Standard Oil und Adolf Eichmann

Der geheime Pakt der Erdölindustrie mit den Nazis.

Der Prozess gegen Adolf Eichmann Anfang der 60er Jahre war ein Schlüsselereignis in der Verarbeitung deutscher nationalsozialistischer Vergangenheit. Deutsche Zeitungen schrieben ausführlich darüber, auch das Fernsehen berichtete, teilweise live. Besonders die Generation, die im Krieg geboren war, erfuhr zum ersten Mal ausführlich über die Verbrechen der Nazis.
Um die Vorgeschichte ranken sich fast mythische Geschichten, israelische Geheimdienstleute beschrieben ausführlich wie sie Eichmann aufspürten, festnahmen und in einer abenteuerlichen Aktion von Argentinien nach Israel entführten.

Die Journalistin Gaby Weber, die seit mehr als 20 Jahren in Lateinamerika lebt (derzeit in Buenos Aires), hat nun in einem außerordentlichen Radiofeature die Hintergründe, Begleitumstände der Festnahme und Überstellung Eichmanns nach Israel untersucht.

Laut Gaby Webers Recherchen hat nicht der israelische Geheimdienst Mossad Eichmann entführt, sondern eine Gruppe von Freiwilligen, unter ihnen William Mosetti, ein Amerikaner italienischer Herkunft. Dabei enthüllt sie weitläufige Verstrickungen multinationaler Konzerne wie Standard Oil und Daimler-Benz mit dem NS-Regime.

Gaby Webers Text zeigt in stringenter Weise komplexe Verflechtungen auf. Trotzdem: "Es sind noch so viele Fragen offen", schreibt Gaby Weber, "ich denke, wir alle müssen Druck machen und uns nicht mit der albernen Version des Mossad abfinden. Die ganze Problematik ist zu wichtig, als daraus Geschäfte zu machen."

Am 15.Dezember 1961 verurteilt ein israelisches Gericht Adolf Eichmann, der die Deportation Hunderttausender in die nationalsozialistischen Vernichtungslager organisiert hatte, aufgrund seiner Verbrechen gegen das jüdische Volk und die Menschheit zum Tod.
Viel wurde geschrieben über Eichmann, und bisher glaubte man darüber alles, fast alles zu wissen, denn drei Mossad-Agenten, unter ihnen der Chef des Geheimdienstes Isser Harel, hatten in ihren Memoiren detailliert beschrieben, wie sie den Kriegsverbrecher aus Argentinien entführt haben wollen. Davon ist vieles, nach meinen Recherchen, frei erfunden.

Die Version der Agenten, die von der israelischen Regierung nie dementiert wurde, lautet so:

1. Nach jahrelanger Fahndung will der Mossad Eichmann in Argentinien gefunden und am Abend des 11.Mai 1960 auf seinem Nachhauseweg gestellt und gewaltsam in ein Auto gezerrt haben. In einer konspirativen Wohnung in Buenos Aires wollen sie ihn neun Tage gefangen gehalten haben.

2. In der Nacht des 20.Mai wollen Mossad-Agenten Eichmann, betäubt und in der Uniform eines El-Al- Stewards, an der unaufmerksamen argentinischen Zoll- und Passkontrolle vorbei am Internationalen Flughafen in Ezeiza in das El-Al-Flugzeug Bristol Britannia gesetzt haben, das am Morgen eine Regierungsdelegation nach Buenos Aires am Morgen eingeflogen hatte.

3. Das El-Al-Flugzeug soll kurz nach Mitternacht, am 21.Mai, in Ezeiza gestartet, und nach einer Zwischenlandung in Dakar am 22.Mai um 7.35 Uhr in Israel gelandet sein.

Diese Version kann nicht stimmen. Meine Recherchen ergeben das folgende Bild:

1. Eichmann ist 1957 von einem Überlebenden des KZ Dachaus, Lothar Hermann, entdeckt worden, einem alten, blinden Mann. Er teilte dies dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit, der die israelische Regierung jahrelang vergeblich versuchte zu überzeugen, den Kriegsverbrecher vor ein israelisches Gericht zu bringen. Im März 1960 schrieb Hermann nach Israel: "Es scheint, dass Sie kein Interesse haben, Eichmann zu verhaften."

2. In der Nacht des 20.Mai wurde nach argentinischen Untersuchungen kein Mann in El-Al-Uniform am Airport in Ezeiza an den Kontrollbehörden vorbeigeschleust. Das El-Al-Flugzeug startete in Ezeiza ohne Eichmann an Bord.

3. Die Bristol Britannia hatte nach Angaben des Herstellers Bristol Aeroplane Company eine Reichweite von 6869 Kilometern. Die Distanz zwischen Dakar und Buenos Aires beträgt aber 6952 km. Deshalb musste das Flugzeug, wie auf dem Hinflug in Recife, auch auf dem Rückflug auftanken. Bei dieser, aus technischen Gründen zwingenden, Zwischenlandung wurde Eichmann in die El-Al-Maschine gesetzt, auf dem Flughafen Laguna del Sauce im uruguayischen Badeort Punta del Este. Aber wie war Eichmann dorthin gekommen? Freiwillig oder gewaltsam?

Am 11.Mai 1960 verschwand Eichmann und tauchte am 21.Mai in israelischer Gewalt wieder auf. Die israelischen Behörden haben bis heute über diese zehn Tage keine konkreten Angaben gemacht, die Protokolle sind bis heute geheim. Haben sie Eichmann verhört, gefoltert, oder haben sie mit ihm verhandelt? Was hat er preisgegeben? Es ist bekannt, dass Eichmann vor Gericht in Israel keine belastenden Aussagen gegen Komplizen oder Hintermänner gemacht hat. Einen geheimen Pakt und geheime Verbündete der Nazis hat er dort nicht erwähnt. Aber es ist auch bekannt, dass Eichmann in Argentinien begonnen hatte auszupacken.

Was also waren die Motive für Eichmanns Gefangennahme, der von 1927 bis Juni 1933 Angestellter von Standard Oil in Österreich war? Und wer war jener mutmaßliche mysteriöse Drahtzieher von Eichmanns Entführung, William Mosetti? Der Mann, der - wie Eichmann - für Standard Oil tätig war, Offizier für Mussolini, US-Agent und ab etwa 1959 Generaldirektor von Mercedes-Benz Argentinien war? Zu dieser Zeit arbeitete dort auch Adolf Eichmann.

Eichmanns Entführer

William Mosetti wurde am 25.November 1914 in Triest geboren. Sein Vater war Direktor von "Lloyd Triestino", der Reederei, die den Suezkanal kontrollierte. Mosetti junior wurde standesgemäß erzogen, lernte mehrere Sprachen und studierte in Florenz Mathematik, Chemie und Physik. 1935 nahm er als Oberleutnant am Abessinienfeldzug Mussolinis teil. Es ging um Erdölvorkommen. Standard Oil hatte dem Duce versprochen, den für diesen Krieg notwendigen Treibstoff zu liefern. 1936 fiel Addis Abeba, nicht zuletzt weil Mussolinis Armee Giftgas eingesetzt hatte. Nach dem Krieg kehrte Mosetti wieder ins Geschäftsleben zurück, jedoch nicht mehr in die Firma seines Vaters, die hatte Mussolini in der Zwischenzeit verstaatlicht, um die Handelsschiffe unter seine Kontrolle zu bekommen.

Mosetti arbeitete zunächst für General Motors, bis er Anfang 1939 zu Ford nach Köln wechselte. Am 15.November erhielt er seine Lebensstellung bei Socony-Vacuum, "Standard Oil Company of New York".

Standard Oil war 1870 von John D. Rockefeller gegründet worden, 1879 übernahm er auch die Vacuum Company und viele andere Firmen, bis der Standard Oil Trust 1911 zerschlagen wurde und das Imperium in viele Einzelunternehmen zerfiel. Die Rockefellers zogen jedoch weiterhin die Fäden. Der Nahe Osten war damals noch kaum erschlossen, Erdöl wurde an zwei Orten gefördert: in Texas und in Baku im Kaukasus - "bis zur Oktoberrevolution beherrscht von den Herren Nobel und Rothschild", so der Berliner Historiker Dietrich Eichholtz.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Deutsche Bank ihre Anteile an der "Türkischen Petroleum-Gesellschaft" und damit ihre Rechte auf die Bodenschätze beiderseits der Bagdad-Bahn. Jahrelang klagte sie erfolglos dagegen, bis die Bank einsah, dass sie an der juristischen Front nicht mehr weiterkam. Sie suchte Verbündete und fand sie in der amerikanischen Erdölindustrie. Der Pakt zwischen Standard Oil und den Nazis wurde wohl 1927 geschmiedet, das Jahr, in dem Eichmann für Standard Oil zu arbeiten begann: Adolf Hitler sollte an die Macht, um das Erdöl von Baku zu erobern. Den Treibstoff für diesen Krieg wollte Standard Oil bereitstellen.

Eichmanns Werdegang

1927 war Adolf Eichmann in die "Frontkämpfervereinigung" eingetreten. 1927 wurde ihm von der Vacuum Oil Company, Teil der Standard Oil, die Vertretung für Oberösterreich übertragen. "Bis Juni 33 arbeitete ich für diese Firma in Oberösterreich, Salzburg und Nordtirol", so Eichmann in seinem Lebenslauf.

1932 wurde er von seinem Freund Ernst Kaltenbrunner, dem späteren Chef des Reichssicherheitshauptamts, für die NSDAP und die SS rekrutiert. Im Juni 1933 verbot die österreichische Regierung alle Nazi-Aktivitäten. Eichmann wurde deswegen gekündigt - es war "ein freundlicher Abschied", so der Eichmann-Biograf David Cesarani. Die Firma zahlte noch fünf Monatsgehälter. Eichmann machte Karriere, landete beim "Verbindungsstab" des Reichsführers SS in Passau und dann im SD-Hauptamt. Dort baute er die Abteilung "Juden" auf.

"Die Vereinigten Staaten waren tief gespalten, was unsere Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus anging", so Professor Christopher Simpson von der American University in Washington, "die rechtsgerichtete Organisation America First sympathisierte offen mit den Nazis."

Bei America First gaben die Dulles- Brüder den Ton an: John Foster Dulles, der spätere US-Außenminister, und Allan Dulles, der später die CIA aufbaute. America First verteidigte die Interessen der Firmen, die in Deutschland investiert hatten. Eine Kriegserklärung hätte deren Kapital gefährdet.

Das Investmentunternehmen Union Banking Corporation hatte seit 1924 deutsche Anleihen auf dem US-Markt verkauft. Ihr Präsident, George Herbert Walker, nahm seinen Schwiegersohn Prescott Bush, den Großvater von George W. Bush, in das Direktorium auf. Prescott Bush leitete auch die Walkers American Shipping und Commerce mit ihrer Nordatlantikroute der Hamburg-America-Linie. In deren Vorstand saß Emil Helfferich, Mitglied im "Freundeskreis Reichsführer-SS" und bis Kriegsende Präsident der Deutsch-Amerikanischen Petroleum- Gesellschaft, der späteren ESSO, sowie der Vacuum Oil Company in Hamburg.

1927 gründeten Standard Oil und die IG Farben das Unternehmen "Standard IG Farben" mit Sitz in den USA. Präsident wurde der texanische Ölhändler William Farish. Standard überließ der IG Farben die weltweiten Rechte für die Verflüssigung von Kohle zu Öl. Im Gegenzug erteilte der deutsche Konzern den Amerikanern das Patent für die Herstellung von Buna, von synthetischem Gummi.

Nach der Machtübernahme verlief alles nach Plan. Die Deutsche Bank mischte sich über ihre Petroleum AG ins Erdölgeschäft ein. Mit Standard Oil und Shell teilte man Kosten und Gewinne. Das Hauptproblem der Wehrmacht blieb jedoch der Treibstoff für Panzer und Flugzeuge. Zwar konnte man dank der Patente von Standard Oil aus heimischer Kohle Benzin gewinnen. Doch der Bedarf war bei weitem größer.

Der US-Regierung bereitete die Allianz von Standard Oil mit den Nazis Sorgen, vor allem nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, den die USA mit einer Kriegserklärung im Dezember 1941 an Japan und Deutschland beantworteten. Washington eröffnete gegen Standard Oil ein Ermittlungsverfahren. Angeblich hatte die Firma der US-Navy Patente für Buna und Aluminium vorenthalten und deutsche U-Boote und Flugzeuge betankt. John D. Rockefeller wollte davon nichts gewusst haben und Farish verweigerte die Aussage, wies den Staatsanwalt aber darauf hin, dass Standard Oil auch die US-Streitkräfte mit Treibstoff versorge...

Im März 1942 bat das Pentagon Präsident Roosevelt, die Ermittlungen gegen Standard Oil auszusetzen, um die Kriegsproduktion nicht zu gefährden. Roosevelt stimmte zu. Gegen Zahlung einer Geldstrafe von 5000 Dollar und dem Versprechen, die Nazis nicht weiter zu beliefern, wurde das Verfahren eingestellt. Farish musste sich jedoch vor einem Hearing im US-Senat verantworten, das der spätere US-Präsident Truman leitete: der sprach von "Verrat". Farish in der Anhörung: "Unsere Verträge (mit der IG Farben) sollten von 1929 bis 1947 gelten. Sie, Gentlemen, werden verstehen, dass Verträge wie diese nicht unwirksam werden, nur weil die Regierungen der Vertragsparteien gegeneinander Krieg führen. Die Vertragspartner müssen stattdessen einen Weg finden, um mit ihrem eigenem Geschäft fortzufahren."

Der Kaukasus-Feldzug, den die Wehrmacht um Öl führte, dauerte fünfeinhalb Monate. Ab Mitte 1942, als Standard Oil in den USA gerade das Ermittlungsverfahren und das Senatshearing über sich ergehen lassen musste, kam der Treibstoffnachschub der Wehrmacht ins Stocken. Im Januar 1943 war die Niederlage der Wehrmacht besiegelt.

Argentinien

Argentinien hatte eigenes Erdöl und war weder am Ex- noch am Import interessiert. Die im Dezember 1942 in den USA gegründete Petroleum Administration of War (PAW) wiederum, hatte den Auftrag zu verhindern, dass Erdöl in feindliche Hände geriet. Sie musste jeden Export genehmigen. Am 25.März 1942 jedoch kabelte die US-Botschaft in Buenos Aires nach Washington:

"Große Mengen Rohöl werden von den argentinischen Niederlassungen von Standard Oil of New Jersey und Socony Vacuum importiert. Ein Einschnitt würde sie gegenüber der Konkurrenz benachteiligen, die Rohöl vor Ort einkaufen."

Wollte Standard Oil über das neutrale Argentinien Treibstoff an die Nazis liefern? Wenn dies so gewesen wäre, wäre sie im Jahr 1941 aber weit davon entfernt gewesen, den Bedarf der Wehrmacht zu befriedigen. Die Alliierten kontrollierten den Atlantik und die militärische Niederlage der Nazis stand fest. Standard Oil schaltete auf Schadensbegrenzung um.

1940 war der Italiener Mosetti von Standard Oil nach Argentinien geschickt worden. Das Land war den Achsenmächten wohl gesonnen, blieb aber bis wenige Wochen vor Ende des Krieges neutral. Am 18. März 1943 kam Mosetti im Hafen von Los Angeles an. Ein italienischer Staatsbürger, der im Dienste Mussolinis gestanden hat! Solche Leute wurden interniert. Doch Mosetti erklärte der Einwanderungsbehörde, er wolle fortan für die Alliierten kämpfen. Ein "prominent businessman", wie es in den Akten heißt, setzte sich für ihn ein. Innerhalb weniger Wochen bekam Mosetti die US-Staatsbürgerschaft. Und am 18.Mai 1943 zog ihn die US-Army ein und bildete ihn in Camp Crowder im Nachrichtenwesen aus.

Der Geheimdienst Office of Strategic Services wollte Mosetti rekrutieren. Er sollte "in Frankreich und Italien operieren". Aber die Army wollte ihn nicht gehen lassen. Mosetti wurde in Nordafrika stationiert und bereitete die Invasion Italiens vor. Im Juni 1946 verliess er die US-Army.

Eichmann, SS-Obersturmbannführer und Protokollführer der "Wannseekonferenz", versteckte sich nach Kriegsende fünf Jahre in Deutschland. Bei den Nürnberger Prozessen wurde er nicht angeklagt. Dokumente der CIA besagen, dass Eichmann im Untergrund versteckte Goldbestände gesichert und die Flucht von Kriegsverbrechern finanziert haben soll. Das Protokoll einer Geheimkonferenz vom 10.August 1944 in Straßburg hatte die Verlegung nationalsozialistischen Kapitals in neutrale Länder empfohlen:

"Die deutschen Industriellen müssen sich vorbereiten, um nach der Niederlage durch eine Export-Offensive neue deutsche Stärke zu erlangen. Sie werden die NSDAP finanzieren müssen, die in den Untergrund gehen wird. Daher wird von jetzt an die Hitler-Regierung große Summen zur Verfügung stellen, um nach dem Krieg im Ausland über eine sichere Grundlage zu verfügen."

Als "sichere Grundlage" bot sich Argentinien an. 1950 traf Eichmann in Buenos Aires ein - mit falschen Papieren, die er von einem Franziskanermönch erhalten hatte. Zwei Jahre später ließ er seine Familie nachkommen, seine Söhne schulte er unter ihrem richtigem Namen in der deutschen Schule ein.

Simon Wiesenthal erhielt von einem Freund Hinweise über Eichmanns Aufenthalt: "Ich sah dieses elende Schwein, er lebt in der Nähe von Buenos Aires." Er informierte den israelischen Konsul in Wien. Aber nichts geschah. Er erhielt die Antwort, dass für Recherchen kein Geld vorhanden sei. Weder die CIA noch der Bundesnachrichtendienst, dem sich etliche "alte Kameraden" angedient hatten, rührten sich. In Bonn hielt Konrad Adenauer seine schützende Hand über seinen Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, den Herausgeber des Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen. Enttäuscht schrieb Simon Wiesenthal in seinen Memoiren: "Die amerikanischen Juden hatten andere Sorgen. Die Israelis hatten kein Interesse mehr an Eichmann, sie mussten sich im Überlebenskampf gegen Nasser behaupten."

Neuanfang und Ende

"Eichmann war in einer Gruppe von 16 Deutschen gekommen", erinnert sich die rechte Hand von Staatspräsident Perón, Jorge Antonio, der 1951 Mercedes-Benz Argentina gegründet hatte. "Daimler-Benz bat mich, sie einzustellen, sie alle seien Techniker. Ich kannte ihn unter seinem richtigen Namen, aber das interessierte mich alles nicht."

Antonio kaufte als Strohmann für Daimler-Benz und andere Firmen 60 Aktiengesellschaften der Sparten Bergbau, Landwirtschaft, Immobiliensektor - mit Geld, das während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz angelegt war. So gelangte es, getarnt als Begleichung von Ex- und Importen, wieder in den Kreislauf der Unternehmen.

Hat er sich jemals gefragt, ob er Nazi- Gelder verwaltete? "Mit uns haben die Deutschen viel Geld gemacht", so Antonio, lachend, "wenn Sie das Geldwäsche nennen ... Ich wollte eine Lastwagenfabrik. Und die habe ich bekommen."

1955 putschte das argentinische Militär. Alle Firmen Antonios wurden beschlagnahmt und auch seine Ordner über Finanzaktionen, getürkte Lieferungen und schwarze Buchführung. Antonio wurde verhaftet und saß zwei Jahre im Gefängnis. 1957 fiel Daimler-Benz entschädigungslos an den argentinischen Staat. Zitat aus dem Urteil: "Die beschlagnahmte Firma konnte die Existenz von deutschen Kapitalanlagen nicht nachweisen und versuchte stattdessen, diesen Nachweis als nebensächlich darzustellen. Es ist aber einer der wichtigsten Punkte."

Daimler-Benz und ihr Hauptaktionär, die Deutsche Bank, die 1927 den Pakt mit Standard Oil geschlossen hatte, reagierten. Sie wollten sich "ihr" Kapital nicht wegnehmen lassen und erinnerten sich an einen alten Freund, an William Mosetti. Er war 1949 zu Socony-Vacuum zurückgekehrt, also Standard Oil, das inzwischen zur Mobil Overseas Oil Company mutiert war. Als ihn Daimler Benz unter Vertrag nahm, lebte er in Leopoldville, Belgisch-Kongo.

Mosetti leistete ganze Arbeit. 1959 urteilte das Berufungsgericht in Buenos Aires zugunsten von Daimler-Benz. Zwar blieb das Unternehmen die Erklärung schuldig, wie das Kapital nach Argentinien gekommen war und aus welchen Quellen es stammte. Aber, so urteilten die Richter, diese Unterlassung sei nicht hinreichend, um eine Enteignung zu rechtfertigen. Das Unternehmen wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Antonios Lastwagenfabrik öffnete wieder ihre Pforten, Arbeiter wurden eingestellt. Unter ihnen Adolf Eichmann alias Ricardo Klement.

Mosettis Chauffeur, Marcial de la Calle, erzählt, dass Mosetti exzellente Verbindungen zum argentinischen Militär hatte. Eduardo Fachal, Betriebsrat bei Daimler, berichtet, dass Mosettis Privatsekretärin, Hildegard Kopka, in einem KZ in Osteuropa tätig gewesen war, Mosetti aber auch Leute einstellte, die Familienmitglieder im Holocaust verloren hatten.

Am 29.April 1960 ernannte die Aktionärsversammlung Mosetti zum Generaldirektor von Mercedes-Benz Argentina. Zwölf Tage später kommt Ricardo Klement nicht mehr nach Hause. Er hatte seiner Frau gesagt, er habe "eine wichtige Verabredung außerhalb von Buenos Aires". Am nächsten Morgen schlug seine Frau in der Mercedes-Fabrik Alarm und eine "inoffizielle Suchaktion wurde eingeleitet" - so ein Vermerk des ehemaligen SS-Offiziers und Daimler-Vorstandsmitglied Hanns-Martin Schleyer. Am 23.Mai erklärte Israels Premierminister in der Knesset, Eichmann befinde sich in israelischer Haft. Wie er nach Israel gekommen war, sagte Ben Gurion nicht. Er erwähnte eine "Gruppe von Freiwilligen", die "nach einer langen Suche ihr Werk zu Ende gebracht haben". Zu der Gruppe von Freiwilligen muss auch Mosetti gehört haben. Mosetti muss an der Entführung teilgenommen haben. Er ließ bereits am 12.Mai 1960, einen Tag nach der Entführung, Eichmann alias Klement bei der Rentenversicherung abmelden. Elf Tage vor der Bekanntgabe durch Ben Gurion wusste also Mosetti, dass Eichmann nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird.

Die argentinische Regierung ließ untersuchen, wie es zu dieser Verletzung der Souveränität gekommen war. Aber die Ergebnisse wurden nie veröffentlicht. Die Welt erfuhr nichts von jener kleinen schmutzigen Piper (Apache), die auf einem lokalen Flughafen, in der Nähe von Eichmanns Haus, an jenem 11.Mai gesehen worden war.

Ben Gurion sagte nie, dass der Mossad Eichmann entführt habe. Diese Version wurde von Journalisten in die Welt gesetzt, die sich auf nicht genannte Quellen beriefen. Aber mit der Zeit gefiel sich wohl der Mossad in der Rolle des "Rächers", der allein um der Gerechtigkeit willen internationale Gesetze bricht. Wie bei der Jagd und Ermordung der Mitglieder des Kommandos "Schwarzer September", die bei der Olympiade in München 1972 israelische Sportler erschossen hatten. Die israelische Regierung rechtfertigte damals ihre geheime, ungesetzliche Aktion gegen Palästinenser unter anderem mit dem Hinweis auf die ebenfalls illegale, aber moralisch gerechtfertigte Entführung Eichmanns.

Viele Fragen stehen offen, etwa ob und wie die Gruppe um Lothar Hermann, der 1957 Eichmann gefunden hat, Kontakt aufgenommen hat zu William Mosetti, der herumerzählte, dass er im Krieg gegen die Nazis gekämpft hat. Oder die Frage, wie Israel zur Entgegennahme des Kriegsverbrechers "überredet" worden war.

Eichmann hat sich in Argentinien sehr sicher gefühlt. Er gab sogar Interviews. Der ehemalige SS-Offizier Willem Sassen führte mit ihm fünfzig mehrstündige Gespräche. Eichmann war verbittert. Er, einst Herr über Leben und Tod, war verarmt und hatte nichts mehr zu sagen. Bei Mercedes-Benz Argentina erhielt er ein Gnadenbrot. Viele ehemalige Mitstreiter machten im Wirtschaftswunderland Karriere, sie wollten sich nicht mehr an die Absprachen von Straßburg erinnern und den Wiederaufbau der NSDAP finanzieren.

Auf den Tonbändern, die Sassen mit Eichmann aufnahm, ist immer wieder das Entkorken von Weinflaschen zu hören. Er kam in Fahrt und prahlte mit "Heldentaten": "Mich reut gar nicht. Hätten wir von den 10,3 Millionen Juden 10,3 Millionen Juden getötet, dann wäre ich zufrieden und würde sagen: ‘Gut, wir haben einen Feind vernichtet.‘"

Sassen versuchte das Interview an die Presse zu verkaufen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass Journalisten an der Haustür des redseligen Eichmann klingelten. Und es war völlig unberechenbar, über was und über wen er wohl auspackte. Über Hans Globke, seine Kameraden aus der SS, die in Chefetagen bundesdeutscher Konzerne einzogen? Über seinen früheren Arbeitgeber Standard Oil, der mit den Nazis das Erdöl von Baku erobern wollte und sie kurz vor dem Ziel mit leeren Tanks am Kaukasus im Stich ließ?

Es kann angenommen werden, dass es in den zehn Tagen zwischen dem Verschwinden Eichmanns und seiner Ankunft in Israel Verhandlungen gegeben hat, die sein Auspacken beim Prozess in Israel verhinderten.

Mosettis Rolle bleibt unklar. Dass er an der Entführung teilnahm, ist relativ plausibel, seine Motivation jedoch unklar. Er kann zu diesen Fragen nicht mehr gehört werden 1975 schied er bei Mercedes-Benz aus. Seine letzte Anstellung war die US-Botschaft in Bern. Er verschied 1992 in der Schweiz.

Nach jahrelanger Recherche stehe ich vor einer Wand des Schweigens. Die Informations-Zugangs-Gesetze greifen nicht. Und zur Auskunft verpflichtet sind nur Behörden, nicht Unternehmen. In den Firmenarchiven von Standard Oil und DaimlerChrysler fand ich nur Material, das vorher offensichtlich "gesäubert" worden war. DaimlerChrysler behauptete drei Jahre lang, über einen Herrn Mosetti, fünfzehn Jahre ihr Generaldirektor, keine einzige Information zu besitzen. Auf zwei Aktionärsversammlungen habe ich nach Mosetti gefragt. Man kannte ihn nicht. Wenige Tage vor Abschluss dieses Manuskripts schrieb mir DaimlerChrysler, dass "nach intensiver Suche" doch etwas zu Mosetti gefunden wurde. Ich erhielt per E-Mail seinen undatierten und unvollständigen Lebenslauf, der nur Informationen enthielt, die ich längst besaß. Ich habe ExxonMobil nach dem geheimen Pakt mit den Nazis gefragt und nach ihren Angestellten Eichmann und Mosetti. Sie behaupten, in ihren Archiven diese Namen nicht finden zu können.

Die israelische Regierung verweigert jeglichen Kommentar. Sie verschweigt bis heute die Wahrheit und hält die Protokolle der Verhöre oder Verhandlungen mit Eichmann zwischen dem 11. und 21. Mai in Uruguay geheim.

http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0703/0703172.htm