grund für diese Maßnahmen. Die Gewerkschaften waren traditionell stark mit Labour verbunden. Für diese enge Beziehung gab es historische Gründe: Während in den meisten europäischen Ländern sozialdemokratische Parteien die Gründungen von Gewerkschaften herbeiführten, war es in Großbritannien genau umgekehrt. Bis vor kurzem führte diese Verbindung zu einer starken Beteiligung der Gewerkschaften am politischen Prozeß, wenn Labour an der Macht war. Durch eine günstige Gewichtung ihrer Stimmen kontrollierten die Gewerkschaften bis 1993 etwa 80% aller Stimmen auf Labour-Parteitagen.
Sowohl in bezug auf Abfindungen als auch im Hinblick auf den Schutz durch Gewerkschaften verschlechterte sich die Situation für Insider nach 1979 dramatisch. Margaret Thatcher gewann die Wahl in diesem Jahr, indem sie sich nachdrücklich gegen die Gewerkschaften positionierte. Das Wahlmanifest der Konservativen erklärte, daß "by heaping privilege without responsibility on the trade unions, Labour have given a minority of extremists the power to abuse individual liberties and to thwart BritainÂ’s chances of success". Der "Employment Act" von 1980 war der ersten Schritt im Angriff auf die Gewerkschaften und die Insider durch die Thatcher-Regierung. In Erfüllung von Thatchers Wahlversprechen enthielt das Gesetz Maßnahmen, um sowohl den Gewerkschaftszwang der Arbeiterschaft eines Betriebes sowie Streiks zu beschränken als auch Abfindungskosten zu reduzieren. Die Verringerung des Beschäftigungsschutzes war für die konservative Regierung von außerordentlich großer Bedeutung. Der "Employment Act" von 1980 reduzierte die Entlassungskosten für Arbeitgeber in dreierlei Hinsicht: Er verringerte die Rechte der Arbeitnehmer, die unrechtmäßig entlassen wurden, er hob die Begründungspflicht bei Entlassungen für Arbeitgeber auf, und er reduzierte den Mutterschutz hinsichtlich einer Wiedereinstellung.
Es folgte der "Employment Act" von 1982, der noch strikter gegen die Gewerkschaften vorging. Dieses Gesetz schränkte das Gewerkschaftshandeln zusätzlich ein und begrenzte den Gewerkschaftszwang noch stärker. Die weiteren Wahlsiege von Mrs. Thatcher in den Jahren 1983 und 1987 bewirkten keine grundsätzlichen Änderungen dieser Arbeitsmarktpolitik. Die Stärke der Gewerkschaften und der Insider wurde durch den "Trade Union Act" von 1984 durch die Verringerung des Handlungsspielraums der Gewerkschaften weiter reduziert. Durch den "Employment Act" von 1988 wurde gewisse Formen des betriebsbezogenen Gewerkschaftszwangs illegalisiert und das Recht der Gewerkschaften abgeschafft, streikbrechende Mitglieder zu disziplinieren. Nach dem vierten Wahlsieg nutzte die Regierung Thatcher den "Employment Act" von 1989, um die administrativen Kosten für Entlassungen noch weiter zu senken. Danach müssen Arbeitgeber keinen Grund für Entlassungen angeben - ausgenommen bei Arbeitnehmern, die zwei Jahre oder länger durchgehend beschäftigt waren (vorher waren es sechs Monate).
Die Ankunft von John Major in Downing Street No. 10 im Jahre 1990 änderte nichts an der Ausrichtung der Arbeitsmarktspolitik der Tory-Regierung. Der "Employment Act" von 1990 schaffte die Reste des Gewerkschaftszwangs ab und legalisierte die Entlassung von Arbeitern, die an irgendeinem unerlaubten Arbeitskampf teilgenommen hatten. 1993 setzte Major die "Trade Union Reform" und den "Employment Rights Act" um. Dieses Gesetz legalisierte die Praxis, daß Arbeitgeber ihren Beschäftigten finanzielle Anreize anbieten, wenn diese nicht der Gewerkschaft beitreten. Es schrieb vor, daß Arbeitgeber sieben Tage vor einem Arbeitskampf vorgewarnt werden müssen. Andere von Major eingeführte Maßnahmen verringerten zwar die Geschwindigkeit des Vorgehens gegen Insider und Gewerkschaften, doch sie veränderten den Inhalt früherer Maßnahmen kaum.
Während dieser Zeit bestand die aktive Arbeitsmarktpolitik beider Parteien aus Programmen, die "die soziale Stigmatisierung der Sozialhilfe-Empfänger erhöhten, während sie zugleich die Empfänger kaum zum Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt befähigten" (King 1995: xiif.).4 Es ist allerdings nicht schwer zu begreifen, warum die aktive Arbeitsmarktpolitik in dieser Zeit so wenig Aufmerksamkeit erhielt: Arbeitgeber wollten sie nicht, Gewerkschaften hatten nicht viel Interesse an ihr, und sowohl die konservativen als auch die Labour-Regierungen hatten keinen Grund, sie zu unterstützen. Desmond King (1997: 404f.) argumentiert, daß "die Arbeitgeber keine aktive Arbeitsmarktpolitik wollten, da sie firmenbezogenes und nicht sektorbezogenes Training präferierten und einen hohen Anteil an niedrigqualifizierten Arbeitern in Kauf nahmen, zumal diese auch weniger verdienen". Die Gewerkschaften forderten zwar Verbesserungen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, doch historisch gesehen hatten sie vor allem ein Interesse an der Unterstützung von Facharbeitern und deswegen kaum Verpflichtungen gegenüber einem zusammenhängenden System aktiver Maßnahmen. Wegen ihrer Beziehung zu den Gewerkschaften hatten auch die Labour-Regierungen nur wenig politische Anreize für eine aktive Arbeitsmarktpolitik. In den 1970er Jahren erleichterten sowohl die konservativen als auch die sozialdemokratischen Regierungen Tripartismus, änderten aber das erfolglose System nicht grundsätzlich. Für die Thatcher-Regierung hatten die Entwicklung einer effektiven Berufsausbildung und die Förderung des öffentlichen Beschäftigungssektors keine große Priorität. Das vorrangige Interesse der Konservativen an geringen Staatsausgaben und der Reduzierung der Rolle des Staates (neben der Verringerung der Macht der Gewerkschaften und der Vorherrschaft des finanziellen Sektors) war nicht mit einer starken Ausrichtung an aktiver Arbeitsmarktpolitik vereinbar. Wie Crouch (1995: 304) argumentiert, präferierten und erzeugten konservative Regierungen seit 1979 "eine flexible und auf Anhieb einsetzbare Arbeiterschaft, die eine rapide wechselnde Mischung von relativ unqualifizierten Arbeitsaufgaben erledigen kann".
Die Menge der Ressourcen zur Beschäftigungsförderung wurde durch die Regierung Thatcher in der Tat erhöht. Einige Beobachter meinten aber, daß diese Regierungsprogramme bloß billige Arbeitskräfte bereitstellten, ohne etwas zur Qualifizierung der Arbeiterschaft beizutragen. Es läßt sich allerdings nicht bestreiten, daß die konservative Regierung den Etat für die Berufsausbildung in den frühen 1980er Jahren erhöhte. Darüber hinaus nahm die Auswahl an Politikmaßnahmen zu. Das geschah vor allem in der Zeit, als Lord Young Vorsitzender der "Manpower Services Commission" war und eine Reihe neuer Ausbildungsprogramme einführte. Neue Programme gegen Arbeitslosigkeit und Initiativen wie das "New Job Training Scheme" oder das "Youth Training Scheme" wurden eingerichtet. Der Etat für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhöhte sich von 1,1 Mrd.£ 1978/79 auf 3,4 Mrd. £ 1987/88. Das alles war allerdings zum großen Teil auf den spektakulären Anstieg der Arbeitslosigkeit in dieser Zeit zurückzuführen. Die alten Ausbildungsprobleme blieben im Grunde erhalten. 1989 zeigte eine Studie der Regierung, daß Ausbildungen eher an kurzfristigen Bedürfnissen ausgerichtet wurden und die Zahl der Beschäftigten ohne Berufsausbildung sehr groß war.
Die Abnahme des Beschäftigungsschutzes in Großbritannien traf mit dem Erscheinen von ‚New Labour‘ sowie mit der Distanzierung zwischen der sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften zusammen. Auf dem Labour-Parteitag 1993 wurde die Gewichtung von Gewerkschaftsstimmen auf 70% reduziert (33% für Entscheidungen über die Besetzung von Führungsposten) und ein legitimierender Wahlvorgang unter Gewerkschaftsmitgliedern eingesetzt5; 1995 wurde die Gewichtung auf 50% reduziert. Die schwindende Bedeutung des Gewerkschaftsstimmenanteils wurde begleitet von einer abnehmenden ökonomischen Abhängigkeit der Labour Party von den Gewerkschaften. Der Gewerkschaftsanteil der Finanzierung der Partei ist von durchschnittlich 90% in den frühen 1980er Jahren auf etwa 50% in den letzten Jahren gesunken. Es ist klar, daß die Entstehung von ‚New Labour‘ eine Trennung von den Gewerkschaften erforderte. Die moderne sozialdemokratische Partei, wie Blair sie sich vorstellte, basiert auf einer engeren Beziehung zu den Unternehmen und einem distanzierteren Verhältnis zu den Gewerkschaften (vgl. Taylor 2001). In der Tat wurde eine starke Verbindung zu den Gewerkschaften nun als Hindernis für die Wahl und als Grund für den Mangel an Unterstützung in vorhergehenden Wahlen wahrgenommen (vgl. King 2002).
Mit Blair fand eine wesentliche Veränderung der Strategien für Beschäftigungsförderung statt.6 Die neue Einstellung wurde 1997 als einer der wichtigsten Punkte im "Contract with the People" hervorgehoben. Dieser erklärte die Absicht der Labour-Partei, 250.000 jungen arbeitslosen Menschen Arbeit zu verschaffen. Labours Vorstoß zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik war im "Welfare to Work"-Programm (auch bekannt als "New Deal") enthalten. 1997 führte Blair eine Steuer auf die Gewinne privatisierter Firmen der öffentlichen Versorgung ein. Es war geplant, daraus 4,8 Mrd. £ über zwei Jahre für den "New Deal" zur Verfügung zu stellen. Die New Deal-Initiative zielte auf junge Menschen, Alleinerziehende, Kranke und Behinderte sowie Langzeitarbeitslose. Sie beinhaltete Subventionen für Arbeitgeber (60 £ pro Woche für Teilnehmer von Ausbildungsprogrammen), die Einführung von Beschäftigung auf Probe und die Einrichtung von Beratungsstellen. Es gab eine Selbstverpflichtung von ‚New Labour‘ zur Arbeitsplatzgarantie für alle 18- bis 24jährigen, die für mindestens sechs Monate arbeitslos waren. Nach dieser Periode der Arbeitslosigkeit wurde von den jungen Menschen verlangt, daß sie eine Förderungszeit beginnen. In dieser Zeit erhielten sie intensive Unterstützung bei der Arbeitssuche. Kann immer noch keine Arbeit gefunden werden, bietet der "New Deal" vier Möglichkeiten: eine Ausbildung, subventionierte Arbeit im privaten Sektor, freiwillige Arbeit oder eine Art Umweltschutz-ABM. Das britische Ministerium für Bildung und Arbeit stellte 58 Mio. £ zur Einrichtung von "Arbeitszonen" zur Verfügung, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dies war verbunden mit einer Investition von 150 Mio. £ in personenbezogene Ausbildungskonten und einer anfänglichen Summe von 15 Mio. £ für die sogenannte University for Industry (welche Beratung und Ausbildung für Arbeitnehmer an jedem Punkt des beruflichen Werdegangs zur Verfügung stellt).7
Die Labour-Regierung entwickelte außerdem eine Reihe weiterer Maßnahmen, die den "New Deal" vervollständigten. Blair erklärte lebenslanges Lernen (einen Prozeß der Aus- und Weiterbildung während des gesamten beruflichen Werdegangs von Arbeitnehmern) zum Ziel der Beschäftigungspolitik. In Übereinstimmung mit den neuen Prioritäten, die auch auf der Ebene der Europäischen Union immer stärker hervortraten, zielte die Arbeitsmarktpolitik vor allem auf die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmer. Die neuen Initiativen, die sich auf diese Ziele richteten, waren zum Beispiel die "University for Industry", "Investors in People" und Pläne für die Weiterbildung unter Ziel 4 des europäischen Strukturfonds. Es sollte außerdem erwähnt werden, daß die Labour-Regierung das System von Vergünstigungen für Familien mit Kindern reformiert hat, um die Hemmschwelle zur Beschäftigung, insbesondere im Niedriglohnsektor, herunterzusetzen. Die wichtigste dieser Maßnahmen war der "Working Families Tax Credit", der um einiges großzügiger ist als das vorhergehende "Family Credit Program" und allen Familien mit mindestens einer vollbeschäftigten Person 214 £ pro Woche garantiert.8
Der Fall Großbritanniens zeigt, wie höhere Sicherheiten für Insider mit einem allgemeinen Desinteresse der Labour-Partei an Maßnahmen zum Beschäftigungsschutz zusammenhängen. Die Verringerung von Schutzmaßnahmen für Insider, die durch die konservativen Regierungen von Thatcher und Major vorangebracht wurde, erleichterte allerdings das Entstehen von Blairs "Drittem Weg". Die Situation in Großbritannien illustriert darüber hinaus den Effekt der institutionellen Verknüpfung zwischen Gewerkschaften und sozialdemokratischer Partei. Einige Autoren haben dargelegt, daß die (manchmal konflikthafte) Verbindung zwischen Partei und Gewerkschaft ein wichtiger Faktor des Erfolgs von Labour sowohl in der Regierung als auch in der Opposition vor 1980 war (vgl. Minkin 1991). Zu dieser Zeit war die aktive Arbeitsmarktpolitik jedoch auch noch einfacher zu ignorieren, da der Einfluß der Gewerkschaften auf die Labour-Partei stärker war. Mit der Schwächung dieser Verbindung wurde auch das Interesse der Labour-Partei an den Outsidern größer. So schwierig es ist, sich Labours "Social Contract" von 1974 bis 1979 ohne den Einfluß der Gewerkschaften vorzustellen, so schwierig ist es auch, sich ‚New Labour‘ ohne die Schwächung der Gewerkschaften vorzustellen.

Die Zukunft der Sozialdemokratie in den Industrieländern
Das Verständnis des Unterschieds zwischen Insidern und Outsidern hilft, zwei wichtige Fragen hinsichtlich der Zukunft der Sozialdemokratie in Industrieländern zu beantworten. Die erste Frage bezieht sich auf das Wesen der Sozialdemokratie. Unsere Annahmen über die Strategien linker Parteien haben sich seit dem goldenen Zeitalter der Sozialdemokratie nicht verändert (als Gleichheit, sozialer Schutz und ökonomisches Wachstum als miteinander vereinbar wahrgenommen wurden). Die vorangegangene Analyse hinterfragt aber diese Annahmen und bietet ein umfassenderes Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen, mit denen die Sozialdemokraten seit der Ölkrise konfrontiert sind. Die Veränderung sozialdemokratischer Strategien resultiert aus den neuen Forderungen der Wähler in demokratischen Industriestaaten. Während die Bedeutung anderer Faktoren manchmal erkannt wurde, macht die vorliegende Analyse klar, daß die Präferenzen von Insidern und Outsidern wichtige Determinanten sozialdemokratischer Strategien sind. Die vorigen Abschnitte weisen darauf hin, daß die Insider-Outsider-Politik für ein umfassendes Verständnis der Sozialdemokratie seit den 1970er Jahren fundamental ist. Klar ist aber auch, daß sozialdemokratische Parteien im Moment mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sind, wenn sie versuchen, die von ihnen erwarteten Maßnahmen durchzusetzen. Die Strategien, die im goldenen Zeitalter der Sozialdemokratie weit verbreitet waren, sind in der Umsetzung schwieriger geworden. Es gibt zudem mächtige Anreize dafür, das Ziel der Herstellung von Gleichheit und Sicherheit in den prekärsten Sektoren des Arbeitsmarktes zu opfern und statt dessen die Politikpräferenzen der sicheren Insider zu berücksichtigen. Die vorangegangene Analyse legt nahe, daß bei einem Konflikt zwischen Insidern und Outsidern für sozialdemokratische Regierungen eine große Versuchung besteht, Ungleichheit fördernde Maßnahmen einzuführen. Sie zeigt außerdem, paradoxerweise, daß die Schwächung der Insider es für sozialdemokratische Parteien einfacher macht, die Belange der Outsider zu berücksichtigen.
Die zweite Frage betrifft die normative Begründung künftiger Ziele der Sozialdemokratie. Das in diesem Beitrag dargestellte Argument ermöglicht eine Debatte über die Folgen der Übergewichtung der Interessen von Insidern. Es ist klar, daß sozialdemokratische Parteien (ebenso wie Gewerkschaften) starke Gründe dafür haben, Insider zu schützen. Wenn der Schutz von Insidern angegriffen wird, scheint die sofortige Reaktion der Sozialdemokratie die Förderung (eher noch als die Kontrolle) des Entstehens von ‚Outsidertum‘ zu sein. Sozialdemokratische Regierungen von Spanien bis Deutschland neigen dazu, eine Politik zu vertreten, die - als eine Lösung für Arbeitslosigkeit - prekäre Beschäftigung (Vollzeit oder Teilzeit) begünstigt. Im Hinblick auf einige kürzliche Wahlrückschläge in demokratischen Industrieländern ist es jedoch nicht sicher, ob diese Strategie, sich ausschließlich für Insider einzusetzen, für sozialdemokratische Parteien vorteilhaft ist. Vielleicht ist es wichtiger zu fragen, was Outsider tun, wenn sie von sozialdemokratischen Regierungen ignoriert werden. In den 1970er Jahren tauchten in den meisten westlichen Demokratien radikale (insbesondere extrem rechte) Parteien auf. Dieser Beitrag legt nahe, daß diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt verlieren (Outsider, die nicht an traditionelle linke oder rechte Parteien gebunden sind) möglicherweise Gründe haben, sich von herkömmlichen Optionen bei politischen Wahlen abzuwenden.
Dieser Beitrag soll mit dem Hinweis darauf beendet werden, daß ein genaues Verständnis der Unterschiede zwischen Insidern und Outsidern unbedingt erforderlich ist, denn diesen Unterschieden kommt eine außerordentliche Bedeutung für das politische Handeln zu. Die Analysen zeigen einige erhebliche Schwierigkeiten, mit denen sozialdemokratische Parteien klarkommen müssen, um soziale Gleichheit zu fördern. Die Anerkennung dieser Schwierigkeiten kann möglicherweise der erste Schritt sein, um eine echte solidarische sozialdemokratische Lösung für die derzeit bestehenden Probleme zu finden.

Aus dem Englischen von Anja Steinbach

Anmerkungen

1 Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung von Rueda, D. (im Erscheinen): Social Democracy and Active Labour Market Policies: Insiders, Outsiders, and the Politics of Employment Promotion.
2 Es gibt zwei Analyserahmen, die das hier vertretene Modell inspirieren. Zum einen ist das die Arbeit über ‚dual labor markets‘ von Autoren wie Peter Doeringer und Michael Piore (vgl. Doeringer/Piore 1971) bzw. Suzanne Berger und Michael Piore (vgl. Berger/Piore 1980). Zum anderen gibt es einen ökonomischen ‚insider-outsider‘-Ansatz, der die Unterschiede zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen betont (vgl. hierzu Blanchard/Summers 1986; Lindbeck/Snower 1988; Saint-Paul 1996).
3 Die folgenden Beobachtungen über die Effekte von aktiver Arbeitsmarktpolitik basieren auf Saint-Paul (1998) und Calmfors (1994).
4 King nutzt die Beschreibung sowohl für Großbritannien als auch für die USA.
5 Vorher durften Gewerkschaftsführer als Vertreter ihrer Mitglieder abstimmen, ohne sich die Legitimität ihrer Stimmabgabe durch eine vorhergehende Wahl sichern zu müssen. Sie waren dadurch in der Lage, die Divergenzen zwischen den Mitgliedern zu ignorieren.
6 Einige Autoren würden nicht zustimmen, daß Â‚New Labour‘ sich mehr um Beschäftigungsförderung bemüht als vorherige konservative Regierungen. Für eine weitergehende kritische Analyse siehe Heffernan (2000) und Crouch (1999).
7 Trotz der Bedeutung dieser Zahlen muß hervorgehoben werden, daß die Ausbildungsmaßnahmen von ‚New Labour‘ absolut freiwillig sind, ohne irgendeinen Zwang für Arbeitgeber, tatsächlich auszubilden.
8 Es gibt eine zusätzliche Subvention von Kinderbetreuungsausgaben und Anpassungen im Steuer- und Gesundheitssystem für Geringverdiener (vgl. Glyn/Wood 2001: 53).

Literatur
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Calmfors, L. (1994): Active Labour Market Policy and Unemployment: A Framework for the Analysis of Crucial Design Features. OECD Working Papers. Paris: OECD.
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Dr. David Rueda, University of Oxford

aus: Berliner Debatte INITIAL 17 (2006) 1/2, S. 199-206