"Es gibt keinen Post-Feminismus"

Neuer Konservatismus, alter Antifeminismus. Abigail Solomon-Godeau, Kunsthistorikerin und Universitätsprofessorin aus New York, spricht über harte Zeiten.

an.schläge: Wie denken Sie über das momentane Revival des Feminismus?
Abigail Solomon-Godeau: Ich denke nicht, dass es ein Revival gibt. Im politischen Sinne, im Sinne des politischen Kampfes war der Feminismus nie weg, er hat uns nie verlassen. Die Auffassung, es gebe ein Revival, ist Nonsens.

Ein Revival ohne politische Statements vielleicht? So hat Renée Green das 1970er Jahre-Revival genannt. Green hatte in der Wiener Sezession eine sehr kritische Ausstellung über die 1970er Jahre und ihr harmoniesüchtiges Revival - voll orangener Plastikmöbel und Fotos von berühmten Leuten aus der Black Power Bewegung.
Renée Green hatte Recht. Es ging ihr um die Differenz zwischen Black Power, einer revolutionären Einstellung, und den Medien. Wie diese Zeit in den Medien dargestellt wird, stimmt nicht zwingend mit den realen Geschehnissen in der Welt damals überein. Es ging ihr um leere Verpackungen, um Mode, um Ideologie Â… Aber der Kampf der Schwarzen hat nie aufgehört, so wie postkoloniale Kämpfe und auch der Kampf der Frauen nicht aufgehört haben. Für mich ist interessant, wie Formen des politischen Kampfes verschiedene Varianten von Aktivismus und Allianzenbildung und unterschiedliche Strategien verwenden. Als die USA in den Irak einmarschiert sind, gab es die größten Antikriegsdemonstrationen in jeder Stadt auf der ganzen Welt. Hat das irgendeinen Unterschied gebracht? Nein. Das legt nahe, dass diese riesigen Demonstrationen nicht die politischen Entscheidungen beeinflussen. Aus diesem Grunde muss man fragen: Was bringt was?
Um ein anderes Strategie-Beispiel zu geben: Lange herrschte Zweifel, ob in den Genozid in den Flüchtlingscamps in Darfur eingegriffen werden sollte. Nun hatten berühmte SchauspielerInnen wie Mia Farrow und Richard Gere die brillante Idee, kleine Fernseh-Spots über China zu machen, weil China so lange die internationalen Entscheidungen blockierte. Rate, was passierte! Die chinesische Regierung wollte wegen der Olympiade nicht in Verlegenheit gebracht werden Â… Ich will damit sagen, dass in diesem speziellen historischen Moment, in diesem Kontext, diese politische Strategie angebracht war. Die Vorstellung, dass es keinen Protest mehr gibt, ist falsch. Genauso die Vorstellung von Post-Feminismus. Es gibt keinen Post-Feminismus. Der Post-Feminismus ist eine Erfindung der konservativen Medien. Wissen Sie, was ich sage, wenn Leute über Post-Feminismus reden? Das ist Antifeminismus! (lacht)
Es gibt keinen Post-Feminismus, denn eine Änderung der Umstände, für die Feministinnen gekämpft haben, ist bis heute nicht erreicht. Und wir werden keinen Post-Feminismus haben, bis Frauen Gleichheit auf hohem Niveau erreicht haben.

Meinen Sie nicht, dass junge Frauen glauben, dass sie den Feminismus ihrer Mütter nicht mehr brauchen?
Diese Generation ist, zumindest in meinem Land, in den 1980ern unter einer sehr konservativen Regierung und in einem historischen Moment des Backlashes geboren. Sie ängstigen sich alle sehr, über alles, von ihren beruflichen Möglichkeiten zu den Varianten, in denen Feminismus in den Medien dämonisiert wurde. Ich sage ja, die glauben, den Feminismus nicht mehr zu brauchen, aber es gibt einen Grund. Die Generation meiner Studentinnen ist extrem konservativ.

Und sie interessieren sich mehr für individuelle Strategien.
Die haben das gelernt, dass es keine kollektiven Lösungen gibt. Im Sinne von richtigen Lösungen. Wir sind ins Alter gekommen, ich bin sechzig Jahre alt. In meiner Jugendzeit, den 1960er Jahren, drehten sich meine ganzen Informationen um Möglichkeiten der politischen Aktion, um kollektive Lösungen und um utopische, emanzipatorische Bewegungen. Was haben meine Studentinnen? Ronald Reagan, George Bush.

Aber warum wird gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt der Feminismus von 20 bis 25jährigen wieder entdeckt? In Österreich ist das schon so, würde ich behaupten. Die interessieren sich dafür, wie frau sich stark fühlen kann, Machtstrategien, Machtgefühle, Mode, Einkaufen... Aber die sind nicht gegen irgendetwas Politisches, bloß für sich selbst Â…
Denen geht es um das individuelle Empowerment? Aha, okay, verstehe. Aber das ist ein Teil des politischen Backlashes. Die Frau glaubt an die individuelle Selbstbestimmung, an ihre eigene Zukunft, dass sich die Welt wirklich um Leistung dreht, das eine Frau so gut sein kann wie jeder Mann - aber das sind Fantasien! Aber die sind schon als Fantasien entlarvt, denn die Welt ist keine "Meritocracy", auf keinem Level. Meritocracy bedeutet, dass die Leute dafür belohnt werden, wenn sie etwas leisten. Dass es eine Belohnung für Leistung gibt. Sie verdienen die Belohnung: Die klügsten Leute kriegen die besten Positionen an der Akademie, die Kompetentesten kriegen Â…, die, die am härtesten arbeiten Â… Aber so funktioniert unsere Gesellschaft nicht.
Die Zurückweisung des Feminismus ist momentan sehr stark in den USA. In meiner Generation war das letzte, was du wolltest, eine weiße Hochzeit zu haben und mit 25 Jahren Kinder zu kriegen. Das war für uns lachhaft. Meine Studentinnen verloben sich, heiraten, bevor sie überhaupt erwachsen sind. Das ist Teil des neuen Konservativismus, der selbst ein Teil davon ist, in einer sehr erschreckenden und Angst erzeugenden Welt zu leben, in der es sehr schwierig ist, fixe, sichere und stabile Dinge zu finden. In so einer Welt tendieren die Menschen dazu, vorsichtig zu werden, reaktionär, sich ins Private zurückzuziehen. Alles was du machen musst, ist zu schauen, wie selbst im öffentlichen Raum jeder an seine kleinen i-Pods angebunden ist (hooked up). Du kannst sehen, dass sich sogar im städtischen Raum Menschen in ihrem komplett privaten Universum befinden.

In Österreich gibt es große Meinungsunterschiede zwischen Feministinnen verschiedener Generationen bezüglich der Mädchen, die Kopftuch tragen. Schon in den 1970er Jahren kritisierten Audre Lorde oder Adrienne Rich, dass die Feministinnen sich nicht mit Migrantinnen auseinander setzen.
Ja, aber die Kritik damals war, dass Feminismus nicht nur weiße Frauen aus der Mittelklasse betrifft und beschäftigen sollte. Ich muss sagen, dass ich voller Schrecken wäre, wenn ich mich heute mit dieser Thematik auseinandersetzen müsste.
Beide Themen, muslimische Frauen in der islamischen Welt oder in der Migration, sind so kompliziert und tragen so viele Widersprüche in sich. In Bezug auf Ziele der säkularen Demokratie versus Freiheit der religiösen Wahl oder feministischer Kritik von unterdrückendem, religiösen Prozedere und Gewalt gegen Frauen. Aber ich denke, von weißen, säkularen Frauen aus dem Westen her gesehen, sollten wir sehr vorsichtig sein und offen gegenüber dem, was die anderen Frauen und Mädchen selbst über ihre Umstände und Wünsche sagen. Denn der Feminismus sollte nicht einseitig sein, sondern all-seitig. Eben nicht ähnlich einer Art von Orthodoxie, bei der du, wenn du katholisch bist, ABC glauben musst und wenn du ABC nicht glaubst, dich eben nicht Katholikin nennen darfst. Ich würde mir nicht wünschen, dass Feminismus so monolithisch ist, so arrogant, dass er annimmt, dass es nur eine Art des Seins gibt, eine emanzipierte Frau zu sein. In Frankreich tragen eine Menge Frauen den Habib, nicht weil ihre Eltern das taten, sondern weil es eine Form des politischen Protestes ist, gegen die Diskriminierung und den Rassismus des französischen Staates. Deswegen denke ich, dass das so ein kompliziertes Thema ist, besonders von einer Perspektive einer Ersten Welt-Frau versus Dritte Welt-Frau.
Ich persönlich hasse alle Religionen gleich, denn sie sind meistens auf den Seiten des Status Quo, der das Patriarchat inkludiert. Außer in der Schwarzen Kirche, den Befreiungsbewegungen, wo es möglich ist, innerhalb der Kirche emanzipatorisch tätig zu sein. Schlussendlich sind Religionen ein Trost (comfort) für Leute und wer sagt, dass Menschen keinen Trost brauchen? Die Welt ist hart.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at