Initiativen ergreifen & ermöglichen

Um alle Probleme gleichzeitig bekämpfen zu können, müssen Frauen Allianzen bilden, sagt die AWIN-Aktivistin Violeta Andjelkovic-Kanzleiter.

an.schläge: Du arbeitest bei AWIN1 (Association for WomenÂ’s Initiative) in Belgrad. Was ist das für eine Organisation?
Violeta Andjelkovic-Kanzleiter: Die Organisation wurde 1997 gegründet. Am Anfang stand die Idee, in ländliche Gegenden und kleinere Städte zu gehen, um dort Lobbying für Frauen zu machen und sie zu organisieren. Um Frauen in manchen Gegenden zu erreichen, musst du einfach deinen Rucksack nehmen und direkt hingehen und dort versuchen, Frauen zu finden, die daran interessiert sind, etwas zu ändern. Was wir ihnen dann anbieten können, ist nicht nur theoretisches Empowerment, sondern auch, sie mit anderen Organisationen zu vernetzen und Kooperationen in Gang zu bringen.
Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist der Aufbau eines Dokumentationszentrums, in dem wir alle Materialien der Frauenbewegung sammeln und archivieren. Wir führen außerdem eine Bibliothek und Datenbanken. Unser dritter Aufgabenbereich ist die Unterstützung von Frauen, die ihre eigene Initiative gründen wollen.

Was für Initiativen sind das?
Beispielsweise nutzen drei Ärztinnen, die im Bereich Frauengesundheit arbeiten, unsere Räume und unsere Infrastruktur. Eine Initiative befasst sich mit Psychodrama und bietet Therapie an, eine andere arbeitet zur ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen. Es gab einen Selbstverteidigungskurs und eine Initiative von Mädchen, die Filme über Frauen machen wollen - es ändert sich ständig. Wir haben auch eine feministische Gruppe für Dichtung, die Schreibkurse anbietet und schon beachtete Schriftstellerinnen hervorgebracht hat. Es sind etwa 200 Frauen im Monat, die zu den Kursen kommen oder sich bei uns in Gruppen treffen. Das ist gut, es tut sich etwas.

Aber ihr selbst habt keine Mittel, um die Gruppen finanziell zu unterstützen?
Nein, wir können nur die Wohnung und sieben schlecht entlohnte Angestellte bezahlen. Leider mussten wir ein Programm mit kostenlosen Computerkursen für arbeitslose Frauen aus Geldmangel aufgeben. Früher boten wir auch kostenlosen Sprachunterricht an. Leider müssen wir dafür jetzt von den Teilnehmerinnen Gebühren verlangen, die aber immer noch weit unter dem Niveau privater Sprachschulen liegt. Uns beschäftigt vor allem die ökonomische Situation von Frauen. Im Jahr 2000, als im Zuge von Privatisierungen viele große Unternehmen geschlossen wurden, haben viele Frauen ihren Job verloren. Es sind immer zuerst die Frauen, die entlassen werden, vor allem jene zwischen vierzig und sechzig Jahren, die auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich diskriminiert sind und es besonders schwer haben, wieder einen Job zu finden.
Finanzielle Mittel zu ihrer Unterstützung ließen sich durch staatliche, EU-geförderte Qualifizierungsprogramme lukrieren, die Kooperationen mit NGOs eingehen und Fortbildungskurse für arbeitslose Frauen finanzieren. Wenn die Frauen diese Kurse aber nicht regelmäßig besuchen, verlieren sie den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Das sind etwa fünfzig Euro monatlich, von denen natürlich niemand leben kann, die Frauen sind gezwungen, nebenher zu arbeiten und können schon deshalb die Termine nicht einhalten, oft verbieten auch die Ehemänner die Teilnahme. Zum Glück haben wir diesen Vertrag nicht unterschrieben, aber andere Organisationen haben es getan, ohne zu wissen, in welche Situation sie dadurch gebracht werden.

Gibt es eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Organisationen bzw. eine Vernetzung von Frauen aus verschiedenen Bereichen?
Ein Zusammenschluss von Aktivis-tinnen, von Frauen aus den Medien, der Politik, aus NGOs, den Gewerkschaften, den Unis - das ist bislang immer noch eine Vision. Aber mit diesem Ziel vor Augen versuchen wir, Frauen aus allen Bereichen zu aktivieren und auf allen Ebenen zu arbeiten. So hatten wir zum Beispiel eine Kooperation mit Gewerkschaftsfrauen, mit dem Erfolg, dass die beiden größten Gewerkschaften nun eigene Frauensektionen haben.
Auch bei der Zusammenarbeit mit Politikerinnen gab es einige Erfolge, gleichzeitig aber auch häufig das Problem, dass Frauen in der Politik in erster Linie die Parteilinie vertreten und ihre Loyalität der Partei gilt. Mitunter sind sie nicht einmal bereit, über Frauenfragen auch nur zu sprechen. Das findet sich in allen Parteien, auch in denen des so genannten "demokratischen Blockes".
2000 haben wir in Paliç eine große Konferenz organisiert, dort waren Frauen aus allen Bereichen vertreten. Und was den Austausch über Probleme und Lösungsstrategien betrifft, war sie auch sehr erfolgreich.

Und hinsichtlich konkreter Umsetzungen?
Fünf Jahre danach haben wir uns erneut getroffen, um Zielsetzungen und Erfolge zu rekapitulieren und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sich zwar etwas verändert, aber nur sehr, sehr langsam. Und es zum Teil auch Rückschritte gibt: Wir hatten eine Gleich- berechtigungskommission in der Regierung, die mit der Begründung abgeschafft wurde, dass Stellen für Gleichbehandlung nun in jedem Ministerium implementiert würden. Die ganze, jahrelang erarbeitete Struktur ist damit verloren gegangen.
Frauen sind mit verschiedensten Problemen auf allen Ebenen und in allen Bereichen konfrontiert. Es ist unmöglich, diese Dinge alle gleichzeitig zu bekämpfen. Aber Frauen merken allmählich, dass es möglich ist, wenn sie sich organisieren. 2000 hatten wir eine Kampagne gestartet, um Frauen zu mobilisieren, überhaupt wählen zu gehen. Der nächste Schritt war dann, mehr Frauen in der Politik zu fordern. Und wir konnten den Erfolg verbuchen, dass ein Gesetz erlassen wurde, wonach jede Partei mindestens dreißig Prozent Frauen auf ihren Wahllisten aufstellen muss. Mit dem Resultat allerdings, dass diese Frauen nach der Wahl sehr schnell wieder verschwunden sind, oft haben Politiker ihre eigenen Ehefrauen auf die Liste gesetzt, die Regelung wurde durch die neue Verfassung von 2006 zudem wieder annulliert.
Außerdem konnten wir verhindern, dass die Rechtsform der Kooperative abgeschafft wurde. Wir haben ein Programm gestartet, um Frauen-Kooperativen zu unterstützen, eine Betriebsform, die zwar eine Zeit lang vergessen, aber nicht aus dem Gesetz verschwunden war und die gerade für arbeitslose Frauen eine Möglichkeit wirtschaftlicher Unabhängigkeit darstellt. Im Unterschied zu Unternehmensgründungen braucht es zur Gründung einer Kooperative nämlich nicht viel Kapital, das Frauen in der Regel nicht haben, denn es sind hier immer noch die Söhne, denen der Familienbesitz vererbt wird. Nach unseren Schätzungen verfügen etwa achtzig Prozent der Frauen über kein eigenes Eigentum.
Eine andere erfolgreiche Kampagne richtete sich gegen ein Unternehmen, das im Zuge von Massenentlassungen Männern doppelt so hohe Abfindungen angeboten hatte wie Frauen. Wir haben gemeinsam mit Gewerkschaftsfrauen eine umfassende Kampagne initiiert. Aber es war absurd: Zuerst wollte das Unternehmen auch die Abfindungen der Männer senken, um die "Gleichberechtigung" herzustellen! Letztlich konnten wir uns durchsetzen.

Gibt es nur Kooperationen mit anderen Frauenorganisationen in Serbien? Oder auch mit Frauen und Initiativen aus dem ehemaligen Jugoslawien und darüber hinaus?
Frauengruppen waren während der Kriege ein wichtiger - vielleicht der wichtigste - Bestandteil der Antikriegsbewegung. Wir haben unsere guten Beziehungen zu Frauengruppen in allen anderen Teilen Jugoslawiens nie verloren. Aber natürlich gibt es auch Probleme. Beispielsweise im Kosovo, wo die Gesellschaft fast komplett ethnisch segregiert ist. Dort ist es aufgrund der immer noch angespannten Situation sehr schwer, serbische und albanische Gruppen zusammen zu bringen. Wir unterstützen das multiethnische Frauennetzwerk "Zora" (Morgenrot), in dem serbische Frauen mit Roma-Frauen und einigen Albanerinnen zusammen arbeiteten. "Zora"-Gruppen gab es in den "Enklaven", wo im Kosovo die nicht-albanischen ethnischen Minderheiten leben. Nach den Angriffen auf die "Enklaven" durch albanische Extremisten 2004 ist unser Netzwerk auseinander gefallen und kann nur langsam wieder geknüpft werden. Die albanischen Frauen haben ihr eigenes Netzwerk.

Gibt es nicht auch für Frauen positive sozialistische Relikte, die bewahrt werden konnten?
Ein Vergleich zwischen damals und heute muss natürlich differenziert ausfallen. Aber wenn man die Situation ganz grundsätzlich vergleicht, hatten Frauen im Sozialismus einfach mehr Rechte als jetzt. Bei Einstellungspolitik und Gehältern wurde nicht zwischen den Geschlechtern unterschieden, es gab zwei Jahre Mutterschutz bei voller Bezahlung, betriebsinterne Kindergärten haben es erlaubt, die Kinder in der Nähe zu haben und trotzdem voll weiterarbeiten zu können. Heute werden Frauen bei Arbeitsantritt gezwungen, Verträge zu unterschreiben, mit denen sie sich verpflichten, keine Kinder zu bekommen. Natürlich ist das gesetzeswidrig, aber die Frauen brauchen die Jobs und unterschreiben.
Was früher zählte, war: Bist Du ein guter Kommunist oder nicht. Das Geschlecht war dabei sekundär. Was allerdings nicht heißt, dass das patriarchale System deshalb grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Es war weiterhin normal und geduldet, wenn der Mann das Sagen hatte.

1 ASOCIJACIJA ZA ÎENSKU INICIJATIVU-AZIN.
www.awin.org.yu/home.htm

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at