Erfolg! Erfolg! Erfolg!

Editorial

Erfolg zu haben oder besser erfolgreich zu sein, ist eine der höchsten Maximen im kapitalistischen Wettbewerb. Sie gilt für Individuen bei der Positionierung auf dem Arbeitsmarkt, für Unternehmen im "Kampf" gegen "gegnerische" Unternehmen und letztlich auch für ganze Staaten. Allein die dem Sport entlehnte Metaphorik von Wettkampf, Gegnern und Siegen macht deutlich, dass es beim Erfolg immer auch Gewinner und Verlierer gibt. Es gibt die Erfolgreichen und die loser, die für ihr Verlieren selbst die Schuld tragen, da sie nicht genügend trainiert, nicht fit genug waren. Wenn wir der Spielrhetorik folgen, dann muss auch gesagt werden, dass Erfolg bestimmten Regeln folgt, die gesetzt wurden. Kurz: Erfolg ist immer relativ, da bezogen auf je spezifische Erfolgskriterien, die ebenso wie Rationalitätskriterien variieren können: von der Profitmaximierung bis zur spirituellen Erfüllung. Das verbindet Erfolg mit Entwicklung, die ebenfalls anhand von bestimmten Parametern gemessen wird, welche letztlich einem Konsens darüber entspringen, was Entwicklung sei. Erfolgreiche Entwicklung ist daher ganz abstrakt die möglichst punktgenaue Erfüllung von Parametern, die im Konsens zwischen den relevanten Institutionen und Expertennetzwerken definiert wurden. Nach konventionellem oder, wenn man will, hegemonialem Verständnis besteht solcher Erfolg in der Annäherung einer Volkswirtschaft an das (jeweilige, da historisch ebenfalls Wandlungen unterworfene) OECD-Profil; Entwicklung meint unter diesem Vorzeichen die Zurichtung der "Entwicklungsländer" auf den OECD-dominierten Weltmarkt. Schon die Aufnahme Südkoreas, vor allem aber Mexikos in die OECD machte deutlich, dass solchen Bewertungen - durch die "Erfolg" bei Entwicklung gleichsam aktenkundig gemacht wurde - zumindest mit Vorsicht zu begegnen ist. Schließlich verrät ein etwas längerfristiger Blick auf die Geschichte nachholender Entwicklung, dass Erfolg durchaus flüchtig sein kann und keineswegs zwangsläufig dauerhaft ist. Erinnert sei an die Position Argentiniens, wo in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg dem Anschein nach durchaus eine eigenständige Volkswirtschaft entstanden war und das in der Folgezeit einen dramatischen Abstieg erlebte. Gegenwärtig zieht vor allem der spektakuläre Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte in Ost- und Südostasien - allen voran inzwischen Chinas - die Aufmerksamkeit von Entwicklungsplanern und derjenigen auf sich, die sich noch immer damit beschäftigen, so etwas wie Entwicklungstheorie zu entwerfen. Auch die Asien-Krise der späten 1990er Jahre konnte dieser Euphorie nichts Ernstliches anhaben, scheint es doch, als sei die pessimistische Prognose, nachholende Entwicklung sei postkolonialen Gesellschaften grundsätzlich verstellt, durch diese Erfahrungen endgültig widerlegt. Die Redaktion der Peripherie wollte daher auf den Vorschlag reagieren, sich doch einmal gründlicher mit solchen Erfolgsgeschichten auseinander zu setzen, jedoch keineswegs im Sinne des öfters bemühten Spruchs: "Herr Kästner, wo bleibt das Positive?" Auf dieser Schiene haben Kritikaster entsprechende Rückfragen ja seit etwa 80 Jahren leichthin abgewehrt. Allerdings verstehen wir die Aufgabe kritischer Wissenschaft auch nicht darin, positive oder negative Wertungen zu erarbeiten und hoffentlich einleuchtend zu begründen. Eher muss es in der Auseinandersetzung mit dem als "Moderne" bezeichneten Prozess darum gehen, dessen Ambivalenzen aufzuzeigen und dazu beizutragen, sie besser zu verstehen. In diesem Sinne können bei einer kritischen Analyse so genannter Erfolgsmodelle grundsätzlich zwei Verfahren angewendet werden. Zum einen kann innerhalb des hegemonialen, volkswirtschaftlichen Paradigmas gefragt werden, ob der oftmals angedichtete Erfolg auch den eigenen Kriterien standhält. Zum anderen kann ein alternativer Kriterienkatalog angelegt werden, der auch andere Sichtbarkeiten produziert. Oft werden damit Ungleichzeitigkeiten in Themenfeldern wie Armut, Ökologie, Gender oder Demokratisierungsprozessen anvisiert, die in den gängigen Wirtschaftsmagazinen unsichtbar bleiben. Gewiss wäre es verfehlt, die Augen vor den beeindruckenden Wachstumszahlen im Fernen Osten oder vor den dramatischen ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu verschließen, die darin zum Ausdruck kommen. Ähnliches gilt für Transformations- und Transitionsprozesse sowohl auf sozioökonomischer wie auf im engeren Sinne politischer Ebene in anderen Regionen der Welt, wobei Chile und Südafrika zu den am meisten beachteten Paradigmen gehören dürften. Große asiatische Länder, allen voran Indien, scheinen unmittelbar vor dem Nachvollzug der südostasiatischen Erfahrungen zu stehen. Zudem scheint Armut nicht unbedingt politische Instabilität nach sich zu ziehen, wie etwa das Beispiel Tansanias zeigt, das unter diesem Gesichtspunkt auch als Erfolgsfall analysiert und zugleich als nochmals deutlicher Hinweis verstanden werden könnte, dass Erfolg im genauen Sinn relativ ist. Es besteht daher keinerlei Anlass, die kritische Perspektive auch auf die dramatischen aktuellen Veränderungsprozesse aufzugeben, vielmehr ist es wichtig, insistierend nach Widersprüchen und Ambivalenzen zu fragen, die ihnen innewohnen. Dass es sich bei den globalen Transformationen um kapitalistische Entwicklung handelt, ist dabei vielleicht trivial, aber angesichts der Diskurse, die sich auf wirkliche oder scheinbare Erfolge beziehen, eben keineswegs banal. Es überrascht jedenfalls nicht, wenn einige der beobachtbaren Konsequenzen sich ehestens in diesen Rahmen einordnen lassen. Dabei stechen gerade auch bei den "Erfolgsmodellen" sich verfestigende Ungleichheiten ins Auge, die gerade "Erfolgschancen" benachteiligter Gruppen und Regionen vereiteln. Die regionalen Disparitäten in China, aber etwa auch in Brasilien sind ebenso wohlbekannt wie ihre Tendenz, im Verlauf beschleunigter kapitalistischer Entwicklung nicht nivelliert, sondern verschärft zu werden. Auch öffnete sich mit den Modernisierungsprozessen eine Bresche zwischen Reichen und Armen, die auch bei anhaltendem Erfolg - siehe das Beispiel Chile - nicht geschlossen werden konnte. Vor diesem Hintergrund gilt es, verstärkt auch nach den Modalitäten zu fragen, wie sich diese Spannungen darstellen und wie sie verarbeitet - oder aber an den Rand gedrängt werden. Ökologische Zerstörungen, für die der Drei-Schluchten-Staudamm am Yangtze nur ein symbolträchtiges Beispiel darstellt, sind eine weitere wichtige Dimension dieser Problematik. Gleiches gilt für soziale Folgen, aber auch für die detailliertere Analyse von dem Anschein nach erfolgreichen Entwicklungsmodellen im Hinblick auf die Verschiebung und Reproduktion von gesellschaftlicher Herrschaft und Ungleichheit. Eine wesentliche Dimension sind schließlich die Auswirkungen von Erfolgen nationalstaatlicher Entwicklung für die Regionen, in denen sie stattfindet, vor allem die Verstärkung regionaler Hegemonie und die Auseinandersetzung mit dieser Problematik auf der Ebene globaler, aber auch nationaler Entwicklungskonzepte. Teile dieses umfassenden Problemkomplexes werden in den folgenden Beiträgen schlaglichtartig beleuchtet. Dabei werden zugleich die angedeuteten unterschiedlichen Zugangsweisen deutlich. Die Überlegungen und Berichte von der Hinterseite der Modernisierung in China, die Lau Kin Chi bewusst unter das Motto "Unzeitgemäße Betrachtungen" stellt, beziehen sich vorab auf unterschiedliche Diskurse, mit denen in China Modernisierung als Provokation und Chance schon über das 20. Jahrhundert hinweg aufgenommen wurde und in denen heute Rückständigkeit als Problem der ländlichen Regionen, der Armen und von Frauen definiert wird. Dem stellt die Autorin verschiedene, nicht immer erfolgreiche Ansätze und Versuche entgegen, Selbstbestimmung und eigenständige Rationalitäten gegenüber dem oft als übermächtig erscheinenden, an westlichen Modellen orientierten Modernisierungsprojekt von Staat und Partei zur Geltung zu bringen. Vor dem Hintergrund des neoliberalen Entwicklungsmodells, dessen Erfolge gerade in Chile häufig herausgestellt wurden, analysiert Wigbert Flock auf der Grundlage einer qualitativen empirischen Studie die Situation urbaner Volkssektoren. Während statistisch erfasste Armut in den letzten anderthalb Jahrzehnten bei gleichzeitig anhaltender sozialer Polarisierung rückläufig war, sind, wie Flock nachweist, die Möglichkeiten von Armen und Angehörigen der Unterschichten zur Selbstorganisation und sozialen Vernetzung ebenso wie zu öffentlicher Artikulation ihrer Anliegen einschneidend erodiert. Gegenüber diesen Perspektiven gleichsam von der Unterseite aktueller Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse her nehmen Hans Löfgren und Prabodh Malhotra eine makroökonomische Perspektive ein. Wie sie zeigen, beruhte der Erfolg der indischen Pharmaindustrie bei der Versorgung des eigenen Landes vor allem mit Generika, aber auch bei der Bildung von Großunternehmen vorwiegend auf klassischen protektionistischen Maßnahmen, verbunden mit der Lockerung des Patentrechtes für die Nachahmung ausländischer Produkte. Die Deregulierung des Welthandels besonders auf dem Gebiet der TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) stellt nicht die Existenz der indischen Großunternehmen in Frage, bezieht sie aber stärker als vorher in eine weltweit agierende, profitorientierte Branche ein, für die die medizinische Versorgung der übergroßen Mehrheit noch deutlicher als während des nationalistisch inspirierten Industrialisierungsschubs von nachrangiger Bedeutung ist. Ebenfalls auf das Schwerpunktthema dieses Heftes zielen zwei Diskussionsbeiträge. Claudia von Braunmühls Replik auf einige Artikel in Peripherie 100 weist deren aus Sicht der Autorin allzu pessimistische Perspektive auf die Entwicklungszusammenarbeit zurück. Dagegen dekonstruieren Srilatha Batliwala und Deepa Dhanraj, zwei Erfolgsmythen über Geschlechterpolitik: zum einen die Annahme ökonomischen Empowerments von Frauen durch Mikrokreditprogramme, zum zweiten die Annahme politischen Empowerments durch Partizipation an politischen Institutionen und Bildung einer "kritischen Masse". Sie zeigen, wie diese Gender-Mythen von neoliberalen, politischen und religiös fundamentalistischen Kräften instrumentalisiert werden und einen neuen Typus von weiblicher Citizenship schaffen. Mit einem Thema, das deutlich quer zum Schwerpunkt dieses Heftes steht, befasst sich Johannes Harnischfeger: Die erdölreiche Region im Nigerdelta kann als beispielhaft dafür gelten, wie Ressourcenreichtum zu ökologischen ebenso wie zu sozialen und politischen Krisen führt. Im konkreten Fall artikulieren sich diese Krisen vor allem auch in Form von ethnischen Mobilisierungen bis hin zu Sezessionsbewegungen, auf die der Zentralstaat bisher keine Antwort finden konnte. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund gewaltsamer staatlicher Repression zeichnet sich nach deren Ende eher das Bild der Anomie als der Selbstbestimmung ab. Die militärische Zuspitzung des Nahost-Konfliktes hat die Fertigstellung dieses Heftes begleitet. Der Krieg ist auch zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Editorials noch nicht zu Ende. Während des Drucksatzes wurde indes eine Waffenruhe vereinbart, deren Dauerhaftigkeit abzuwarten bleibt. Der Kommentar von Alexander Flores kann und will eine eingehende Analyse nicht ersetzen, aber doch deutlich machen, wie wenig militärisches Vorgehen die Probleme der Region einer Lösung näher bringen kann. Er macht zugleich einmal mehr die Bedeutung eines nicht nur regionalen Konfliktes deutlich, zu dem die Auseinandersetzung auch in den kommenden Heften der Peripherie systematischer geführt werden soll.

Aus: PERIPHERIE Nr. 103: "Erfolg! Erfolg! Erfolg!", 26. Jg. 2006, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 251-254

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