Falsch gepfiffen

Staatliche Doppelmoral verhindert das Recht auf Selbstbestimmung? Ein Kommentar.

Während die Kinder vor dem Fernseher knotzen, Chips essen und die Tore ihrer Lieblingsmannschaften zählen, beschäftigt die Schreiberin die Zahl 40.000.
30-40.000 zusätzliche Prostituierte vor allem aus Osteuropa würden zur WM nach Deutschland "eingeschleust", warnte der deutsche Frauenrat und berief sich dabei auf die Vorsitzende des Frauen- und Gleichstellungsausschusses des Deutschen Städtetags, Ulrike Hauffe. Hauffe ging mit diesen Zahlen bereits im April 2005 an die Öffentlichkeit und rief damit eine Allianz aus Feministinnen, rechten PolitikerInnen und der katholischen Kirche auf den Plan. Diverse Kampagnen gegen Zwangsprostitution wurden ins Leben gerufen. Hierzulande wohl am bekanntesten ist die Kampagne "Abpfiff" des deutschen Frauenrates, die auch von namhaften SPÖ-Politikerinnen unterstützt wurde.
Aus den 30.000-40.000 Prostituierten wurden bald 40.000 Zwangsprostituierte (Emma) oder 40.000 "moderne Sexsklavinnen" (EU-Justizkommissar Franco Frattini). Mit Fotos, die in erster Linie nackte Hintern, Beine und Brüste zeigten, bebilderten diverse Medien ihre Berichte und kolportierten hartnäckig die selbe Zahl, obwohl diese sowohl vom Deutschen Städtetag als auch vom deutschen Bundeskriminalamt dementiert und von Prostituierten-Organisationen sowie auch BordellbetreiberInnen stark bezweifelt wurde und bis dato nicht bestätigt werden kann.
Was aber steht abseits von falschen Zahlen hinter den Kampagnen? Was bewirkt ein Diskurs, der tendenziell alle Prostituierten - vor allem Migrantinnen - zu Zwangsprostituierten und damit zu Opfern macht? Was wird durch die Vermischung von Sexarbeit und Frauenhandel verdeckt?
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Frauenhandel ist ein Verbrechen und muss geahndet werden und ja: Jede Frau, die zum Zwecke der Prostitution gehandelt wird, ist eine Frau zu viel. So wie jede Frau, die zu anderen Zwecken (zum Beispiel Hausarbeit) gehandelt wird, eine Frau zu viel ist.
Doch Frauenhandel wird nicht verhindert werden, wenn Visa-Bestimmungen verschärft werden - wie es unter anderem der erwähnte EU-Justizkommisar Frattini und die österreichische Innenministerin Liese Prokop fordern oder wie es in Österreich mit dem seit Anfang des Jahres in Kraft getretenen neuen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz schon geschehen ist. Frattini ging sogar so weit vorzuschlagen, dass jede Frau, die vor der WM einen Antrag auf ein Visum stelle, überprüft werden solle, da die Frauen auf den Anträgen meistens lügen würden. Überhaupt sollte für alle Länder, aus denen Prostituierte kommen könnten, eine Visumspflicht eingeführt werden.
Bei Razzien, die im Zuge der Debatten um die WM verstärkt durchgeführt wurden, konnten keine gehandelten Frauen gefunden werden: Wohl aber wurden Migrantinnen ohne Aufenthaltsstatus abgeschoben.
Jenen, die immer schon die Grenzen dicht machen wollten, leistet der Diskurs um Frauenhandel unter dem Vorwand, Frauen vor Zwangsprostitution zu schützen, Vorschub. Das Gegenteil ist der Fall: Je mehr Migrantinnen illegalisiert und kriminalisiert werden, desto höher ist die Gefahr ihrer Ausbeutung, desto leichter werden sie Opfer von Menschenhändlern.
Frauenhandel wird nicht verhindert werden, wenn Prostitution generell verboten wird, wie es im Zuge der Diskussionen um die Zwangsprostitution immer wieder geschehen ist: Etwa vom schwedischen Justizminister Thomas Bodström im Europäischen Ministerrat (in Schweden ist Prostitution seit 1999 verboten und Freier können bestraft werden, wenn sie käuflichen Sex erwerben), was von der Innenministerin Liese Prokop sogleich als diskutierenswerter Vorschlag aufgenommen wurde.
Wenn Prostitution mit Frauenhandel gleichgesetzt wird, werden Prostituierte, auch jene, die sich bewusst entscheiden (wie eng auch immer der Rahmen sein mag, in dem sie ihre Entscheidung treffen) in der Sexarbeit zu arbeiten, auf einen Opferstatus reduziert. Damit wird ihnen jedes Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen. Gleichzeitig wird von der Rolle des Staates abgelenkt, der Ausbeutungsverhältnisse fördert. Solange Sexarbeiterinnen in einer Grauzone von Illegalität und Geduldet-Sein arbeiten müssen, solange sie zwar Steuern zahlen müssen, aber keinen Lohn einklagen können, da ihre Arbeit als sittenwidrig gilt, solange Migrantinnen in der Sexarbeit keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, solange wird sich am prekären Status von Sexarbeiterinnen nichts ändern. Es sind die Gesetze und die gesellschaftliche Doppelmoral die Prostituierte in Abhängigkeiten treiben und nicht die Art ihrer Tätigkeit. Und genau hier müssten Kampagnen ansetzen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at