Bemerkungen - Ulrich Plenzdorf

Man soll Toten nichts Böses nachsagen, denn sie können sich nicht mehr wehren. Im Schatten dieser zweifellos sehr anständigen Maxime führt eine mehr als unanständige ihr feiges Eigenleben:

Man rede nicht über das Böse, das Toten angetan wurde, als sie noch lebten - vor allem wenn man selbst der Täter ist. Nach diesem schönen Glaubenssatz verfuhr das öffentlich-rechtliche Fernsehen, als es sich anläßlich des Todes von Ulrich Plenzdorf wieder einmal selbst einen Persilschein ausschrieb: Auch nach der Wende habe Plenzdorf im Fernsehen Wichtiges geleistet (Liebling Kreuzberg).

Unter allen Nachrufern hat es allein Regine Sylvester - in der Berliner Zeitung - gewagt, daran zu erinnen, daß Plenzdorf seit 1998 von eben diesem Fernsehen so gut wie keinen Auftrag mehr erhalten hatte. Denn Plenzdorf hatte das getan, wofür er schon in der DDR hatte bezahlen müssen: Er hatte seine Meinung gesagt - in einem Interview, das er Alfred Eichhorn für inforadio berlin gegeben und das Plenzdorf anschließend im Blättchen veröffentlicht hatte. Es ging um seine Drehbucharbeit an der dreiteiligen Verfilmung von Erwin Strittmatters Laden (Träumen von Strittmatter oder Der Osten ist out, Heft 25/1998).

Die inkriminierte Passage: "Welche inhaltlichen Auseinandersetzungen gab es zu den drei Bänden Literatur? Wie haben die Beteiligten zusammengefunden?
Wir hatten nicht mehr als dreimal neunzig Sendeminuten für eine historische Zeit von dreißig Jahren. Das provozierte unabänderlich die Frage, wie raffen wir die Handlung, was wählen wir aus dem Text aus und unter welchen dramaturgischen Gesichtspunkten? Ich wollte anderes auswählen als der Regisseur. Jo Baier setzte strikt auf die Familiengeschichte - für mich war die eher der Hintergrund für die Geschichte des schreibbesessenen Esau, des werdenden Dichters im Osten des Landes, zu einer Zeit, als politisch entscheidende Weichen gestellt wurden. Und wie er große Mühe hatte, sich durch diese Zeit durchzufressen, er selbst zu werden und späterhin er selbst zu bleiben. Das hat mich an dem Text mehr als alles andere interessiert.
"Das verstehen die Leute im Westen nicht", bekam ich zu hören. "Dann werden sie es verstehen lernen", war meine Antwort. Und: "Was glaubt ihr, was ich alles aus den Folgen des Films Heimat gelernt habe? Mehr als aus jedem Geschichtsbuch!" "Geschichtsunterricht machen wir nicht", hieß es da.

Der dritte Teil zeigt, wie diese Diskussion ausgegangen ist. Nur ein Beispiel: Strittmatters Esau wird zum politisch interessierten Menschen erst durch den Einfluß des "kleinen Schupank", eines Kommunisten, der mit seinem Leben und mit seinem Tun sich die Achtung des ganzen Landstrichs erworben hat. Ohne diesen Mann träte Esau niemals in die Partei ein. Und er ist es auch, der die Russen überzeugt, Esau nicht wegen Sabotage nach Sibirien zu schaffen. Der Film aber erzählt, daß Esau sich ausgerechnet von seinem prügelnden Ex-Lehrer Rumposch, der Nazi war und nun Vertrauensmann der Russen ist, zum Eintritt in die Partei erpressen läßt. Strittmatters Geschichte erzählt den klassischen Fall einer Nachkriegskarriere im Osten - die Filmvariante dagegen die klassische Westsicht auf diese Karriere. Geschichtsunterricht - nur der falsche.

Neulich sagten Sie auf einer Pressekonferenz - ich glaube ein bißchen im Scherz -, Sie hätten von Strittmatter geträumt. Was hat er Ihnen gesagt? Ich hab ihm im Traum den Film gezeigt und gesagt: Erwin, das ist es, was es ist. Und er: Schlimmer als Krieg is et ooch nich." Wir trauern um Ulrich Plenzdorf.
in: Des Blättchens 10. Jahrgang (X) Berlin, 20. August 2007, Heft 17

aus dem Inhalt:
Heerke Hummel: Ein Widerruf aus der SPD; Albrecht Müller: Nachtrag IKB; Heinz Jakubowski: Der große und der kleine Terror; Gerd Kaiser: Ukraine und Rußland; Uli Brockmeyer: Mit Che in Bolivien; Frank Schubert: Dumme muß man Dumme nennen; Wladislaw Hedeler: Wider das Vergessen; Frank Ufen: Wunderwerk Gehirn; Mathias Iven: Überall ist Kaiserzeit; Mario Keßler: Die DDR-Universität Jena; Kai Agthe: Wenn einer eine Ostreise tut Â…; Hermann-Peter Eberlein: Die Schiffbrüchigen; Ingrid Pietrzynski: Hans Pischner