Einführung und Etablierung der Videoüberwachung in Brandenburg

Anmerkungen zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

Wie rasant sich der juristische Diskurs zum Thema Überwachung in letzter Zeit geändert hat, lässt sich an der Diskussion um die Verschärfungen des Brandenburger Polizeigesetzes (BrbgPolG) zeigen.

War die Einführung der Videoüberwachung im Jahr 2000 noch heftig umstritten, so spielt sie in der Kontroverse um die aktuelle Polizeigesetznovelle nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Entwicklung wirkungsmächtiger Kritik an juristischen und politischen Konzepten "Innerer Sicherheit" setzt ein Verständnis dieser Dynamik voraus. Deshalb soll im folgenden die Veränderung des Brandenburger Polizeigesetzes in den letzten Jahren und die Entwicklung der politischen Verhältnisse, die diese Veränderung ermöglichten, nachgezeichnet werden. Dabei sollen die Besonderheiten, die sich aus der ostdeutschen Situation ergeben, nicht aus den Augen gelassen werden.

Dienstnummernpflicht und informationelle Selbstbestimmung

Politik und Recht der "Inneren Sicherheit" waren in Brandenburg zu Beginn der 90er Jahre ganz entschieden von den politischen Diskussionen und Prozessen der "Wende" in Ostdeutschland geprägt. Im Polizeirecht stand für diese Prägung symbolisch die Dienstnummernpflicht. Diese schrieb vor, dass sich im Einsatz befindliche Beamte durch das Tragen einer Dienstnummer identifizierbar zu machen hätten. Die Einführung dieser Vorschrift war eine direkte Reaktion auf die von Einheiten der Bereitschaftspolizei der DDR am 7. Oktober 1989 in Berlin begangenen Gewalttaten. Die nie eingehaltene Dienstnummernpflicht wurde 1996 schließlich abgeschafft. Wichtigstes Zeugnis dieser Prägung ist die Landesverfassung. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird in der juristischen Literatur immer allein auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1983 zurückgeführt. Die massive Boykott- und Protestbewegung gegen die Volkszählung wird dabei ignoriert. Wie oft in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung wird ein komplexer historischer Vorgang vereinfacht und geglättet. Dass dieser ahistorische Ansatz sowohl politische als auch juristische Erkenntnismöglichkeiten verbaut, wird im Fall der Brandenburger Verfassung offenbar. Das in deren Art. 11 gemeinsam mit der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste und dem Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten kodifizierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stellt eine Reaktion auf die systematische Überwachung der DDR-Bevölkerung dar und bewahrt so eine politische Forderung der Bürgerrechtsbewegung der DDR auf. Seine spezifische Entstehungsgeschichte kann und muss für die Bestimmung des Umfangs und der Intensität des Schutzes gegen staatliche Grundrechtseingriffe nutzbar gemacht werden. Für diese Bestimmung bietet die Entstehungsgeschichte des Art. 11 der Landesverfassung Material, das geeignet ist, ein hauptsächlich auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes gestütztes Verständnis zu ergänzen und zu präzisieren.

Innere Sicherheit auf der Agenda

Bis Mitte der 90er Jahre war innere Sicherheit ein Thema, das nicht den ersten Platz auf der politischen Agenda einnahm. Dies änderte sich in der zweite Hälfte der 90er Jahre. Zentrale Ursache dafür dürfte sein, dass mit dem Scheitern der Hoffnung auf einen Anschluss an das ökonomische Niveau Westdeutschlands repressive Konzepte zum Umgang mit sozialen Problemen sich gegen sozialstaatliche Konzepte durchsetzten. Das späte Eingeständnis der Existenz massiver Gewaltkriminalität mit rechtem Hintergrund eröffnete ein weiteres Feld für sicherheitspolitische Debatten. In der Brandenburger Parteienlandschaft tauchte schließlich auch ein Akteur auf, der politische und juristische Veränderungen vorantreiben sollte. 1999 übernahm der damalige Berliner Innensenator Schönbohm den Vorsitz der Brandenburger CDU. Ihm gelang es, die zerstrittene Partei zu einigen und durch Besetzung des Themas der "inneren Sicherheit" thematisch zu profilieren. Aus den Landtagswahlen am 5. September 1999 ging die CDU als Koalitionspartner der SPD hervor. Die Rolle, die das Thema "innere Sicherheit" im Wahlkampf gespielt hatte, führte dazu, dass die Novellierung des Polizeigesetzes eines der ersten Vorhaben der Großen Koalition wurde. Drei Befugnisse sollten in das Polizeigesetz aufgenommen werden: Aufenthaltsverbote, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze und der "finale Rettungsschuss".

Streit um die Einführung der Videoüberwachung

Nur an der Videoüberwachung entzündete sich eine politische Diskussion. Als Gegner der Videoüberwachung engagierten sich der damalige Brandenburger Datenschutzbeauftragte Dix, die PDS-Landtagsfraktion, die Gewerkschaft der Polizei, linke Gruppen und die Jusos. Deren Widerstand führte dazu, dass sich die Koalitionsparteien auf eine Regelung einigten, die die Beobachtung von Kriminalitätsschwerpunkten durch Kameras ermöglichte, wobei eine Aufzeichnung nur im Falle des Verdachtes der Begehung einer Straftat zulässig war. Technisch setzt diese Lösung voraus, dass die Monitore permanent von BeamtInnen beobachtet werden, die im Verdachtsfall manuell die Aufzeichnung auslösen. Damit verfügte Brandenburg über eine der restriktivsten gesetzlichen Regelungen der polizeilichen Videoüberwachung. Die Regelung wurde zeitlich auf eine fünfjährige Erprobungsphase begrenzt. Nach deren Ende sollte der Landtag auf der Basis eines umfassenden Berichtes der Landesregierung über die Fortführung der Videoüberwachung entscheiden. Von großer Wichtigkeit war die Frage nach der "Wirksamkeit" der Videoüberwachung. Die Beliebtheit der Videoüberwachung resultiert aus dem Versprechen der Auflösung sozialer Konfliktlagen in urbanen "Problemgebieten" durch Unterwerfung dieser Gebiete unter permanente visuelle Kontrolle. Der Nachweis der "Wirksamkeit" oder der "Unwirksamkeit" wäre aus dieser Perspektive geeignet, dieses Versprechen einzulösen bzw. zu entkräften. Aus diesem Grund argumentieren sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen der Videoüberwachung mit Studien, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher Fragestellungen, Methoden und "erkenntnisleitender" Interessen zu verschiedenen, oft widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Deshalb verabschiedete der Landtag am 13. Dezember 2001 gemeinsam mit dem die Videoüberwachung regelnden neuen Abs. III des § 31 BrbgPolG eine Entschließung, die vorsah, dass der Brandenburger Langzeitversuch durch "unabhängige Wissenschaftler" zu evaluieren sei.1

Die Videoüberwachung in der Praxis - uneindeutige Ergebnisse

Nachdem die juristischen Vorbereitungen für die Einführung der polizeilichen Videoüberwachung abgeschlossen waren, stellte sich die Frage nach möglichen Standorten für die Kameras. Nach einer Aufforderung des Innenministeriums an die Polizeipräsidien, mögliche Standorte zu benennen und einer Auswahl unter den daraufhin eingereichten Vorschlägen wurden zwischen November 2001 und Februar 2002 im Bahnhofsumfeld von Erkner, Potsdam und Bernau und an einer Diskothek in Rathenow die Kameras in Betrieb genommen. Insgesamt wurden in allen vier videoüberwachten Bereichen bis zum 31. August 2005 laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 1755 Straftaten, in erster Linie Körperverletzungs- und Diebstahlsdelikte, begangen. Durchschnittlich wurden pro Monat und Kamerastandort ca. 10 Straftaten (Potsdam ca. 16, Erkner ca. 10, Rathenow ca. 2, Bernau ca. 8) registriert. Dabei handelt es sich bei Bernau, Erkner und Potsdam um stark frequentierte Pendlerbahnhöfe an der Berliner Peripherie. Insgesamt wurden 303 Aufzeichnungen angefertigt und 128 Verdächtige mittels Videoüberwachung gestellt.2 Wie viele von ihnen tatsächlich als TäterInnen einer Straftat verurteilt wurden und wie oft das durch die Videoüberwachung gewonnene Material zu dieser Verurteilung beitrug wurde statistisch nicht erfasst. Die Deliktszahl im gesamten überwachten Bereich sank von 2001 zu 2002 stark ab, um anschließend wieder kontinuierlich zu steigen. Dabei ist die Zahl der Körperverletzungen relativ konstant, die Schwankungen sind auf Zu- und Abnahme von festgestellten Diebstahlsdelikten zurückzuführen. Ob es sich dabei um eine von der Videoüberwachung maßgeblich beeinflusste Entwicklung oder um durch sie akzentuierte normale Schwankungen handelt ist angesichts der geringen Fallzahlen unklar. Sicher lässt sich feststellen, dass das Versprechen der absoluten (oder auch nur wesentlich erhöhten Sicherheit) nicht eingelöst wurde.

Fehlinterpretation informationeller Selbstbestimmung

Der juristische Evaluator, Prof. Classen aus Greifswald, stellt in seiner Erörterung begründungslos fest, dass dem spezifischen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in seiner in Art. 11 der Landesverfassung normierten Form kein weitergehender Inhalt zukommt als in seiner Herleitung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG.3 Dabei stellt das Grundrecht der Landesverfassung eine gegenüber dem Grundgesetz eigenständige Rechtsgrundlage dar. Deren Gehalt kann, solange nicht stärker in die Grundrechte Dritter eingegriffen wird, als vom Grundgesetz vorgesehen, weitreichender sein als der des Grundgesetzes. Der Schutzumfang des Art. 11 der Landesverfassung hätte von Prof. Classen also gesondert bestimmt werden müssen. Weitergehend stellt er fest, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil des BVerfG entwickelt wurde und sich damit unmittelbar auf eine Volkszählung, also auf andere als im Kontext der Videoüberwachung auftretende Probleme bezieht.4 Dabei übersieht er gerade das oben erwähnte Spezifikum des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, wie es in der 1992 durch Volksentscheid angenommen Brandenburger Verfassung normiert ist. Dieses besteht in seinem autonomen Ursprung und einer vom westdeutschen verfassungsrechtlichen Diskurs beeinflussten Kodifizierung. Der Ursprung liegt im Aufbegehren (eines Teils) der Bevölkerung der DDR gegen umfassende staatliche Überwachung, auch mittels technischer Hilfsmittel. Gerade in Leipzig, dem Zentrum der "Montagsdemonstrationen" überwachte die Staatssicherheit einen Teil des "Rings" mittels Kameras. Ironischerweise hängen wenige Meter vom alten Standort entfernt heute wieder Überwachungskameras. Damit bezieht sich die Entwicklung und der durch historische und teleologische Auslegung bestimmbare Gehalt des in Art. 11 der Landesverfassung normierten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gerade auf Probleme, wie sie im Kontext der polizeilichen Videoüberwachung auftreten. Es steht gerade einer Praxis entgegen, die durch umfassende Kontrolle der Gesamtbevölkerung eine Lösung gesellschaftlicher Probleme, die aus der Verfasstheit der Gesellschaft resultieren, verspricht.

Die neueste Verschärfung

Seit 2001 war klar, dass der Landtag im Jahr 2006 über die Fortführung der Videoüberwachung entscheiden würde. Mittlerweile haben sich die politischen Verhältnisse und die technologischen Möglichkeiten weiterentwickelt. Mit dem stetigen Verweis auf die Gefahren des Terrorismus und dem ständigen Verbreiten der Behauptung, die Videoüberwachung habe sich bewährt, bereiteten das Innenministerium und die CDU-Spitze in Personalunion die nächste Verschärfung des Polizeigesetzes vor. Dabei ist von gewisser Brisanz, dass das Innenministerium lange Zeit alleinigen Zugang zu den Evaluationsdaten hatte. Am 26.10.2006 fand die erste Lesung des Entwurfs einer Novelle des Polizeigesetzes im Landtag statt. Diese erweitert die Befugnisse der Polizei und normiert polizeiliche Praktiken, die bisher auf die Generalklausel gestützt werden. Normiert wird z.B. die Meldeauflage zur Durchsetzung von Ausreiseverboten. Die Polizei erhält nach dem Entwurf u.a. die Befugnis zur Sicherstellung von DNA-Proben vermisster Personen zum Zweck späterer Identifizierung; zur Speicherung von Daten über Personen, die für die Sicherheit von öffentlichen Veranstaltungen mit großem Publikumszulauf verantwortlich sind; zur automatischen Fahrzeugkennzeichnungserfassung und zur Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr, sowie zum Einsatz sog. "IMSI-Catcher" um den Standort von Mobiltelefonen zu lokalisieren oder den Mobiltelefonverkehr zu unterbrechen. Die Befugnis zur Videoüberwachung wird beibehalten, die permanente Aufzeichnung erlaubt, wobei nicht benötigte Bilder nach 48 Stunden zu löschen sind. Das unter "Veranstaltungen mit großem Publikumszulauf" in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich Versammlungen verstanden werden ist unter versammlungsrechtlichen Aspekten bedenklich und deutet an, in welche Richtung sich ein den Ländern überlassenes Versammlungsrecht entwickeln lässt. In der Öffentlichkeit wird hauptsächlich über den Einsatz der "IMSI-Catcher" diskutiert, während die sonstigen Veränderungen kaum zur Kenntnis genommen werden. Die Opposition gegen die Verschärfung ist weniger breit und agiert wesentlich defensiver als vor sechs Jahren. Angesichts dieser Entwicklung ist es wohl keine allzu pessimistische Einschätzung, anzunehmen, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung weiter ausgehöhlt werden wird. Grund dieser aus einer bürgerrechtlichen Perspektive bedenklichen Entwicklung ist in erster Linie das Fehlen politisch wirkungsmächtiger Akteure, die willens und in der Lage sind, eine offensive Bürgerrechtspolitik zu entfalten. Hannes Püschel studiert Jura in Frankfurt/Oder und ist Mitglied der Polizeikontrollstelle in Potsdam.

Weiterführende Literatur:

  • Bornewasser, Manfred, Evaluation der Videoüberwachung: Ein Praxisbericht - Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleituntersuchung, in: Hempel, Leon / Metelmann, Jörg, Bild - Raum - Kontrolle, 2005.
  • Bornewasser, Manfred / Schulz, Franziska, Polizeiliche Videoüberwachung im Land Brandenburg: Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleituntersuchung, in: Die Polizei 2/2005, 39-45. 1 Landtagsdrucksache 3/2162-B. 2 Landtagsdrucksache 4/1927. 3 Landtagsdrucksache 4/2347, S. 50. 4 Landtagsdrucksache 4/2347, S. 51.