Wer was wie zählt

ie Machtspiele um ökonomische Kennziffern in der Entwicklungshilfe(*)

in (01.10.2007)
Wäre Entwicklungshilfe ein Geschenk, würden Zahlen eine untergeordnete Rolle spielen. Zugegeben: Man könnte messen, ob das Geschenk des einen Industrielandes an ein Entwicklungsland größer ist als das Geschenk eines anderen Industrielandes. Man könnte feststellen, ob das Geschenk, das ein Ölstaat vergibt, größer ist als im vorigen Jahr. Oder man könnte versuchen herauszubekommen, wie hoch die Gesamtsumme von erhaltenen Geschenken aus den Industriestaaten ist. Aber die Quantifizierung von Geschenken ist - jedenfalls in modernen Gesellschaften - weitgehend tabuisiert. Gegenstände und Dienstleistungen scheinen sich einer Quantifizierung ihres Wertes, ihres Nutzens zu entziehen, wenn sie die Form eines Geschenkes annehmen (vgl. zur Funktion des Schenkens Mauss 1990). Man sieht es an der Tabuisierung des Vergleichs zwischen Schenkenden. Man merkt es, wenn der Beschenkte nur verschämt abzuschätzen wagt, ob der eigene Lebenspartner bei den Weihnachtsgeschenken für einen mal wieder gespart hat. Aber Entwicklungshilfe ist kein Geschenk. Häufig wird Entwicklungshilfe nur als - wenn auch subventionierter - Kredit vergeben. Sowohl bei der Vergabe der Entwicklungshilfe als Kredit als auch als Zuschuss wird diese an Bedingungen geknüpft, beispielsweise die Verabschiedung von Gesetzen oder die Verlagerung von Schwerpunkten in Budgets. Weiterhin wird - auch wegen den Rechenschaftspflichten der großen Geberorganisationen - genau spezifiziert, was mit der Entwicklungshilfe gemacht und erreicht werden soll. Weil Entwicklungshilfe in der Regel an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft wird, spielen Zahlen eine zentrale Rolle. Die Berechtigung für Entwicklungshilfe wird zum Beispiel darin gesehen, dass das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung unter einem festgesetzten Entwicklungshilfebetrag liegt. Die Freigabe von Mitteln wird häufig daran gebunden, dass die Empfängerorganisationen ein genau definiertes Jahresergebnis erzielen. Der Erfolg der Entwicklungshilfe wird darin gemessen, inwiefern sich quantitative, häufig monetäre Indikatoren verbessert haben. In den Hochglanzbroschüren der Entwicklungshilfeorganisationen mögen (je nach Intention) weinende oder glücklich lächelnde Kinder gezeigt, eine Versammlung eifrig diskutierender Dorfbewohner abgebildet oder Zwei-Kammer-Toiletten als die neuste technischen Errungenschaft präsentiert werden, aber die Verständigung zwischen verschiedenen in der Entwicklungshilfe aktiven Organisationen läuft ganz maßgeblich über Zahlen. Zahlen sind die Verkehrssprache, mit denen Organisationen aus ganz unterschiedlichen Kulturen sich zu verständigen versuchen. Es spricht vieles dafür, dass Zahlen die "Lingua Franca" sind, mit denen sich in der Entwicklungshilfe verständigt wird. Dabei können wir uns ganz verschiedene Formen von Zahlen vorstellen: die Prozentzahl von Personen, die Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung haben, die Kilometer, die ein Dorfbewohner durchschnittlich zur nächsten Straße gehen muss, die Absolventenzahlen nach Einführung eines Bildungsprogramms oder die Prozentzahl des Wassers, das durch lecke Rohre versickert (vgl. z.B. Wisner 1989: 47). Zahlen erscheinen auf den ersten Blick als neutral, unabhängig und objektiv und signalisieren so, dass es kaum Interpretationsspielraum gibt (vgl. Porter 1995: x). Eine Zahlenangabe, so wenigstens die erste Suggestion, repräsentiert in einem westeuropäischen Land das gleiche wie in einem Land im Subsahara-Afrika. Eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung funktioniere, so die Annahme, in einem US-amerikanischen Unternehmen genauso wie bei seinem philippinischen Kooperationspartner und ist von regionalen oder kulturellen Besonderheiten unabhängig. Aber auch bei dieser "Lingua Franca" kann es Dialekte geben. Bei Dialekten handelt es sich im Verständnis der Linguistik um Varietäten einer Sprache. Sprachen und ihre Dialekte sind dabei von ihrer Grundstruktur so eng gekoppelt, dass sich der Sprecher einer Hochsprache und die Sprecher eines Dialektes miteinander verständigen können. Für Zahlen als "Lingua Franca" bedeutet dies, dass zwar im Rahmen eines weltweiten Standards unterschiedliche Berechnungsformen existieren, aber die konkurrierenden Berechnungsformen verstanden werden. Ziel dieses Artikels ist es, Zahlendialekte in den Kooperationsbeziehungen zwischen nationalen und internationalen Entwicklungshilfeorganisationen, staatlichen und privaten Einrichtungen in Entwicklungsländern und den in der Entwicklungshilfe tätigen Beratungsorganisationen näher zu analysieren. Der Artikel fokussiert besonders auf die Verwendung monetär gefasster Kennzahlen in der Entwicklungszusammenarbeit. Ökonomische Kennziffern können dabei als eine Sonderform von Zahlen begriffen werden, die dann entstehen, wenn soziale Phänomene in Geldbeträgen quantifiziert werden. Dabei ist der Übergang zwischen den nicht in Geldbeträgen gefassten Zahlen und den in Geldbeträgen gefassten Zahlen fließend (Munro 1993). Jedes soziales Phänomen lässt sich - mehr oder minder gut - in Zahlen fassen und jede nichtmonetäre Zahl lässt sich in Dollar-, Euro- oder Pfundbeträge überführen. Die Bezifferung der ökonomischen Verluste durch eine hohe HIV-Erkrankungsrate in Dollar, Euro oder Rand ist häufig noch eindrucksvoller als die reine Prozentzahl von AIDS-Kranken. Die Übersetzung der in Litern ausgedrückten technischen Wasserverluste einer nationalen Wasserbehörde in Peso, Rupie oder Riyal verleiht der in Geld ausgedrückten Zahl eine eigene Nachdrücklichkeit. Im Mittelpunkt des Artikels steht dabei eine einzige ökonomische Kennzahl: der Deckungsbeitrag. Diese Kennzahl bestimmt sich aus der Differenz zwischen den Geschäftseinnahmen (zum Beispiel durch den Verkauf von Gütern) und den Ausgaben für das laufende Geschäft (z.B. für Rohstoffe, Ersatzteile oder Personal). Über die - nur auf den ersten Blick - dröge wirkende Kennziffer des Deckungsbeitrages versuchen Entwicklungshilfeorganisationen Organisationen in verschiedenen Entwicklungsländern zu steuern. So wird häufig die Auszahlung der Entwicklungshilfe an eine Verbesserung des Deckungsbeitrages geknüpft. Auch die Honorierung von Beratungsunternehmen oder von durch die Entwicklungshilfe finanzierten privaten Betreiberunternehmen wird zunehmend von einer Verbesserung des Deckungsbeitrages abhängig gemacht. Der Deckungsbeitrag wird wie andere ökonomische Kennziffern auch häufig als "objektive Zahl" behandelt. Interessanterweise kursieren und konkurrieren aber häufig unterschiedliche Berechnungsverfahren. Dadurch entstehen interessante Machtspiele darüber, welche Zahl jetzt genau die richtige ist. Als Empirie dienen mir die "Zahlenspiele", die zwischen großen nationalen und multinationalen Entwicklungshilfeorganisationen und drei größeren Wasserversorgungsbetreibern in einem afrikanischen Land stattfinden. Über insgesamt einen Monat wurden Experteninterviews mit insgesamt 41 Mitarbeitern von internationalen und nationalen Entwicklungshilfeorganisationen, des zuständigen Ministeriums, der nationalen Wasserbehörde, der drei regionalen Wasserversorgungseinheiten und der engagierten internationalen Beratungsfirmen geführt. Mit über einem Drittel der Gesprächspartner wurden dabei mehrere Interviews geführt, um einen Abgleich mit den Ergebnissen aus anderen Interviews zu ermöglichen. Zusätzlich wurden in der zentralen Wasserbehörde und in einer regionalen Wasserversorgungseinheit teilnehmende Beobachtungen vorrangig in der Finanzbuchhaltung und in der IT-Abteilung durchgeführt. Weiterhin wurden zentrale öffentliche und nichtöffentliche Dokumente der Entwicklungshilfeorganisationen, des Ministeriums, der Wasserbehörde und der regionalen Versorger herangezogen. Aus Gründen der Anonymisierung wurden Details betreffend der beteiligten Entwicklungshilfeorganisationen und der Organisationen in dem afrikanischen Land verändert und auf die Wiedergabe wörtlicher Zitate verzichtet.(1) Damit soll auch zum Ausdruck gebracht werden, dass das beschriebene Phänomen nicht mit Kontinent- oder gar Länderspezifika erklärt werden kann, sondern durch eine weitgehend homogene Verwendung von Zahlenwerken durch Entwicklungshilfeorganisationen die Zahlenspiele in der Welt weitgehend die gleichen geworden sind. Die Standards werden nicht lokal gebildet, sondern diffundieren durch die großen Entwicklungshilfeorganisationen, Accounting-Firmen und Ausbildungsinstitutionen über die ganze Welt. Die drei untersuchten größeren Wasserunternehmen, die alle aus einer zentralen nationalen Wasserbehörde hervorgegangen sind, unterscheiden sich grundlegend voneinander. Das Wasserunternehmen im Norden des Landes, das unter anderem die Metropole des Landes versorgt, wird seit einigen Jahren durch einen privaten Betreiber gemanagt. Dieser private Betreiber besteht aus einem Konsortium, das durch ein in Großbritannien ansässiges multinationales Wasserunternehmen dominiert wird. Das Wasserunternehmen im Westen, in dem sich unter anderem der zentrale Hafen des Landes befindet, wird als staatliches Unternehmen gemanagt. Das Unternehmen ist zwar in Staatsbesitz, aber die Struktur seines Aufsichtsrats stellt eine hohe Autonomie des Managements sicher. Das dritte Wasserunternehmen im Osten des Landes versorgt vorrangig mittelgroße Städte im ländlichen Raum. Es sollte ursprünglich nach dem Vorbild des Unternehmens im Süden in ein privates Betreibermodell überführt werden. Nach dem Scheitern dieses Privatisierungsmodells wurde angestrebt, dass Unternehmen ökonomisch so leistungsfähig zu machen, dass es als staatliches Unternehmen gemanagt werden kann. Im folgenden zweiten Abschnitt "Wie wird gezählt" wird herausgearbeitet, wie sich in Bezug auf die einfache Kennzahl des Deckungsbeitrages zwei unterschiedliche Berechnungsformen ausgebildet haben. Im dritten Abschnitt "Wer zählt" werden drei Machtspiele zwischen internationalen Entwicklungshilfeorganisationen, Ministerien, Behörden und Wasserversorgungsunternehmen rekonstruiert, die sich um den Deckungsbeitrag herum etablieren. Es wird gezeigt, wie eine multinationale Entwicklungsbank vergeblich versucht, die Machtspiele durch ein IT-Vorhaben zu seinen Gunsten aufzulösen. Im vierten Abschnitt "Was zählt" wird herausgearbeitet, weswegen der Deckungsbeitrag trotz der teilweise blockierenden Machtkämpfe im Wassersektor des afrikanischen Landes, eine wichtige Funktion erfüllt: Erst durch den Verweis auf den Deckungsbeitrag wird eine Ebene geschaffen, auf deren Basis die Kooperationsbeziehungen immer weiter fortgeführt werden können. Im fünften abschließenden Abschnitt "Was wirklich zählt" wird versucht herauszuarbeiten, inwiefern sich Zahlenspiele in Entwicklungsländern von Zahlenspielen in Industrieländern unterscheiden.

Wie wird gezählt? Zahlen als Verständigungsmittel

In den Kooperationsbeziehungen im Rahmen der Entwicklungshilfe spielen verschiedene ökonomische Kennziffern eine Rolle: Anlagevermögen, Anschaffungsvermögen, cash-flow, Deckungsrückstellungen, Eigenkapitalquoten, Einnahmen, Erträge, Fremdkapital, Firmenwert, Investitionsrechnungen, Liquiditätspläne, Mankos, Umlaufvermögen, Verbindlichkeiten oder Wiederbeschaffungskosten. In dem untersuchten Wassersektor des afrikanischen Landes ist jedoch eine Kennzahl von besonderer Bedeutung: der Deckungsbeitrag. Der Deckungsbeitrag umfasst das Verhältnis von Betriebseinnahmen zu Betriebsausgaben, rechnet aber die Kosten die durch Steuern, Zinsbelastung oder durch Rücklagen für Investitionen entstehen nicht mit ein. Ein Deckungsbeitrag der bei 80 % liegt, bedeutet beispielsweise, dass durch die Einnahmen aus Gebühren für das Wasser und dem Verlegen von Anschlüssen die Ausgaben für Personal, Ersatzteile, Büros oder Fahrzeuge nur zu 4/5 gedeckt werden können. Ein Deckungsbeitrag von 150 % bedeutet, dass dem Unternehmen nach dem Abzug der Betriebsausgaben von den Betriebseinnahmen noch 50 % übrig bleiben, um Kredite für Investitionen zurückzuzahlen. Der Deckungsbeitrag (operating ratio) lässt sich folglich durch ein einfaches Verfahren bestimmen: Es handelt sich um das Verhältnis zwischen den Einnahmen (operating revenues) und den Betriebsausgaben (operating & maintenance costs).(2) Die Einnahmen sind im Fall der Wasserunternehmen vorrangig die Gebühren, die von den Kunden für die Bereitstellung des Wassers und das Verlegen der Anschlussleitungen verlangt werden. Die Betriebsausgaben sind die Kosten, die den Wasserbehörden für Löhne, Energie und Verbrauchsgüter entstehen.(3) Sind die Einnahmen niedriger als die Betriebsausgaben liegt der Deckungsbeitrag unter 100 %. Dies ist gerade bei der östlichen Wasserbehörde der Fall, in dem die Betriebskosten aufgrund des bergigen Geländes und dem hohen Anteil von Privatanschlüssen verhältnismäßig hoch sind. Sind die Einnahmen höher als die Betriebsausgaben liegt der Deckungsbeitrag über 100 %. Dies wird bisher vor allem in der westlichen Wasserbehörde erreicht. Dies hängt überwiegend damit zusammen, dass im Westen ein vergleichsweise großer Anteil gewerblicher Kunden existiert, die dem Versorger hohe und gut zu kalkulierende Betriebseinnahmen bescheren. Der Deckungsbeitrag ist in vielen privatwirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen nur eine zweitrangige Kennziffer. Unternehmen interessieren sich vorrangig dafür, ob auch nach dem Bezahlen von Betriebsausgaben, von Zinsen für Kredite, der Bildung von Rücklagen und der Zahlung von Steuern immer noch über 100 % liegt. Aber sowohl die nationale Regierung als auch die Entwicklungshilfeorganisationen gehen davon aus, dass die Wasserversorgungsunternehmen des afrikanischen Landes in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein werden, aus den Betriebseinnahmen auch die Kreditrückzahlungen, Rücklagenbildung und Steuern zahlen zu können. Ziel, so die zwischen Entwicklungshilfeorganisationen und Wasserministerium vereinbarte Zielsetzung, müsste es jedoch sein, dass die Wasserbehörden wenigstens einen positiven Deckungsbeitrag erzielen: ihre regelmäßigen Betriebsausgaben also aus den Einnahmen gedeckt werden können. Der Deckungsbeitrag erscheint deswegen als eine viel wichtigere Kennziffer als die Profitrate. Dementsprechend wird in dem afrikanischen Land über diese Kennziffer versucht, die mit Wasserver- und -entsorgung betrauten Organisationen zu steuern. So wird die Auszahlung der Entwicklungshilfe für das für Wasser zuständige Ministerium an eine Verbesserung des Deckungsbeitrages geknüpft. Auch die Möglichkeiten für die regionale Wasserbehörden zu einem staatlichen Unternehmen zu werden und so höhere Autonomie gegenüber Ministerium und Wasserbehörde zu erreichen, ist an einen Deckungsbeitrag über 100 % geknüpft. Nicht zuletzt werden sowohl die Honorierung privater Betreiberunternehmen im Wassersektor als auch die Honorierung von Beratern in den regionalen Wasserversorgungseinrichtungen vom Deckungsbeitrag abhängig gemacht.

Jenseits der Objektivität: Die Konkurrenz zweier Berechnungsverfahren

Im Wassersektor des afrikanischen Landes haben sich interessanterweise zwei unterschiedliche Berechnungsverfahren ausgebildet. Im expansiven Modell wird im Zweifelsfall eine Ausgabe immer als Kapitalinvestition und nicht als Betriebsausgabe verrechnet. Ausgaben für Rohre, Wasserzähler und andere Materialen werden als Kapitalinvestition gewertet. Lohnkosten werden dann als Investition abgebucht, wenn die so genannten "Vertragsangestellten" in größeren Infrastrukturvorhaben tätig sind. Im expansiven Modell wird auf der Seite der Betriebseinnahmen großzügig verbucht. So wird jeder in Rechnung gestellter Betrag als Einnahme abgebucht und keine Rücklagen für Zahlungsausfälle gebildet. Im restriktiven Modell werden Ausgaben der Wasserbehörde eher zurückhaltend als Investition verrechnet. Rohre beispielsweise werden nur dann als Kapitalinvestition verrechnet, wenn diese für neue Leitungen genutzt werden. Werden Rohre für Reparaturen eingesetzte werden diese - ebenso wie die Wasserzähler - als Betriebsausgabe verrechnet. Die Vergütungen von "Vertragsangestellten" werden in dem restriktiven Modell genauso wie alle anderen Lohnkosten als Betriebsausgabe gerechnet. Auf der Seite der Betriebseinnahmen wird im restriktiven Modell nicht jeder in Rechnung gestellter Betrag komplett als Einnahme verbucht. Vielmehr wird ein kleiner Teil des Rechnungsbetrages nicht als Einnahme eingebucht, weil davon ausgegangen wird, dass ungefähr 1 % des Rechnungsbetrages nicht bezahlt wird. In dem afrikanischen Land wird das expansive Modell besonders von der nationalen Wasserbehörde verfochten. Diese Behörde ist im Auftrag des Wasserministeriums für die Erstellung der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für den nationalen Wassersektor zuständig und legt über dieses Berechnungsverfahren den nationalweit erzielten Deckungsbeitrag fest. Gestützt wird dieses Berechnungsmodell durch ein Konsortium von Wasserunternehmen, das als privater Lizenznehmer die Wasserversorgung im Norden betreibt. Dabei verwenden aber weder die nationale Wasserbehörde noch die privaten Betreiber den Begriff des "expansiven Modells". Für sie ist diese Berechnungsform des Deckungsbeitrages die einzige vertretbare. Das restriktive Modell wird besonders von den großen internationalen und nationalen Entwicklungshilfeorganisationen propagiert. Weil sie über Beratungsprojekte teilweise direkten Zugriff auf einzelne regionale Wasserbehörden haben, wird dieses Modell auch in zwei der drei regionalen Wasserbehörden favorisiert. Von Vertretern der Entwicklungshilfeorganisationen wird diese Berechnungsform als "State of the Art" präsentiert und die Berechnungsmethode der nationalen Wasserbehörde als zu expansiv abgelehnt. Wie kommt es trotz der vermeintlichen "Objektivität" von Berechnungsverfahren zur Existenz dieser unterschiedlichen Modelle?

Die Hintergründe zweier unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen

Die Position der Geber ist, dass die nationale Wasserbehörde wenigstens ihre Betriebsausgaben durch ihre Einnahmen decken soll. Das Erreichen dieses Zieles wird als wichtiger Schritt gesehen, damit sich die Wasserbehörden mittelfristig von Zahlungen aus der Entwicklungshilfe unabhängig machen können. Um dieses Ziel zu erreichen, verordnet die Koordinationsrunde der verschiedenen Geberinstitutionen mit der nationalen Wasserbehörde konkrete Ziele: Im nächsten Jahr soll die Wasserbehörde ein Deckungsbeitrag von 130 % erreichen, drei Jahre später von 140 % und fünf Jahre später 150 %. Bei Nichterreichung dieser Zielvorgaben drohen die Geber mit einer Reduzierung der Entwicklungshilfezahlungen an das Land. Zur Bestimmung des Deckungsbeitrages sollen, so die Position der Geber, "vernünftige" Berechnungsgrundlagen gewählt werden. So verweisen die Geber immer wieder darauf, dass zur Berechnung des Deckungsbeitrages auf die Bestimmungen des International Financial Reporting Standard zurückgegriffen werden sollte. Man geht von der Annahme aus, dass nur dieser die "objektive Lage" einer Behörde und eines Unternehmens abbilden kann und durch diesen Zweifelfragen bei der Zurechnung auf Betriebskosten oder Investitionskosten einwandfrei geklärt werden können. Dabei wird suggeriert, dass es sich bei dem International Financial Reporting Standard genauso wie bei seinem Vorläufer, dem International Accounting-Standard, um einen einheitlichen Standard und nicht um einen ganzen Apparat von - teilweise sogar widersprüchlichen - Standards handelt. Die nationale Wasserbehörde muss sich - nicht zuletzt aufgrund des Drucks des Wasser- und des Planungsministeriums - den Vorgaben zum Deckungsbeitrag beugen. Wenn die Geber "130 % + x Deckungsbeitrag" wollen, so die Einstellung in der Wasserbehörde, dann werden wir dies auch erreichen. Für sie ist dies eine notwendige Pflichtübung, um weiterhin an die Mittel der nationalen und internationalen Entwicklungshilfeorganisationen zu kommen. Anders als von den Gebern intendiert, versucht die nationale Wasserbehörde den Deckungsbeitrag nicht vorrangig durch die Steigerung der Einnahmen oder durch Senkung der Kosten zu erreichen, sondern durch eine Umstellung in der Buchhaltung. Durch die Deklarierung von immer mehr Kosten als Investitionen und durch den Verzicht, ausstehende Einnahmen abzuschreiben, wird der Deckungsbeitrag immer weiter erhöht. Dabei besteht die Hoffnung, dass die Geber sich schon nicht allzu intensiv mit den Details der Buchführung auseinandersetzen werden.(4) Für die Durchsetzung des expansiven Modells der Deckungsbeitragsberechnung ist die nationale Wasserbehörde darauf angewiesen, dass die regionalen Wasserbehörden ihren jeweiligen Deckungsbeitrag ebenso berechnen. Bei dem durch die internationalen Wasserunternehmen betriebenen Versorger im Zentrum des Landes besteht eine Bereitschaft, dem expansiven Modell zu folgen - hängt ihr Honorar doch teilweise von einem möglichst hohen Deckungsbeitrag ab. Für die regionale Wasserbehörde im Norden ist die Höhe des Deckungsbeitrags nicht von gleicher Wichtigkeit. Deswegen können auch die von einer europäischen Entwicklungshilfeorganisation installierten Berater recht erfolgreich diese regionale Wasserbehörde als Modellfall für eine restriktive Deckungsbeitragsberechnung aufbauen. Wie wirken sich die unterschiedlichen Berechnungsformeln in den Kooperationsverhältnissen in dem afrikanischen Wassersektor aus?

Wer zählt? Die mikropolitischen Auseinandersetzungen

Im Ansatz des finanziellen Realismus, zu dem neben der betriebswirtschaftlichen Controllingtheorie auch - mit Abstrichen - die Tranksaktionskosten- und die Prinicipal-Agent-Theorie gezählt werden kann, wird davon ausgegangen, dass die Ermittlung von ökonomischen Kennziffern Machtkämpfe reduzieren kann. Eine Gewinn-Verlust-Rechnung könne dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit des Top-Managements einzuschätzen und so dessen Bewertung objektivieren. Eine Investitionsrechnung könne eine von politischen Interessen "gereinigte" Einschätzung einer geplanten Großanschaffung ermöglichen und so die mikropolitischen Spiele reduzieren. Verrechnungspreise zwischen den einzelnen Profitcentern eines Unternehmens könnten sicherstellen, dass die Kooperationsprozesse durch "Marktprozesse" objektiviert werden und so machtpolitische Interessen an Einfluss verlieren. Ökonomische Kennziffern naturalisieren politische Beziehungen. In dieser Auffassung muss jedoch immer davon ausgegangen werden, dass die Zahlen sich unabhängig von den Interessen beteiligter Organisationseinheiten oder Organisationen bestimmen lassen. Schließlich kann aus der Perspektive des finanziellen Realismus die Reduzierung der Machtkämpfe nur dadurch erreicht werden, dass es eine jenseits der Interessen gelagerte Objektivität gibt, die nicht oder nur mit Schwierigkeiten manipuliert werden kann. Diese Einschätzung wird interessanterweise auch in Teilen der gegen den finanziellen Realismus gerichteten kritischen Accounting-Forschung geteilt (konzeptionell siehe Burchell u.a. 1980; Hopwood 1987). Aus einer marxistischen Perspektive beschreiben Anthony M. Tinker, Cheryl Lehman und Marilyn Neimark Accounting als eines der letzten "nicht politisierten Mysterien" (Tinker u.a. 1988: 213). Aber auch in der sich auf Michel Foucault beziehenden Accounting-Forschung wird argumentiert, dass Zahlen häufig nicht mehr "aufgefaltet" werden können und subtile Machtregulierungsmechanismen einsetzen. Der Unterschied zwischen dem finanziellen Realismus und der an Marx und Foucault anknüpfenden Accounting-Forschung ist lediglich, dass die Anhänger einer Marxschen, Foucaultschen oder Latourschen Argumentation hinter diesen konfliktreduzierenden Mechanismen kaschierte Machtinstanzen vermuten. Die Konstruktion von Zahlen werde durch Experten bewacht, die darüber zentrale Prozesse in Organisationen beherrschen. In dem Fall des Wassersektors in dem afrikanischen Land wird jedoch deutlich, wie schwierig dieser Schutzprozess zu gestalten ist. Zwischen den Gebern auf der einen Seite und der Wasserbehörde auf der anderen Seite herrscht seit knapp einem Jahrzehnt ein immer komplexer werdendes Machtspiel: Die Geber insistieren, dass die Wasserbehörde einen vorher definierten Deckungsbeitrag erreichen sollen und legen dies in "Aktionsplänen" für die Wasserbehörde vor. Die Wasserbehörde reagiert auf diese Anforderung mit immer stärker aufgeweichten Systemen zur Bestimmung des Deckungsbeitrages und erreicht so punktgenau die in den "Aktionsplänen" festgelegten Beträge. Die Geber wiederum versuchen die Aufweichung dieser Standards zu verhindern, um ihre eigentliche Intention - eine Effizienzsteigerung der Wasserbehörde - zu erreichen. Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Machtspiels laufen dann verschiedene andere Machtspiele ab, die maßgeblich den Wassersektor in dem afrikanischen Land prägen.

Die Machtspiele um den Deckungsbeitrag

Bei der Auseinandersetzung um den Deckungsbeitrag stehen sich in der Regel immer die nationale Wasserbehörde auf der einen Seite und die Gruppe der Geberorganisationen sowie die überstaatlichen und nationalen Entwicklungsbanken auf der anderen Seite gegenüber. Die Position der anderen Organisationen hängt davon ab, welche Berechnungsmethoden für sie jeweils vorteilhafter sind. Dabei bilden sich Interessenskonstellationen aus, die quer zu einer Konfliktlinie zwischen den Organisationen aus der nördlichen Halbkugel einerseits und den Organisationen im Entwicklungsland andererseits liegen. Ein erstes Machtspiel dreht sich dabei um die Entlohnung der über die Entwicklungshilfe bezahlten privaten Betreiber. Dabei bildet sich eine Koalition zwischen der zentralen Wasserbehörde und dem privaten Betreiber im Norden des Landes aus. Dieser private Betreiber, an dem neben dem internationalen Wasserunternehmen auch ein internationales und ein nationales Beratungsunternehmen beteiligt ist, hat die Wasserwerke und Versorgungs- und Entsorgungsleitungen nicht erworben, sondern erhält für den Betrieb des Systems ein erfolgsabhängiges Honorar. Das Honorar dieser Beraterfirma hängt vor allem davon ab, in welchem Maße das Wasserunternehmen seinen Deckungsbeitrag steigern kann. Erst bei einer deutlichen Steigerung des Deckungsbeitrages wird das private Betreibermodell für das internationale Versorgungsunternehmen und die beiden Beratungsunternehmen finanziell interessant. Aus diesem Grund unterstützt das private Konsortium die expansive Berechnungsmethode der zentralen Wasserbehörde, kommt dieses expansive Modell doch immer zu höheren Deckungsbeiträgen. Die Geber versuchen dieser Tendenz über den Aufsichtsrat des Wasserunternehmens im Zentrum gegenzusteuern, um die Erosion ihrer Berechnungsstandards zu verhindern. Sie nutzen dafür teilweise auch die von ihnen eingerichtete Project Management Unit in der zentralen Wasserbehörde, über die die privaten Betreiber kontrolliert werden sollen. Ergebnis ist eine permanente Auseinandersetzung zwischen Aufsichtsorgan, der Project Management Unit und dem privaten Wasserunternehmen über Details des Abrechnungsverfahrens. Diese Konfliktlinie in dem afrikanischen Land lässt sich bei vielen in Amerika, Asien und Afrika etablierten privaten Betreibermodellen finden. Die Ausgangssituation (baseline) für die Leistungsbemessung ist - trotz teilweise hohem Messaufwand zu Beginn des Vertrages - nicht eindeutig zu bestimmen. Das betrifft sowohl die in der Landeswährung gefassten als auch die nichtmonetären Kennzahlen. Aus verschiedenen Fallstudien besonders über Privatisierung in der Wasserversorgung ist bekannt, dass auch bei privaten Betreibermodellen, in denen die Entlohnung an die Anzahl von neu verlegten Wasseranschlüssen, an die Verringerung von Wasserverlusten oder an die Reduzierung von Betriebskosten gebunden ist, es zu heftigen Auseinandersetzungen über die Interpretation dieser Zahlen kommt (vgl. Megginson & Netter 2001: 346; Azpiazu & Focinito 2002; Grusky 2003; Ugaz 2002).(5) Das zweite Machtspiel findet zwischen der nationalen Wasserbehörde und den regionalen Wasserunternehmen statt. Über größere Beratungsprojekte haben die Geber direkten Zugriff auf die regionalen Wasserversorger im Westen und im Osten des Landes und versuchen so, ihr restriktiveres Berechnungssystem für den Deckungsbeitrag durchzusetzen. Besonders im Osten versuchen die Berater in Abstimmung mit den europäischen Gebern das Buchhaltungssystem als Modell für das ganze Land aufzuarbeiten. Die regionalen Wasserversorger sind jedoch nach wie vor der zentralen Wasserbehörde unterstellt. Der Geschäftsführer der regionalen Wasserbehörde ist hierarchisch dem Behördenchef der nationalen Wasserbehörde zugeordnet und auch indirekt noch von Mittelzuweisungen durch die zentrale Wasserbehörde abhängig. So kann die zentrale Wasserbehörde durchsetzen, dass die regionalen Wasserbehörden an die nationalen Standards "angepasste Betriebsergebnisse" produziert. Der Effekt ist, dass zwei Betriebsergebnisse mit jeweils unterschiedlichen Deckungsbeiträgen existieren. Im Osten wird dann einerseits mit dem restriktiven Berechnungssystem der Geber ein Deckungsbeitrag von 60 % errechnet, während mit dem expansiven Berechnungssystem der nationalen Wasserbehörde ein Deckungsbeitrag von 70 % erzielt wird. Das dritte Machtspiel dreht sich um die Überführung der regionalen Wasserbehörden in staatliche Unternehmen. Der Deckungsbeitrag ist unter anderem deswegen eine kritische Kennziffer, weil die - besonders von den Gebern geforderte - Umstrukturierung der regionalen Wasserbehörden in staatliche Unternehmen von einem Deckungsbeitrag von über 100 % abhängig gemacht wird. Hintergrund ist ein nationales Gesetz, wonach staatliche Unternehmen nur gegründet werden dürfen, wenn diese mittelfristig ökonomisch lebensfähig sind. Gerade bei der Verhandlung über die Überführung der regionalen Wasserbehörde im Norden in ein staatliches Unternehmen entsteht eine fast paradox wirkende Situation: Die Geber, die auf eine möglichst schnelle Umwandlung der Wasserbehörde dringen, sehen sich an ihre restriktive Berechnungsformel gebunden. Auch wenn sie für eine möglichst schnelle Überführung in einen neuen Rechtsstatus sind, erreicht die betroffene Wasserbehörde nach ihrer Berechnungsform wesentlich später den notwendigen Deckungsbeitrag von 100 % als nach der expansiven Berechnungsformel der nationalen Wasserbehörde. Die zentrale Wasserbehörde, die einer rechtlichen Unabhängigkeit eines lokalen Ablegers eher zögerlich gegenüber steht, kommt mit ihren expansiven Berechnungen zu einem eher schnellen Erreichen des notwendigen Deckungsbeitrages von 100 %. Hierbei wird deutlich, dass Organisationen mit widersprüchlichen Zielsetzungen konfrontiert sein können (vgl. hierzu aus unterschiedlichen Theorieperspektiven Luhmann 1973; Friedland & Aldorf 1991). Die Zielvorstellungen der Entwicklungshilfeorganisation, die regionalen Wasserversorger möglichst schnell aus den Fängen der nationalen Wasserbehörde zu befreien, steht im Konflikt mit dem Ziel einer möglichst restriktiven Buchführung. Die Zielvorstellung der nationalen Wasserbehörde, eine Autonomie der regionalen Wasserversorger möglichst weit hinauszuzögern, gerät in Widerspruch zur expansiven Bestimmung des Deckungsbeitrages. In allen drei Machtspielen ist auffällig, wie stark sich die Akteure an ihre jeweiligen Berechnungssysteme gebunden sehen. In dem Konflikt über die Leistungsfähigkeit wird tendenziell sowohl von der Wasserbehörde als auch von den Entwicklungshilfeorganisationen immer mehr aus dem Auge verloren, dass der Deckungsbeitrag keine Aussage über die ökonomische Überlebensfähigkeit eines Unternehmens bietet. Um diese zu bestimmen wäre es notwendig für die betriebswirtschaftliche Rechnung auf der Kostenseite auch Ausgaben für Steuern, Zinsen und Rücklagen für Investitionen mit einzukalkulieren.

Die technische Lösung für ein mikropolitisches Problem

Nachdem der Konflikt über den Deckungsbeitrag die Auseinandersetzung im Wassersektor des afrikanischen Landes über längere Zeit geprägt hat, gab es gerade von Seiten der Geber den Versuch, einen einheitlichen Accounting-Standard für das Land zu etablieren. Besonders eine multilaterale Entwicklungsbank verlangt von der zentralen Wasserbehörde, ein technisches Projekt aufzulegen, mit dem das Rechnungswesen im Land vereinheitlicht werden soll. Gerade für die Politik der Weltbank ist inzwischen gut herausgearbeitet worden, wie durch sie Finanz- und Accounting-Methoden auch an weit entfernte Plätze transportiert werden. Dabei sind Projektdesigns, Kreditabkommen oder beraterische Unterstützungsmaßnahmen Instrumente, mit denen Vorstellungen der Weltbank von Finanzinstrumenten und Rechnungslegungsstandards transportiert werden (vgl. Neu u.a. 2002; Neu & Ocampo 2006). Zur Durchsetzung dieser Vereinheitlichung finanziert - inspiriert durch die multilaterale Entwicklungsbank - eine große amerikanische Entwicklungsagentur ein über fünf Jahre laufendes Projekt zur Einführung eines "Finanziellen Berechnungssystems" (FBS). Offizielles Ziel dieses Projektes ist es, das alte budgetbasierte Buchführungssystem auf ein moderneres und flexibleres Berechnungsverfahren umzustellen und landesweit die Einnahme- und Ausgabeverbuchung auf EDV umzustellen. Die verborgene Agenda bei der Vereinheitlichung des Accounting-Standards ist jedoch, über ein landesweites System das von den Gebern propagierte restriktivere Berechnungssystem durchzusetzen. Dabei hofft man, dass durch die Abhängigkeit der Software-Entwickler von den Zahlungen der Geber, Buchungsverfahren zugrunde liegen, die eher zurückhaltend mit der Einbuchung von Kosten als Investitionen sind. James Ferguson hat in einer Studie über die Weltbank in Lesotho die Strategie von multilateralen Entwicklungshilfeorganisationen als "anti-politics machine" bezeichnet. Die Entwicklungshilfeorganisationen würden zentrale Entwicklungsprobleme wie zum Beispiel Armut auf "technische Probleme" reduzieren. Für diese technischen Probleme würden die Entwicklungshilfeorganisationen dann auch rein technische Lösungen suchen. Dies trüge zu einer Entpolitisierung der Entwicklungshilfe bei und würde, so Ferguson, von den wirklichen Problemen in Entwicklungsländern ablenken (vgl. Ferguson 1990; 1994). Ferguson bezieht sein Argument vorrangig auf die Abstinenz von Entwicklungshilfeorganisationen von der "großen Politik". Seit Ende des Kalten Krieges hat sich die Rhetorik der Entwicklungshilfeorganisationen jedoch grundlegend verändert. An der Karriere des Themas Korruption kann man erkennen, dass selbst die Weltbank - früher sicherlich der Prototyp einer anti-politics machine - bewusst politische Eckpfeiler für Länder festlegt. Bei den nationalen Entwicklungshilfeorganisationen findet sich inzwischen häufig das Selbstverständnis einer "politischen Entwicklungszusammenarbeit". Das Bild der anti-politics machine lässt sich jedoch sinnvoll beibehalten, wenn man es nicht auf die Rhetorik der Entwicklungshilfeorganisationen bezieht, sondern auf die Vielzahl von Programmen, Projekten und Maßnahmen, die von den Organisationen durchgeführt werden. In diesen Prozessen der "Projektifizierung", der "Programmierung" und "Maßnahmendefinition" werden die mikropolitischen Komponenten "verobjektiviert". Die Projekte, Programme und Maßnahmen erscheinen nur noch als technische Maßnahmen, ihrer politischen Komponenten vollkommen beraubt. Das Finanzielle Berechnungssystem (FBS) erscheint als ein rein technisches Projekt. Das Ausgangsproblem, an dem das Projekt ansetzt, wird rein technisch definiert, indem auf die veraltete IT-Architektur der Wasserbehörde verwiesen wird. Die Lösung wird folgerichtig in der Schaffung eines neuen IT-Systems angesehen, in dem die Einnahmen und Ausgaben zeitnah und behördeneinheitlich verbucht werden können. Als Experten für das Problem werden dann folglich auch SAP-Spezialisten und Datenbank-Programmierer angesehen. Durch diese technische Projektanlage wird der Interessenskonflikt zwischen Gebern und Wasserbehörde durch die anti-politics machine entpolitisiert. Aber die Prozedur der anti-politics machine führt - jedenfalls in dem Fall des afrikanischen Staates - nicht dazu, dass die Machtauseinandersetzungen aufgelöst werden können. Gerade für die zentrale Wasserbehörde ist die versteckte Agenda hinter dem Software-Projekt leicht zu erkennen. Obwohl eine neue Software auch aus der Wahrnehmung der zentralen Wasserbehörde dringend benötigt wird, blockiert diese das Software-Projekt immer dann, wenn es um die Zuordnung von Ausgaben in die Bereiche Betriebskosten und Investitionskosten geht. Effekt dieser technischen Lösung für das ursächlich mikropolitische Problem war, dass sich das Software-Projekt um Jahre verspätete und es sich andeutete, dass am Ende lediglich eine Software-Ruine von den Beratern übergeben wird.

Die Verschärfung der mikropolitischen Spiele durch die Orientierung am Deckungsbeitrag

Schon 1964 hat Aaron Wildavsky Zweifel angemeldet, dass sich mit Kosten-Nutzen-Analysen, mit Programmbudget oder mit ökonomischen Kennziffernsystem der politische bargaining-Prozess reduzieren lässt (Wildavsky 1964). Aufgrund der hier vorgestellten Fallstudie lässt sich Wildavskys Argument noch verschärfen: Die Versuche, mikropolitische Prozesse durch ökonomische Kennziffersysteme zu reduzieren, führt eher zu einer Vervielfältigung der Konflikte. Man kann anhand der Fallstudie geradezu eine mikropolitische Paradoxie des Accountings in der Entwicklungshilfe feststellen. Die "Zahlensteuerer" verlängern und verkomplizieren die mikropolitischen Prozesse, die sie eigentlich reduzieren wollen. Die Verfechter von ausgefeilten Kennzahlen-Systemen raffinieren und eskalieren das, was sie eigentlich beseitigen sollen (vgl. Neuberger 2001: 192).

Was zählt? Die Funktion von ökonomischen Kennziffern in der Entwicklungshilfe

Die Verkomplizierung der Machtspiele durch die Orientierung aller Beteiligten an einer Verbesserung des Deckungsbeitrages erscheint auf den ersten Blick wie eine weitere Nebenfolge in der Entwicklungshilfe. Genauso wie ein gut gewolltes integriertes Landwirtschaftsprojekt zu einer Überweidung beitragen kann oder die Entwicklungshilfe für einen Staat dazu führt, dass sich korrupte Eliten an der Macht halten, könnte auch die Orientierung am Deckungsbeitrag mit einem "gut gewollt, aber problematisch in seinen Folgen" abgehakt werden. Aus dieser Perspektive könnte die Orientierung am Deckungsbeitrag als ein vorrangig durch eine in dem Wassersektor dominierende multilaterale Entwicklungsbank zu verantwortender "Steuerungsfehler" interpretiert werden. So setzt bei den Entwicklungshilfeorganisationen und bei den in den in verschiedenen Projekten aktiven Beratungsunternehmen in den letzten Jahren zunehmend Kritik an der Orientierung an einer Erhöhung des Deckungsbeitrages ein. Aus einer distanzierten soziologischen Perspektive scheint es jedoch sinnvoll diese schnelle Kritik in Frage zu stellen. Selbst wenn die offensichtlichen Funktionen der Deckungsbeitragsorientierung nicht erreicht werden, so können doch eventuell versteckte, latente Funktionen beim Deckungsbeitrag eine Rolle spielen. Das von Robert Merton eingeführte Denkkonzept der latenten Funktion ermöglicht es, sich von den Selbstbeschreibungen von Familien, Stämmen, Organisationen oder Gesellschaften zu lösen und Funktionen aus einer distanzierteren Perspektive heraus zu bestimmen (vgl. Merton 1952). Schließlich umfasst eine Familie, ein Stamm, eine Organisation oder eine Gesellschaft immer mehr als sie prima facie darstellen (vgl. Luhmann 1967).

Die kurzfristige Entlastung der Verhandlungssituation durch die Orientierung am Deckungsbeitrag

Eine zentrale Funktion des Deckungsbeitrages scheint darin zu bestehen, dass in kritischen Verhandlungssituationen wenigstens kurzfristig eine Grundlage geschaffen wird, auf die sich - bei aller Widersprüchlichkeit - die beteiligten Organisationen einigen können. Der Effekt von ökonomischen Kennziffern scheint zu sein, dass durch den Verweis auf eine gemeinsame "Sprache" ein Konflikt kurzfristig befriedet wird (vgl. auch Porter 1995: ix). Man einigt sich in den Aushandlungen zwischen den Gebern und der Wasserbehörde darauf, dass die Leistungen zukünftig am Erreichen von Deckungsbeiträgen gemessen werden soll oder dass in den Verhandlungen zwischen Wasserbehörde, Geberorganisationen und privaten Betreibern die Honorarzahlung an die Verbesserung von Deckungsbeiträgen geknüpft wird. Auch wenn diese Befriedung nur kurzfristig wirkt, weil sich die Machtspiele dann in den Projekten, Programmen und Maßnahmen multiplizieren, die über die Kennziffer gesteuert werden: Im Moment der Einigung auf eine ökonomische Kennziffer gibt es erst mal einen Anlass weiterzumachen. Überspitzt ausgedrückt: Über Zahlen wird die Fiktion einer Einigung produziert, auf dessen Basis die verschiedenen Organisationen weiter miteinander kooperieren können. Der Clou ist, dass diese Funktion auch erfüllt wird, wenn die Kennzahl nur sehr lose mit der Realsituation gekoppelt ist. Zahlen geben bei aller Konstruiertheit Sicherheit, weil auf deren Basis Entscheidungen gefällt werden können. Die "Willkürlichkeit" von Zahlen wird - ähnlich wie das "Stoppen bei Rotlicht" in Kauf genommen, weil sie sich als Grundlage für Entscheidungen eignen. Bei allem Abstand zur Realsituation können Zahlen also durchaus reale Konsequenzen haben (vgl. Macintosh u.a. 2000: 13 und 42). Damit die Zahlen ihre realen Konsequenzen haben können, müssen sie jedoch "selbstverständlicht" werden.

Der Prozess der "Selbstverständlichung" von Kennzahlen

Im Fall der afrikanischen Wasserbehörde kann gezeigt werden, wie die ökonomische Kennziffer des Deckungsbeitrages einen immer selbstverständlicheren Charakter bekommt. In den mündlichen und schriftlichen Verhandlungen zwischen den großen Geberorganisationen, der nationalen Wasserbehörde und den lokalen Wasserversorgern spielen die unterschiedlichen Berechnungsformen noch eine große Rolle. Immer wieder finden Auseinandersetzungen darüber statt, wie genau der Deckungsbeitrag zu bestimmen ist. Für die unmittelbar an den Verhandlungen beteiligten Vertreter der verschiedenen Organisationen liegt die Konstruiertheit dieser Kennziffer noch im Wahrnehmungshorizont. Aber je mehr sich die Kommunikationen von der unmittelbaren Verhandlungssituation zwischen den Repräsentanten der Organisationen zu den internen Abstimmungen in den jeweiligen Organisationen verschiebt desto stärker verblasst dieser Konflikt. Das Wasserministerium kann dem Planungsministerium melden, dass der von der Wasserbehörde erwartete Deckungsbeitrag punktgenau erreicht wurde. In den Studien zu privaten Betreibermodellen in dem afrikanischen Land wird zwar immer wieder darauf verwiesen, dass die Organisationen wenigstens ihre laufenden Kosten erwirtschaften sollen, aber die Unterschiedlichkeit der Berechnungsmethode wird dabei nicht erwähnt. In den Dokumenten zu den Regierungsverhandlungen wird nur noch von einer Verbesserung des Deckungsbeitrages geredet, ohne dass aber die Konflikte spezifiziert werden. Trotz des ursprünglichen Konfliktes über die Bestimmung wird die Kennziffer Deckungsbeitrag in der Prozessierung in den jeweiligen Organisationen immer selbstverständlicher. Die Berichte mit den Zahlenwerken werden, so Richard Rottenburg, bei ihrer "Wanderung durch die Abteilungen und Hierarchien" immer dünner. Die Informationen werden nach vorgegebenen Transformationsregeln in immer neue Formen umgewandelt und dadurch immer weiter reduziert. Dadurch stehen am Ende des Prozesses nur noch einige wenige Kennzahlen, die ihrer Entstehungs- und Kontextbedingungen weitgehend entkleidet sind (vgl. Rottenburg 2002: 223; siehe schon früher Porter 1995: ix).(6) Die in den jeweiligen Verhandlungssituationen noch offensichtlichen konflikthaften Konstruktionsbedingungen des Deckungsbeitrages verschwinden so in den internen Abstimmungsprozessen der multilateralen Entwicklungsbanken, der nationalen Entwicklungshilfeorganisationen und der Ministerien des afrikanischen Landes. Die komplexe Realität eines Wasserversorgungsvorhabens wird auf eine Zahl wie "Deckungsbeitrag von 105 %" reduziert. Je allgemeingültiger diese Kennziffer ist, desto weniger kann die "Vielfalt", "Komplexität" und "Partikularität" einer "ortsgebundenen Wirklichkeit" berücksichtigt werden (vgl. Rottenburg 2002: 229f). Die Konstruktionsformen des Deckungsbeitrages können in dem immer weiter fortschreitenden Prozessionsprozess nur noch mit größter Mühe aufgeschnürt werden und erhalten so ein hohes Maß an Plausibilität. Aus dieser Plausibilisierung beim Prozessieren innerhalb einer Organisation kann auch erklärt werden, weswegen sich Kennziffern wie der Deckungsbeitrag so gut für die Einigungsfiktionen eignen. Auch wenn den unmittelbar an den Verhandlungen Beteiligten klar ist, dass es keine Übereinstimmung über die Details der Bestimmung einer Kennziffer gibt, so können sie doch davon ausgehen, dass die eigene Organisation bei der Behandlung der Einigung von diesen Details sehr wohl abstrahieren wird.

Eigenschaften von Zahlen und der Prozess der "Selbstverständlichung"

Die Plausibilisierung findet für alle Formen von Informationen statt, die in einer Organisation kondensiert und komprimiert werden. Auch qualitativ aufbereitete Informationen erhalten durch ihre Verdichtung und Aufbereitung eine größere Überzeugungskraft. Man denke nur an die für Insider überraschend rund wirkenden einseitigen Vorstandsvorlagen oder die mehrmals überarbeiteten Powerpoint-Präsentationen, die aufgrund ihrer Stringenz kaum noch kritisierbar erscheinen. Zahlen scheinen aber über drei Merkmale zu verfügen, die sie für den Prozess der "Selbstverständlichung" besonders geeignet erscheinen lassen. In der Form von Kennziffern sind Informationen besonders leicht transportierbar. Weil es sich um verdichtete Zahlen handelt, können sie zwischen Profitcentern und Zentrale, zwischen Zulieferern und Kunden, zwischen Unternehmen und Steuerbehörden, zwischen Gebern und Nehmern von Entwicklungshilfe hin- und hergeschoben werden. So kann die Kennziffer des Deckungsbeitrags beispielsweise auf der Ebene der drei Wasserver- und -entsorgungseinheiten erhoben und dann zur zentralen Wasserbehörde weitergeleitet werden. Oder der Deckungsbeitrag der nationalen Wasserbehörde kann an die Entwicklungshilfeorganisationen weitergeleitet werden, bei der ein Projektmanager mit einem einfachen Blick erfassen kann, ob die Zielvorgaben erreicht wurden oder nicht. Wenn die Informationen in Form von Zahlen aufbereitet sind, sind diese auch im Vergleich beispielsweise zu verbalen Informationen relativ leicht kombinierbar. Der Deckungsbeitrag der drei Wasserversorgungseinheiten kann beispielsweise zu einem einheitlichen Deckungsbeitrag der nationalen Wasserbehörde aggregiert werden. Und wenn eine Entwicklungshilfeorganisation Interesse daran hat, könnte sie ohne größere Schwierigkeiten den durchschnittlichen Deckungsbeitrag aller von ihr finanzierten Versorgungsunternehmen berechnen (vgl. Robson 1992: 690f). Ein weiteres Charakteristikum von Zahlen besteht darin, dass sie ohne große Schwierigkeiten vergleichbar sind.(7) Der Deckungsbeitrag von 150 % in der einen Wasserbehörde kann mit dem Deckungsbeitrag von 70 % bei einer anderen Behördeneinheit verglichen werden. Oder der Deckungsbeitrag von 50 % im Jahr 2000 kann mit dem Deckungsbeitrag von 110 % im Jahr 2010 verglichen werden. Während bei qualitativen Informationen regelmäßig der Vorwurf gemacht wird, dass Äpfel mit Birnen verglichen wird, sind die Vergleiche mit der gleichen ökonomischen Kennziffer in der Regel nicht diesem Verdacht ausgesetzt. Die drei Merkmale der Transportierbarkeit, Kombinierbarkeit und Vergleichbarkeit von Zahlen macht deren Einsatz in der Entwicklungshilfe so attraktiv. Erst sie ermöglichen es den nationalen und internationalen Entwicklungshilfeorganisationen, Projekte auch aus großer Distanz zu steuern und trotz ganz unterschiedlicher regionaler und kultureller Besonderheiten der Einsatzgebiete, mit einheitlichen Kriterien zu arbeiten.

Was wirklich zählt. Zahlen in der Entwicklungshilfe

Die Validität von Zahlen wird in sozialen Zusammenhängen unterschiedlich stark abgesichert. Es gibt akzeptierte mathematische Formeln wie das berühmte "2+2=4", deren Gültigkeit nur von Grundschülern in der ersten Klasse oder besonders raffinierten Philosophen bezweifelt werden kann. Es gibt die Anzahl von verlegten Wasserleitungen in Tansania, über deren Anzahl unterschiedlichste Meinungen existieren mögen, deren Bestand aber im Rahmen eines Projektes objektiviert werden kann (vgl. Rottenburg 2001); und es gibt Indikatoren wie den Human Development Index der Vereinten Nationen oder den Korruptionsindex von Transparency International, bei dem die "soziale Konstruiertheit" selbst in den Massenmedien diskutiert wird (vgl. Booysen 2002). Für eine soziologische Analyse ist jetzt interessant, wie eine Objektivierierung von Zahlen vonstatten geht. Viele Rechnungs- und Auditierungsverfahren machen die Kontingenz von Berechnungen unsichtbar und produzieren so Zahlen, die von den unmittelbar Betroffenen und den späteren Verwendern akzeptiert werden. Was macht das Besondere dieses Prozesses im Kontext der Entwicklungshilfe aus? Stark vereinfachend gesagt, kann man in Industrieländern davon ausgehen, dass es bei der Bestimmung beispielsweise einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung oder eines Deckungsbeitrages Verfahren gibt, in denen im Konfliktfall die ökonomische Kennziffer sozial objektiviert werden kann. Wenn der Verdacht besteht, dass das Management vergangene Gewinne eines Unternehmens durch Zahlentricks in die Höhe getrieben hat, kann ein Aktionär vor Gericht ziehen. Wenn die Steuerbehörde eines Landes den Eindruck gewinnt, dass Unternehmen Einnahmen ins Ausland verschieben, können sie im Rahmen des Gesetzes prüfen, ob die Gewinn-Verlust-Rechnung modifiziert werden muss. Die Justiz hat dabei natürlich nicht die Möglichkeit, realitätsnähere Berechnungsverfahren zu erstellen. Vielmehr besteht ihre Funktion darin, dass sie Konflikte über Zahlen entscheiden kann. Dabei kann es sehr wohl passieren, dass das durch ein Gerichtsurteil "objektivierte" Berechnungsverfahren allen anderen Beteiligten abstrus erscheint, aber die Beteiligten haben eine Basis auf der alle weitermachen können. Die Möglichkeit zur juristischen Eskalation unterschiedlicher Interpretation von Zahlen wirkt wie eine Stoppregel für Konflikte. Diese Möglichkeit besteht in der Entwicklungshilfe nur begrenzt. Konfliktparteien verlassen sich im Kontext der Entwicklungshilfe sehr ungern auf die Justiz, um rechnerische Sachverhalte klären zu lassen. Gerade die binationalen und multinationalen Entwicklungshilfeorganisationen vertrauen den rechtlichen Instanzen in den Empfängerländern nicht zu, die Interpretationskonflikte zu lösen. Effekt ist, dass die Zahlen - bei allen vorhandenen Dialekten und Interpretationsschwierigkeiten - in der Kooperation zwischen den verschiedenen Organisationen immer wieder bestätigt werden.

Anmerkungen

(*) Der Titel des Beitrages ist durch die Benennung einer Einleitung durch Günther Ortmann (2007) "Was wirklich zählt" inspiriert. Dieser Artikel basiert auf einer Fallstudie, die ich erstmals für einen Sammelband über Kalkulation, Organisation und Gesellschaft ausgearbeitet habe. Während in der ursprünglichen Ausarbeitung vorrangig Anschlüsse an die englischsprachige Accounting-Forschung gesucht wurden (vgl. Kühl 2007), wird hier ein Brückenschlag zu aktuellen Debatten in der Entwicklungshilfe gesucht. Ich danke Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer für die ausführliche Kommentierung einer früheren Fassung der Fallstudie. Den Gutachtern und Redakteuren der Zeitschrift Peripherie sei für die vielfältigen Verbesserungsvorschläge gedankt. (1) Ich halte den in der Entwicklungssoziologie zu beobachtenden Standard, mit Interviews oder teilnehmenden Beobachtungen untersuchte Organisationen mit ihren Echtnamen zu markieren oder diese nur ungenügend zu anonymisieren - z.B. wird die Organisation anonymisiert ("ein großes Stahlwerk"), aber das Land ("Indien") genannt - für problematisch. Und zwar nicht nur wegen dem mangelhaften Schutz der Informanten, sondern auch, weil dadurch sich der Autor oder die Autorin einem Selbstzensurmechanismus kaum entziehen kann. (2) In der Literatur wird der Deckungsbeitrag häufig nicht als eine Prozentzahl angeben, sondern als absolute Zahl. Dabei werden vom Umsatz die durch die Herstellung verursachten Kosten abgezogen. So entsteht eine Euro- oder Dollar-Summe. Ist diese Summe positiv, leistet das entsprechend fokussierte Produkt einen positiven Beitrag zum Betriebsergebnis. Hier wird unter Deckungsbeitrag jedoch das prozentuale Verhältnis von Betriebseinnahmen zu Betriebsausgaben verstanden. (3) Es handelt sich hier um eine vereinfachte Darstellung auf der Basis der im afrikanischen Land verwendeten Definitionen. In der Literatur wird der operating ratio häufig auch umgekehrt bestimmt - als das Verhältnis von Betriebsausgaben zu Betriebseinnahmen. In diesem Fall weist eine niedrige Prozentzahl auf gute, eine hohe Prozentzahl auf schlechte Profitabilitätschancen hin. Diese unterschiedliche Bestimmungsform lässt sich dadurch erklären, dass der Begriff operating ratio es offen lässt, wie genau Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen zueinander in Verhältnis gesetzt werden. (4) Aus Fallstudien über Unternehmen in Industrieländern wissen wir, wie durch kreative Buchführung punktgenau von oben gesetzte Ziele erreicht werden (vgl. z.B. eindrucksvoll Jackall 1988: 107ff). (5) Für eins der beiden privaten Betreibermodelle in Manila wurde gezeigt, wie trotz intensiver Bemühungen zur Definition der Ausgangssituation es zu unterschiedlichsten Interpretationen des Vertragswerks kam (vgl. Stadler & Hoering 2003: 150ff). (6) Insgesamt ist für Rottenburg jedoch die "Liste" wichtiger als die "Zahl". Aus meiner Sicht müsste geprüft werden, ob es nicht die durch Listen mögliche Quantifizierung ist, die diese in der Entwicklungshilfe so attraktiv macht. (7) Quantifizierung, so Stefan A. Musto (1987: 428), würde es zusammen mit Standardisierung und Kausalisierung den Entwicklungshilfeorganisationen ermöglichen ein "simples Weltbild" zu erstellen. Die Quantifizierung mache Vergleiche möglich. Die Standardisierung erlaube Verallgemeinerungen. Die Kausalisierung, die Aufstellung eindeutiger Folgerungen, begründe Handlungsanweisungen. Diese "Vereinfachungen" seien funktional, weil ein "wirklichkeitsnäheres Weltbild" gezielte Einzeleingriffe gar nicht als möglich erscheinen lässt.

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