Im­pe­ria­ler Mul­ti­la­te­ra­lis­mus in der Kri­se

Zum ''Form­tief'' von IWF, WTO und G8

in (19.04.2007)

Im Zu­ge der öko­no­mi­schen Glo­ba­li­sie­rung wur­den die gro­ßen mul­ti­la­te­ra­len In­sti­tu­tio­nen - IWF, Welt­bank, WTO, OECD, BIZ (1), NA­TO - zu ei­nem Ver­bund in­

... neo­li­be­ra­le Pro­jekt auf po­li­ti­scher Ebe­ne flan­kier­te. Wie die Spin­ne im Netz soll­te die G8 da­für als in­for­mel­le Schalt- und Ko­or­di­na­tions­stel­le fun­gie­ren. Das Sys­tem war nicht per­fekt. Aber es zeich­ne­te sich so et­was wie eine real exis­tie­ren­de glo­bal go­ver­nan­ce ab: ein Flecht­werk, herr­schafts­för­mig und hie­rar­chisch struk­tu­riert, mit im­pe­ria­lem Cha­rak­ter, das die Ge­schi­cke des Pla­ne­ten zu be­stim­men schien. Die UNO wur­de in die­ser Welt­ord­nung im­mer wei­ter an den Rand ge­drängt. Dort wo es in das stra­te­gi­sche De­sign des Im­pe­riums pass­te, wur­de der Si­cher­heits­rat ein­be­zo­gen und, wie im Fall des Kriegs in Af­gha­nis­tan, in­stru­men­ta­li­siert. An­sons­ten war sie für wei­che The­men wie Ent­wick­lung und Ar­muts­be­kämp­fung zu­stän­dig. An­ge­sichts ihrer real­po­li­ti­schen Macht­lo­sig­keit muss­te sie sich da­bei weit­ge­hend auf Rhe­to­rik be­schrän­ken. Ak­tu­ell meh­ren sich al­ler­dings die An­zei­chen, dass der im­pe­ria­le Mul­ti­la­te­ra­lis­mus zu­neh­mend in Schwie­rig­kei­ten ge­rät. Die Fra­ge ist: Han­delt es sich um ein vo­rüber­ge­hen­des Form­tief oder um ei­nen tie­fer ge­hen­den, struk­tu­rel­len Um­bruch? Ist die Kri­se der In­sti­tu­tio­nen die Vor­bo­tin ei­ner neuen Epo­che, in der die macht­po­li­ti­schen Kar­ten neu ge­mischt wer­den?

Die WTO sinkt

Dass die Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­tion (WTO) in der Kri­se steckt, ist seit Seattle weit­hin sicht­bar ge­wor­den. Die Do­ha-Run­de und da­mit der Ver­such ei­ner wei­te­ren Li­be­ra­li­sie­rung des Welt­han­dels sind vor­erst ge­schei­tert. Beim eins­ti­gen Flagg­schiff der neo­li­be­ra­len Glo­ba­li­sie­rung scheint die Pa­ro­le der Pro­test­be­we­gung Shrink or Sink sich in Rich­tung des Sin­kens zu er­fül­len. Die gro­ßen Spie­ler in der Han­dels­po­li­tik sind in­zwi­schen al­le da­bei, auf bi­la­te­ra­le Han­dels- und In­ves­ti­tions­ab­kom­men aus­zu­wei­chen. Meh­re­re Fak­to­ren ha­ben zum Schei­tern der WTO bei­ge­tra­gen: 1. Die Ri­va­li­tä­ten zwi­schen den han­dels­po­li­ti­schen Gi­gan­ten EU und USA ha­ben be­reits in Seattle zu Blo­cka­den ge­führt. Ob Agrar­po­li­tik, In­dus­trie­sub­ven­tio­nen oder Li­be­ra­li­sie­rung beim au­dio­vi­su­el­len Sek­tor, die Ri­va­li­tä­ten neh­men eher zu als dass sie ab­neh­men. Die Han­dels­po­li­tik ist zu­dem das ein­zi­ge Ter­rain, auf dem die EU den USA eben­bür­tig ist. 2. Die Emer­ging Mar­kets, vor­ne weg Chi­na, In­dien und Bra­si­lien sind zu han­dels­po­li­ti­schen Schwer­ge­wich­ten auf­ge­stie­gen. Sie ver­fol­gen da­bei nicht nur ziel­stre­big ihre ei­ge­nen In­te­res­sen, son­dern ha­ben sich kol­lek­tiv or­ga­ni­siert. Die Bil­dung der in­for­mel­len Grup­pe der 20 (G20) bei der Kon­fe­renz in Cancún ist Aus­druck da­von. 3. Auch die an­de­ren Ent­wick­lungs­län­der ha­ben seit Seattle be­gon­nen, ihre In­te­res­sen selbst­be­wuss­ter zu ver­tre­ten. So ha­ben sich die afri­ka­ni­schen Staa­ten zu ei­ner Grup­pe zu­sam­men­ge­schlos­sen. Auch wenn ihre han­del­po­li­ti­sche Ver­hand­lungs­macht be­grenzt ist, konn­ten sie zu­min­dest in der Agrar­po­li­tik da­zu bei­tra­gen, dass die In­dus­trie­län­der ihre Agen­da nicht durch­zie­hen konn­ten. 4. Schließ­lich ha­ben die welt­wei­ten Pro­tes­te und die da­mit ein­her­ge­hen­de De­le­gi­ti­mie­rung der WTO in der Welt­öf­fent­lich­keit zur Ak­zep­tanz­kri­se des Neo­li­be­ra­lis­mus im All­ge­mei­nen und der Kri­se der neo­li­be­ra­len In­sti­tu­tio­nen im Be­son­de­ren bei­ge­tra­gen. Die­se Fak­to­ren wir­ken über die WTO hi­naus auch auf die an­de­ren In­sti­tu­tio­nen und ins­ge­samt auf den Gang der Welt­ge­schich­te.

IWF an­ge­schla­gen

Auch der Inter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds (IWF) hat erns­te Pro­ble­me. Nach der Asien­kri­se hat­ten sich be­reits Ma­lay­sia und ei­ni­ge an­de­re asia­ti­sche Emer­ging Mar­kets mit der Ein­füh­rung von Ka­pi­tal­ver­kehrs­kon­trol­len von der rei­nen Leh­re des Wa­shing­ton Kon­sen­ses ver­ab­schie­det. Chi­na und In­dien hat­ten sich gar nicht erst da­rauf ein­ge­las­sen. Als Bra­si­lien und Ar­gen­ti­nien vor­fris­tig ihre Schul­den beim Fonds zu­rück­zahl­ten und sich da­mit der Ab­hän­gig­keit und den da­raus re­sul­tie­ren­den Struk­tur­an­pas­sungs­auf­la­gen ent­zo­gen, brach am Wa­shing­to­ner Sitz des Fonds nicht nur eine Iden­ti­täts­kri­se, son­dern so­gar eine Haus­halts­kri­se aus. Oh­ne Zin­sen und Ge­büh­ren von gro­ßen Schuld­nern schrumpft das IWF-Bud­get näm­lich schmerz­haft. Selbst In­do­ne­sien, der letz­te Groß­schuld­ner, hat an­ge­kün­digt, sei­ne Ver­bind­lich­kei­ten bin­nen zweier Jah­re zu til­gen. Die Ein­nah­men san­ken 2006 um mehr als die Hälf­te auf 1,39 Mrd. US-Dol­lar. Für 2009 wird so­gar nur noch mit 635 Mio. US-Dol­lar ge­rech­net. Hat­te der Fonds zwei Jahr­zehn­te eine Haupt­rol­le als Prä­zep­tor der Welt­wirt­schaft ge­spielt, ris­kiert er jetzt zum Klein­dar­stel­ler zu wer­den. Die Kri­tik am IWF reicht bis weit in den Main­stream hi­nein. So stellt ein Be­richt über die stra­te­gi­sche Über­prü­fung des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds, den der Aus­schuss für Wirt­schaft und Wäh­rung des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments 2006 er­stellt hat (Ham­on-Re­port) fest, dass der Fonds in den letz­ten 20 Jah­ren weit­ge­hend ver­sagt hat. Die Struk­tu­ren seien ver­al­tet und ver­krus­tet. Die Kom­mis­sion for­dert eine strik­te Ein­schrän­kung auf das Kern­man­dat, d.h. Wech­sel­kurs­schwan­kun­gen zu sta­bi­li­sie­ren und Län­dern mit gra­vie­ren­den Zah­lungs­bi­lanz­pro­ble­men Über­brü­ckungs­hil­fen zu ge­wäh­ren. Gleich­zei­tig wer­den Ver­än­de­run­gen der Stimm­rechts­ver­hält­nis­se an­ge­mahnt, vor al­lem eine Er­hö­hung des Ge­wichts der Eu­ro­pä­er. Selbst IWF-Chef Rod­ri­go Ra­to, Nach­fol­ger von Horst Köh­ler, spricht in­zwi­schen von der Not­wen­dig­keit von Re­for­men. Auch die Welt­bank, die bei den gro­ßen Leit­li­nien der Po­li­tik dem Fonds schon im­mer nach­ge­ord­net war, wird da­von be­trof­fen sein. Von ei­ner re­gel­rech­ten Kri­se kann zwar nicht die Re­de sein, aber der gegen­wär­ti­ge Kurs ist stra­te­gisch dif­fus. Ei­ner­seits hält man - mit ei­ni­gen rhe­to­ri­schen Zu­ge­ständ­nis­sen - am neo­li­be­ra­len Leit­bild fest, an­de­rer­seits sind die ka­ta­stro­pha­len Er­geb­nis­se von 15 Jah­ren Wa­shing­ton-Kon­sens zu of­fen­sicht­lich, als dass man noch ein­fach busi­ness as usu­al be­trei­ben könn­te. Die Pro­ble­me der Brett­on-Woods-Zwil­lin­ge sind in ers­ter Li­nie die Pro­ble­me der USA. Denn nach wie vor gilt Zbig­niew Brze­zins­kis Ein­schät­zung: "Of­fi­ziell ver­tre­ten der Inter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds und die Welt­bank glo­ba­le In­te­res­sen und tra­gen welt­weit Ver­ant­wor­tung. In Wirk­lich­keit wer­den sie je­doch von den USA do­mi­niert."

G8 - ein Aus­lauf­mo­dell

Auch bei der G8 stellt sich die Fra­ge, ob das Kon­strukt noch eine Exis­tenz­be­rech­ti­gung hat. Vor dem Gip­fel 2006 in Russ­land warf To­ny Blair den Vor­schlag in die Run­de, aus der G8 doch eine G12 zu ma­chen, d.h. Chi­na, In­dien, Bra­si­lien und Süd­af­ri­ka auf­zu­neh­men. Gegen­wär­tig re­prä­sen­tie­ren die G8 ge­ra­de mal 13% der Welt­be­völ­ke­rung. Eine G12 bräch­te es auf über 50%, wo­mit zu­min­dest arith­me­tisch eine ge­wis­se Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät ent­stün­de. Doch das Pro­blem der G8 ist nicht nur ihr De­mo­kra­tie­de­fi­zit. Nach En­de des Kal­ten Krie­ges ha­ben in der Ge­men­ge­la­ge von Ko­ope­ra­tion und Kon­flikt die zen­tri­fu­ga­len Ten­den­zen stark zu­ge­nom­men. Die Block­dis­zi­plin war ent­fal­len, so dass vor al­lem die Eu­ro­päe­rIn­nen ei­ge­ne In­te­res­sen stär­ker ar­ti­ku­lier­ten. Auf der an­de­ren Sei­te ha­ben der Uni­la­te­ra­lis­mus der Bush-Ad­mi­nis­tra­tion und ihr Kreuz­zug gegen den Ter­ro­ris­mus die Di­ver­gen­zen ver­tieft. Hö­he­punkt in die­ser Ent­wick­lung war der I­rak­krieg. Auch die Auf­nah­me Russ­lands hat sich in den letz­ten Jah­ren eher als Be­las­tung er­wie­sen. Wäh­rend Bo­ris Jel­zin ein ge­fü­gi­ger Hin­ter­sas­se des Wes­tens war, ver­sucht Wla­di­mir Pu­tin ein Come­back Russ­lands als eigen­stän­di­ge Groß­macht. Er setzt da­bei auf den Sta­tus als ato­ma­re Super­macht und den stra­te­gi­schen Ein­satz der Reich­tü­mer an Öl und Erd­gas. Auch im Um­gang mit dem Iran, beim jüngs­ten Li­ba­non­krieg und in der so ge­nann­ten Si­cher­heits­po­li­tik klaf­fen deut­lich Dif­fe­ren­zen. In sei­ner auf­se­hen­er­re­gen­den Re­de bei der jüngs­ten Mün­che­ner Si­cher­heits­kon­fe­renz hat Pu­tin hier­zu Klar­text ge­re­det.

Auf­stieg der BRICS

Den Vor­schlag Blairs für eine G12 hat An­ge­la Mer­kel vor­erst ab­ge­lehnt. Die vier Kan­di­da­ten sind in Hei­li­gen­damm al­so zu­nächst noch als Gäs­te da­bei. Die He­te­ro­ge­ni­tät der Grup­pe wür­de mit ei­ner Voll­mit­glied­schaft der Neuen dras­tisch zu­neh­men. Es ist höchst frag­lich, ob die Gip­fel dann noch den Rah­men ab­ge­ben kön­nen, in dem der Wes­ten sei­ne In­te­res­sen auf­ge­ho­ben sieht. Auch wenn man gegen die Hys­te­rie im­mun ist, die um den ra­san­ten öko­no­mi­schen, po­li­ti­schen und mi­li­tä­ri­schen Auf­stieg Chi­nas, die Re­nais­san­ce rus­si­scher Groß­macht­po­li­tik und die sich ab­zeich­nen­de Welt­macht­rol­le In­diens ent­stan­den ist, so ist den­noch klar, dass sich die glo­ba­le Macht­kon­fi­gu­ra­tion grund­le­gend ver­schiebt. Es scheint, dass die Epo­che nach dem Kal­ten Krieg sehr kurz ge­we­sen ist. Nicht ein­mal zwei Jahr­zehn­te nach­dem das En­de der Ge­schich­te ver­kün­det wur­de, er­le­ben wir eine enor­me Be­schleu­ni­gung der Ge­schich­te. Ein tie­fer his­to­ri­scher Ein­schnitt kün­digt sich an. Ein hal­bes Jahr­tau­send hat der Wes­ten - zu­erst Spa­nien und Por­tu­gal, dann Eng­land und zu­letzt die USA - die Welt be­herrscht. Die­se Po­si­tion wird nun durch die New­co­mer ernst­haft in Fra­ge ge­stellt. In­so­fern dürf­te hin­ter den Pro­ble­men der mul­ti­la­te­ra­len In­sti­tu­tio­nen mehr ste­cken als eine Form­kri­se. Prompt ge­win­nen Ideen zu ei­ner neuen Block­bil­dung wie das Pro­jekt ei­ner trans­at­lan­ti­schen Part­ner­schaft wie­der an Bo­den. Eine trans­at­lan­ti­sche Frei­han­dels­zo­ne er­gänzt durch en­ge­re po­li­ti­sche Ko­ope­ra­tion wird als mög­li­che Re­ak­tion ge­han­delt. Und die NA­TO gibt es ja schon. Wie rea­lis­tisch die­se Vor­stel­lung ist, sei da­hin ge­stellt. Tat­sa­che ist, dass die Lin­ke sich noch nicht auf die an­ste­hen­den Um­brü­che ein­ge­stellt hat. Wie po­si­tio­niert man sich gegen­über den neuen Ent­wick­lun­gen? Ein­fa­che Ant­wor­ten nach der Lo­gik "Der Feind mei­nes Fein­des ist mein Freund" ver­bie­ten sich. We­der der chi­ne­si­sche Staats­ka­pi­ta­lis­mus noch Pu­tins au­to­ri­tä­res Re­gime sind eman­zi­pa­to­ri­sche Ver­an­stal­tun­gen. Und die west­li­che "Werte­ge­mein­schaft", von der unse­re Kanz­le­rin schwärmt, kann nicht die Al­ter­na­ti­ve sein. Eine gründ­li­che De­bat­te steht al­so an. An­mer­kung: 1) Bank für inter­na­tio­na­len Zah­lungs­aus­gleich. Der Zu­sam­men­schluss der Zen­tral­ban­ken der In­dus­trie­län­der ist eher un­auf­fäl­lig, spielt aber für das inter­na­tio­na­le Fi­nanz­sys­tem eine wich­ti­ge Rol­le. aus: G8: Die Deutung der Welt. Kritik. Protest. Widerstand. Gemeinschaftsausgabe der Redaktionen ak - analyse & kritik, arranca!, Fantômas und So oder So. Erscheint mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung als arranca! Nr. 36, Fantômas Nr. 11, So oder So Magazin Nr. 3 und Sonderbeilage zu ak - analyse & kritik