Bildung als Ware - Die Biopiraterie in der Bildung und ihr gesellschaftlicher Preis

Um emanzipatorische Vorschläge in der bildungspolitischen Diskussion unterbreiten zu können, muss zunächst geklärt werden, was mit Bildung in unserer Gesellschaft geschieht, und vor allem muss der

Frage nachgegangen werden, warum Bildung nur als ein Torso existiert, als ein Schatten dessen, was Bildung einmal hätte sein sollen: ein Instrumentarium des Menschen, das ihn zur Mündigkeit führt, das ihn zu selbstbestimmtem Handeln und zur eigenständigen Mitgestaltung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse durch Verwirklichung seines Vernunftvermögens befähigt.

Wir leben in einer neoliberalen Gesellschaft, und das heißt: alle gesellschaftlichen Bereiche sollen den so genannten freien, besser gesagt: den ungezügelten Kräften des Marktes in einem enthemmten Kapitalismus ausgesetzt werden. Tragende Säulen des Neoliberalismus sind die Liberalisierung des Handels und der Finanzgeschäfte, die Privatisierung öffentlicher Bereiche, die Deregulierung und der systematische Abbau sozialer Leistungen (Haug 1999; Chomsky 2004). Die Semantik des Wortes Privatisierung sollte dabei stets gegenwärtig sein. Das lateinische Wort "privare" heißt berauben: Etwas, das privatisiert wird, wird demzufolge der öffentlichen Kontrolle beraubt, es soll nicht mehr der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle unterstellt sein. Was wir in den letzten zwei Jahrzehnten erleben, folgt dieser Logik: Alle gesellschaftlichen Sektoren werden zunehmend den Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Marktes ausgeliefert. Nicht mehr die Gesellschaft kontrolliert den Markt, vielmehr bestimmt der Markt die "Geschicke" der Gesellschaft.

Dass Bildung von diesem Sog nicht ausgenommen bleibt, dürfte selbstverständlich sein. In der bestehenden Gesellschaft wächst der gesellschaftliche Druck auf eine Bildung, die in effizienterem Maße und in immer schnelleren Zyklen die gewünschten Subjekteigenschaften hervorbringen soll. Kein Sektor, der für die Herstellung des benötigten gesellschaftlichen Arbeitsvermögens potenziell in Frage kommt, bleibt von diesem Sog unberührt. Die Indizien dieses Drucks sind erdrückend: so genannte Elite- und Hochbegabtenförderung ("Exzellenzinitiative"), Vorschläge zur Einführung von "Bildungsstandards " im Kindergarten, die Verkürzung von Schulzeiten, frühere Einschulung, Überspringen von Klassen, Modularisierung und Bachelorisierung von Ausbildungsgängen,1 nicht zuletzt die Versuche der Privatisierung der Bildung durch Schaffung eines Bildungsmarktes für Bildungskonzerne (GATS) sprechen eine deutliche Sprache. Alle diese Tendenzen dokumentieren den Versuch einer umfassenden Einbindung von Bildung in die ökonomische Logik neoliberaler Politik. Die in allen gesellschaftlichen Sektoren betriebene, als Kommodifizierung charakterisierte Strategie, die "Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren" (Polanyi 1978. S. 70), 2 ergreift notwendigerweise auch die Bildung: Ihrer Auslieferung an die Logik des Marktes korrespondiert der paradigmatische Wechsel von einem zumindest in Restbeständen noch an Mündigkeit orientierten Bildungsverständnis hin zu einer vulgärökonomischen Auffassung menschlicher Bildung als purer Qualifikation.

Der Mensch als Rohstoff und die Bildung
Der reformsozialistische Pädagoge Otto Rühle skizziert in kritischer Absicht die sich bereits Anfangs des 20. Jahrhunderts herausformende bildungsökonomische Sicht auf die kindliche Entwicklung. In einer Neuauflage seines Buches "Das proletarische Kind" von 1922 weist der Pädagoge darauf hin, dass die "kapitalistische Wirtschaft" in der Schule "geistige Qualität in bares Geld verwandelt sehen will" (Rühle 1922, S. 263).

Mit dieser Formulierung nimmt Rühle den Versuch der totalen Inbesitznahme der Bildung durch die Ökonomie vorweg, wie wir ihn heute deutlich erkennen können. Die geistigen Potenzen des Menschen sollen über die Arbeit in den Bildungseinrichtungen in wirtschaftlichen Reichtum überführt werden. Schon im Geiste des neoliberalen Paradigmas formulierte Altbundeskanzler Helmut Kohl in den 1980er Jahren: "Intelligente Kinder sind der wahre Rohstoff in einem rohstoffarmen Land." In einem Land, in dem Mangel an natürlichen Rohstoffen herrscht, muss dieser durch Konzentration auf die Heranbildung der zerebral-geistigen Fähigkeiten des Menschen kompensiert werden. Die rot-grüne Bundesregierung stand dieser Aussage aus dem Kontext der schwarz-gelben Koalitionsregierung in nichts nach, wenn sie die Metapher des Rohstoffs zur Kennzeichnung menschlicher Fähigkeiten übernahm: "Die Kreativität und die Kompetenzen der Menschen" seien "der wichtigste Rohstoff Deutschlands" (Bundesregierung 2000, S. 34), denn die "Innovationen von morgen fangen in den Köpfen der jungen Menschen von heute an" (Schröder 2000, S. 49).

Eine neue Qualität erhält die affirmative Bildungsökonomie ab den 1990er Jahren durch die Versuche, auch die informellen Lernund Bildungsprozesse in ökonomische und bildungsökonomische Betrachtungen einzubeziehen und damit den Zugriff auf die Humanressourcen über den gesamten Lebenslauf zu sichern. Eine mit Blick auf diese Ausweitung bildungsökonomischen Denkens interessante Aussage stammt aus dem Einleitungsreferat des Berliner Soziologen Wolf Lepenies zu einem Kongress der Unternehmensberatung McKinsey&Company, einer neoliberalen Denkfabrik, die seit 2000 sogenannte "Bildungsinitiativen" veranstaltet, um eine "innovative" Bildungs- und Gesellschaftspolitik durchzusetzen: "Wir müssen Bildung nicht länger nur als eine Sozialleistung, sondern auch als eine wirtschaftliche Investition ansehen. Es wird Zeit, Folgerungen aus der Tatsache zu ziehen, dass zwei Drittel des Humankapitals nicht an der Schule und an der Universität, sondern durch die Eltern und im Erwachsenenlernen gebildet werden. Wir müssen dieser Form der Wertschöpfung einen angemessenen Platz in unserer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zuweisen. Unsere Ausnutzung des Humankapitals ist suboptimal" (Lepenies 2003, S. 24).

Das heißt, dass auch die außerhalb der Bildungsinstitutionen ablaufenden, informellen Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wirtschaftlicher verfügbar gemacht werden sollen. Auch die von der OECD in Auftrag gegebene PISA-Studie geht über diese Grundauffassung, Bildung habe Humankapital zu schaffen, nicht hinaus.

Die PISA-Studie ist nicht bezogen auf formale Schulabschlüsse und ihre Verteilung, sondern untersucht, in welcher Weise bestimmte Basiskompetenzen durch das Bildungswesen erzeugt werden, sie geht insofern über bisherigen Studien hinaus, als sie zumindest dem Anspruch nach mehr Dimensionen und Faktoren in ihren Forschungshorizont einbezieht als bloß auf formale Qualifikationen bezogene Untersuchungen. Doch bleibt auch sie auf das Ziel der Herstellung von Humankapital begrenzt: "Beurteilungen der Qualifikationsbasis des Humankapitalstocks tendierten bestenfalls dazu, aus ›Stellvertreterindikatoren‹ wie ›Schulabschluss‹ gewonnen zu werden. Sobald das Interesse an Humankapital ausgeweitet wird auf Eigenschaften, die es den Menschen erlauben, ›lebenslang Lernende‹ zu werden, wird die Unangemessenheit deutlich (Â…) OECD/PISA überprüft das Ausmaß der Fähigkeiten junger Menschen, sich dem Erwachsenenleben zu stellen" (OECD, zit. nach: Klausenitzer 2002, S. 48). 3

Das neoliberal-bildungsökonomische Arsenal von Wörtern, die mit Bildung in Zusammenhang gebracht werden, ist unmissverständlich: Bildung als Bearbeitung des Rohstoffes Mensch, Bildung als Wertschöpfung, Bildung als wirtschaftliche Investition, Bildung als Humankapital. Bildung wird in der gegenwärtigen Gesellschaftspolitik von der ursprünglichen komplexen Bedeutung ihres Begriffs abgekoppelt und funktionalistisch auf die Erfordernisse des gesellschaftlichen Arbeitslebens abgestellt. Dass Bildung in einem Zusammenhang mit einer vernünftigen Subjektentwicklung steht, gilt fast schon als antiquierte Vorstellung. In den hegemonialen Diskursen gilt es fast schon als banale Selbstverständlichkeit, dass Bildung nur noch der Qualifikation des Menschen für eine Gesellschaft dient, in der der Markt die entscheidenden Direktiven bestimmt. Die Arbeit in den Bildungseinrichtungen ist auf die Schaffung und die optimale Ausschöpfung so genannter Humanressourcen angelegt (siehe: Bernhard 2003). 4

Damit wird Bildung zur Qualifikation degradiert, die Bildungseinrichtungen werden in reine Ausbildungsinstitutionen umdefiniert, in denen Arbeitskraftvermögen hergestellt wird. Bildung wird zur Ware. Ziel dieser Strategien ist es, den dominanten Gesellschaftsgruppen den Zugriff auf die Humanressourcen langfristig zu sichern. Die Liberalisierung von Bildung im Sinne einer "Dienstleistung" wird von einem Netzwerk von Organisationen, Forschungszentren und privaten Instituten vorangetrieben. Die 1995 gegründete WTO etwa, die zuständig ist für die allgemeinen Regeln des Welthandels, allerdings unter der Dominanz von nordamerikanischen, europäischen und japanischen Unternehmen (Ziegler 2003, S. 141), forciert die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen, zu denen auch die Bildung gezählt wird. Das für Bildung relevante Abkommen ist die so genannte GATS-Vereinbarung, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services; zu den Hintergründen: Fritz/Scherrer 2002, S. 55 ff.).

Worauf zielt GATS? Bislang noch ist zumindest die allgemeine Bildung zu einem großen Teil im Rahmen eines öffentlichen Bildungswesens organisiert, für dessen Verwaltung und Durchführung Staat und Gesellschaft zuständig sind. Bis heute ist vor allem das allgemeinbildende Schulwesen durch Vorbehalte der EU vor dem Zugriff privater Konzerne geschützt. Wenn dieser Vorbehalt fällt, wird es einen "freien" Marktzugang zu sämtlichen Bildungssektoren einer Gesellschaft geben. Alle Bildungsbereiche von der Grundschule bis zur Erwachsenenbildung könnten dann der öffentlichen Kontrolle entrissen und privaten Bildungskonzernen überantwortet werden. Die Folge wäre eine noch stärkere Degradierung von Bildung zu einer Ware, die sich dann nur noch diejenigen leisten können, die die Herstellung dieser Ware bezahlen können. Die ohnehin schon skandalös ungleiche Verteilung von Bildung würde einen weiteren Schub an Ungerechtigkeit erfahren, durch die das System gesellschaftlicher Ungleichheit insgesamt verschärft würde.

Gleichzeitig kann davon ausgegangen werden, dass Bildung noch stärker als bisher auf den Aspekt der Ausbildung, dass Bildung also auf bloße berufliche Qualifikation reduziert würde. Die Folgen für eine demokratische Entwicklung der Gesellschaft wären unabsehbar: Denn eine allgemeine Bildung ist die Grundlage für individuelle wie kollektive Mündigkeit und diese wiederum ein Grundbaustein von Demokratie, ohne den sie auf tönernen Füßen steht. Diesbezüglich gesamtgesellschaftliche Verantwortung von privaten Bildungskonzernen erwarten zu wollen, obgleich die mündige Regelung und Bewältigung gesellschaftlicher Probleme auch für den globalen Kapitalismus objektiv erforderlich ist, käme einer naiven Illusion gleich. Wer diese auf erschreckend niedrigem Niveau existierende allgemeine Bildung nicht zu erhalten imstande oder willens ist, gefährdet die Basis einer demokratischen Zivilgesellschaft insgesamt. Auch die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) ist in diesen Kontext zu stellen. Noam Chomsky, der berühmte US-amerikanische Sprachtheoretiker, nennt die OECD bezeichenderweise den "Klub der Reichen" (Chomsky 2004, S. 39). Die Ziele dieses Klubs der Reichen liegen in der Erarbeitung von Prinzipien einer optimalen Wirtschaftsentwicklung, der Förderung von Wirtschaftswachstum, der Steigerung des Welthandels. Mit ihren vergleichenden Bildungsstudien fördert die OECD die Untersuchung derjenigen subjektbezogenen Voraussetzungen und Kompetenzen, die als Humankapital diese ökonomischen Ziele fördern können.

In der BRD selbst sind die 1977 gegründete Bertelsmann-Stiftung und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zu nennen, die sich mit bildungs- und hochschulpolitischen Fragen beschäftigen mit dem Ziel, eine Gesellschaftspolitik anzustoßen, die auf den Prinzipien unternehmerischen Handelns beruht. Die Schaffung einer sogenannten "Bildungselite" ist ein zentrales Anliegen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Eine weitere Organisation ist das Deutsche Büro der bereits genannten Unternehmensberatung McKinsey, die aus unternehmerischer Perspektive Vorschläge für die Verbesserung des deutschen Bildungswesens entwickelt - in Kooperation mit bekannten Persönlichkeiten aus Kultur, Journalismus, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Das so genannte Manifest zur Bildung, das der Leiter dieser Organisation, Jürgen Kluge, präsentiert hat, trägt alle Merkmale einer neoliberalen Funktionalisierung von Bildung:
(1) Die Ausschöpfung der Begabungsreserven soll durch eine möglichst frühe Investition in kindliche Bildung optimiert werden, da das kindliche Entwicklungspotenzial nicht hinreichend ausgeschöpft wird. 5
(2) Flächendeckende Messungen von Schülerleistungen sollen ebenso zur Qualitätssicherung beitragen wie regelmäßige Schulinspektionen. Bildung wird demgemäß als messbare Größe angesehen, die empirisch überprüft werden kann.
(3) Es sollen mehr Freiräume für die einzelnen Bildungseinrichtungen geschaffen werden. Die "Überregulierung" von Bildungsinstitutionen muss abgeschafft und durch mehr "Autonomie" und Wettbewerb ersetzt werden.
(4) Bildung muss als wirtschaftliche Investition begriffen werden (Kluge 2003, S. 324 ff.), sie darf offensichtlich nicht mehr primär als ein Mittel der Persönlichkeitsentwicklung und des Erwerbs von Mündigkeit angesehen werden: eine paradigmatische Abkehr von jeder Form einer humanistischen Bildung.

Die neoliberale Sicht auf den Menschen und die Biopiraterie
Wie sieht das Menschenbild aus, das in den gegenwärtigen bildungspolitischen Diskussionen um die Verwertbarkeit von Wissen und die Kompetenzen zum Ausdruck kommt?

Der Philosoph Günther Anders hat in einem anderen Zusammenhang den Begriff des homo materia, des "Stoffmenschen", entwickelt (1987, S. 21 ff.), der das Menschenbild neoliberaler Bildungspolitik recht gut verdeutlicht. Homo materia meint eine Einstellung, die den Menschen als eine "wertvolle Rohstoffquelle" auffasst. Rohstoffquelle ist der Mensch im Hinblick auf seine Organe, auf seine biophysische Ausstattung, Rohstoffquelle ist er aber auch im Hinblick auf das Potenzial, das durch Bildung in verwertbare Kompetenzen transformiert werden kann. In unserem Fall bezieht sich der homo materia, der stofflich ausbeutbare Mensch, auf die Vorstellung, man könne den Rohstoff Mensch so formen, dass er für die wirtschaftlichen Prozesse optimal vernutzt werden kann.

Diese Einstellung kommt in der Verwendung von Begriffen unmissverständlich zum Ausdruck: "geistiger Rohstoff", "Humanressource", "Humankapital", "Bildungsinvestition". Die Bezeichnung "Humanressourcen" ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich: Sie fasst nichts anderes als eine "natürliche" Reichtumsquelle, die durch Bildung so bearbeitet werden soll, dass wirtschaftlich kreative, innovative und flexible Menschen durch sie produziert werden.

Das "Schicksal" von Rohstoffen ist bekannt: Sie werden geplündert, bearbeitet und in eine gesellschaftlich profitable Form gebracht. Das Kind als Rohling ist diejenige Quelle, aus der nach seiner schulischen Umarbeitung in Humankapital die verwertbaren Innovationen entspringen sollen. Der Mensch ist ein Rohstofflager: Dies ist die Kernaussage des neoliberalen Menschenbildes. Die menschliche Natur läßt sich beliebig für gesellschaftliche Erfordernisse nutzen. Die Menschen sollen mit denjenigen Wissensbeständen und Kompetenzen ausgestattet werden, die sie zum Humankapital werden lässt.

Es handelt sich um eine Biopiraterie der besonderen Form. Biopiraterie bedeutet ja, dass Konzerne sich bestimmte genetische oder biologische Ressourcen patentieren (etwa Pharmakonzerne bestimmte Heilpflanzen aus den Ländern der "Dritten Welt"), also das alleinige Recht zu deren Nutzung und Verwertung zusprechen lassen, während diejenigen lokalen Menschengruppen, die diese Reichtümer der Natur züchteten und pflegten, leer ausgehen (siehe hierzu: Ribeiro 2005).

Biopiraterie ist also ein gigantischer Diebstahl natürlicher Ressourcen. Im Kontext von Bildung richtet sich Biopiraterie auf den Menschen selbst, seine Entwicklungskräfte, sein Subjektvermögen, seine Fähigkeiten, seine Kompetenzen, die zum Gegenstand des Kampfes um Marktvorteile und Hegemonie werden. Die Sicherung eines umfassenden Zugriffs auf die menschliche Entwicklung, auf ihre institutionelle wie auf ihre informelle Seite, steht im Zentrum neoliberaler Biopiraterie im Bildungswesen. Es geht in diesen Auseinandersetzungen in erster Linie um den Kampf um die Bearbeitung und Nutzung der zerebral-geistigen Ressourcen des Menschen. In der Kommodifizierung von Bildung von einem öffentlichen Gut zu einer Ware wird der Mensch der Möglichkeit der Entfaltung seiner vielseitigen "Wesenskräfte" (Marx) beraubt. Biopiraterie in diesem Kontext korrespondiert mit dem Versuch der kulturellen Enteignung des Menschen, der Enteignung seiner menschlichen Möglichkeiten - ein Versuch allerdings, der nicht zwangsläufg gelingen muss.

Diesem Menschenbild entspricht ein neues Persönlichkeitsideal, eine neue Auffassung, wie der Mensch der Zukunft aussehen soll. Der neoliberale Mensch, das ist die mobile, flexible, wandlungsfähige Persönlichkeit, eine Persönlichkeit, die kreativ ist, Ideen produziert, inspiriert, ihr gesamtes Persönlichkeitsrepertoire in den Dienst des Unternehmens, der Firma, des Betriebs stellt, eine Persönlichkeit, die sich "autonom" bewegt, allerdings nur in den Grenzen, die ihr vom System gesetzt sind. In der Wunschvorstellung ist der neoliberale Mensch eine modularisierte Persönlichkeit, ein zusammenhangloser Komplex in sich funktionsfähiger Teilchen, die in den verschiedensten Segmenten gesellschaftlicher Praxis reibungslos eingesetzt werden können (siehe hierzu: Bernhard 2003).

Die Verwarenförmigung von Bildung und ihr gesamtgesellschaftlicher Preis
Der gesellschaftliche, volkswirtschaftliche und individuelle Preis der Verwarenförmigung von Bildung ist bislang nicht kalkuliert worden - kein Wunder, ist doch der Blick getrübt von den Segnungen eines völlig liberalisierten Marktes, in dem die gigantischen Schattenseiten des Neoliberalismus ignoriert werden müssen. Welche Auswirkungen aber kann die rücksichtslose Ökonomisierung von Bildung haben? Auf den Menschen, auf die Gesellschaft, auf die Bildung selbst?

Wenn an dieser Stelle von Kosten oder Preis gesprochen wird, ist dies nicht in einem ökonomisch verengten Verständnis. Gemeint sind damit in erster Linie die sozialen Folgeprobleme, die infolge einer Ökonomisierung der Bildung zu erwarten sind. Das heißt: In die Abschätzung der Folgekosten neoliberaler Strategien in der Bearbeitung von Humanressourcen müssen diejenigen Auswirkungen eingehen, die eine humane Gesellschaftsentwicklung belasten, aber in den neoliberalen Ideologien überhaupt keine Rolle spielen. Dass die möglichen Kosten hier nicht in Zahlen ausgewiesen werden können, liegt auf der Hand, aber es lassen sich doch einige Schlussfolgerungen für die Subjektentwicklung des Menschen ziehen.

Sieben Punkte scheinen mir zentral:
Erstens: Die Verwarenförmigung von Bildung verschärft die ohnehin schon bestehende soziale Ungleichheit, indem sie genau denjenigen Bildung verweigert, die ihrer so dringend bedürfen. Die so genannten "bildungsfernen" Sozialgruppen, im verharmlosenden Neudeutsch nicht Unterschicht, sondern Prekariat genannt, werden in dem Maße von der höheren Bildung segregiert, wie freie Schulwahl, Konkurrenz zwischen Schulen, Rückgriff auf Sponsoring installiert werden. Die Muster schichtenspezifischer Sozialisation in der bundesrepublikanischen Gesellschaft sind seit Jahrzehnten durch unzählige Untersuchungen belegt. Unterschiedliche klassenund schichtenspezifische Muster der Sozialisation in den Feldern der Sprache, der Intelligenzentwicklung, der Motivation, der Lerneinstellungen, der Erziehungsstile usw. programmieren die Bildungsund damit die Lebenschancen vor. Sie können nur durch massive gesellschaftspolitische Eingriffe und pädagogische Maßnahmen dergestalt verändert werden, dass sie gerechtere Ausgangsbedingungen für alle Kinder herstellen (Stichworte Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit). Wer aber Bildung dem "freien Markt" ausliefert, befestigt diese Muster auf Dauer, weil keine pädagogische Gegenwirkung mehr erfolgen kann. Die, die unten sind, werden unten gehalten, die die oben sind, bleiben dort. Die Eliteförderung wird diesen Effekt noch verstärken. Die Folge ist jetzt schon eine Spaltung der Gesellschaft, die Desintegration nach sich ziehen wird. Aber auch die systematische Ausgrenzung von Menschengruppen kostet Geld.

Zweitens:
Die Verwarenförmigung der Bildung schränkt die Vielfalt der kindlichen Subjektvermögen gravierend ein. All diejenigen Momente, die sich von der Position der Erwachsenen als zweckfreie Tätigkeiten im Leben von Kindern ausmachen lassen, werden von selbsternannten Bildungsreformerinnen und -reformern als nutzlos eingestuft. In einer ontogenetischen Zeitspanne - so die Argumentation -, in der eine ungeheure Offenheit der menschlichen Subjektvermögen gegeben ist, lässt man diese unbearbeitet und verschwendet in der Folge wertvolles Humankapital. Gerade deshalb, weil die Ausnutzung von Humankapital in den verschiedenen Kindheitsphasen in der Bundesrepublik "suboptimal" (Lepenies) ist, sollen in Zukunft auch die informellen Lernprozesse von Kindern stärker in die Humankapitalbildung einbezogen werden. Was, so müssen wir uns fragen, bedeutet die schnelle Wissensproduktion für das Bewusstsein, für das In-der-Welt-Sein, für die Lebenseinstellung der Heranwachsenden? Was geschieht mit ihnen, wenn wir ihnen diese zweckfreien Tätigkeiten verwehren? Welcher gesellschaftliche und individuelle Verlust ist zu erwarten, wenn Phantasie, Imagination, Tagträume, Spiel, experimentierende Erfahrung von Kindern in der Bildung immer weiter ausgedünnt werden? Welche Entzivilisierungstendenzen werden in der Sozialisation durch die Blockierung der in diesen Formen zum Ausdruck kommenden Subjektvermögen der menschlichen Wesenskräfte freigesetzt?

Drittens: Die Verwarenförmigung von Bildung unterbindet die zeitliche Logik kindlicher Bildungsprozesse: Arbeitgeber und etablierte Politik versuchen, den kindlichen Bildungsprozess nach wirtschaftlichen Regeln und zeitökonomischen Aspekten zu gestalten. Die immensen zeitlichen Aufwendungen für Bildung - so lautet die Argumentation - unterlaufen die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland. Empfohlen werden daher eine drastische Verkürzung der Bildungszeit und der Abbau so genannter "Kunstpausen" in der Bildung. In dieser "Wirtschaftsphilosophie" wird Bildung mit einer möglichst raschen Vermittlung von Wissen, Informationen und Kompetenzen verwechselt. Alle Prozesse, in denen sich Kinder auf produktive, auf kreative Weise und oftmals auf Umwegen mit Problemen und deren Lösungen beschäftigen, gelten als pure Zeitverschwendung. Dabei bleibt die Logik kindlicher Bildungsprozesse völlig auf der Strecke (Neumann 1999, S. 237): eine Logik, die sich eben nicht nach der Logik ökonomischer Effizienz entfaltet, sondern von der Eigensinnigkeit von Kindern her bestimmt wird. Wer diese Logik kindlicher Bildungsprozesse außer Kraft setzt, gefährdet die Grundlage für eine sich entfaltende Persönlichkeit und macht Bildung selbst zu einem gewaltförmigen Vorgang, in dem menschliche Individualität auf der Strecke bleibt. Max Horkheimer hat in seinen Ausführungen zum Begriff der Bildung diesen Sachverhalt treffend formuliert: "Der Prozess der Bildung ist in den der Verarbeitung umgeschlagen (also in die bloß oberflächliche Aneignung von Wissen und Kompetenzen - A. B.). Die Verarbeitung (...) lässt dem Gegenstand keine Zeit, die Zeit wird reduziert. Zeit aber steht für Liebe; der Sache, der ich Zeit schenke, schenke ich Liebe; die Gewalt ist rasch" (Horkheimer 1981, S. 166). In Umkehrung der bildungsökonomischen Grundthese des Neoliberalismus können wir formulieren, dass die Gesellschaft gerade in ihrem Bemühen, Bildung zu beschleunigen und "effizient" zu gestalten, systematisch denjenigen Reichtum verschwendet, der über eine Bildung erst zu Tage gefördert werden könnte, ein Reichtum an menschlichen Wesenskräften allerdings, der von einem ökonomischen Reichtumsbegriff nicht abgedeckt wird.

Viertens: Die Verwarenförmigung von Bildung verschärft die Konkurrenz- und Wettbewerbsprinzipien schon im frühen Kindesund Grundschulalter. Sie leitet Kinder zu Einstellungen und Haltungen an, die entzivilisierende Elemente für das gesellschaftliche Zusammenleben produzieren. Konkurrenz, Wettbewerb, Rivalität, Kampf ums Dasein sind schon heute Gewalt produzierende Verhaltensweisen in Kindergärten und Schulen. Vorschläge des Berliner Erziehungswissenschaftlers und Präsidenten der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, Mitglied des Fördervereins der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, sind vor dem Hintergrund dieser Tendenzen zweifelsohne irritierend, fordert er doch für die Grundschule ein Ende der "Kuschelpädagogik" und eine systematische Unterwerfung der Grundschulkinder unter harte Qualifikationsbedingungen, unter "Arbeit", "ökonomischen Druck" und "soziale Erwartungen" (Lenzen 2001, S. 2), wobei er mit sozialen Erwartungen offensichtlich nicht das Erlernen der sozialen Regeln menschlicher Kooperation meint. Es geht ihm vielmehr darum, Menschen hervorzubringen, die "nicht eine der vielen Opfernischen bewohnen (Â…) wollen, die unsere Gesellschaft bietet" (ebd.). Wenn Schule den ohnehin schon übermächtigen Druck zur Selektion noch verschärft, bringt sie massenhaft jenes egozentrische Denken hervor, das die "Bindekräfte der Menschen" zerstört und in der Folge den sozialen Zusammenhalt einer zivilen Gesellschaft gefährdet (Negt 2004).

Fünftens: Die Verwarenförmigung von Bildung zerstört den Charakter einer allgemeinen Bildung, denn sie eliminiert all diejenigen Momente, die für einen gelingenden Bildungsprozess die unhintergehbaren Bedingungen sind: Muße, Zeit, Hingabe, Gelassenheit und Liebe, grundlegende Elemente, die den Menschen zur Bildung erst befähigen. Humanistische Perspektiven in der Bildung werden kurzfristigen Qualifikationserfordernissen geopfert. Statt umfassender Menschenbildung im Sinne Humboldts ist gegenwärtig "allseitige Verfügbarkeit" des Menschen (Negt 2004) angesagt. Schule hätte aber zunächst die Aufgabe, den Heranwachsenden ein Höchstmaß an sozialer und intellektueller Grundausstattung zur Verfügung zu stellen, also ein Fundament, das sie dazu befähigt, selbstbestimmt handeln und aktiv die eigenen Lebensverhältnisse gestalten zu können. Wenngleich die neuhumanistische Bildungstheorie in ihren reformerischen Aspekten nicht auf die Bildungssituation von heute übertragen werden kann, so ist ihr Grundgedanke doch gegen die zentrifugalen gesellschaftspolitischen Konzepte des Neoliberalismus aufzubieten: Durch eine qualitativ auf hohem Niveau angesetzte Bildung für die Kinder aller Gesellschaftsschichten sollen die allgemeinen Fähigkeiten der Heranwachsenden freigesetzt werden. Denn erst eine allgemeine Bildung stellt den Kindern diejenigen Fähigkeiten zur Verfügung, die eine selbstverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen. Wer dieses Ziel der Ermöglichung einer allgemeinen Bildung für alle, die keineswegs nur als angehäuftes Wissen misszuverstehen ist, aus den gesellschaftspolitischen Perspektiven verdrängt, Humboldt für tot erklärt, verabschiedet sich nicht nur vom Gedanken der Mündigkeit, sondern stellt auch die Grundlagen zivilen Zusammenlebens in Frage.

Sechstens: Die Verwarenförmigung von Bildung führt den demokratischen Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule ad absurdum: Während einerseits die Ökonomisierung und zeitliche Beschleunigung von Bildung betrieben werden, soll Schule andererseits immer mehr Aufgaben übernehmen, die ihren klassischen Bildungsauftrag übersteigen: Sie soll die Defizite der familialen Erziehung kompensieren, sie soll den veränderten Bedingungen des Aufwachsens von Kindern Rechnung tragen, sie soll interkulturelles Lernen ermöglichen und zum Abbau von Gewaltpotenzialen beitragen. Schule soll den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und alternative Unterrichtsmethoden erproben. Mit anderen Worten: Die pädagogischen Anforderungen an Schule steigen durch die Umwälzungen in der kindlichen Lebenswelt; während zugleich ihre Aufgaben immer stärker auf Humankapitalbildung beschränkt werden. Dabei wäre die Berücksichtigung dieser Veränderungen in der schulischen Arbeit die Grundlage dafür, dass sich die psychischen und psychosozialen Probleme von Kindern nicht potenzieren, sondern dass sie bearbeitet werden können, dass Bildung überhaupt als humanisierende Kraft wirken kann. Dazu ist Schule entgegen dem Engagement vieler Lehrerinnen und Lehrer aus strukturellen Gründen nicht in der Lage, der Ökonomisierungsdruck setzt ihre pädagogischen Aufgaben zunehmend außer Kraft.

Siebtens: Die Verwarenförmigung von Bildung ist aber auch volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Denn es wird lediglich danach gefragt, wie möglichst rasch rentables Arbeitsvermögen, also: Humankapital, hergestellt werden kann. Diese blinde Produktivitätsgläubigkeit ignoriert die ökonomischen Kosten, die in Zukunft auf die Gesellschaft zurückfallen werden: Kosten, verursacht durch die Ausgrenzung von Kindern aus so genannten bildungsfernen Schichten, Kosten für erforderliche außerschulische Lern- und Hausaufgabenhilfen (Sozialhilfe-, Jugendhilfeträger), Kosten, die durch die Phänomene des "Schulversagens" bzw. des Schulabbruchs anfallen, Kosten, die durch Vandalismus und Gewalt an Schulen erzeugt werden, Kosten, die infolge fehlender Bildungsabschlüsse und durch Aufwendungen spezieller berufsbildender Maßnahmen ("Bildungswarteschleifen") hervorgerufen werden usw. usf.

Entscheidend sind jedoch die nicht in Zahlen zu beziffernden gesellschaftlichen Kosten, die durch eine gefährdete Identitätsfindung und Subjektwerdung von Kindern durch eine Degradierung von Bildung zu Ware verursacht werden. Der eigentliche Skandal liegt in dem Versuch, den Menschen um seine menschlichen Möglichkeiten zu betrügen, ihn in das Korsett einer verkäuflichen Ware zu pressen. Resümierend können wir sagen, dass diejenigen Kosten nicht in die neoliberalen Vorstellungen eingehen, die als Folgewirkungen gründlich missglückter Bildung auf die Gesellschaft zurückschlagen. Versuche der Ökonomisierung von Bildung blockieren Alternativen, die zur Bewältigung globaler Problemlagen, zur Verarbeitung neuer Sozialisationsbedingungen und zur emanzipativen Selbstfindung von Kindern und Jugendlichen dringend benötigt werden. Den Preis dafür werden nicht die global player bezahlen, sondern diejenigen, denen die Rechte auf eigenständige Lebensgestaltung verweigert werden.


Armin Bernhard - Jg. 1957; Prof. Dr., Dipl.-Päd., Professor für Allgemeine Pädagogik am FB Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen; Arbeitsschwerpunkte: Allgemeine Pädagogik, kritische Erziehungs- und Bildungstheorie, historische Reformpädagogik, Fachdidaktik Pädagogik; zuletzt in UTOPIE kreativ: Antonio Gramscis Verständnis von Bildung und Erziehung, Heft 183 (Januar 2006).

Der Text folgt einem Vortrag auf der Tagung des Freien Zusammenschlusses der StudentInnenschaft "Was für eine Schule wollen wir?", gehalten an der Universität Frankfurt am Main am 18. November 2006. Den Studentinnen und Studenten, die sich mit viel Engagement an Organisation und Durchführung dieser Tagung beteiligt haben, widme ich diesen Beitrag.

1 Es ist nicht übertrieben, von der "geistigen Selbstkolonialisierung " der Hochschulen zu sprechen (Liessmann 2007, S. 28), die sich ohne größere Widerstände in die neoliberale Gesamtstrategie einbinden lassen und damit Forschung und Lehre von den Opportunitäten des Marktes abhängig machen.

2 Der ungarische Wirtschaftshistoriker Polanyi sieht in seiner 1944 zum ersten Mal veröffentlichten Studie "Die große Transformation " die Problematik der so genannten freien Marktwirtschaft in dem Umstand begründet, dass in diesem kapitalistischen Wirtschaftsmodell nicht wie in "integrierten " Gesellschaften die Ökonomie der Gesellschaft und ihrer Lebensweise untergeordnet ist, sondern eine Umkehrung dieses Verhältnisses stattfindet: Die Gesellschaft wird zunehmend zur Funktion der Wirtschaft. In diesem Vorgang werden die "Faktoren " Arbeit, Boden und Geld in Waren zu transformieren versucht (Polanyi 1978, S. 111), ein Vorgang, der wider die menschliche Natur läuft.

3 Bezeichnenderweise wird die PISA-Studie nicht federführend von den öffentlichen Bildungsverwaltungen, sondern von privaten Bildungsanbietern, dem Australian Council for Educational Research (ACER) und dem USamerikanischen Educational Testing Service (ETS), organisiert (siehe: Heinemann 2006).

4 In den 1960er Jahren war diesbezüglich in Folge des Sputnik-Schocks von 1957 von der Ausschöpfung der Begabungsreserven die Rede. Analog hierzu spricht der Berliner Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen von der Notwendigkeit der "Mobilisierung aller Bildungsreserven" (zit. nach Spiewak 2003).

5 Der gegenwärtige Boom der "Frühpädagogik", auch große Teile der Resilienzforschung, in der es darum geht, das psychosoziale Belastungspotenzial von Kindern zu erhöhen, anstatt menschenwürdige Sozialisationsbedingungen für Kinder zu schaffen (siehe hierzu kritisch: Borst 2006), sind in diesem Zusammenhang um die Ausbeutung menschlicher Humanressourcen zu sehen. So begreift die Robert-Bosch- Stiftung, die sich auf diesem Gebiet engagiert, den Kindergarten nunmehr als "erste Etappe einer lebenslangen Bildungsbiografie" (Lütke-Entrup 2006, S. 5). Ideologiekritisch gesehen, geht es in dieser Formulierung nicht darum, endlich zu erkennen, dass auch im frühen Kindesalter bereits Bildungsprozesse stattfinden, sondern diese Entwicklungsphase für den bildungsökonomischen Zugriff zu öffnen.


Literatur

  • Anders, Günter: Die Antiquiertheit des Menschen 2. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München 1987 (4. Auflage).
  • Bernhard, Armin: Bildung als Bearbeitung von Humanressourcen. Die menschlichen Wesenskräfte in einer sich globalisierenden Gesellschaft, in: UTOPIE kreativ, Heft 156 (Oktober 2003).
  • Borst, Eva: Bildung im Prozess des lebenslangen Lernens, in: Griese, B. (Hrsg.): Theoretische und empirische Perspektiven auf Lern- und Bildungsprozesse, Mainz 2006, S. 8-24.
  • Bundesregierung: Deutschland erneuern Geschäftsbericht der Bundesregierung, Berlin 2000.
    Chomsky, Noam: Profit over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung, Hamburg 2004 (9. Auflage).
  • Fritz, Thomas; Scherrer, Christoph: GATS - Zu wessen Diensten?, Hamburg 2002.
  • Haug, Wolfgang Fritz: Politisch richtig oder richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech- Kapitalismus, Hamburg 1999.
  • Heinemann, Karl-Heinz: Profit im Vordergrund?, in: Erziehung und Wissenschaft, 9/2006, S. 27.
  • Horkheimer, Max: Begriff der Bildung, in: Ders.: Sozialphilosophische Studien. Aufsätze, Reden und Vorträge 1930-1972, Frankfurt/M. 1981 (2. Auflage), S. 163-172.
  • Klausenitzer, Jürgen: Investitionen in das "Humankapital". PISA und die Bildungspolitik der OECD, in: Forum Wissenschaft, Jg. 19, 2002, H. 3, S. 47-49.
  • Kluge, Jürgen: Manifest zur Bildung, in: Killius, Nelson; Kluge, Jürgen; Reisch, Linda (Hrsg.): Die Bildung der Zukunft, Frankfurt/M. 2003, S. 321-335.
  • Lenzen, Dieter: Veränderung als Pflicht, in: Erziehung und Wissenschaft, 3/2001, S. 2.
  • Lepenies, Wolf: Bildungs-pathos und Erziehungswirklichkeit, in: Killius, Nelson; Kluge, Jürgen; Reisch, Linda, a. a. O., S. 13-31.
  • Liessmann, Konrad Paul: Geistige Selbstkolonialisierung. Die Universitäten in der Wissensgesellschaft, in: Forschung & Lehre, Jg. 14, 2007, H. 1, S. 28-29.
  • Lütke-Entrup, Monika: Warum engagiert sich die Robert Bosch Stiftung für die Reform der frühkindlichen Bildung in Deutschland?, in: Forum Frühpädagogik für Ausbildung, Hochschule und Beruf, 1/2006, S. 5.
  • Negt, Oskar: Private Lösungen sind nur Kostenverschiebungen, in: Erziehung und Wissenschaft 5/2004.
  • Neumann, Karl: Zur Restitution und Rekonstruktion des Bildungsbegriffs, in: Neue Sammlung, Jg. 39, 1999, H. 2, S. 227-241.
  • Polanyi, Karl: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt/Main 1978.
  • Ribeiro, Silvia: Biopiraterie - die Privatisierung von gemeinschaftlichen Gütern; BUKO - Bundeskoordination Internationalismus, Biopiraterie-Kampagne http://www.biopiraterie.de/texte/basics/silviaprivatisierung.php?print (Stand: 20. 4. 2005)
  • Rühle, Otto: Das proletarische Kind, München 1922.
  • Schröder, Gerhard: In der Bildung liegt die Zukunft: Auf dem Wege in eine lernende Gesellschaft, in: Zukunftswerkstatt Schule 10 (2000) 2, S. 47-54.
  • Spiewak, Martin: Mit vier Jahren in die Schule, in: Die Zeit, 2003, Nr. 46.
  • Ziegler, Jean: Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, München 2003, (9). Auflage.

in: UTOPIE kreativ, H. 197 (März 2007), S. 202-211

 

aus dem Inhalt:
Essay STEPHANIE BALIS: Wo Sommer wirklich Sommer ist. Eine Reise in die Berge von Kurdistan; Gesellschaft - Analysen & Alternativen ARMIN BERNHARD: Bildung als Ware - Die Biopiraterie in der Bildung und ihr gesellschaftlicher Preis; WOLFGANG BITTNER: Lese-Kultur gegen Gewalt. Kinder- und Jugendliteratur als Prophylaxe; HARALD WERNER: Fünf Fragen an ein zeitgemäßes Curriculum zur Politischen Ökonomie; Europa heute WILHELM ERSIL: Die EU am 50. Jahrestag der Römischen Verträge; Geschichte & Utopie ANDREAS HEYER: Ursprung und Gehalt des Utopiebegriffs von Karl Mannheim; GOTTFRIED OY: Spurensuche Neue Linke. Das Beispiel des Sozialistischen Büros und seiner Zeitschrift links; Gedenken In memoriam Theodor Leipart (1867-1947); Standorte CHRISTEL HARTINGER: "Nicht gegen mein Gewissen". Gespräche mit Felicia Langer; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Volker Hauff, Günther Bachmann (Hrsg.): Unterm Strich. Erbschaften und Erblasten für das Deutschland von morgen. Eine Generationenbilanz (RAINER RILLING); Doron Rabinovici, Ulrich Speck, Nathan Sznaider (Hg.): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte (ANDREAS MÜLLER, PETER ULLRICH); Bernd Nagel: Die Eigenarbeit der Zisterzienser (ULRICH BUSCH); Imperialismus heute. Weltmarkt und Weltmacht - Von der globalisierten Zivilgesellschaft und ihrer antiterroristischen Kriegskultur (RENATE DILLMANN); Adelheid von Saldern (Hrsg.): Stadt und Kommunikation in bundesrepublikanischen Umbruchszeiten (JOACHIM TESCH); Summaries