Die US-Hegemonie und ihre Krise

Die Zeit ist vorbei, als Europa und die USA der Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik waren.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages endete nicht nur der Kalte Krieg, sondern auch jene Periode weltpolitischer Bipolarität, wie sie sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs herausgebildet hatte. Für die USA als nunmehr bei weitem mächtigsten aller Staaten schien die Beherrschung der ganzen Welt greifbar nahe und zusammen mit ihren engsten Verbündeten orientierten sie sich darauf, nach dem Sozialismus auch die Resultate der antikolonialen Befreiung so weit wie möglich wieder rückgängig zu machen. Ihren Kapitalismus als den Gipfel möglicher Menschheitsentwicklung wertend, verkündete Francis Fukuyama 1992 das „Ende der Geschichte“. Dieses „Ende der Geschichte“ interpretierten andere Ideologen des siegreichen kapitalistischen Imperialismus auch als Chance, nun selbst die Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen rükkgängig machen zu können. So Josef Joffe, rechtskonservativer Ideologe und Mitherausgeber einer einflussreichen deutschen Wochenzeitung, mit der Behauptung, das Ende der DDR und der Sowjetunion markiere „das Ende des totalitären Zeitalters überhaupt, das genau 200 Jahre zuvor mit der Französischen Revolution begonnen hatte.“1

„Die einzige Weltmacht“

In seinem 1997 erschienenen Buch „Die einzige Weltmacht“ entwickelt Zbigniew Brzezinski für die Realisierung der Weltherrschaft der USA das strategische Konzept einer „Hegemonie neuen Typs“. Dieses Konzept geht davon aus, dass der Macht- und Einflussbereich der USA sich auf die ganze Welt erstreckt, „wobei eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent noch heute die Voraussetzung für globale Vormachtstellung ist.“2 Diese Dominanz aber ist nach Brzezinski historisch einzigartig: „Nicht nur beherrschen die Vereinigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere ... Amerikanische Armeeverbände stehen in den westlichen und östlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persischen Golf.“ Außerdem „ist der gesamte Kontinent von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären.“3 Zugleich ist Brzezinski soweit strategischer Realist, dass er betont, „Amerika als führende Weltmacht hat nur eine kurze historische Chance.“ Er orientiert deshalb darauf, „die beherrschende Stellung Amerikas für noch mindestens eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren..“4 Zur möglichst langen Aufrechterhaltung der von den USA beanspruchten und bisher auch weitgehend realisierten „Hegemonie neuen Typs“ fordert Brzezinski von den Politikern der USA explizit die Einhaltung von „drei großen Imperativen imperialistischer Geostrategie: Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, dass die ‚Barbaren’völker sich nicht zusammenschließen.“ 5

Kollektiver Imperialismus

Gerade die von Brzezinski beschworenen „drei Imperative imperialer Geostrategie“ sagen sehr viel über das Wesen und die Charakteristika der US-Hegemonie aus. Diese Hegemonie realisiert sich vor allem über Bündnisse, in denen naturgemäß auch konkurrierende Interessen wirken. Entscheidend ist jedoch die gemeinsame imperialistische Frontstellung der USA, der EU, Japans und Israels gegen die Staaten, die sich nicht erneut kolonisieren lassen wollen. Sie stimmen darin überein, mit allen Mitteln eine Weltwirtschaftsordnung zu erhalten, die ihren Ländern mit 20 Prozent der Weltbevölkerung weiterhin den Verbrauch von 80 Prozent der Ressourcen der Erde sichert, so dass für den „Rest“ der Menschheit nur noch 20 Prozent übrig bleiben. Mit dieser Zielsetzung ordnet sich auch die EU immer wieder willig der USHegemonie unter. Sie entwickelt sich nach Ulrich Duchrow „hin zu einem Unter-Imperium innerhalb des US-Imperiums“.6 Längst ist die NATO, die inzwischen erheblich nach Osten expandiert ist, zu einer weltweit militärisch eingesetzten Handlungsreserve willfähriger Vasallen geworden, deren sich die USA als Hegemonialmacht von Fall zu Fall selektiv bedienen. Vor Jahren schon hat Samir Amin die globalen Wirkungsmöglichkeiten dieses heutigen Imperialismus in der Verfügung über folgende fünf Monopole begründet gesehen: „1. Das Monopol der neuen Technologien; 2. Das der Kontrolle über die globalen Finanzströme; 3. Die Kontrolle des Zugangs zu den Bodenschätzen des Planeten; 4. die Kontrolle der Kommunikationsmittel und Medien; 5. Das Monopol der Massenvernichtungswaffen. Die Realisierung dieser Monopole erfolgt im gemeinsamen, sich ergänzenden, aber manchmal auch konfliktreichen Handeln des Großkapitals, der Industrie- und Finanzmultis sowie der in ihren Diensten stehenden Staaten.“7 Gestützt auf diese Monopole und entschlossen, sie zu behalten, streben die USA und ihre Verbündeten die von US-Präsident Bush im November 1991 proklamierte „Neue Weltordnung“ an. Dem Wesen nach handelt es sich dabei um die Infragestellung der völkerrechtlich auf der UN-Charta beruhenden „alten Weltordnung“ und die Durchsetzung eines von den USA geführten, von ihren Verbündeten unterstützten und vom Rest der Welt hinzunehmenden neuen Imperialismus und Kolonialismus. Nach Samir Amin lassen sich die USA bei der Verfolgung dieses Zieles vor allem davon leiten, die UNO durch die NATO als Lenker der Weltordnung zu verdrängen und zum traditionellen Prinzip der Politik vor Gründung der UNO im Jahre 1945 zurückzukehren, d. h. vor allem, politische Probleme mittels Krieg zu regeln. Das aber ist keineswegs zufällig, denn: „Der Hegemonismus der USA beruht weit mehr auf ihrer überdimensionierten militärischen Stärke als auf den „Vorteilen“ ihres Wirtschaftssystems.“8

Kriege für eine „Neue Weltordnung“

Seit ihrem Sieg im Kalten Krieg haben die USA und ihre Vasallen bisher vier völkerrechtswidrige Aggressionskriege zur Durchsetzung der von ihnen angestrebten „Neuen Weltordnung“ inszeniert: 1991 gegen den Irak, 1999 gegen Jugoslawien, 2001 gegen Afghanistan und 2003 erneut gegen den Irak. Permanent drohen Politiker und Militärs der USA mit neuen derartigen Kriegen, z. B. gegen den Iran. Nach Einschätzung des US-amerikanischen Politologen Chalmers Johnson, der einst der CIA als Berater diente und beinahe deren Chef geworden wäre, waren die Kriege der USA von 1991 bis 2003 „de facto imperialistische Kriege, geführt unter dem Vorwand der humanitären Intervention, der Befreiung der Frauen aus der Knechtschaft, der vorgeblichen Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen oder welches aktuelle Schlagwort den Sprechern des Weißen Hauses und des Pentagon gerade passend und opportun erscheinen mochte.“ 9 Für ihn sind die USA deshalb „nicht das, was sie zu sein vorgeben, sie sind in Wahrheit ein militärischer Moloch, der sich die Welt unterwerfen will.“10 Als ein entscheidendes Element ihrer Hegemonie unterhalten die USA mindestens 725 Militärstützpunkte in anderen Ländern. Chalmers Johnson nennt das US-Imperium darum auch „ein Imperium der Militärbasen“.11 Tatsächlich handelt es sich um imperialistische Kriege mit dem Ziel, die Ergebnisse des antikolonialen Befreiungskampfes im 20. Jahrhundert rückgängig zu machen und einen neuen, der kapitalistischen Globalisierung entsprechenden Kolonialismus zu installieren. 12 Der Historiker Eric J. Hobsbawm sieht in dem Tatbestand, dass Imperialismus und Kolonialismus so neuerlich wieder praktiziert werden, die möglicherweise „entscheidende Neuheit in der postsowjetischen Epoche“. Ihn erinnern die „Protektorate eines neuen Kolonialismus“ auf dem Balkan und in Afghanistan sehr an die Zeit nach 1918, da „neue Kolonien als Völkerbundmandate getarnt wurden.“13 Und natürlich geht es um die Verfügung über entscheidende Ressourcen, insbesondere Erdöl und Erdgas. Deshalb war es auch kein Zufall, dass die USA mit der Invasion in den Irak das erklärte Ziel verfolgten und verfolgen, den gesamten Nahen und Mittleren Osten neokolonialistisch umzugestalten. Unmittelbar vor der Invasion in den Irak im März 2003 erklärte Pentagon-Berater James Woolsey, der von 1993 bis 1994 Direktor der CIA war, in einem Interview: „Wir müssen dem Nahen Osten die Ölwaffe wegnehmen.“ Dazu brauche man „eine langfristige Strategie“. Und: „Wir fangen jetzt mit dem Irak an …“14 Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Invasion des Irak – die ja nur der letzte Akt eines mehr als elf Jahre währenden unerklärten Krieges der USA und Großbritanniens gegen den Irak war – hat es auch in den deutschen konservativen Medien eine historisch beispiellose, oft geradezu euphorische Anbetung der US-Hegemonie gegeben. Wenige Tage vor dem Einmarsch der US-Streitkräfte in den Irak hieß es in einer konservativen deutschen Sonntagszeitung: Die Menschheit müsse sich „auf die Suche nach dem Hegemon begeben, dem einen, dem – möglichst – guten. … Irak ist nur der erste Schritt auf diesem langen, verantwortungsvollen und vielleicht auch blutigen Weg. Dieser Hegemon kann, wenn überhaupt, nur eine einzige Macht sein: die Vereinigten Staaten. ... Das Imperium Americanum ist unsere Chance. Eine andere haben wir nicht.“15 Christian Hacke, lange an der Bundeswehruniversität Hamburg tätig und inzwischen an der Universität Bonn lehrend, brachte es fertig, den Weltfrieden allein von der Anerkennung der Hegemonie der USA und ihrer Kriegsstrategie abhängig zu machen: „Wer Krieg verhindern will, muss letztlich bereit sein, ihn zu führen. Darin besteht das Abschreckungsmoment, darauf beruht die Krisendiplomatie der Stärke, welche die Vereinigten Staaten als Vor-, Hegemonial-, Imperial- oder Ordnungsmacht (wie immer man sie bezeichnen mag) auch in Zukunft praktizieren werden. ... Wer von der amerikanischen Hegemonie nichts wissen will, der kann die Hoffnung auf Weltfrieden begraben.“16 Ganz in diesem Sinne sprach sich schließlich Bayerns Ministerpräsident Stoiber im Juli 2003 bei der Sommertagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing dafür aus, das in Artikel 51 der UN-Charta verankerte Recht auf Selbstverteidigung durch das Recht zur Führung präventiver Angriffskriege entsprechend der neuen USStrategie zu erweitern.17 Wenn der Irakkrieg der US-Hegemonie zunächst eine derartige Zustimmung einflussreicher imperialistischer Kreise auslöste, hat das inzwischen offenkundig gewordene Unvermögen der USA, diesen Krieg zu gewinnen, eine letztlich entgegengesetzte Wirkung. Egon Bahr sieht dann auch den „Höhepunkt der amerikanischen Unipolarität oder auch Arroganz ... in den Jahren 2001 bis 2005.“18

US-Hegemonie in der Krise

Ganz offensichtlich können die USA den Krieg gegen den Irak nicht mehr gewinnen, mit dem sie den gesamten Nahen und Mittleren Osten kolonialistisch neu gestalten wollten. Und das, obwohl sie den Irak mit Hilfe, zumindest aber Duldung des UNSicherheitsrates vor der Invasion mehr als 10 Jahre lang außenpolitisch isoliert, weitgehend entwaffnet und damit nicht mehr verteidigungsfähig gemacht hatten.19 Längst wird dieses Fiasko mit der Niederlage der USA in Vietnam verglichen und als Indiz dafür angesehen, dass der USA-Imperialismus den Höhepunkt seiner globalen Machtentfaltung nach dem Untergang des Sozialismus nunmehr wohl überschritten hat. Richard Haas, bis 2003 unter Colin Powell Planungschef im US-Außenministerium, nennt es „eine Ironie der Geschichte, dass der erste ... Irak-Krieg den Beginn der amerikanischen Epoche in Nahost markierte und der zweite Krieg ... nun deren Ende herbeiführt.“ Aufschlussreich, worin der ehemalige Planungschef im USAußenministerium dafür die Ursachen sieht: „Im alten Nahen Osten, dessen Ära erst vor kurzem endete, genossen die USA eine enorme Dominanz und Handlungsfreiheit. Öl war billig, die Region weitgehend friedlich. Eine entscheidende Verschlechterung bewirkte Washingtons Entscheidung, Krieg gegen den Irak zu führen: wegen der Art und Weise der Kriegführung, wegen unseres demokratischen Sendungsbewusstseins bei gleichzeitigem Fehlen einer seriösen Energiepolitik.“20 Mitte Februar 2007 – zehn Jahre nach Erscheinen seines Buches „Die einzige Weltmacht“ – übte Zbigniew Brzezinski vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats folgende, für einen imperialistischen Strategen sehr weitgehende Kritik an der Kriegspolitik der Bush-Administration: „Es wird Zeit, dass das Weiße Haus zwei wesentliche Realitäten akzeptiert: Der Krieg im Irak ist eine historische, strategische und moralische Katastrophe. Unter falschen Annahmen geführt, untergräbt er Amerikas globale Legitimität. Von manichäischen Impulsen und imperialer Anmaßung getrieben, verstärkt er die regionale Instabilität. Nur eine politische Strategie, die historisch relevant ist, statt an koloniale Bevormundung zu erinnern, kann den Krieg im Irak und die zunehmenden regionalen Spannungen beenden.“ Höchst aufschlussreich auch die Forderung, die Brzezinski aus dieser Kritik für die USA ableitet: „Die Vereinigten Staaten müssen deutlich und unmissverständlich ihren Willen beteuern, den Irak in einer vertretbar kurzen Zeitspanne zu verlassen. ... Mehr noch, eine öffentliche Erklärung ist nötig, um die Ängste im Mittleren Osten vor einer neuen und anhaltenden imperialen Hegemonie zu zerstreuen.“21 Tatsächlich ist die US-Strategie gescheitert, die mit dem Irak-Krieg dem Nahen Osten „die Ölwaffe wegnehmen“ und die koloniale Neuordnung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens einleiten sollte. Die OPEC ist heute stärker als vor dem Irak-Krieg und wird zudem durch die gegen die US-Hegemonie gerichtete Erdölpolitik in Lateinamerika weiter gestärkt. Interessant sind in diesem Zusammenhang Eingeständnisse imperialistischer Strategen über die heutigen Grenzen imperialistischer Kriegführung. So erklärte Samuel P. Huntington: „Vor dem Irakkrieg sagte ich voraus, dass wir Saddam Hussein schnell besiegen würden und dass wir uns dann in einem zweiten Krieg gegen das irakische Volk wiederfinden würden, den wir niemals gewinnen könnten.“22 Robert Cooper, Bürochef Javier Solanas, schrieb dazu: „Soll ein gewaltsam herbeigeführter Regierungswechsel gesichert werden, so endet er meist als Imperium. ... Das Problem ist nur, dass Imperien heutzutage nicht mehr funktionieren. Ein Jahrhundert nationaler Befreiungsbewegungen und nationaler Selbstbestimmung kann nicht einfach rückgängig gemacht werden.“ 23 Zwei Entwicklungen vor allem charakterisieren die unübersehbar gewordene Krise der US-Hegemonie: erstens die Unfähigkeit der US-Streitkräfte, begonnene Angriffskriege wie den in Afghanistan und im Irak erfolgreich zu beenden und zweitens der weitgehende Verlust der einstigen globalen politischideologischen Einflußmöglichkeiten. Die Tatsache, dass die USA inzwischen an die Grenzen ihrer militärischen Möglichkeiten gestoßen sind, wird sowohl durch die Erhöhung des Rekrutierungsalters für Rekruten auf 42 Jahre als auch durch den Auslandseinsatz von Angehörigen der Nationalgarde verdeutlicht. Den gravierenden internationalen Ansehensverlust der USA charakterisierte Samuel P. Huntington bereits 1999 so: „Während die Vereinigten Staaten regelmäßig mehrere Länder als ‚Schurkenstaaten‘ brandmarken, werden sie selbst in den Augen vieler Länder zur Schurken-Weltmacht.“24 Der ehemalige US-Präsident Carter sieht die Ursache des internationalen Ansehensverlustes der USA in ihrer das Völkerrecht zynisch missachtenden Kriegspolitik: „Unsere Nation hat ihre Unabhängigkeit von den Zwängen internationaler Organisationen er- klärt und ist von vielen langjährigen weltweiten Vereinbarungen abgerückt, dazu gehören Grundsätze des Völkerrechts, Atomwaffenverträge, Vereinbarungen zur Kontrolle biologischer Waffen, Umweltschutzmaßnahmen, die internationale Strafgerichtsbarkeit und die menschliche Behandlung von Gefangenen. ... Einige verantwortliche Politiker streben offen danach, ein weltbeherrschendes amerikanisches Imperium zu errichten, koste es, was es wolle.“25 Fazit: „Die tiefgreifende Freundschaft und Sympathie, die uns nach den Anschlägen vom 11. September selbst von einst antagonistischen Regimes entgegengebracht wurde, hat sich mittlerweile größtenteils verflüchtigt, und eine zunehmend einseitige und dominante Politik hat dazu geführt, dass man unserem Land überall mit Misstrauen und Feindseligkeit begegnet.“26 „Ein kollektiver Antiamerikanismus erobert die Welt“, schätzt Jan Ross ein und wertet diesen Antiamerikanismus als „eine neue globale Ideologie, die Leitkultur für den Protest gegen die herrschenden Verhältnisse, wie es über Jahrzehnte die verschiedenen Spielarten des Sozialismus waren.“27

Endet die US-Hegemonie schon?

Obwohl der US-Imperialismus insbesondere durch den Irak-Krieg so offenkundig an die Grenzen seiner Macht gestoßen ist, dass es berechtigt ist, von einer Krise seiner Hegemonie zu sprechen, wäre es verfrüht, heute schon vom Ende dieser Hegemonie zu sprechen. Noch verfügen die USA über ein weltweit einmaliges Machtpotential. Sie sind nicht nur die bei weitem stärkste Militärmacht und haben über die Ausdehnung der von ihnen beherrschten NATO bis an die West- und Südgrenze Russlands faktisch den eurasischen Kontinent unter ihrer Kontrolle. Die damit für Russland verbundenen Konsequenzen erläuterte Brzezinski am Beispiel des von den USA bereits seit 1997 angestrebten NATO–Beitritts der Ukraine: „Ohne die Ukraine kann Russland nicht zu Europa gehören, wohingegen die Ukraine ohne Rußland durchaus Teil von Europa sein kann.“28 Über die von ihnen dominierten Organisationen WTO, Weltbank und IWF beherrschen die USA bisher den Zugang zum Weltmarkt noch so weitgehend, dass sich selbst Großmächte wie China, Indien oder Brasilien nicht ernsthaft mit ihnen anlegen. Nach Jan Ross bildet sich bei diesen neuen Großmächten mit dem eigenen wirtschaftlichen und politischen Aufstieg sogar „eher eine gewisse Supermacht-Kollegialität mit den USA heraus.“ Vor allem aber dominieren die USA bisher noch weitgehend die Weltpolitik. Ross charakterisiert deshalb auch den immer mehr Einfluss erlangenden Antiamerikanismus als „Phänomen einer amerikanisch beherrschten Welt – oder jedenfalls einer Welt, in der Amerika die stärkste Kraft, der dynamischste Faktor ist“.29 Demgegenüber kommt Egon Bahr angesichts des Scheiterns der völkerrechtswidrigen Kriegsstrategie der gegenwärtigen US-Regierung zu der Einschätzung, die USA „haben jetzt die verachteten Vereinten Nationen und die NATO um Hilfe gebeten. Sie wissen um das wachsende Gewicht der neuen Giganten, China und Indien. Sie stellen sich langsam, sicher nicht sehr gern, auf eine multipolare Welt ein.“30 Ich halte diese Einschätzung für zu optimistisch. Noch haben die USA diese Wende hin zu einer multipolaren Weltordnung nicht vollzogen. Im Gegenteil: Bisher haben sie es geschafft, dass der UN-Sicherheitsrat keinen ihrer die UN-Charta zynisch missachtenden Angriffskriege verurteilt hat. Mehr noch: All diese Kriege wurden – zumindest nachträglich – durch entsprechende Resolutionen des UN-Sicherheitsrates legalisiert und die UNO so zu einer Hilfsorganisation der das Völkerrecht missachtenden „einzigen Weltmacht“ degradiert. Solange das möglich ist, besteht auch die US-Hegemonie fort. Solange die Friedenskräfte noch nicht stark genug sind zu verhindern, dass Staaten wie Jugoslawien, Afghanistan, der Irak und der Libanon mit Duldung des UN-Sicherheitsrates von den USA und ihren Vasallen überfallen und zerstört werden, gilt nicht das Völkerrecht, sondern das Faustrecht. Und so lange wird es auch noch keine auf der UNCharta beruhende multilaterale Weltordnung geben. Dennoch: Niemand spricht mehr ernsthaft von einem ‚amerikanischen Jahrhundert‘. Angesichts der offenkundigen Krise der USHegemonie und des ebenso offenkundigen Aufstiegs der Volksrepublik China und Indiens wird vielmehr zunehmend das Ende der USA als ‚einziger Weltmacht‘ thematisiert. Tatsächlich aber geht es dabei nicht nur um das Ende der US-Hegemonie, sondern um das Ende der globalen Vorherrschaft des von den USA angeführten „kollektiven Imperialismus“ der G 7 – bzw. G 8 – Staaten. Diese Staaten, die sich selbst als „der Westen“ bezeichnen werden, in dem Maße ihre globale Dominanz verlieren, wie sie die von Samir Amin benannten fünf Monopole nicht mehr besitzen, auf denen ihre weltpolitische Vormachtstellung bisher beruht. Ihr Ende bedeutet weltgeschichtlich den Beginn einer neuen Epoche . Jan Ross und Bernd Ulrich reflektieren das aus „westlicher Sicht“ so: „Der Aufstieg Chinas und Indiens ist vom welthistorischen Gerücht zur Realität geworden, viel schneller als gedacht, fast auf einen Schlag. Auf einmal sind sie einfach da, nicht bloß als „Wachstumsregionen“, sondern als Mächte. ... Die Zeit ist vorbei, als Europa und die Vereinigten Staaten der Dreh – und Angelpunkt der Weltpolitik waren ... Der Westen ist stark genug, um eine ständige Provokation für die anderen zu sein, aber nicht stark genug, um sie zu beherrschen...“31 Die von den USA nach dem Ende der sozialistischen Staatengemeinschaft durchgesetzte unipolare Weltordnung hat also die längste Zeit existiert. Wann sich an ihrer Stelle endgültig eine neue, andere Weltordnung durchgesetzt haben wird, ist gegenwärtig noch ebenso offen wie die Entscheidung darüber, ob sie multipolar oder erneut bipolar strukturiert sein wird. Das wird letztlich vom Charakter der dann bestimmenden ökonomischen Globalisierung und der davon geprägten neuen Epoche der Menschheitsentwicklung abhängen. - - - 1 J. Joffe: Die Beton-Blamage. In: Die Zeit. Hamburg.Nr. 33 v. 9.8.2001, S. 1. 2 Z. Brzezinski: Die einzige Weltmacht.Weinheim u. Berlin 1997, S. 64. 3 Ebenda, S. 41. 4 Ebenda, S. 303 u. 306. 5 Ebenda, S. 65 f. . 6 Neues Deutschland. Berlin, 23. 3. 2007, S. 14. 7 S.Amin: Kapitalismus, Imperialismus, Globalisierung. In: Marxistische Blätter, Essen 1998, H. 4, S. 48. 8 S.Amin: Für ein nicht-amerikanisches 21. Jahrhundert. Hamburg 2003, S.85. 9 Ch. Johnson: Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie. München 2003, S. 286. 10 Ebenda, S. 10. 11 Ebenda, S. 36. 12 Siehe auch: E.Woit/W.Scheler (Hg.): Kriege zur Neuordnung der Welt. Imperialismus und Krieg nach dem Ende des Kalten Krieges. Berlin 2004. 13 Interview in Freitag. Berlin, Nr. 44 v. 26.10.2001, S. 5. 14 Der Spiegel. Hamburg. Nr. 4/2003, S. 109. 15 A. Schuller:Wir brauchen das Imperium Americanum. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Frankfurt/ M., 9. 3. 2003, S. 11. 16 Ch. Hacke: Deutschland, Europa und der Irakkonflikt. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zu Das Parlament. Berlin. Nr. 24-25/2003 v. 10. 6. 2003, S. 16. 17 Neues Deutschland, Berlin, 7.7. 2003, S. 6. 18 Neues Deutschland, Berlin , 19. 3. 2007, S.3. 19 Vgl. u.a.: E.Woit: Ziele und Resultate des Krieges gegen den Irak. In: Marxistische Blätter. Essen,Nr.2/2006. 20 Der Spiegel. Hamburg, Nr. 46/2006, S. 154. 21 Nach: Freitag. Berlin. Nr.10 v. 9. 3. 2007, S.8. 22 Nach: D. Lohaus: Zur US-Strategie am Golf. In: Marxistische Blätter. Essen, Nr. 4/2004, S. 72. 23 R. Cooper: Wenn Staaten zerfallen, droht Terror. In: Die Zeit. Hamburg, Nr. 5 v. 22.1.2004, S. 17. 24 S. P. Huntington: Die einsame Supermacht. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Bonn. Nr. 5/99, S. 553. 25 J. Carter: Unsere gefährdeten Werte. Amerikas moralische Krise. München u. Zürich2006, S. 10. 26 Ebenda, S. 148. 27 J. Ross: Das Bauchgrimmen des Erdballs. In: Die Zeit. Hamburg, Nr.18 v. 26.4.2007, S. 13. 28 Z. Brzezinski: A. a. O., S. 178. 29 J. Ross: A.a.O. 30 Neues Deutschland. Berlin, 19. 3.2007, S.3. 31 J. Ross/B.Ulrich: Die neueste Weltordnung. In: Die Zeit, Hamburg, Nr. 7 v. 9.2.2006, S.3

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