Nationalstaat und globale Kapitalmacht konkret

Bundesregierung und autonome Zentralbank

Edelbert Richter diskutiert die spannungsreiche (Macht-)Beziehung zwischen Bundesregierung und Bundesbank.

Die These ist fast schon trivial, dass die Nationalstaaten aufgrund der Zwänge der wirtschaftlichen Globalisierung ihre Handlungsspielräume zunehmend einbüßen. Es wird aber auch die Gegenthese vertreten: Die so genannte Globalisierung bedeute zwar eine neue Herausforderung für den Nationalstaat, er könne auf sie aber antworten, indem er sich wandelt, anpasst und so seinen Freiraum durchaus erhält bzw. neu erschließt. Das geschieht z.B. durch Zusammenarbeit mit anderen Staaten oder regionalen Zusammenschlüssen. Eine Art Synthese lautet, dass die Globalisierung der Wirtschaft auf Entscheidungen beruht, die die mächtigsten Nationalstaaten getroffen haben und mit denen sie ihre Handlungsspielräume auf Kosten anderer, schwächerer Staaten erweitert haben. Bei der so genannten Globalisierung würde es sich dann gar nicht um einen hauptsächlich ökonomischen Prozess handeln, sondern um einen zumindest gleichermaßen politischen, verbunden mit viel Ideologie. Ich gehe von der dritten Annahme als Hypothese aus, kann und will sie aber nicht umfassend belegen, sondern nur unter praktischem Gesichtspunkt ein räumlich und zeitlich begrenztes Stück Zeitgeschichte rekonstruieren: dasjenige nämlich, in dem wir selber drinstecken und politisch handeln müssen.

Den Kern dessen, was Globalisierung genannt wird, sehe ich in der in den 1970er Jahren begonnenen Deregulierung und Privatisierung des Weltkapitalmarkts. Da nun die deutsche Bundesbank diesen Prozess maßgeblich mit eingeleitet, dadurch ihre eigene Autonomie ausgebaut und auch später den freien Kapitalmarkt gegen alle Versuche erneuter politischer Regulierung verteidigt hat, können wir sie ohne weiteres als politische Repräsentantin dieses Marktes in Deutschland verstehen. Wir haben demnach in der Bundesrepublik das (zweifelhafte) Glück, nicht in die Ferne schweifen zu müssen, um zu begreifen, was Globalisierung im Kern bedeutet; sie ist uns vielmehr ganz nah, nämlich in einer unserer eigenen Institutionen (bzw. in ihrer Nachfolgerin, der EZB), die wir in ihrer erhabenen Unabhängigkeit sogar besonders schätzen. Nehmen wir die Bundesregierung hinzu, so haben wir in Deutschland den besonderen Fall, den Widerspruch zwischen nationalstaatlicher Politik und Globalisierungsdruck unter einem Dach vereinigt anzutreffen. Die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesbank (bzw. EZB) müsste uns daher einigen Aufschluss geben über das, was der Linken im Falle einer Regierungsbeteiligung bevorsteht.

Machtverschiebung zwischen Regierung und Bundesbank

Das spannungsvolle Verhältnis der Bundesbank zur Bundesregierung beginnt in den 1960er Jahren und hat zu einem Ergebnis geführt, das bis heute die Situation bestimmt. Erster Akt: Nach dem Bau der Berliner Mauer hört der Zustrom qualifizierter Arbeitskräfte aus der DDR auf. Die Gastarbeiter, die an ihre Stelle treten, sind meist weniger qualifiziert. Infolge des geringeren Arbeitskräfteangebots steigen die Löhne. Zweiter Akt: Die Regierung Erhard beschränkt sich auf Maßhalteappelle, die Bundesbank jedoch handelt: Sie malt den Teufel der Inflation an die Wand und geht 1965 abrupt zu einer restriktiven Geldpolitik über. Damit löst sie 1966 die erste Rezession der Nachkriegszeit aus! Dritter Akt: Der politische Schock ist so stark, dass es zur Bildung einer großen Koalition kommt. Da Erhards Liberalismus diskreditiert ist, wird der Sozialdemokrat Karl Schiller Wirtschaftsminister, und es wird die keynesianische Nachfragepolitik auch in Deutschland endlich möglich, die in den USA und anderen westlichen Industrieländern schon lange praktiziert wird. Vierter Akt: In diesem Geist wird in einer so genannten Konzertierten Aktion von Regierung, Bundesbank und Tarifparteien die Rezession auch wirklich schnell überwunden. Und um in Zukunft ähnliche Krisen zu verhindern, wird 1967 das berühmte Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verabschiedet, das bis heute gültig ist. Warum hat es aber weitere Rezessionen und ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit, wie es damals noch ganz undenkbar schien, nicht verhindern können? Natürlich aufgrund der massiven Veränderung der weltwirtschaftlichen Situation in den 1970er Jahren; aber auch deshalb, weil das Gesetz in der Gesamtheit seiner Ziele überhaupt nicht mehr zum Zuge kam, sondern immer die Geldwertstabilität gegenüber Wachstum, Beschäftigung und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht den Vorrang hatte. Das aber hat einen ganz schlichten Grund: Man hatte sozusagen vergessen, auch die Bundesbank ausdrücklich auf das Gesetz zu verpflichten, d.h. ihre Unabhängigkeit in diesem Sinne zu beschneiden! (Scharpf 1987: 153) Fünfter Akt: Erst als es 1974 erneut zum Konflikt zwischen Gewerkschaften und Bundesbank kam, dachte man daran, das nachzuholen, und in der SPD-Bundestagsfraktion wurde an einer entsprechenden Änderung des Bundesbankgesetzes gebastelt. Diesem Zugriff hat sich die Bundesbank jedoch mit einem Trick entzogen, nämlich mit dem Angebot der potentialorientierten Geldmengensteuerung: Sie gab vor, zu wirtschaftspolitischer Koordinierung bereit zu sein, indem sie ihr Geldmengenziel nun ein Jahr im Voraus bekannt gab, sodass Regierung und Tarifparteien sich darauf einstellen konnten. Was geschah aber, wenn der abgesteckte Geldrahmen zu eng war? Dann mussten eben Wachstumsbeschränkung und Arbeitsplatzverluste in Kauf genommen werden, wofür aber die Bundesbank jetzt nicht mehr allein verantwortlich zu machen war! Der Machtgewinn, den die Bundesbank auf diese Weise gegenüber der Regierung erlangt hatte, ging deutlich über das hinaus, was bisher unter ihrer Autonomie verstanden worden war. Er wurde auch durchaus registriert, aber in der tagespolitischen Hektik der Krise der 1970er Jahre nicht weiter thematisiert. (Die Inflation war 1974 infolge der Ölpreiserhöhung der OPEC auf dem Höchststand von 7%!) So macht seit nunmehr 30 Jahren eigentlich die Bundesbank bzw. die EZB, nicht die Bundesregierung die Wirtschaftspolitik in Deutschland.

Wahrscheinlich konnte die Bundesbank diesen Machtzuwachs aber nur erzielen, weil sie zuvor schon in außenwirtschaftlicher Hinsicht einen Sieg errungen hatte; nämlich im Frühjahr 1973, als das System von Bretton Woods endgültig aufgekündigt wurde und sie im Floating der Wechselkurse ihr Heil suchte. Es war eine Art "Zwangsumtausch", den die Bundesbank zur Stützung des Dollar als Leitwährung hatte leisten müssen und gegen den sie sich wehrte. Denn aufgrund der Schwäche des Dollars stimmten die festgelegten Wechselkurse schon lange nicht mehr. Die Spekulation hob sie aber noch zusätzlich aus den Angeln, indem sie immer mehr DM nachfragte. Wollte die Bundesbank gegen diesen Trend den Dollar dennoch stützen, ihn also kaufen, so lief das auf den Import von Inflation hinaus. Die Lösung, die ein Teil des Zentralbankrats schon länger ins Auge gefasst hatte, war eben die vom Monetarismus empfohlene Freigabe der Wechselkurse. Als nun die wahrhaft historische Entscheidung zu diesem Schritt gefällt wurde, kamen der Bundesbank gleich zwei Zufälle zu Hilfe, die nicht unerwähnt bleiben sollten: Der von der sozialliberalen Regierung berufene Bundesbankpräsident Karl Klasen, der gegen das Floating war, fiel von Januar bis März 1973 krankheitsbedingt aus, sodass Vizepräsident Emminger, der es befürwortete, den entsprechenden Meinungsumschwung im Zentralbankrat herbeiführen konnte. Hinzukam, dass Helmut Schmidt, der als damaliger Finanzminister ebenfalls den Übergang zu frei schwankenden Kursen ablehnte, am Tag der Abstimmung im ZBR krank war, sodass Emminger in einer Blitzaktion die Entscheidung durchsetzen konnte. (Dt. Bundesbank 1998: 336f.) So wird Politik gemacht! Denn nun war es allein die Bundesbank, die in der anbrechenden, alles andere dominierenden Währungskonkurrenz die wichtige Aufgabe hatte, die eigene Währung - die Nationalgottheit (Marx) - zu verteidigen. Zugleich machte sie sich zum Vorreiter der "Globalisierung".

Bundesbank und Weltkapitalmarkt

Es ist interessant, dass die weitreichenden Folgen dieser Machtverschiebung zwischen Regierung und Bundesbank damals in der Öffentlichkeit gar nicht bemerkt wurden. (Scharpf 1987: 162) Ein Grund dafür war, dass die Regierung sofort nach der Freigabe der Wechselkurse mit den wichtigsten europäischen Handelspartnern Deutschlands eine Begrenzung der Schwankungsbreite der Währungen vereinbarte (die so genannte Währungsschlange) und damit begann, am Aufbau des Europäischen Währungssystems zu arbeiten, das dann 1978 beschlossen wurde. Diese Bestrebungen Helmut Schmidts wurden begreiflicherweise von der Bundesbank nicht gern gesehen, weil mit ihnen die Initiative ja wieder auf die Regierung überging. (Scharpf 1987: ebd.) Von daher kann man die Amtszeit Schmidts als die Zeit eines noch offenen Machtkampfs zwischen beiden, d.h. zwischen Keynesianismus und Monetarismus, interpretieren. Zwar zogen Regierung und Bundesbank bei der Haushaltskonsolidierung nach 1975 an einem Strang, aber mit dem 1978 anlaufenden, auf vier Jahre angelegten großen Zukunftsinvestitionsprogramm bahnte sich sozusagen das "letzte Gefecht" an. Es klingt heute wie Musik in den Ohren, was mit ihm finanziert wurde: Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, rationelle und umweltfreundliche Energieversorgung, Stadtsanierung, Kläranlagenbau usw. Weitere Maßnahmen kamen hinzu, weil die Bundesrepublik sich Mitte 1978 verpflichtet hatte, auch für die Weltwirtschaft die Konjunkturlokomotive zu spielen. Die Bundesbank zog zunächst auch mit, und die Erfolge bei Wachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit waren bis 1980 unübersehbar. Dann jedoch waren es weniger die erneuten Ölpreiserhöhungen nach der Iranischen Revolution als vielmehr die radikale Änderung der amerikanischen Geldpolitik und der Bedingungen auf dem globalen Finanzmarkt, die die Erfolge zunichte machten; und die Bundesbank exekutierte gleichsam das Gericht über dieses letzte keynesianische Experiment.

Den Hintergrund bildete die weitere Talfahrt des Dollars, der die amerikanische Zentralbank zunächst freien Lauf gelassen hatte, weil sie den Export erleichterte. Sie erreichte 1978/79 mit einem Kurs von 1,70 DM ihren vorläufigen Tiefpunkt. Da sie aber zugleich den Import verteuerte, kam es in den USA zu steigender Inflation. Daher zog die Fed (Federal Reserve System, das Zentralbanksystem der USA) 1979 die Notbremse, sorgte für knappes Geld und erhöhte die Zinsen. Es wurde aber nicht nur aktuell die Inflation bekämpft, sondern der Geldwert prinzipiell (jedenfalls für mehrere Jahre) zum obersten Maßstab gemacht, um das Heft auf dem nunmehr freien Weltkapitalmarkt wieder in die Hand zu bekommen! Dass die eigene Wirtschaft darunter leiden musste, wurde in Kauf genommen. Der Monetarismus, mit dem die Bundesbank vorangegangen war, wurde jetzt von der Fed übernommen, aber mit dem viel größeren Gewicht ausgestattet, das der Dollar ja nach wie vor in der Welt hatte. Mit anderen Worten: der Bundesbank wurde gezeigt, wer auf dem Weltkapitalmarkt, wenn er es nur will, eigentlich die Hosen anhat, sodass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als diese Politik mitzumachen - jedenfalls wenn sie die Macht, die sie schon errungen hatte, nicht preisgeben wollte. Da der Dollar aufgrund der hohen Zinsen, die die Fed anbot, wieder attraktiv wurde, und die Bundesbank eine entsprechende Abwertung der DM (die Mitte 1980 einsetzte) verhindern wollte, musste auch sie die Zinsen erhöhen und die Geldmenge verringern. Freilich gab es die Alternative, die Japan wählte, nämlich (wie die USA zuvor) die Abwertung hinzunehmen, dadurch den Export zu fördern und das Risiko einer Preissteigerung über verteuerte Importe einzugehen. (Japan ist damit, wie sich in den 1980er Jahren zeigen sollte, gut gefahren.) Aber das hätte für die Bundesbank ja bedeutet, die eigenen Prinzipien, die Unabhängigkeit gegenüber der Regierung und die erlangte Position in der Währungskonkurrenz zu gefährden! Also blieb nur die restriktive Geldpolitik, die aber nun nicht mehr bloß das Konjunkturprogramm der Regierung paralysierte, sondern dieser selbst schließlich den Garaus machte. Es spricht für sich, dass der Diskontsatz vom Sommer 1980 bis Sommer 1982 auf dem bis dahin höchsten Stand von 7,5% gehalten wurde. Im September 1982 war der Machtkampf dann entschieden: Helmut Schmidt erklärte das Ende der sozialliberalen Koalition.

Europäisches Währungssystem

Allerdings darf die weitere Geschichte nun nicht verkürzend interpretiert werden. Zwar war es mit der Unabhängigkeit der Regierung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik jetzt vorbei; da ihre Aufgaben aber umfassender sind (man denke besonders an die Außenpolitik) und die Bereiche ja ineinandergreifen, war sie natürlich nach wie vor in der Lage, auch gegen die Bundesbank oder an ihr vorbei zu handeln. Auf die zwei bedeutsamsten Fälle, in denen das geschah, muss jetzt noch eingegangen werden: die deutsche und die europäische Währungsunion.

Das Europäische Währungssystem, das 1979 in Kraft getreten war und mit dem die Regierung ihre Position gestärkt hatte, bestand nach dem Regierungswechsel weiter. Es bewährte sich sogar als eine Art Beistandspakt der EG-Länder gegen die neuen Turbulenzen des globalen Devisenmarktes. Doch die Bundesbank blieb in dieser neuen, für sie zunächst weniger günstigen Lage nicht untätig, sondern nutzte sie, um nun ihre Dominanz in der EG auszubauen, und zwar zusammen mit der deutschen Exportindustrie. Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Bundesbank ging also auf der europäischen Ebene weiter! Nur waren es jetzt die meisten anderen europäischen Regierungen, die sie führen mussten, weil ihnen die deutsche Tradition des Vorrangs der Geldwertstabilität und einer derart selbstherrlichen Zentralbank durchaus fremd war. Dennoch hat es die Bundesbank verstanden, ihre Stabilitätspolitik in der EG sehr weitgehend durchzusetzen. Einmal schon dadurch, dass sie von vornherein nur eine beschränkte Pflicht zur Intervention zugunsten schwächerer Währungen anerkannte. (Dt. Bundesbank 1998: 337f.) Zum anderen dadurch, dass sie im Fall einer Intervention jeweils dafür sorgte, dass das Geld im Innern knapp blieb. So blieb der "Stabilitätsvorsprung" der DM immer gewahrt und trieb die anderen zur Anpassung. (Huffschmid 2002: 155f.) Entsprechend wurde die Inflation in Europa zwar gebremst, aber zugleich blieb das Wachstum gegenüber dem Japans und der USA zurück und die Arbeitslosigkeit stieg. Von daher - und nicht nur als Krönung des gemeinsamen Binnenmarktes - ist es zu verstehen, dass 1988 das Projekt einer Europäischen Währungsunion wieder auftauchte und ein Ausschuss unter dem damaligen Kommissionspräsidenten Delors für sie einen Fahrplan vorlegte: Die politische Einbindung der Bundesrepublik in die EG, die auf eine Einbindung der EG in die Wirtschaft der Bundesrepublik hinauszulaufen drohte, sollte nun auch in dieser Hinsicht vervollkommnet werden. Der Hauptverlierer bei der Umsetzung des Delors-Plans wäre natürlich die Bundesbank gewesen, denn sie hätte ihre hegemoniale Rolle sowohl in Deutschland als auch in der EG eingebüßt. (vgl. Schulmeister 1997: 299) Es war nicht zu erwarten, dass sie das hinnehmen würde.

Differenzen zwischen Kohl-Regierung und Bundesbank beim DDR-Anschluss

Hinzu kam aber gerade Ende 1989, dass sich die deutsche Wiedervereinigung abzeichnete, also eine Verstärkung auch des politischen Gewichts der Bundesrepublik. Daher erhöhte Frankreich den Druck, eine europäische Währungsunion zu vereinbaren und hat (höchstwahrscheinlich) seine Zustimmung zur Wiedervereinigung von der deutschen Zustimmung zu ihr abhängig gemacht. Nur wenn man um die unterschiedlichen Interessen von Regierung und Bundesbank weiß, wird es begreiflich, weshalb Kohl sich auf diesen Deal mit Frankreich eingelassen hat. Denn das war für ihn die Stunde der Politik, nicht die der Vermögensverwalter. Er tat aber noch ein Übriges, um die Bundesbank zu brüskieren: Gegen den geballten Sachverstand nicht nur der Bundesbank, auch der meisten wirtschaftswissenschaftlichen Institute und Gremien beschloss das Bundeskanzleramt Anfang Februar 1990, den Ostdeutschen schon im selben Jahr die DM anzubieten.

Welch verheerende Folgen diese überstürzte Währungsunion für Ostdeutschland haben musste, war damals schon vielen klar und hat sich dann bestätigt. Die schlagartige Aufwertung der Währung um rund 400% führte zum Verlust der Exportmärkte und der Exportindustrie. Denn erstens mussten die Abnehmer jetzt in DM zahlen, was sie in Osteuropa meist nicht konnten. Zweitens bekamen die Exportunternehmen für ihre Ware nun statt vier DDR-Mark eine DM, mussten jedoch die gleichen Löhne wie vorher in DM zahlen, sodass von Gewinnen keine Rede mehr sein konnte. Drittens kam es zu einer entsprechenden Abwertung ihres Produktivvermögens, denn der Verkehrswert hängt vom Gewinn ab, der mit einem Vermögen erzielt werden kann; mit anderen Worten, die Unternehmen konnten auch nur zu einem Spottpreis oder gar nicht verkauft werden. Andrerseits gab es nach der Währungsunion auch beim Absatz im Inland tiefe Einbrüche, nicht nur, weil die Ostdeutschen jetzt viel Westwaren haben wollten, sondern weil die ostdeutschen Produzenten nun den Importen der weit produktiveren westdeutschen Konkurrenz gnadenlos ausgeliefert waren. Diese Konkurrenz wurde auf die Betriebe losgelassen, ohne dass auch nur im geringsten für eine gewisse Chancengleichheit gesorgt war. Es hat aber keinen Sinn, einen Weltmeister und einen Fußkranken in ein Wettrennen zu schicken. Indem Ostdeutschland so mit der währungs- und exportstarken Bundesrepublik vereinigt wurde, konnte es nur Verlierer sein. Das war sozusagen die dümmste Art, eine nationale Wiedervereinigung politisch zu gestalten.

Umso dringlicher stellt sich für uns die Frage, wie dieser Schritt denn gerechtfertigt werden konnte. (vgl. dazu auch Richter 2002: 106ff.) Denn wir wollen ja erkunden, welche Handlungsmöglichkeiten die Politik unter den vielbeschworenen Sachzwängen der Globalisierung noch hat. Und obwohl wir die Bundesbank als Repräsentantin dieser Sachzwänge eingestuft haben, sind wir in diesem Fall geneigt, eher ihrem Urteil zuzustimmen als dem der Regierung. Denn sie hatte ja betont, dass die Währungsunion erst am Ende einer ökonomischen Angleichung stehen könnte. Da die Wiedervereinigung aber genau umgekehrt ins Werk gesetzt wurde, liegt der Schluss nahe, dass die Politik zwar noch sehr viel Eigenständigkeit demonstrieren kann, aber bloß in ganz abenteuerlicher Weise und mit dem Ergebnis eines am Ende umso eindeutigeren Scheiterns! Wie hat sie also ihr Vorgehen gerechtfertigt? Der eigentliche Grund war wohl die ideologische Befangenheit dieser Politik: das neoliberale Vorurteil, dass es zwischen Marktwirtschaft und staatlicher Steuerung keinen Mittelweg geben könne. Daher musste der Bruch mit dem Plansystem so radikal wie möglich sein, und es konnte gar nicht mehr unterschieden werden zwischen ihm und seinem wirtschaftlichen Potenzial andrerseits: Indem das eine beseitigt werden sollte, musste auch eine weitgehende Zerstörung des anderen in Kauf genommen werden. Die monetaristische Variante dieser Theorie lieferte dann den Optimismus des Wiederaufbaus. Denn der Monetarismus besagte ja, dass Wachstum und Beschäftigung sich von allein einstellen würden, wenn nur die Geldwertstabilität gesichert sei; dass daher die Politik sich auf deren Sicherung beschränken solle und darüber hinaus nur störend für die wirtschaftliche Entfaltung sei. Also konnte es doch nur gut sein für das Aufblühen der ostdeutschen Wirtschaft, wenn der Staat aus ihr in exemplarischer Weise verschwand und sie die Geldwertstabilität gleichsam geschenkt bekam: ein Eldorado für Investoren! Genau diesen Glauben verkündete der Kanzler jedenfalls in seiner bekannten Ansprache zum Inkrafttreten der Währungsunion (Stichwort "blühende Landschaften").

Wenn das nun die Meinung der Regierung war, dann stellt sich allerdings die Frage, weshalb es überhaupt zum Streit mit der Bundesbank kam. Denn war das nicht genau die Lehre, die die Bundesbank schon lange vertreten hatte? War es demnach nur eitles Kompetenzgerangel, als sie sich gegen die Regierungspolitik gestellt hatte? Richtig ist, dass der Bundesregierung trotz der völlig neuen Situation der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes nichts anderes einfiel als das, was im Westen inzwischen verbreitete Meinung war. Dass das womöglich auch nur für den Westen galt (und nicht einmal für den ganzen Westen), lag außerhalb ihres Horizonts. Es ging also um eine rasche "Gleichschaltung" des Ostens. Damit wurde der Monetarismus aber zu einem Instrument der Außenpolitik, während die Bundesbank offenbar der Auffassung war, dass die Außenpolitik umgekehrt der Logik der Wirtschaft folgen müsse, wenn der Anschluss an den Westen gelingen sollte. Diese Logik besagte aber, dass die Geldwertstabilität erst dann zum obersten Prinzip werden könne, wenn die elementaren marktwirtschaftlichen Bedingungen dafür erfüllt waren. Mit anderen Worten der Monetarismus war für sie keine Theorie nachholender wirtschaftlicher Entwicklung. Und es war kein besonderes Einfühlungsvermögen in die Probleme des Ostens, das sie zu dieser Auffassung brachte, sondern eine ganz schlichte Überlegung: Bei einer Erweiterung ihrer Währungsverantwortung um ein Gebiet mit bloß einem Drittel der Produktivität des Westens musste sie eine Aufweichung der harten DM befürchten.

Es gab also sehr wohl einen Streitpunkt zwischen Regierung und Bundesbank. Die Regierung folgte zwar brav der allgemeinen Philosophie der Bundesbank. Das war aber eine Philosophie für hochentwickelte Marktwirtschaften, um in der Währungskonkurrenz zu bestehen. Weil die Bundesbank das natürlich selber am besten wusste, erwartete sie von der Regierung angesichts der besonderen politischen Situation, die eingetreten war, nicht bloß das Echo ihrer eigenen Stimme, sondern etwas anderes: ein Konzept zur Überführung einer Plan- in eine Marktwirtschaft. Das hatte die Regierung aber offenbar nicht. Die Bundesbank wiederum war dafür nicht zuständig und konnte nur ihre Vorbehalte äußern. Das tiefere Problem ist jedoch, ob die Regierung unter der Vorherrschaft der Bundesbank überhaupt ein solches Konzept hätte haben und durchsetzen können! Und ob die Erwartung der Bundesbank ihr gegenüber überhaupt ernstgemeint war! Wenn es primär um Geldwertstabilität geht - und darin waren sich ja beide einig -, dann kann es gar nicht gleichzeitig um nachholende Entwicklung gehen, es sei denn, man wäre zunächst bei zwei Staaten und Regierungen geblieben. Das zeigte sich auch sehr bald. Denn die Bundesbank folgte zwar brav der Strategie der Regierung, vergaß aber dabei keineswegs, ihre Zuständigkeit wahrzunehmen, und zwar mit einer Härte, die noch diejenige von Anfang der 1980er Jahre übertraf. Sie erhöhte nämlich von 1990 bis 1992 den Diskontsatz schrittweise auf 8,75%, den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik! Die Rechtfertigung war natürlich die aufgrund der zunehmenden Staatsverschuldung und des Wiedervereinigungsbooms drohende Inflation;[1] die Konsequenz war jedoch, dass die Bankzinsen auf 11,3% stiegen und die Zinslast der Unternehmen gegenüber der Zeit vor der Vereinigung um 80% anschwoll. (Schulmeister 1997: 301) Wie sollten unter diesen Kreditbedingungen die notwendigen Investitionen für den "Aufschwung Ost" zustande kommen? Das Einzige, was ökonomisch für die schnelle Währungsunion sprach, nämlich die Attraktivität der stabilen DM für Investoren, wurde so von der Bundesbank wieder zunichte gemacht. Es sah fast so aus, als wollte sie Rache üben an der Bundesregierung, die sie übergangen hatte, und den Beweis liefern, dass deren Strategie der Wiedervereinigung eben falsch war. In Wirklichkeit tat die Bundesbank freilich nur ihre Pflicht als Repräsentantin der globalen Währungskonkurrenz. Und dabei kam heraus, dass die nationale Einheit unter den Bedingungen der Globalisierung nur verbunden mit ökonomischer Spaltung zu haben war.

Maastricht

An dieser Stelle müssen wir aber auch das Thema Europa wiederaufnehmen, denn die Hochzinspolitik der Bundesbank hatte noch einen weiteren Effekt: Sie trug mit (wenn nicht sogar hauptsächlich) dazu bei, dass das Europäische Währungssystem 1992 in die Krise geriet und 1993 endgültig zusammenbrach. Das war aber das Stück politische Solidarität, das die Europäer auf diesem wichtigen Feld Ende der 1970er Jahre immerhin erreicht hatten! Auch hier könnte man von einer späten Rache an der Regierung Schmidt reden, die das System ja gegen den Willen der Bundesbank mit Frankreich zusammen auf den Weg gebracht hatte. Der Hintergrund seines Endes war zunächst, dass andere europäische Länder während des deutschen Vereinigungsbooms gerade eine Rezession durchmachten, aber ihre Währungen nicht abwerten konnten, weil sie an die DM gekoppelt waren. Die Künstlichkeit der auf diese Weise aufrechterhaltenen Währungsrelationen wiederum regte die Spekulation derart an (besonders beim Pfund und der Lira), auf Abwertung zu setzen, dass es schließlich auch dazu kam; und zwar in einem Ausmaß, dass die vereinbarten Schwankungsbreiten nicht mehr einzuhalten waren. (Man erinnere sich, dass der Investmentbanker George Soros damals seinen größten Coup landete.) Man darf das wohl als eine Machtdemonstration der Bundesbank interpretieren, denn Anfang 1992 war der Vertrag von Maastricht unterzeichnet worden, der die Europäische Währungsunion und damit ihre Entmachtung in Aussicht stellte. Dabei hatte die Bundesbank in den Verhandlungen allerdings schon so viele Zugeständnisse herausgeholt, dass die geplante Europäische Zentralbank im Grunde als ihre Wiederauferstehung in neuer Gestalt gelten konnte. Sie sollte dieselbe Autonomie genießen wie die Bundesbank, aber nun gegenüber den Regierungen aller Euroländer, auch denjenigen, die diese Tradition bisher nicht kannten. Wie die Bundesbank sollte die EZB allein auf das Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet sein, nicht auf Wachstum, Beschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Hinzukam die Forderung an die beteiligten Länder, die so genannten Konvergenzkriterien einzuhalten, 1997 noch verschärft durch den Stabilitätspakt. Dies bedeutete aber eine Politik, die jedenfalls tendenziell jede Stimulierung der Binnennachfrage ausschloss, weil sie ja auf einen ausgeglichenen Haushalt zielte.

Blickt man auf die Geschichte der Europäischen Währungsunion zurück, so gewinnt man wie bei der deutschen Währungsunion den Eindruck, dass die Politik zwar noch Großes beginnen, aber nichts mehr vollenden kann. Heraus kommt immer etwas ganz anderes oder gar das Gegenteil des Gewollten: bei der deutschen Vereinigung eine Vertiefung der ökonomischen und sozialen Spaltung, bei der Europäischen Währungsunion weniger ökonomische Dynamik und eine Vereitelung der politischen Union.

Dabei war der Weg, den die Politik unter Helmut Schmidt eingeschlagen hatte, doch durchaus plausibel: zu internationalen Regulierungen zu kommen, um der längst transnational operierenden Wirtschaft gewachsen zu sein. Aber genau daran, dass die Wirtschaft immer schon einige Schritte weiter war, ist sie offenbar gescheitert.

Scheitern von Lafontaines Vorstoß für eine regulierte Weltwährungsordnung

Es ist immer noch bemerkenswert, dass es in der letzten Phase der Verwirklichung der Europäischen Währungsunion in den wichtigsten Ländern der EU zu Regierungswechseln kam: In 13 von 15 EU-Ländern regierten 1998 Sozialdemokraten bzw. Mitte-Links-Koalitionen! War die überwältigende Hinwendung zur Sozialdemokratie nicht als eindeutiger Auftrag der Bürger zu verstehen, dem Diktat der globalen Märkte, denen die bürgerlichen Parteien gefolgt waren, endlich ein anderes Europaprojekt entgegenzusetzen? Der Kampf zwischen Regierungs- und Zentralbankpolitik konnte nun auf der Ebene wiederaufgenommen werden, auf der er zunächst mit einem Sieg der letzteren geendet hatte.

In der Tat kam es sofort nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 zu einem informellen EU-Gipfel der Neuen im österreichischen Pörtschach, auf dem eine ganze Reihe von Alternativen zur bisherigen Orientierung der EU erörtert wurde. In Bezug auf das Verhältnis von Geld- und Wirtschaftspolitik waren die wichtigsten:

Erstens: Einrichtung eines "makroökonomischen Dialogs" zwischen EZB, Kommission, Rat und Tarifpartnern, um die Verselbständigung der Geldpolitik zu überwinden. Diese Koordinierungsrunde wurde im Juni 1999 in Köln auch institutionalisiert, hat jedoch bisher so gut wie keine praktischen Konsequenzen gehabt. Ganz abgesehen von den späteren politischen Veränderungen konnte sie auch keine haben, wenn sich am Status der EZB nichts änderte.

Zweitens: Eine Forderung, die damals schon erhoben und dann von den damaligen deutschen und französischen Finanzministern Lafontaine und Strauss-Kahn wiederholt wurde, war die nach niedrigeren Leitzinsen. Die Antwort von EZB-Präsident Duisenberg war: "Es ist ganz normal, dass Politiker hin und wieder ihre Auffassung über die Zinspolitik der Währungshüter äußern. Aber es ist ebenso normal, dass wir nicht darauf hören." (Lafontaine 1999: 214) Der Vorwurf der Medien lautete, Zinssenkungen würden den Euro schwächen. Dabei kam freilich der Widerspruch zum Vorschein, dass die EZB für den Außenwert der Währung offiziell gar nicht zuständig ist (sondern der Euro-11-Rat bzw. der Ecofin-Rat), aber natürlich mit ihrer Zinspolitik auf ihn Einfluss nimmt. Die EZB hat dann zwar angesichts der weiterhin schwachen Konjunktur im Dezember 1998 und April 1999 doch Zinssenkungen vorgenommen, aber zu dem von Lafontaine intendierten "Paradigmenwechsel" in der Geldpolitik ist es nicht gekommen.

Drittens: Der wichtigste Vorschlag, der in Pörtschach schon diskutiert und vom deutschen Finanzministerium dann konkretisiert wurde, betraf die auswärtige Währungspolitik der EU, die sich bisher ganz im Fahrwasser der USA bewegt hatte. Sie sollte endlich mit einer eigenständigen Orientierung auftreten. Und da die Währungspolitik eben vom Ecofin- bzw. Euro-11-Rat gemacht wird und nicht von der EZB, war das von vornherein eine Infragestellung der Macht der Zentralbank und wäre die Initiative wieder auf die Regierungen übergegangen. Es war von nunmehr europäischer Ebene aus der gleiche Schritt, den Helmut Schmidt einst gegenüber der Bundesbank mit dem Aufbau des EWS getan hatte.

Worum ging es inhaltlich? Allgemein um die Umsetzung einer Forderung, die schon im Berliner Programm der SPD steht: Da die Internationalisierung der Märkte für Kapital- und Geldanlagen die nationalen Möglichkeiten zur Steuerung der kapitalistischen Ökonomie vermindert habe, müsse eine "demokratisch kontrollierte internationale Währungsordnung" angestrebt werden. Konkreter ging es um eine Verbesserung der globalen Währungszusammenarbeit mit dem Ziel, stabilere Kurse zu erreichen. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, und jede von ihnen ist nicht bloß gut gemeinte Idee, sondern auch schon in Ansätzen praktiziert worden.

1. Ad-hoc-Kooperation der großen Notenbanken zur Korrektur extremer Kursentwicklungen. Das ist in gewissem Umfang immer wieder geschehen. Der bekannteste größere Fall war das so genannte Plaza-Abkommen von 1985, mit dem die (damaligen) G5 in gemeinsamer Intervention eine Dollarabwertung erreichten.

2. "Kontrollierte Wechselkursflexibilität": Die Finanzminister und Notenbankchefs der G7 sammeln wechselkursrelevante Informationen, werten sie aus, interpretieren sie öffentlich und erläutern ihre eventuell notwendigen Interventionen. Diese den Markt eher begleitende, allerdings permanente globale Zusammenarbeit hatte das deutsche Finanzministerium beim G7-Treffen 1999 vorgeschlagen (Filc 2001: 214f.).

3. Freilich war Lafontaine noch einen Schritt weitergegangen und hatte vorgeschlagen, feste Zielzonen für die Kursschwankungen zwischen den großen Drei zu vereinbaren. Die Aufregung darüber zeugte vom kurzen historischen Gedächtnis oder dem geschwundenen Selbstvertrauen der Europäer. Denn was war das anderes als die Übertragung des EWS-Modells auf den globalen Kontext? Allerdings haben wir gesehen, dass das EWS von der Bundesbank zunächst nicht gern gesehen wurde, dann unter ihre Hegemonie geraten war und schließlich, als die Kosten der Hegemonie zu groß wurden, von ihr nicht mehr mitgetragen wurde. Von daher war zu erwarten, dass die EZB, die nun an ihre Stelle getreten war, sich auf eine solche umfassendere Kooperation auch nicht einlassen würde. Einmal, weil sie mit den großen Zentralbanken hätte kooperieren müssen, mit denen sie doch gerade konkurrierte. Musste der neue Euro nicht erst einmal stark gemacht werden und gegenüber der Leitwährung Dollar Marktanteile erobern? Dass die EZB nur auf die Wertstabilität im Innern verpflichtet ist, bedeutet ja nicht etwa, dass ihr der Außenwert des Euro gleichgültig ist, es bedeutet vielmehr währungspolitischen Unilateralismus, d.h. Vernachlässigung der internationalen Stabilität. Nur in extremen Notsituationen wird sie zugunsten anderer Währungen intervenieren. - Zum anderen musste ihre Kooperationsbereitschaft deshalb gering sein, weil sie ja jetzt mit gleichrangigen Partnern hätte zusammenarbeiten müssen, also die Chance, wie beim EWS eine Hegemonie zu erlangen, gering war.

Damit ist schon ein erster wesentlicher Grund für das Scheitern Lafontaines genannt: die im Vergleich zur Bundesbank im Grunde noch stärkere Stellung der EZB und das in ihr verkörperte Interesse, den Euro als eine zweite Leitwährung neben dem Dollar zu etablieren. Was Schmidt noch gelang, weil die Bundesbank wenigstens ein gewisses hegemoniales Interesse mit dem EWS verband, das konnte Lafontaine mit seiner Idee globaler Währungskooperation nicht gelingen, weil die EZB in ihr nicht den geringsten Nutzen für sich erkennen konnte.

Ebenso mussten sich natürlich die Währungspolitiker in den USA durch den deutschen Vorstoß irritiert, wenn nicht gar belustigt fühlen. (Wolfgang Filc hat das arrogante Desinteresse von Laurence Summers, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Finanzminister unter Clinton, anschaulich geschildert, vgl. Filc 1999: 18) Zwar hatten sie Währungskooperation ja selber durchaus praktiziert (Plaza-Abkommen 1985, "umgekehrtes" Plaza 1995), aber nur "ad hoc", in einer extremen Situation. 1998/99 herrschte jedoch gerade eine für die USA außergewöhnlich günstige Situation! Der Dollarkurs stieg nach dem Louvre-Accord (Währungsstabilisierungsabkommen 1987 in Paris) ständig, das Kapital strömte in die Vereinigten Staaten und führte zu einem so wunderbaren Boom, dass man von einer krisenfreien New Economy träumte. Zwar wirkte die Asienkrise noch nach (besonders in Russland und Brasilien), aber das war doch für die USA kein Problem, sondern eine Lösung! Im Rausch der New Economy befangen, war der Glaube der Marktapostel auch außerhalb der USA gerade von allen Selbstzweifeln frei. Auf der Siegerstraße wird man sie aber kaum dazu bringen, doch auf die Verlierer ein wenig Rücksicht zu nehmen. Insofern war der Zeitpunkt des deutschen Vorstoßes denkbar ungünstig, und der Kollege von Filc unter den Stellvertretern der Finanzstaatssekretäre der G7 hatte sicher Recht, als er einmal für währungspolitisches Umdenken die "optimale Finanzkrise" als eine solche in den USA definierte, "die dort das Land unter Wasser setzt, den Rest der Welt dagegen unbehelligt lässt". (Filc 1999: 91)

Aber selbst wenn wir eine Krisensituation in den USA annehmen, wie sie ja zwei Jahre danach auch eintrat, so wäre erstens der Rest der Welt von ihr zwangsläufig mitbetroffen und zweitens Kooperation als Dauereinrichtung für die amerikanische Politik immer noch ausgeschlossen, weil auf dem chaotischen Charakter des Weltfinanzmarktes ja ganz wesentlich ihre Hegemonie beruht. Was Lafontaine und seine Getreuen versucht hatten, war also nicht weniger als ein Frontalangriff auf diese Hegemonie, freilich mit so schwachen Kräften, dass dabei höchstens ein symbolischer Akt herauskommen konnte, wenn nicht bloß eine Lächerlichkeit. Eine institutionalisierte Zusammenarbeit auf diesem Gebiet war von den USA auch deshalb überhaupt nicht zu erwarten, weil sie ihrer Tradition gemäß solche Zusammenarbeit generell, auf allen wichtigen Gebieten zu vermeiden suchen, und zwar nicht nur, um ihre Handlungsfreiheit als einzige Supermacht zu erhalten, sondern noch grundsätzlicher: weil das amerikanische Rechtsdenken (jedenfalls seit der Reagan-Restauration) Kategorien wie die einer universalen Rechtsordnung gar nicht eigentlich verstehen kann! (vgl. Haller 2002)

Nun wäre der Angriff auf die US-Hegemonie immerhin etwas wirkungsvoller gewesen, wenn der deutsche Finanzminister wenigstens die Finanzminister der EU und anderer wichtiger Länder auf seiner Seite gehabt hätte. Das war aber nur scheinbar der Fall, wie Lafontaines Mitstreiter bald erkennen mussten: "Wir interpretierten entsprechende Äußerungen des französischen Finanzministers Dominique Strauss-Kahn und des japanischen Finanzministers Kiichi Miyazawa als klare Zustimmung zu unserer Konzeption. Dabei nahmen wir nicht genügend zur Kenntnis, dass beide Finanzminister sofort den Rückzug anzutreten bereit sind, wenn sie registrieren, dass keine Zustimmung der USA und Großbritanniens zu gewinnen ist. Alles versteckte sich hinter Oskar Lafontaine, seine Mitstreiter aus anderen Ländern gingen bei jedem Gegenwind sofort von der Fahne." (Filc 1999: 102; vgl. auch Dräger 2003: 200ff.)

Der Eindruck ist demnach, dass alle schließlich vor den USA gekuscht haben und nur die Deutschen mutig blieben. Aber das ist ein zumindest unvollständiges Bild der Lage. Was Filc nicht erwähnt, aber zweifellos auch eine Rolle gespielt hat, war die Skepsis der anderen Europäer gegenüber der neuen deutschen Politik. Konnte diese Politik denn nach dem, was die Deutschen bisher vertreten und den anderen ja aufgenötigt hatten, überhaupt ernstgemeint sein? Da hatten die anderen sich nun unter großen Schmerzen den Maastrichtkriterien, dem Stabilitätspakt und der EZB gebeugt, jetzt jedoch sollte plötzlich an der EZB vorbei eine ganz neue Richtung eingeschlagen werden! Gerade die Franzosen hatten sich gebeugt aus dem Motiv heraus, einmal dem Dollar Paroli bieten zu können, jetzt aber sollte es plötzlich um Währungskooperation gehen! War das nicht eine geradezu abenteuerliche Kehrtwende der Deutschen?

So schien es, nur stand ja, wie wir wissen, nicht einmal der Bundeskanzler hinter dieser Politik - der Grund des Scheiterns, der am bekanntesten ist. So konnte man in "Die Zeit" vom 11.3.1999, genau am Tag von Lafontaines Rücktritt, lesen: "Wer Reformen will, so die Verbände-Logik, muss Lafontaine über die ›Bande Schröder‹ ins Aus schießen." Die Rivalität zwischen beiden war also nur das Mittel, um eine gefährliche politische Konzeption loszuwerden. Schröders Konzeption dagegen hielt sich im gewohnten Rahmen. Weil das Bundeskanzleramt darauf bedacht war, die Kontinuität der bisherigen deutschen Politik und ihre europäische Führungsrolle in ökonomischer Hinsicht aufrechtzuerhalten, musste es die Auffassung vertreten, "dass jede Kooperation in Währungsfragen zwischen Ländern immer nur zu Lasten Deutschlands gehe." (Filc 1999: 108) Denn das war, wie wir gesehen haben, die Meinung der Bundesbank seit dem Ende von Bretton Woods. Und hatte die DM etwa durch Währungskooperation oder nicht vielmehr durch Währungskonkurrenz ihre Stärke erlangt? Würde es also mit dem Euro anders sein?

Eine zweite Chance für Re-Regulierung?

Es scheint, dass die Lage für einen Vorstoß à la Lafontaine heute günstiger, allerdings zugleich dramatischer ist. Der Finanzcrash, der zu erwarten war, hat stattgefunden und zu großen Vermögensverlusten auch in Europa geführt. Das Leistungsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung der USA steigen weiter und werden das Vertrauen in den Dollar untergraben. Entsprechend hat der Euro an Attraktivität gewonnen. Die USA können die Währungskonkurrenz nur noch gewaltsam mit Hilfe von Ressourcenkriegen bestehen. Der republikanische Kongressabgeordnete Ron Paul (Texas) vor dem US-Repräsentantenhaus im Februar 2006: "Militärmacht, welcher wir uns erfreuen, wird zu der Deckung unserer Währung ... Am wichtigsten ist, dass die Dollar-Öl-Beziehung aufrecht erhalten wird, um ihn als überragende Währung zu sichern. Jeder Angriff auf diese Beziehung wird machtvoll beantwortet werden - wie es immer schon geschehen ist." (in: Wissenschaft und Frieden 3/2006: 2) Es gibt darüber hinaus Anzeichen dafür, dass der deregulierte Weltfinanzmarkt seine Bedeutung für die amerikanische Hegemonie verliert und die neoliberale "Globalisierung" überhaupt historisch an ihr Ende gelangt. Wenn an ihre Stelle nicht definitiv ein neuer Imperialismus treten soll, dann kommt es darauf an, dass Europa die Währungskonkurrenz nicht auf die Spitze treibt, um den Dollar womöglich zu verdrängen und mit dem Euro selber von den Vorteilen ("Regalien") einer Leitwährung profitieren zu können, sondern dass es das Angebot einer anderen, in politischer Zusammenarbeit gestalteten Weltfinanzordnung macht. Die Vorschläge dazu liegen seit langem auf dem Tisch, im Grunde schon seit dem Keynes-Plan von 1944. Das ist dann nicht mehr eine Sache der EZB, sondern eine des Ministerrats, der Regierungen. Dass sie in diesem Sinne das letzte Wort behalten, darauf hätte die europäische Linke zu dringen.

Literatur
Abelshauser, W. (2004): Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München
Arndt, H. (1996): Zur Frage der Legitimität der Europäischen Zentralbankautonomie, in: Maurer, A./Thiele, B. (Hrsg.): Legitimationsprobleme und Demokratisierung der EU, S. 208-228, Marburg
Deutsche Bundesbank (Hrsg.) (1998): Fünfzig Jahre Deutsche Mark, München
Dräger, K. (2003): Eine Heilige Allianz der Modernisierer? Die EU nach dem Scheitern des Mitte-Links-Projekts, in: Beckmann, M. u.a. (Hrsg.): Euro-Kapitalismus und globale politische Ökonomie, S. 196-219, Hamburg
Ehrenberg, H. (1999): Raus aus der Krise, Bonn
Filc, W. (1999): Mitgegangen, mitgehangen. Mit Lafontaine im Finanzministerium, Frankfurt a.M.
Filc, W. (2001): Gefahr für unseren Wohlstand, Frankfurt a.M.
Haller, G. (2002): Grenzen der Solidarität, Berlin
Hankel, W. (1992): Dollar und ECU, Frankfurt a.M.
Huffschmid, J, (2002): Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg
Laeman, J. (2005): Warum Thatcherismus auf Deutsch nicht geht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 10, S. 1195-1206
Lafontaine, O. (1999): Das Herz schlägt links, München
Richter, E. (2002): Eine zweite Chance? Die SPD unter dem Druck der Globalisierung, Hamburg
Rodemer, H./Dicke, H. (2000): Globalisierung, Europäische Integration und internationaler Standortwettbewerb, Baden Baden
Scharpf, F. (1987): Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa, Frankfurt/New York
Schulmeister, S. (1997): Euro-Projekt - Selbsterhaltungsdrang der Bundesbank, in: WSI-Mitteilungen, Heft 5, S. 298-309
Wissenschaft und Frieden, Heft 3/2006, Bonn

Edelbert Richter, Dr. theol., 1994-2002 MdB (SPD), Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Weimar. Letzte Buchveröffentlichung: "...dass die Macht an sich böse ist". Eine Aktualisierung von Jacob Burckhardt, Hamburg 2006.

[1] Der Gegensatz der Bundesregierung zur Bundesbank bestand natürlich auch darin, dass sie sich mit ihrer Schuldenfinanzierung der Einheit faktisch keynesianisch verhielt, freilich ohne sich dazu zu bekennen.

aus: Sozialismus Heft 10-2006.