Enttäuschte Erwartungen

Das WSF war nicht das, was wir erwartet hatten. Die NGOs hatten es fest im Griff, und statt als Zielscheiben unserer Proteste waren die großen Konzerne als Sponsoren dabei.

Als AfrikanerInnen sind wir stolz, Gast­geberInnen des diesjährigen Welt­sozial­forums zu sein. Es findet breite Anerkennung, aber in einer ganz anderen Weise als das gegenwärtige Weltwirtschaftsforum, das für seine Gespräche darüber berühmt ist, wie "sie" unser Gold, Öl und Wasser, unseren Tee, unsere Arbeitskraft und unsere Würde stehlen und aufteilen.

Aber zurück zum WSF. Wenn es An­erkennung findet, dann, weil die Massen daran glauben und ihm optimistisch gegenüber stehen. Sie freuen sich darauf, Menschen zu treffen mit Ideen, Fähigkeiten und Erfahrungen, mit Taktiken und Strategien dafür, wie man mit dem weltweiten Alle-gegen-Alle der Gesellschaften umgehen kann - Ideen, die eine andere Welt möglich machen.

Damit würde das WSF zumindest für einen Teil der leidenden Menschen in Afrika eine einmalige Gelegenheit sein, über ihre Notlage zu sprechen und zu globalem Handeln zu mobilisieren. Zumindest unter den leidenden KenianerInnen bereiten sich viele seelisch schon auf einen neuen Beitrag zum Kampf gegen den Imperialismus vor. Mit der ganzen Community der AktivistInnen hier bei uns in Afrika würden wir in der Lage sein, den Norden zu stürzen. Klinge ich zu utopisch? Es würde eine Gelegenheit sein, Themen zu diskutieren, die wir nie in den Sitzungsräumen und Seminaren der NGOs besprechen. Es würden keine Fesseln der Geldgeber existieren und damit keine Angst!

Keine andere Welt

Als das WSF näher und näher kommt, erwachen auch Leute wie ich angesichts einer neuen Realität aus ihren Tagträumen. Es wird uns allmählich klar, dass nur Leute beim WSF dabei sein werden, die den Eintritt und den Fahrpreis zum Konferenzzentrum bezahlen können, die sich die Snacks dort oder wenigstens einen Softdrink oder Wasser leisten können. Nur die "großen" Organisationen mit entsprechenden Mitteln werden ihre Agenden auf das WSF bringen können - für Graswurzelgruppen ist es unmöglich. Um Platz für 50 Leute zu bekommen, muss eine unerschwinglich hohe Gebühr bezahlt werden - und zwar im Voraus. Nach und nach wird vielen Leuten klar, dass sie ausgetrickst worden sind. Der Raum auf dem WSF ist komplett von NGOs besetzt. Sie haben bloß ihre Bühne vom Lokalen ins Globale ausgeweitet.

Damit es überhaupt ein "Erfolg" werden kann, muss das Forum von multinationalen Unternehmen wie Celtel Communications ge­sponsert werden. Folglich können keine kleinen, sondern nur große Konzerne in die Nähe des Veranstaltungsortes kommen. Und lokale Unternehmen, deren In­ha­ber­Innen über Landbesitz in Größe einer kenianischen Provinz verfügen, wollen den StraßenhändlerInnen unter gar keinen Umständen etwas Platz überlassen.

Diejenigen, die unsere Zielscheiben sein sollen, die wir angreifen und gegen die wir uns organisieren wollen, stehen tatsächlich im Mittelpunkt des WSF: die multinationalen Konzerne, die großen kenianischen Unternehmen in Privatbesitz und die NGOs.

An einem Punkt ist das Geschehen so unerträglich, dass arme Leute ein Verpflegungszelt stürmen, das einem Fünf-Sterne-Restaurant gehört, und einfach das aufessen, was für sie unerschwinglich teuer ist. Das ist keine andere Welt. Das ist die, die arme Leute ihr Leben lang erleben. Hier sind unsere Chefs am Werk!

Die andere Seite des WSF

Das ist die eine Seite des WSF. Auf der anderen Seite ignorieren tapfere Brüder und Schwestern all diese Umstände und nutzen diese einzigartige Chance. Sie finden auf verschiedene Weise zueinander und beschließen, sich um die wirklichen Belange der leidenden Massen zu kümmern, unabhängig von Ethnizität, Geschlecht und kulturellen Orientierungen.

Diese GenossInnen bringen ihr Enga­ge­ment, ihre Energie und ihre Ungeduld mit Leidenschaft zum Aus­­­druck, wenn sie Themen artikulier­ten, die Afrika, Asien, Afro­ame­ri­ka­nerInnen und Latein­ame­ri­­ka­nerInnen betreffen. Red­nerIn für Red­nerIn hebt Ähn­liches hervor; Es geht um Im­peria­lismus, Neokolonialismus und die Not­wendigkeit einer echten globalen Be­freiung.

Die GenossInnen nutzen alle sich bieten­den Möglichkeiten, um kritische Stimmen zu organisieren und für Aktionen zu mobilisieren. Am Ende des WSF gibt es Grund zur Freude: Wir haben es geschafft, Themen zu diskutieren und Schwerpunkte zu setzen, von denen wir meinen, dass wir sie bearbeiten können - als lokale Bewegung mit der Unterstützung eines globalen Netzwerkes oder als ein einziges, enormes globales Netz.

Die Themen, die dabei auf­kommen, sind beispielsweise die For­derung nach Entschädigung für die Vetera­nen des Mau-Mau-Befreiungskrieges, die ihr Land und Eigentum verloren haben und die von der britischen Regierung gefoltert und ermordet worden sind. Eine dem nahe stehende Forderung ist die von Afro­ameri­kanerInnen nach Entschädigung für den Sklavenhandel, bei dem viele AfrikanerInnen ums Leben kamen, unmenschlich behandelt und degradiert worden sind. Diese Themen werden von den Friends of Dedan Kimaathi und dem Malcolm X Grassroots Movement vertreten. Das Landless Peoples Movement of Azania aus Südafrika bringt Landbesitzkämpfe in fast allen afrikanischen Ländern auf die Agenda.

Alle GenossInnen treten für den Pan-Afri­ka­nismus ein - ein Thema, um das sich zentral die African Liberation Support Campaign Network in London kümmert. Andere The­men sind die Kontrolle der Ressour­­cen in Kenia und das Wieder­sichtbar­machen unserer Geschichte. Die Diskussionen gipfeln in der Gründung eines globalen Netzwerks, das unsere Ideen weiter verfolgen wird.

Insgesamt, würde ich sagen, ist das WSF in keinerlei Hinsicht das, was wir alle erwartet hatten. Aber in kleinen Bereichen bietet es eine Möglichkeit, für progressive Ge­nossIn­nen globale und lokale Trends zu überdenken und das Feuer für Pan-Afri­ka­nismus und globale Solidarität zu entfachen.

Naomi Vulenywa Barasa ist in der Theatergruppe Women in Participatory Education Theatre (WEPET) im Slum Kibera in Nairobi und bei den Friends of Dedan Kimaathi aktiv.

Aus dem Englischen von Bettina Engels

in: sul serio Sonderausgabe Nr. 5 "Soziale Bewegungen in Afrika", Frühjahr/Sommer 2007, S. 6-7

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