Wald und Gesellschaft

Plädoyer für einen wichtigen Widersacher kapitalistischer Klimazerstörung

"Wie komisch von den Bäumen, ihren Nachwuchs unabhängig von ihrem Tauschwert einzurichten!"
Karl Marx in "Das Kapital"

Die derzeitige Klimadebatte scheint den Weg aller Großdebatten um die so genannte Umwelt zu gehen. Einerseits wird das Thema mit enormem Tempo in den Gang der Dinge eingespeist, um bloß nicht zum Stolperstein der beschleunigten Warenproduktion zu werden. Auf der anderen Seite differenziert sich die Diskussion in den Wissenschaften, Umweltforen und linken wie linksradikalen Publikationen auf einem hohen Niveau, das man so nicht erwarten konnte.1
Es gibt aber neben den KritikerInnen des Kapitalismus einen weiteren Widersacher der Maximierung der Warenströme und der Beschleunigung der Zirkulation, der sozusagen direkt vor der Tür liegt. Es ist der Wald. Dieser Wald ist nicht der deutsche Wald der Mythen und der esoterisch individualistischen Partisanen-Versteckspielprosa, wie sie Ernst Jünger in seinem "Waldgänger" verherrlicht hat. Der hier gemeinte Wald ist zum Beispiel der Wald in Pennsylvania, in den Frank Lloyd Wright sein berühmtes Haus "Fallingwater" hinein entworfen hat. Oder es ist der Wald, von dem Platon im 4. Jahrhundert vor Christus, als der Wald schon gerodet war, in seinem "Kritias" schrieb: "Übriggeblieben sind nun im Vergleich zu damals nur die Knochen eines erkrankten Körpers, nachdem ringsum fort geflossen ist, was vom Boden fett und weich war, und nur der dürre Körper des Landes übrigblieb."
Ein Wald also, der wie Karl Marx in der Kritik des Gothaer Programms der SPD schrieb, "ebenso sehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit ist, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft." Ein Wald, der vor und neben den Menschen da ist, fett und weich und eine Quelle des Reichtums. Heute wissen alle, dass es dem Wald schlecht geht und dass das wichtigste Mittel zur Erzeugung von Reichtum auf der Welt die Arbeit ist. Aber genau gegen diesen Gemeinplatz wendet sich Marx in seiner Kritik der sozialdemokratischen Ansicht, dass die Arbeit die Quelle allen Reichtums sei. Implizit sagt er damit natürlich auch, dass der Mensch mit seiner Arbeit nicht das Maß aller Dinge ist. Auf eine merkwürdige Weise führt er die Zeit der Bäume in seine Analyse des Kapitals ein, ohne allerdings zum Parteigänger der Bäume zu werden.

Eine verschwindende Größe
Marx macht sich keine Illusionen: "Die Entwicklung der Kultur und Industrie überhaupt hat sich von jeher so tätig in den Zerstörungen der Waldungen gezeigt, dass dagegen alles, was sie umgekehrt zu deren Erhaltung und Produktion getan hat eine vollständig verschwindende Größe ist", schreibt er im zweiten Band des "Kapital". Den Wäldern geht es nicht erst im Kapitalismus schlecht, sie sind seit dem Beginn der Kultur im Rückzug begriffen. Als Kenner der griechischen Naturphilosophie und römischen Geschichte weiß Marx, dass beide Kulturen ihre Kriege und Handelsflotten durch das Abholzen der Wälder in Südeuropa und Nordafrika am Laufen hielten. Und natürlich ist ihm auch nicht entgangen, dass Griechen und Römer zur Zeit der Abfassung des "Kapital" im Fluss der Kapitalströme keine Rolle mehr als Weizenproduzenten spielten. Wo einst der Weizen wuchs, der die damalige Welt versorgte, war jetzt nur noch Sahara.
Interessant ist das Kapitel, in dem Marx im zweiten Band des "Kapital" auf die Waldzucht und Holzproduktion zu sprechen kommt, und das von der "Produktionszeit" handelt. Weil der Wald, wie er ist beziehungsweise wie er es damals war, nur sehr langsam wächst und zudem zu seiner nachhaltigen Reproduktion einen Vorrat lebendigen Holzes benötigt, der "das zehn- bis vierzigfache der jährlichen Nutzung beträgt", ist er unter kapitalistischen Bedingungen ein ungünstiger Betriebszweig. Der Wald braucht einfach zulange für seine Vermehrung, um mit ihm gute, schnelle Geschäfte machen zu können. Diese Analyse des Konfliktes zwischen der Langsamkeit der Wälder und der sich permanent beschleunigenden Zirkulation der Waren- und Geldströme ist bis heute richtig.
Polemisch kann man sagen, dass sich in der rasenden Zerstörung der letzten Urwälder in Chile, im Kongobecken oder am Amazonas genau dieser Hass der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf die Dauer der Bäume ausspricht. Ein Hass übrigens, den die kommunistischen Parteien und ihre so genannten realsozialistischen Staatsgebilde immer geteilt haben. Die kommunistischen Parteien sind immer einem rein ökonomistischen Evolutionskonzept gefolgt und tun es, wo es sie noch gibt, immer noch.
Ohne Marx zu einem Ökologen heutigen Typs stempeln zu wollen, war er in seiner Analyse des Waldes weiter. Die Waldungen lassen sich, wenn man sie nicht vernichten will, nicht privatisieren oder in anderer Form in die Geld- und Warenzirkulation einspeisen. Daraus spricht auch eine radikale Kritik jedes Nachhaltigkeitskonzeptes. Aktuell ist dies nicht nur, weil der Begriff der Nachhaltigkeit schon zu MarxÂ’ Zeiten in der Forstwirtschaft diskutiert wurde, sondern auch, weil sich seitdem, wenn von Nachhaltigkeit geredet wird, wenig geändert hat. "Nachhaltige Holzproduktion" heißt immer, den Wald den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen.
Marx lässt dagegen nirgendwo einen Zweifel aufkommen, dass der Widerspruch zwischen der Waldzeit und der Marktzeit nicht aufgelöst werden kann, auch nicht dialektisch. Das heißt nicht, dass man den Wald nicht nutzen kann oder soll. Es heißt auch nicht, dass Gesellschaften oder Gemeinden sich nicht überlegen müssen, wie viel Boden sie dem Wald lassen und wie viel sie zu Acker-, Weide- oder Bauland machen. Es heißt nur, dass der Wald niemandem gehören kann. Den Wald kann man verstehen lernen, aber nicht beherrschen. Wenn man ihn beherrschen will, zwingt man den Wald aus seiner Zeit und damit in die Zerstörung.

Fundamental bescheuerte Krombacher
MarxÂ’ Kritik ist keine Theorie von gestern, sondern ein ziemlich guter Wegweiser in die Waldlage von heute. Wenn etwa der bayerische Staat den Klimaschutz zu seinen Regierungszielen erklärt und gleichzeitig seinen Waldbesitz privatisiert, um den Staatshaushalt zu sanieren, ist das schlicht Blödsinn. Genauso wie es lächerlich ist, wenn Günther Jauch und Krombacher behaupten, man könne mit dem Erwerb von einem Kasten Bier irgendeinen Quadratmeter Regenwald retten, weil Krombacher mit dem Geld ein Stück Regenwald kauft und so schützt. Jeder Quadratmeter Regenwald in Besitz von irgend jemandem ist kein Regenwald mehr, sondern toter Wald.
Wer den Regenwald retten will, kann ihn nur als das Außen des abendländischen Logos und seiner geschichtlichen Entwicklung zur Kenntnis nehmen, das er ist. Auch deshalb ist es fundamental bescheuert, die Vernichtung der Regenwälder mit Metaphern zu beschreiben wie etwa, es würden dort binnen Minuten so und so viele Fußballfelder abgeholzt. Das Fußballfeld ist genauso wie Günther Jauch und Krombacher bereits ein Produkt der kulturellen Waldvernichtung im geschichtlichen Prozess und veranschaulicht vieles, nur nicht den Akt der Waldzerstörung.
Diesen geschichtlichen Prozess beschrieb der von Marx geschätzte neapolitanische Philosoph Giambattista Vico in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts folgendermaßen: "Die Ordnung der menschlichen Dinge schritt so vorwärts: zunächst gab es die Wälder, dann die Hütten, darauf die Dörfer, später die Städte und schließlich die Akademien." Und aus den Akademien kommen heute, nach dem noch ein paar weitere Entwicklungsschritte die Ordnung der menschlichen Dinge vorwärts getrieben haben, die Warnungen um den Wald. Der Wald stirbt, heißt es, und wenn das so weiter geht, stirbt schließlich auch der Mensch. Mit den Wäldern verschwinde unser wichtigstes Sauerstoffreservoir, wenn nicht bald etwas getan werde.
Und es wird etwas getan. Naturschutzgesetze werden erlassen, Krombacher kauft einen Quadratmeter Regenwald, Autos bekommen Katalysatoren und so weiter. Allein, die Bäume und der Wald machen nicht richtig mit. Laut dem "Waldzustandsbericht" der Bundesregierung sind nach wie vor drei Viertel aller Bäume im Land krank. Was natürlich kein Wunder ist, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit schlicht ein Produkt der Naturschutzpolitik der Bundesregierung.

Das Beste ist das Schreckliche
Wie der Naturschutz aussieht, haben gerade der Finanzminister Steinmeier und sein Umweltschutzkollege Gabriel vorgeführt, als sie eine Briefmarke vorstellten, auf der ein Eisbär namens Knut abgebildet war. Wer die Marke kaufe, spende damit ein paar Cent an den Naturschutz und tue ein gutes Werk - unter anderem natürlich für die Klimaziele der Bundesregierung. Was aber konkret dabei raus kommt, kann man zur Zeit im
Berliner Zoo an jenem Knut studieren, der, als er kleiner war, zum Weltstar und Symbol für die schmelzenden Eismassen am Polarkreis geworden ist.
Der Bär, in seiner Jugend mit hunderttausenden ZoobesucherInnen konfrontiert, kommt mit seiner für ihn neuen Einsamkeit nicht zurecht. Wenn niemand kommt und an seinem Käfig stehen bleibt, schreit er so erbärmlich, wie nur psychisch gestörte Bären schreien. Wenn man so will, ist er das tierische Pendant zu den kranken Bäumen im Land. Das wirklich Schreckliche daran ist, das fast alle, die für den Zustand der Bäume und des Bären verantwortlich sind, nur das Beste für Bär und Bäume wollten.
Übertragen auf den Wald heißt das: Wenn man ihm Gutes tun will, sollte man erst einmal alle Maßnahmen meiden, die vorgeben, den Wald retten zu wollen, und stattdessen den Wald studieren. Am besten dadurch, dass man in ihn hineingeht. Im Wald kann einem nämlich schnell klar werden, das es dem Wald nicht hilft, wenn man seinen Nachwuchs zum Tauschwert macht.

Anmerkung:

1 Als Beispiele seien die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Phase 2 genannt, die unter dem Motto
"Die Natur muß weg. Umwelt als Problem des Kapitalismus" erschien, sowie die konkret literatur-Ausgabe zum Jahreswechsel, die dem Klimawandel gewidmet war. Mit den beiden Heften und mit der letzten Ausgabe der iz3w (305) hat man einen sehr guten Überblick über die Argumente, die Literatur und die verschiedensten Aktivitäten, die sich um das Schlagwort vom Klimawandel versammeln. Dies macht es einem sehr viel leichter, zwischen den Wellenreitern der Klimaaufregung und solchen AutorInnen zu unterscheiden, die sich tatsächlich Gedanken machen, wie der Wahnsinn der Beschleunigung von Warenproduktion und Zirkulation gestoppt werden könnte, so wie Winfried Wolf in seiner Studie zu "Verkehr-Umwelt-Klima. Die Globalisierung des Tempowahns". Jener Wahnsinn, den Winfried Rust in der letzten iz3w-Ausgabe in folgenden lapidaren Satz packte: "Deutschland importiert pro Jahr Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro und exportiert Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro."

Cord Riechelmann hat Biologie und Philosophie studiert und lebt als freier Autor in Berlin.