Verlorene Gelassenheit. Eine Genealogie der Integration

Die Geschichte des deutschen Migrationsregimes als Geschichte der Kämpfe

"Die Auseinandersetzungen, die uns, den westlichen Gesellschaften, bevorstehen, werden beides sein: rassistische Unruhen und soziale Kämpfe zugleich"
(FAZ vom 16. Dezember 2005, 39).

Es scheint eine gewisse Gelassenheit in den Diskurs um Integration gekommen zu sein. Ein Kopftuch zu viel oder am falschen Ort, zu wenig deutsches Reden auf dem Schulhof oder ein Film, der die Gemüter erhitzt: Rasch findet sich jemand, der die Sache wieder zur Ruhe bringen will und ein Chor stimmt 'Integration' an. Darunter sind unterschiedliche Töne, aber es geht sowieso eher um den gefühlten Konsens: zwischen denen, die dazu gehören sollen und denen, die das erlauben wollen.

Es gibt aber auch welche, die dem Integrationsparadigma nicht folgen wollen und bezweifeln, dass die jeweilige Form von Gesellschaften danach zu konzeptualisieren wäre, inwiefern sie in der Lage sind, eine Balance von staatlichen, ökonomischen und sozialen Maßnahmen herzustellen, um mit Prozessen von Einwanderung umzugehen, sie zu regulieren und MigrantInnen Schritt für Schritt zu integrieren. Zu Recht weisen sie auf die Asymmetrien hin, die qua Integration als staatlichem Imperativ immer wieder reproduziert werden.

Was aber wenn wir die Debatte um Integration als eine unangemessene Form nehmen, über Ausbeutung und Rassismus zu sprechen? Gerade diese Unangemessenheit kann als ein Ausgangspunkt dienen. Ich möchte eine Sicht vorschlagen, die sich erst ergibt, wenn das "Auftauchen der Integration" genealogisch in die Vergangenheit zurück verfolgt wird. Dieses Auftauchen soll hier für die Bundesrepublik Deutschland nachgezeichnet werden. Dabei nimmt die Genealogie ihren Anfang bevor Integration überhaupt staatliches Thema wird und seine Subjekte zu erfassen beginnt. Sie beginnt mit den Kämpfen der Migration.

Kämpfe der Migration

Es gehört zu einem der Effekte von Migrationsbewegungen, Konfliktfelder auf dem Terrain des "national-sozialen Staats" (Balibar) zu eröffnen und zu etablieren. Die Kämpfe der Migration der 1960er und 1970er Jahre lassen sich in drei große Felder unterteilen, die zu einer massiven sozialen und politischen Transformation beigetragen haben: Die Praktiken der Einwanderung müssen selbst als soziale Bewegung interpretiert werden, insofern sie eine Autonomie gegenüber den staatlichen Migrationspolitiken entfaltet haben. Der Beitrag der MigrantInnen zu den Arbeitskämpfen hat grundlegend zur Krise der fordistischen Gesellschaftsform beigetragen und öffnete die enge Perspektive der Betriebskämpfe hin zu sämtlichen Lebensverhältnissen der Migration, hin zu Alltag und Reproduktion, zu Sprache und Kultur und nicht zuletzt hin zu den Wohnverhältnissen, die neben der Fabrik den entscheidenden Kristallisationspunkt migrantischer Kämpfe bildeten. MigrantInnen ergänzten in wilden Streiks die Forderungen nach höheren Löhnen um allgemeine Fragen der Arbeitsorganisation; sie machten die miserablen Wohnverhältnisse in Baracken und die Vorenthaltung ihres privaten Lebens in Wohnheimen zum Thema; von ihnen gingen die ersten Hausbesetzungen und Mietstreiks aus; sie legten die Arbeit wegen des unzumutbaren und überteuerten Essens in den Kantinen nieder; mit der Losung "1 Mark mehr für alle" machten sie lineare Lohnforderungen zur Basis für die Überwindung von Spaltungen innerhalb der Betriebe; sie gründeten Zentren, in denen sie Veranstaltungen zur Gesundheits- und Rechtsberatung organisierten; sie kämpften gegen die Reduktion des Kindergelds; sie wandten sich gegen Zuzugsperren in einigen Gebieten der Bundesrepublik; sie unterliefen den Anwerbestopp durch undokumentierte Einwanderung und legten die Familienzusammenführung großzügig aus; sie organisierten Bleiberechtskämpfe und setzten temporäre Legalisierungen durch; sie brachten die Benachteiligung ihrer Kinder bei der Bildung und die hohe Arbeitslosigkeit unter migrantischen Jugendlichen zur Sprache und nicht zuletzt widersetzten sie sich den rassistischen Anfeindungen, in dem sie in vielen dieser Kämpfe die institutionelle Grenze zwischen "Deutschen" und "Ausländern" in Frage stellten und das Gemeinsame in den Auseinandersetzungen fanden und erfanden. In diesen Auseinandersetzungen eröffnete sich zugleich eine neue Ausgangslage für ihre politische Organisierung, denn sie behaupteten immer wieder die Freiheit der politischen Betätigung, die durch das Streik- wie das Ausländerrecht eingeschränkt ist.

In mehrfacher Hinsicht bedeutet das Jahr 1973 einen Einschnitt für diese hier kurz umrissenen Kämpfe der Migration und für die sozialen und politischen Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland. Die Einwanderung erwies sich trotz Anwerbeverträgen als schwer regulierbar, der migrantische Massenarbeiter hatte rassistische Unterdrückung und Ausbeutung in Arbeits- und Wohnkämpfen in Frage gestellt und die Rekuperation erfolgte nun an verschiedenen Fronten: Die Grenzen wurden mit dem Anwerbestopp in den bisherigen Modi geschlossen und das Migrationsregime neu strukturiert, Arbeitsprozesse wurden reorganisiert und der Arbeitsmarkt neu segmentiert. Die Forderungen der Kämpfe um Bildung und Wohnverhältnisse, die Selbstorganisierungen in Fragen von Recht und Gesundheit sollten im staatlichen Imperativ der Integration zum Stillstand gebracht werden, der rassistische Diskurs, hatte er zuvor vorwiegend exotisierende und paternalistische Züge angenommen, drückte sich nun aggressiv, ausschließend und in die Migrantengruppen hierarchisierenden Statements aus.

Einwanderung und Bürgerschaft

Die Einwanderung der MigrantInnen hatte Fakten geschaffen, die es notwenig machten ihren Rechtsstatus zu verändern. Die Debatten drehten sich zunächst um Kosten und Nutzen der Arbeitsmigration. Schon während der Rezession von 1966/67 begann eine Diskussion darüber, ob die langfristigen sozialen Kosten der Arbeitsmigration den unmittelbaren privatwirtschaftlichen Nutzeffekt für die Unternehmen nicht übertrafen. Zwischen 1968 und 1973 stieg die Zahl der MigrantInnen von 1,014 auf 2,595 Mio. an. Die Infrastrukturkosten der Migration gerieten immer mehr in den Vordergrund; befürchtet wurde, dass es zu sozialen Unruhen kommen könnte (vgl. Herbert 2001, 235). Für das Jahr 1973, also für jenes Jahr, in dem es die meisten von MigrantInnen initiierten und mitgetragenen Arbeitskämpfe gab, lässt sich zeigen, wie die Debatten um die angeblich zu große Anzahl an Ausländern in Deutschland, und die Behauptung, dass damit die Infrastrukturprobleme Deutschlands zusammenhingen (zu wenig Kindergarten- und Schulplätze, Wohnungen) zum "Aktionsprogramm Ausländerbeschäftigung" führen. Das Aktionsprogramm erschwerte eine Beschäftigung von "ausländischen Arbeitnehmern" für die Unternehmen, indem die Vermittlungsgebühr erhöht wurde. Unter dem Deckmantel der Hilfeleistung für MigrantInnen und deren "angemessener Eingliederung" sollte die erhöhte Vermittlungsgebühr für die Förderung von sprachlichen und beruflichen Bildungsmaßnahmen genutzt und außerdem die von den Unternehmen bereitzustellenden Unterkünfte strenger überprüft werden. Das "Aktionsprogramm Ausländerbeschäftigung" sah zudem einen Kampf gegen "illegale Beschäftigung" vor und der Zuzug in so genannte überlastete Siedlungsgebiete - nach der damaligen Definition Stadtviertel mit einem "hohen Ausländeranteil" - sollte nach bundeseinheitlichen Vorgaben von der "Aufnahmefähigkeit der sozialen Infrastruktur" abhängig gemacht werden. "Ausländerbeschäftigung", so die Grundannahme des Aktionsprogramms, sei für das Entstehen gesellschaftlicher Konflikte verantwortlich.
Die Arbeitslosenrate des Jahres 1973 lag zwar unter der von 1955, dem Jahr des ersten Anwerbeabkommens, und die meisten Unternehmen vermeldeten auch in den folgenden Jahren weiterhin Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Aber trotz allem Druck, den die Arbeitgeber auf die Behörden und Ministerien ausübten, wurde am 23. November 1973 der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) initiierte Anwerbestopp verhängt. Die Regierung legitimierte den Anwerbestopp als politische und ökonomische Notwendigkeit zur Verhinderung möglicher konjunktureller Einbrüche in der Zukunft. Bis Mitte der 1970er Jahre versuchte die Bundesregierung zunächst durch eine Reihe juristischer Maßnahmen ArbeitsmigrantInnen zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder gar zu nötigen. Eine Serie neuer Auflagen bei der Aufenthaltsgewährung führte zur Verdrängung einer großen Zahl von MigrantInnen aus der Bundesrepublik und zielte zudem auf die Abschottung gegenüber den Migrationsbewegungen.

Neben einem auf höchstens drei Monate Aufenthalt befristeten Touristenvisum oder einem Antrag auf Asyl, war nun der Zuzug auf der Grundlage des Gesetzes zur Familienzusammenführung die einzige legale Möglichkeit, nach dem Anwerbestopp in die Bundesrepublik einzureisen, was MigrantInnen großzügig auszulegen versuchten. Eine Reihe von staatlichen Praktiken sollte dieser Praxis entgegenwirken: Diskriminierungen etwa in der schulischen Erziehung, im Wohnungssektor, beim Kindergeld oder im Bereich der medizinischen Versorgung, die in den Kämpfen der Migration zur Sprache gebracht worden waren, verschlechterten die Bedingungen der Familienzusammenführung. Mit allen erdenklichen Mitteln wurde versucht, einen dauerhaften Aufenthalt von AusländerInnen zu verhindern. Ausweisung von MigrantInnen, die in Betriebs- oder Wohnkämpfen aktiv gewesen waren, war übliche Praxis. Darüber hinaus sollte die "Entlastung des Arbeitsmarkts" durch eine Reihe von Instrumentarien ermöglicht werden. In Fällen, wo der Inländerprimat Geltung hatte, verlängerten Behörden die Arbeitserlaubnis nicht. Lief das Arbeitslosengeld aus, wurde die Aufenthaltserlaubnis entzogen und die Ausweisung bei Annahme von Sozialhilfe war sowieso Regel (außer bei EWG-Ausländern).

Rechtlich war durch den Anwerbestopp und die repressiven Maßnahmen zur Verhinderung des dauerhaften Aufenthalts der "Gastarbeiter" abgeschafft. In der Folge etablierte sich auch diskursiv - etwa in den Debatten des Bundestages - eine neue Kategorie, nämlich die des "Ausländers" (vgl. Morgenstern 2002, 252 ff). Der größte Teil jener, die länger als fünf Jahre in der Bundesrepublik waren, erhielten mit einer Veränderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom Oktober 1978 eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis, die ihren Status weniger prekär gestaltete. Im gleichen Jahr änderte sich auch die Arbeitserlaubnisverordnung, sodass AusländerInnen nach achtjährigem Aufenthalt eine unbefristete Arbeitserlaubnis erhielten. Mit dieser Rekuperation, die einige der MigrantInnen zu "Ausländern" machte, andere zur Rückkehr in die Herkunftsländer nötigte oder in die Illegalität zwang, wurde rechtlich ein ausschließender Einschluss installiert. Darüber hinaus kam es bis Ende der 1970er Jahre zur weiteren Klassifizierung und Hierarchisierung von AusländerInnen, die nicht nur durch die Länge und den Status des Aufenthalts, durch den Abschluss einer Schul- oder Ausbildung in der Bundesrepublik oder durch Deutschkenntnisse differenzierte. Auch Kategorien konturierten sich deutlicher, wie etwa EG-Staatsbürger, "Illegale" und "Flüchtlinge", wobei letztere immer stärker in den Vordergrund der gesetzlichen Restriktionspraxen traten.
Die Rekuperation der Kämpfe der Migration fand in hohem Maße durch Versuche der Abschottung statt. Dies war nur möglich, weil anders als etwa in den Kämpfen des Feminismus, MigrantInnen als "Ausländer" nicht Teil der national strukturierten Gesellschaft sind und somit die staatliche Disposition eine solche repressive Form annehmen konnte. Der Versuch, die national homogene Integrität der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, musste sich aber den Herausforderungen durch die Kämpfe der Migration und der faktischen Einwanderungssituation stellen, die Teile des Territoriums bereits eingenommen hatten. Die neuen Bürgerrechte sortieren die politische Zugehörigkeit und tragen zugleich die Spuren der Kämpfe der Migration und der Aneignung von Rechten in sich. Mit der Einwanderung und in den sozialen Auseinandersetzungen erzwangen MigrantInnen eine Transformation des politischen Systems, stellten durch ihre soziale Praxis die formale Institution und Beschränkung der Bürgerrechte infrage. Diese Dimension der Bürgerrechte als soziale Praxis forcierte eine sich vollziehende Transformation des politischen Systems.

Die rechtliche Reorganisation hatte für MigrantInnen besondere Konsequenzen. Es ging für diese nun auch darum, den Aufenthalt unter den neuen rechtlichen bzw. entrechteten Bedingungen auch in ökonomischer Sicht anders zu sichern. Der rechtlich prekäre Status der migrantischen Arbeitskräfte korrelierte mit ihrer sozialen Position bzw. mit ihrer Position im Produktionsprozess. Die migrantischen ArbeiterInnen waren de facto qua Prekarisierung zu einem festen Bestandteil des Arbeitsmarktes geworden. Ein großer Teil bildete das untere Segment der industriellen Arbeiterklasse und verfügte obendrein nicht über die gleichen und vollen Bürgerrechte. Der Status "Ausländer" und die damit verbundenen neuen Bürgerrechte untermauerten rechtlich, politisch wie ideologisch den weiterhin temporär begrenzten bzw. jederzeit begrenzbaren Charakter des Aufenthalts. Dieses neu instituierte Verhältnis von Inrechtsetzung und Entrechtung regulierte eine neu konstituierte, ethnisierte Klasse. Repression und Integrationsforderungen dienten zur Kontrolle dieser Klasse. Zugleich war es möglich, nicht nur die internationale, sondern auch die sektorale Mobilität innerhalb der Produktion zu begrenzen. Das hatte Effekte auf die Zusammensetzung der Arbeiterklasse und die Haushaltsstrukturen. Veränderungen im Produktionsprozess, wie etwa die Automatisierung und Informatisierung des Produktionsprozesses, strukturelle Erwerbslosigkeit, langfristige Prekarität, illegale Beschäftigung, Zwang zur Mobilität und Teilzeitarbeit etc. charakterisierten die Transformation ebenso wie die Krise der Institutionen des Wohlfahrtsstaats und der Familie, die zentrale Bedeutung für die Reproduktion der Arbeitskraft hatten. Arbeitslosigkeit, die MigrantInnen durchschnittlich stärker betraf, so sie nicht in die Herkunftsländer "exportiert" werden konnte, rief ökonomische Unternehmungen auf den Plan. Um den Aufenthalt trotz Entlassungen zu sichern, machten sich im Verlauf der 1970er Jahre viele MigrantInnen selbstständig, gründeten Gewerbe wie Änderungsschneidereien, Lebensmittelgeschäfte, Export/Import-Läden, betrieben Handel, eröffneten Buchläden, Restaurants und Cafés. Die neue Selbstständigkeit verknüpfte für einen Teil der MigrantInnen den Willen, in der Bundesrepublik zu bleiben, mit der Hoffnung, ökonomisch erfolgreich zu sein und auf diese Weise den Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt zu entkommen. Für einen anderen Teil stellte sie die Möglichkeit dar, der Arbeitslosigkeit auszuweichen und auch noch Familienmitglieder und Freunde in die teilweise informellen Arbeitsverhältnisse einzubinden. So entstand zugleich eine migrantische Infrastruktur, die die Ebene des Alltags und der alltäglichen Praktiken einschloss. In diesem Zusammenhang erweiterten sich die in der Migration ausgebildeten sozialen Netzwerke und Solidaritätszusammenhänge. Diese Netzwerke unterstützten unter anderem jenen Teil der Einwanderung, der in die Illegalität verdrängt wurde - was sowohl jene, die ohne Papiere eingereist waren, wie jene, die ihren Aufenthaltsstatus verloren hatten, betreffen konnte. Die in die Illegalität verdrängten verdingten sich mehrheitlich auf Baustellen, in der Landwirtschaft, im Dienstleitungsbereich, d.h. im Gaststättengewerbe, in der Hausarbeit oder in der Gebäudereinigung.

Imperativ der Integration

Der sich in den 1970er Jahre etablierende Integrationsbegriff fand nachdrücklich Verwendung im Bereich der Stadtpolitik. Zentral für die damalige Vorstellung war das Bild von "Ausländerghettos", in denen sich Konflikte und Problemlagen anhäuften oder zusammenballten, die sich als sozialer "Sprengstoff" notwendigerweise irgendwann "entladen" müssten, falls keine staatlichen Interventionen erfolgten. Auf Dauer, so die Grundannahme, dürfe kein Teil der Bevölkerung außerhalb der staatlichen Gemeinschaft stehen, weil sonst der "innere Friede" bedroht sei. Der strukturellen Segregation von MigrantInnen wurde eine Sprengkraft zugeschrieben, die es mit Hilfe von Integrationspolitik zu entschärfen gelte. Dabei operierte man vornehmlich mit einem Bedrohungsszenario, das eine Warnung an die Mehrheitsbevölkerung implizierte: Gelänge es nicht, die Ausländer zu integrieren, seien zukünftig gesellschaftliche Konflikte unvermeidbar. Im Kern ging es um die Vermeidung von sozialen Unruhen und den Erhalt der sozialen Kontrolle. Die Auflösung von "Ausländerghettos" galt als Bedingung und Voraussetzung für eine gelungene Integrationspolitik (vgl. Bojadžijev/Ronneberger 2001). Eine drastische Berichterstattung über Ghettos, Verwahrlosung und Kriminalität in den deutschen Städten begleitete und unterstützte diese Szenarien, wie etwa der Schwerpunkt "Gettos in Deutschland" in der Zeitschrift "Der Spiegel" vom 30. Juli 1973 dokumentiert.

Zur Voraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Familienangehörige und zu ihrer Verlängerung im Rahmen der Regelung des Familiennachzugs erhöhte die damalige sozialliberale Regierung die vorgeschriebene Quadratmeterzahl pro Ausländer im öffentlichen Wohnungssektor auf 12 qm. Auch für MigrantInnen, die Wohnungen auf dem privaten Wohnung gemietet hatten, galt der Nachweis einer solchen "ordnungsgemäßen und zureichenden Wohnung" (vgl. Morgenstern 2002, 250). Von 1975 bis 1977 wurde diese Verordnung mit der bereits erwähnten Zuzugsquote für MigrantInnen in "überlasteten Siedlungsgebieten", auch "Ballungsgebiete" genannt, kombiniert (vgl. Samp 1978b, 4). Bereits im September 1972 hatte ein ressortübergreifendes Planungsteam der Stadt Berlin ein Modell für die Ausländerpolitik unter dem Titel "Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien" erarbeitet. Vorgesehen war ein "bedarfsorientiertes Integrationsmodell", das den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt zunächst durch deutsche und erst dann durch ausländische Arbeitskräfte gedeckt sehen wollte, letztere sollten unter "Erhaltung (...) der allgemeinen Sicherheit und Ordnung" eingegliedert werden.
Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Gewerkschaften und Kirchen unterstützten Integrationspolitiken, und übten öffentlich Druck auf Parteien aus, administrative Konsequenzen aus der - wie es nun hieß - "faktischen Einwanderungssituation" zu ziehen. Zeitgleich gab es massive Bestrebungen seitens verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, das Postulat aufrecht zu erhalten, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Einerseits ging es darum, Einwanderung auf keinen Fall zu institutionalisieren, andererseits wurden mit der Forderung nach Anerkennung der "faktischen Einwanderung" auch die Forderungen nach politischen Maßnahmen zur Integration der Eingewanderten stärker. Diese Positionen artikulierten sich im öffentlichen Diskurs in den Parolen von "Eingliederung ja" und "Einwanderung nein". "Eingliederung auf Zeit" lautete schließlich die breit geteilte Formel, die es zuließ, die Option auf eine Rückkehr in die Herkunftsländer beizubehalten und zeitgleich die zur Sicherung des "sozialen Friedens" als notwendig erachteten Integrationsmaßnahmen zu legitimieren. Da die Ära der "Gastarbeiterbeschäftigung" verabschiedet worden war, stellte "Integration" den gesellschaftlichen Kompromiss dar, der politisch zwischen ökonomischen Interessen, die weiterhin auf die Beschäftigung von "ausländischen Arbeitnehmern" drangen, und nationalistischen Tendenzen, die jede weitere Einwanderung verhindern wollten, geschmiedet werden konnte. Aufrechtzuerhalten war mit diesem Kompromiss die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland und könne auch nie eines werden.

Integration wird Ende der 1970er Jahre zum Imperativ. Die soziale, nicht rechtliche Integration stellt sich als Fortschritt, Emanzipationsakt, als Gewährung eines Rechts dar. Zugleich suggeriert die Annahme einer so genannten kulturellen oder nationalen Identität der MigrantInnen, ihre Integration bleibe immer oberflächlich und unvollständig. Der Erhalt der kulturellen Identität in Kombination mit der Vorenthaltung von Rechten deutet zumindest an, dass MigrantInnen letztlich das Bleiberecht verweigert werden sollte und ihre Rückkehr perspektivisch anzuvisieren ist, was die Formel "Integration auf Zeit" letztlich bedeutet. Der Begriff Ausländer markiert zudem, dass es sich um einen Bevölkerungsteil handelt, der zwar in Deutschland lebt, aber nicht Teil der deutschen Gesellschaft ist. Die Vorstellung der kulturellen Identität, die sich in diesen Aussagen bereits artikuliert, findet später im Konzept des Multikulturalismus seine Ausarbeitung.

Integration bezeichnete im Kontext der ausländerpolitischen Maßnahmen der 1970er Jahre eine Rekuperation der Widerstandspraktiken und Kämpfe der MigrantInnen. Selbstverständlich lässt sich der Imperativ der Integration nicht schematisch als funktionale Politik, als schlichte "Antwort" des Staates auf die Kämpfe verstehen. Es lassen sich aber zahlreiche Hinweise dafür zusammentragen, dass in den MigrantInnen tatsächlich zunehmend eine politische und soziale Gefahr gesehen wurde. Es galt, diese entweder zu integrieren und zu befrieden oder sie auszuweisen. Integration und Abschottung/Ausschließung sind so zu den tragenden Pfeilern der Ausländerpolitik ausgebaut worden. Beide Aspekte - Integration und Abschottung - wurden in Form einer Drohung verknüpft: Integration könne nur gewährleistet werden, wenn der Anwerbestopp aufrechterhalten bliebe, denn Deutschland könne "einen weiteren Zustrom ausländischer Arbeitnehmer nicht verkraften" (zit. Morgenstern 2002, 257). Trotz der genannten Veränderungen im Migrationsregime und aller Maßnahmen der Abschottung und Verdrängung verringerte sich während der 1970er Jahre die Zahl der MigrantInnen insgesamt jedoch keineswegs, sondern erhöhte sich. Von 1973 bis 1979 blieb die Zahl der ausländischen Wohnbevölkerung stabil und nahm ab 1979 zu, so dass 1980 offiziell 1 Million mehr AusländerInnen in Deutschland lebten als noch 1972, also vor dem Anwerbestopp (Fathi 1996, 28). Bei diesen Zahlen muss außerdem beachtet werden, dass MigrantInnen ohne Papiere darin nicht berücksichtigt sind. In dieser Hinsicht sind letztlich alle staatlichen Abschottungsbemühungen fehlgeschlagen. Die in der Migration aufgebauten sozialen Netze waren offenbar in der Lage, weitere Einwanderung zu organisieren.

Rekuperation

Benannten MigrantInnen in ihren Kämpfen die Ausschlussmechanismen ihrer Kinder aus dem nationalen Schulsystem, so taucht dies als Maßnahme zur Prävention möglicher zukünftiger "Konfliktherde" im Integrationsforderungskatalog wieder auf. Diesmal aber umgekehrt zur Artikulation in den Kämpfen der Migration: Es geht nicht mehr um ein Recht auf Bildung, sondern um die Pflicht der so genannten zweiten Generation, sich sprachlich, kulturell und "staatsbürgerlich" für ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu qualifizieren. Kämpften MigrantInnen in den Mietstreiks um angemessene Wohnverhältnisse, taucht dies in der administrativen Verordnung, ein Wohnraum von mindestens 12 qm pro Person müsse zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis gewährleistet werden, repressiv und restriktiv wieder auf. Forderten MigrantInnen eine soziale Infrastruktur zur Artikulation und Repräsentation ihrer "Bedürfnisse", schlägt sich dies in den 1970er Jahren in der institutionalisierten Form der "Ausländerpädagogik" nieder, die "Ausländer" als neues Klientel funktionalisiert.

Das Dispositiv der Integration desartikuliert die kollektiven Ansprüche, verschiebt sie hin zu individuellen Anpassungsleistungen der MigrantInnen und reduziert sie auf Infrastrukturprobleme, denen am besten mit Rückkehrförderung beizukommen sei. Vor allem aber ist die Forderung nach gleichen Rechten im Dispositiv der Integration vollständig absorbiert. Auf die Fragen, die sich in den Kämpfen artikuliert haben, gibt das Dispositiv durch deren Reinterpretation entgegengesetzte Antworten und übersetzt die Forderung nach Kollektivrechten in individuell zu erbringende Leistungen. Die Bevölkerung erscheint auf dubiose Weise neu homogenisiert, Rechte und Pflichten scheinen neu verteilt. Dennoch bauen sich Asymmetrien erneut auf. Die ungleichen sozialen Positionen der verschiedenen "Partner" korrespondieren mit dem Grad, nach dem ihnen politische und soziale Rechte vorenthalten bleiben. Das Recht, zumal es im Begriff der Integration vermittelt ist, kann so zwar niemals vollständig suspendiert sein, bleibt aber unrealisiert und daher seine Suspension ständig virulent. Die Einbettung in den nationalen Rahmen administrativer und zivilgesellschaftlicher Maßnahmen hat zu einer Stillstellung dieser Konjunktur autonomer Kämpfe der Migration beigetragen. Ausschließung und Integration drängten den möglichen Widerstand in den Hintergrund. In der Kompromissformel der Integration hat sich die in den Fabriken thematisierte Spaltung der Arbeiterklasse längst zu institutionalisieren begonnen. Die langsame Entstehung des staatlichen Integrationsdispositivs seit dem Beginn der 1970er Jahre trennt die MigrantInnen vom historischen Prozess der Migration. Zugleich kann es als Versuch gedeutet werden, die Geschichte und Erinnerung jener Arbeitergeneration zu zerstören, die antirassistische Forderungen erhob und Erfahrungen im Kontext der Betriebskämpfe gemacht hatte. Die Kämpfe der Migration konnten niemals vollständig stillgelegt werden. Sie sollten fortan und in einem neuen Anlauf andere Wege finden, den Restriktionen der Einwanderungsgesetze und Aufenthaltsbedingungen, der Reorganisation des Produktionsprozesses und den rassistischen Diskriminierungen im Alltag zu begegnen. Ihre Geschichte, so weitgehend unbekannt wie sie bisher geblieben ist, kann als Bestandteil der heutigen Situation gelten, sie gehört bereits zu unserer Erfahrung.

Exzessive Migration

Für die Kämpfe der Migration bedeutet dies, sich aus einer Logik der Modernisierung und der Integration herauszulösen, die geprägt ist von der Vorstellung der ethnisch homogenen Gesellschaft, die zur Einwanderungsgesellschaft wird. Migrationsbewegungen sperren sich konstitutiv und immer wieder aufs Neue einer Einverleibung in eine nationalstaatliche Gemeinschaft. Sie sind als eine soziale Bewegung zu verstehen, die die Grenzen einer bestimmten Form sozialer Integration sichtbar macht und herausfordert. Eine solche Perspektive ermöglicht es, MigrantInnen nicht mehr als eine Ausnahme zu fassen, die im besten Fall auf dem Weg zur Erlangung der vollen Bürgerschaft ist. Die Kämpfe der Migration zeigen historisch, dass es keinesfalls nur darum geht, Bürger zu werden - sie beharren darauf, es bereits zu sein.

Wenn es stimmt, dass gegenwärtig die Formen politischer Repräsentation in die Krise geraten sind, bietet der heute beliebte Imperativ der Integration es gerade zu an, jene Reste "demokratischer Freuden" zu verwerten, die noch zur Verfügung gestellt werden und die der Transformation der Demokratie hin zum Konsensuellen entsprechen (Vgl. Rancière 2002). Es ist deshalb richtig, auf die Asymmetrien aufmerksam zu machen, die der Imperativ der Integration immerzu reproduziert, ebenso wie es weiterhin um die politische Emanzipation, die Forderung nach Bürgerschaft gehen muss. Die Kritik an der Integration kann aber nicht abstrakt sein. Wir müssen vielleicht erkennen, dass gerade in der heutigen Situation, in der Demokratie immer weniger politische Repräsentation und immer mehr Konsens meint - der Imperativ der Integration einer Anmaßung gleichkommt, während in den Praktiken der Integration eine große Herausforderung liegt, das Konzept der Bürgerschaft neu zu bestimmen. Hier liegt das Ende der Gelassenheit.

In einem Artikel zur "Judenfrage" von 1843 hatte Karl Marx notiert, dass ihn nicht so sehr interessiere, wer emanzipiert werden soll oder wer emanzipiert, sondern es vielmehr darum ginge, von welcher Art die Emanzipation sein soll. Wir sollten diese Frage wieder aufgreifen.

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