Vom Börsenkrach zur Krise der Weltwirtschaft?

Die US-Immobilienkrise, der ''schwarze Montag'' und die Folgen

Wenn sich mit einem Börsenkrach nicht auch eine Wirtschaftskrise verbindet, ist er schnell vergessen. Der Schrecken, den ins Bodenlose stürzende Kurse verbreiten, hält nicht lange an. Dagegen hat .

... die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre den "schwarzen Freitag" an der Wall Street im Gedächtnis folgender Generationen noch lange nachwirken lassen. Ob der 21. Januar 2008 ebenfalls in die Geschichte eingehen wird, hängt von zweierlei ab: Wird man sich der geschichtlichen Bedeutung der sogenannten Subprime-Krise bewusst - denn niemals zuvor hat eine Immobilienkrise die Weltwirtschaft erzittern lassen? Die zweite Frage wird sein, inwieweit eine Wirtschaftskrise mit einem angeschlagenen Kreditsystem ins Haus steht. Dominique Strauss-Kahn, der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), glaubt, dass wir uns in einem "gefährlichen Krisenstrudel" befinden. (Financial Times, 28.1.08) Welche Bedeutung ist der Subprime-Krise beizumessen, die seit wenigstens einem Jahr in aller Munde ist? In der amerikanischen Geschichte sind Aufstieg und Niedergang von Großstädten immer mit der Spekulation mit Immobilien verbunden gewesen. Daher hat sich seinerzeit auch die Roosevelt-Administration zu Eingriffen in die Finanzierung von Eigenheimen veranlasst gesehen. Nach der Immobilienspekulation von 1929 listet der Krisenhistoriker Charles P. Kindleberger die weiteren erst für 1974/75 und 1987 auf.

Von der Immobilienkrise zur Bankenkrise

Spätestens mit der Krise der Saving & Loans - als einer Art von Bausparkassen - hatte sich in den 1980er Jahren die alte Regulierung überlebt. Angeregt durch die Sanierung der Kassen verfielen Bankiers auf den Gedanken, Hypotheken nicht nur im Krisenfalle auszulagern. Vielmehr boten sie ihren Kunden eine günstige Baufinanzierung an, weil sie die Verbriefung ihrer Schulden beabsichtigten. Diese Geschäftsidee erwies sich als erfolgreich. Dazu trug auch die Einwanderung bei. "Seit 1994 war der Anteil der Haus- und Wohnungsbesitzer unter den US-Haushalten kontinuierlich gestiegen", schreibt Ex-Notenbankchef Alan Greenspan. "Dieser Zuwachs betraf vor allem Schwarze, Hispanics und andere gesellschaftliche Minderheiten." Mit dem schwunghaften Handel dieser Hypotheken und der Bildung neuer Finanzierungsgesellschaften ("real estate trusts") entriss man die Verwendung von Grund und Boden herkömmlichen Rücksichten gegenüber Kleineigentum und Landwirtschaft. Nicht genug damit, dynamisierten Banken einen Titel, der ihnen bislang als Pfand für die Geschäfts- oder Baufinanzierung gegolten hatte. Vor einem derartigen Schritt hatte der Historiker Karl Polanyi gewarnt, weil sich die bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert von der Notwendigkeit regulierter Märkte für Arbeit, Geld und Natur überzeugt habe, was sie im 20. Jahrhundert unter liberaler Einflussnahme nun wieder vergessen würde. Jedenfalls waren im Immobilienwesen immer unterschiedlichste Kräfte beteiligt gewesen, dessen Regulierung nunmehr in die Hände der Finanzmärkte übergehen sollte. Die Zeit für solide Pfandbriefe und betuliches Bausparen schien vorbei zu sein. Stattdessen konnten Kredite für den Bau oder Erwerb eines Hauses weitergereicht, klassifiziert und gehandelt werden. Während am Markt für Einfamilienhäuser bislang nur 10 Prozent spekulativen Zwecken gedient habe, schreibt Greenspan, sei dieser Anteil ab 2005 auf 28 Prozent gestiegen. Von dieser Spekulation konnte nunmehr auch jenseits des Atlantiks oder Pazifiks profitiert werden. Aber von den 2006 vergebenen Hypotheken im Werte von drei Billionen US-Dollar wurde schon ein Fünftel als eingeschränkt kreditwürdig und ein weiteres Fünftel als belastet eingestuft. Sobald sich diese Probleme im letzten Jahr zu häufen begannen, konnten sich die Großbanken einen Abschreibungsbedarf auf die von ihnen mittlerweile verfluchten Papiere von wenigstens 400 bis 500 Milliarden US-Dollar ausrechnen. Nur zögerlich rückten die Banken mit ihren Verlusten heraus, die bislang aber nur eine Summe von 145 Milliarden US-Dollar ergaben. Fortan war die Finanzwelt mit dem Ratespiel beschäftigt, wer wie viel vom Rest verbarg. Die Neue Züricher Zeitung mahnt: "Zum Abbau des derzeitigen Misstrauens wäre es unabdingbar, dass vor allem die Banken, aber auch andere Finanzunternehmen Transparenz über ihre Risiken schaffen würden, damit die zahlreichen Spekulationen endlich aufhören." (NZZ, 26.1.08)

Erinnerungen an das Debakel der New Economy

Dabei wurde die Restsumme mit jeder weiteren Erschütterung durch die Immobilienkrise und die Kursverluste der Banken natürlich größer. Damit hatte sich die US-amerikanische Immobilienkrise in eine veritable Bankenkrise von internationaler Dimension verwandelt. Michael Krätke schreibt: "Die Banken drehten einander den Geldhahn zu, schraubten die Geldmarktzinsen auf unerhörte Höhen, verschärften die Kreditkonditionen und horteten Geldkapital. Als Wochen später die ersten Quartalsberichte fällig wurden, zeigte sich, wie Recht sie hatten, einander zu misstrauen. Eine international tätige Großbank nach der anderen musste die Leichen aus dem Keller holen." (Freitag, 25.1.08) Mit den Schwierigkeiten der Banken ließ sich eine restriktivere Kreditvergabe voraussehen, die für die Investitionen nicht folgenlos bleiben kann. "Dass die milliardenschweren Wertberichtigungen mit der Zeit auch die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen und Privatpersonen teurer machen, dürfte unvermeidlich sein." (NZZ, 26.1.08) Andererseits schließt eine fortgeschrittene Konjunktur eine derartige Anspannung des Kreditwesens ein, dass es mit finanziellen Rückschlägen immer auch zu vorübergehenden "Zwischenkrisen" kommen kann. Aber mit weiteren Hiobsbotschaften (für Anleiheversicherungen, Kreditkartengesellschaften und Autofinanzierung) sah man zu Jahresbeginn eine Rezession auf sich zukommen. In ihrer Ausgabe von eben jenem 21. Januar 2008 schrieb die FAZ: "Die Angst vor einer amerikanischen Rezession und die schauerlichen Quartalsergebnisse von Citigroup, JP Morgan und Merill Lynch schickten die Börsen auf Talfahrt, die selbst die Ankündigung eines fiskalpolitischen Hilfspakets von etwa 130 Milliarden Dollar durch die Bush-Administration am Freitag nicht aufhalten konnte." Die beiden entscheidenden Sätze lauteten: "Die Kursabschläge bedeuten, dass an den Märkten eine moderate Rezession in den Vereinigten Staaten bereits in den Preisen einberechnet ist. Es geht den Marktteilnehmern kaum noch darum, ob die Vereinigten Staaten in eine Rezession schlittern werden, sondern nur noch darum, wie ausgeprägt diese konjunkturelle Schwächephase sein wird." Da es an einer Börse nicht allein um eine treffende Einschätzung geht, wie John Maynard Keynes bemerkt hat, sondern eben auch um die Deutung der Absichten aller anderen, konnten die morgendlichen Börsenkommentare nur als Signal für einen Ausstieg genommen werden - auch unter Inkaufnahme von Verlusten. Am 21. Januar 2008 trafen an der Deutschen Börse eine Flut von Verkaufsaufträgen ein. Das war schon in den ersten Stunden mehr, als der Markt verkraften konnte. Was sich nicht mehr in den riesigen Handelssälen der Geschäftsbanken zu fallenden Kursen miteinander verrechnen ließ, ging an die Rechner der Deutschen Börse weiter. Ihre Automaten gelangten schnell an den Rand ihrer Leistungskraft. Für das einsehbare Börsenparkett blieben nur Sonderaufträge, die bei den nur noch rasselnden Anzeigetabellen auch nicht mehr unterzubringen waren. "Die Anleger verkauften auf breiter Front - an der Börse machte sich Panik breit." (NZZ, 21.1.08)

In Erwartung einer Rezession in den USA

Zu dieser Panik trug bei, dass zu den diversen Verkäufen die bei den Fonds installierten Ausstiegsprogramme hinzu kamen. "Es sind nicht die zittrigen Kleinanleger, die markante Kursbewegungen an den Märkten auslösen - nach oben wie nach unten ... Kursabschläge auf breiter Front von 5% oder 7% können nur professionelle Investoren herbeiführen." (NZZ, 22.1.08) An diesem Montag verlor der Deutsche Aktienindex (DAX) 7,16%. Die Titel verloren durch die Bank, vor allem Geschäftsbanken, Hypothekenbanken und Versicherungen mussten bluten. Bereits am frühen Montag bewegte sich mit den wegen der Zeitverschiebung in Asien früher geöffneten Börsen eine Lawine auf die europäischen Börsen zu. So verlor London 5,48% (FTSE-100-Index), Paris 6,83% (CAC-40) und Zürich 5,26%. Allein die an diesem Geschäftstag geschlossenen Börsen in den USA sorgten für eine Unterbrechung. Damit ging der 21. Januar 2008 als ein "schwarzer Montag" in die Geschichte ein. Auf diesen "schwarzen Montag" reagierte die amerikanische Notenbank (Fed) schnell und entschieden. Noch am Dienstag senkte sie ihre Zinsen von 4,25% auf 3,5%. Das war die bedeutendste Leitzinssenkung sein 20 Jahren. Der Markt reagierte. Die Verluste der Wall Street fielen gleichentags schon geringer aus. Auch die anderen Börsen beruhigten sich. Und noch in derselben Woche drehte die Kursentwicklung ins Plus. Notenbankchef Ben Bernanke habe, bescheinigte ihm die Börsenzeitung, seine Feuerprobe bestanden. "Wenn der DAX purzelt, hat dies kaum realwirtschaftliche Folgen. Wenn Wall Street einbricht, gerät die Kapitalallokation der Weltwirtschaft aus dem Takt." (Börsenzeitung, 26.1.08) Haben wir es also "nur" mit einem Börsenkrach zu tun, der in einer fortgeschrittenen Konjunktur schon mal auftreten kann? Als es an den Börsen 1987 oder 1998 krachte, folgten die zyklischen Abschwünge erst Jahre später. In diesen Fällen, in denen nichtsdestoweniger Interventionen der Fed erforderlich gewesen waren, hatten die Börsen auf Währungsprobleme, Bankenkrisen oder geplatzte Spekulationen reagiert. Oder handelt es sich um einen Börsenkrach, mit dem ein konjunktureller Abschwung einsetzt? Das war 2000 der Fall, als mit dem Debakel der New Economy eine allgemeine Wirtschaftskrise einsetzte. Für einen derartigen Börsenkrach sprechen seine spektakulären Bankenfälle. Nach den Affären IKB, Sächische Landesbank und Westdeutsche Landesbank rückte am 24. Januar die Société Générale, die zweitgrößte Bank Frankreichs, mit dem heraus, was als Gerücht schon am "schwarzen Montag" eine Rolle gespielt hatte. Durch ihren Mitarbeiter Jerome Kerviel habe sich die Bank einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro eingehandelt. Kerviel habe mit ca. 50 Milliarden Euro auf eine Entwicklung europäischer Aktienindices gewettet, die eben so nicht eingetroffen seien. "Als der Skandal aufflog, meinte die Société Générale alle Positionen so schnell wie möglich verkaufen zu müssen, denn ihre ungesicherte Größenordnung - das Anderthalbfache des Eigenkapitals - sei lebensgefährlich gewesen. Damit nichts nach außen drang, wurde ein einzelner Händler mit der Aufgabe betraut. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sich die Bank kaum aussuchen können, denn zwischen dem 21. und 23. Januar purzelten auf der ganzen Welt die Kurse. So entstand in drei Tagen ein Verlust von 4,9 Milliarden Euro." (FAZ, 2.1.08) Das stellt die Peanuts der Deutschen Bank und die Geschichten der Berliner Bankgesellschaft in den Schatten. Nur wenige E-Mails später war bei der schweizerischen UBS von Abschreibungen im Umfang von 18,4 Milliarden US-Dollar die Rede. Damit waren die Schweizer in die obere Liga aufgerückt, die von der Citigroup mit 29,3 Milliarden Dollar und Merill Lynch mit 25,1 Milliarden US-Dollar angeführt wird. In Erwartung einer US-amerikanischen Rezession betont der Ökonom Paul Krugman: "Die Finanzkrise, die im letzten Spätsommer begann und in den Monaten September und Oktober eine kurze Pause einlegte, hat sich mit Macht zurückgemeldet." Sein Argument für diese Verschärfung lautet: "Was wir erleben, ist in der Hauptsache der Zusammenbruch unseres heutigen, mit Tagesgeldern operierenden Bankensystems." (New York Times, 10.12.07) Fritz Fiehler Fritz Fiehler ist freier Journalist auf dem Gebiet Währung, Kapitalmarkt und Konjunktur. aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 525/15.2.2008