Israel feiert sich

Aber seine politische Klasse verliert an Legitimation

Am 3. Mai begannen die offiziellen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels. Geplant sind eine ganze Serie von Veranstaltungen, die sich über das gesamte Jahr erstrecken und ...

... und Israel als eine militärische, technische und moralisch-ethische Erfolgsstory inszenieren werden. Abgesehen von diversen Großveranstaltungen, wird eine entsprechende Sonderausstellung durchs Land ziehen, ein neuer Satellit wird ins All geschossen, Jüdinnen und Juden aus der Diaspora werden in die Feierlichkeiten integriert und zur "Rückkehr" in die Heimat ermuntert. Auch diverse unspektakuläre Vorhaben werden - mit Hilfe der symbolischen Zahl 60 - in den Zusammenhang mit dem Gründungsjahr gestellt. Weil die Regierung 2008 als "Jahr des Kindes" deklariert hat, sollen dazu auch 60 neue Vergnügungsparks im ganzen Land entstehen. Ebenfalls vorgesehen ist der Bau von 60 behindertengerechten Picknickplätzen "für die ganze Familie" sowie die Renovierung von 60 Denkmälern für "unsere Söhne", die in Israels diversen Kriegen gefallenen Soldaten. Der wachsenden Popularität des Fahrradsports soll mit dem Bau eines Panorama-Radwegs zwischen Tel Aviv und Jerusalem Rechnung getragen werden - zweifellos eines der besten Projekte im Rahmen dieses Jubiläumsjahres. Obwohl die Feierlichkeiten mit etwa 140 Millionen Schekeln (ca. 26 Mio. Euro) nur etwa ein Viertel der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Staatsgründung kosten sollen, wurde von verschiedenen Seiten Kritik an derlei kostspieligen Schaufensterveranstaltungen geäußert. Diese dienten vor allem als Bühne für PolitikerInnen und sollten von dem gesellschaftlichen, politischen und moralischen Verfall des Landes ablenken. Eine von knapp 100.000 Menschen unterzeichnete Petition verlangt gar, auf einen großen Teil der Feierlichkeiten ganz zu verzichten und das Geld lieber für verarmte Bevölkerungsschichten oder Opfer von Raketenangriffen auszugeben. (1) Meinungsumfragen zufolge reflektiert diese Petition die Ansichten einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung. Vielleicht hat die Regierung Olmert deshalb einige der kostspieligsten Einzelveranstaltungen bereits abgesagt. Alles in allem scheint in diesem Jahr keine echte Feierstimmung aufkommen zu wollen. Das mag teilweise an dem fortgesetzten Raketenbeschuss durch palästinensische Milizen im Gazastreifen liegen, die in der Provinzstadt Sederot, in zahlreichen Gemeinden im Süden Israels, mittlerweile auch im etwas weiter vom Gazastreifen entfernten Ashkelon den Alltag der Menschen beeinträchtigen, auch wenn es dabei nur selten zu Todesopfern kommt. Die israelische Armee reagiert mit massiven Vergeltungsschlägen zu Land und aus der Luft, die viele und zumeist nicht an Kämpfen beteiligte BewohnerInnen Gazas das Leben kosten, aber den Beschuss durch Qassam-Raketen nicht wirksam eindämmen können. Früher haben Angriffe durch äußere Feinde auf verlässliche Weise den Zusammenhalt der jüdisch-israelischen Gesellschaft gestärkt, indem innere Widersprüche dadurch in den Hintergrund gerückt wurden. Doch dieser Herz erwärmende Wagenburgeffekt scheint sich in letzter Zeit abzunutzen und wachsender Frustration der israelischen Bevölkerung angesichts einer korrupten und handlungsunfähigen politischen Klasse zu weichen.

Vom Wohlfahrtsstaat zum neoliberalen Musterland

In der Tat ist es noch nicht lange her, dass im Juni 2006 der Nimbus der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee in den Bergen Südlibanons von der Hizbollah öffentlichkeitswirksam angeknackst wurde - unter tätiger Mithilfe der israelischen Regierung, wie im Bericht der mit der Untersuchung jenes "Sommerkrieges" beauftragten Untersuchungskommission kürzlich festgestellt wurde, ohne dass dies allerdings Premierminister Olmert zum Rücktritt veranlasst hätte. Die Anzahl der in Korruptionsfälle oder andere Straftaten verwickelten führenden PolitikerInnen wächst in den letzten Jahren derart rasant, dass die Öffentlichkeit darauf tendenziell nur noch mit Zynismus und Schulterzucken reagiert. Zudem bietet die hoffnungslos verfahrene Lage im israelisch-palästinensischen Konflikt keinerlei Anlass für Optimismus. Um den Raketenbeschuss aus Gaza militärisch zu stoppen, müsste die israelische Armee dieses größte und am dichtesten besiedelte Freiluftgefängnis der Welt wohl dauerhaft zurückerobern. Tatendurstige Helden wie der derzeitige Verteidigungsminister Ehud Barak proklamieren das zwar schon seit längerer Zeit. Aber von einer Mehrheit der israelischen Bevölkerung wird das zu Recht als eine Garantie für deutlich mehr Blutvergießen auf allen Seiten und als eine riskante Aktion mit ungewissem Ausgang eingeschätzt, welche zudem die von der Fatah geführte palästinensische Autonomiebehörde in der Westbank noch weiter schwächen und die Hamas auch dort (wieder) an die Macht bringen könnte. Im Bewusstsein ihrer prekären Lage, aber auch ihrer Macht, haben führende Vertreter der Hamas in Gaza und Damaskus in den vergangenen Wochen signalisiert, dass sie aus der politischen Isolation heraus wollen, und konkrete Vorschläge gemacht, die auf einen längeren Waffenstillstand und vertrauensbildende Maßnahmen hinauslaufen und die eine De-facto-Anerkennung der "grünen Linie" von 1967 als Grenze zwischen einem palästinensischen Staat und Israel beinhalten. Es gibt Meinungsumfragen, denen zufolge eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung direkte Verhandlungen mit der Hamas befürwortet, um den politischen Prozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Gang zu bringen. (International Herald Tribune, 28.4.08) Allerdings macht die innenpolitische Dynamik in Israel solche Verhandlungen bis auf weiteres unmöglich: Olmerts Koalition ist von zwei kleineren Parteien (Yisrael Beitenu und Shas) abhängig, die zu den radikalsten Kriegstreibern in Israel gehören und bei dem kleinsten Anzeichen von Verhandlungen mit der Hamas aus der Koalition aussteigen und Neuwahlen erzwingen würden, was weder für die Kadima-Partei des unpopulären Premiers noch für die personell und programmatisch ausgezehrte Arbeitspartei eine wünschenswerte Option ist. Während der Regierung Olmert bezüglich des israelisch-palästinensischen Konflikts vor allem aus innenpolitischen Gründen die Hände gebunden sind, scheint es mit Blick auf Syrien ausgerechnet der große Bruder aus Washington zu sein, welcher der Aufnahme von direkten und offiziellen Verhandlungen über die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien entgegen steht. Olmert selbst hat einige Male deutlich gemacht, dass er grundsätzlich bereit sei, den Golan an Syrien zurück zu geben. Bashar Assad wiederum könnte sich ein Denkmal setzen und die Herrschaft seines Regimes dauerhaft stabilisieren, wenn es ihm gelänge, das Land aus der außenpolitischen Isolation zu führen und die Golanhöhen zurück zu gewinnen. Seit längerer Zeit schon laufen hinter verschlossenen Türen und angeblich unter türkischer Vermittlung inoffizielle Verhandlungen zwischen Vertretern beider Länder.

Außenpolitische Handlungsunfähigkeit

Doch die Crux an diesen Verhandlungen ist die Tatsache, dass sie Teil des geo-strategischen Spiels um den wachsenden Einfluss des Iran in der Region sind: Iran nutzt seine Allianz mit Syrien, um Einfluss auf Hizbollah und Hamas auszuüben und so indirekt Israel zu treffen. Man müsste dem syrischen Präsidenten ein ziemlich großzügiges Angebot machen, inklusive Sicherheitsgarantien, um ihn zu veranlassen, seinen derzeit einzigen mächtigen Verbündeten in der Region fallen zu lassen. Solange Syrien in den Augen Washingtons zu den sogenannten Schurkenstaaten zählt, wird es einem israelischen Premier schwerfallen, ein solches Angebot zu unterbreiten. So dürfte die Bombardierung eines Gebäudekomplexes in Syrien durch die israelische Luftwaffe im September 2007, der gemäß einer Ende April veröffentlichten Stellungnahme des CIA angeblich einen in Bau befindlichen Atomreaktor nordkoreanischer Bauart darstellte, vor allem als Warnung an Teheran gemeint gewesen sein. Damit aber wurden gleichzeitig die Chancen für eine Einigung zwischen Israel und Syrien bezüglich der Golanhöhen gemindert. Wenn diese außenpolitische Handlungsunfähigkeit der Regierung ihr Ansehen in der israelischen Bevölkerung nicht unmittelbar verringert, so ist der seit den späten 1980er Jahren forcierte Prozess der Umstrukturierung des ehemals sozialdemokratischen israelischen Wohlfahrtsstaates in ein neo-liberales Musterländle durchaus dazu angetan, die Legitimation der politischen Klasse zu unterminieren: Als im Juni-Krieg 2006 hunderttausende israelische BürgerInnen kurzfristig aus den von der Hizbollah bombardierten Gebieten im Norden Israels flüchteten, kam Hilfe nicht etwa von staatlicher Seite, sondern von einem aus Russland stammenden Milliardär namens Arcadi Gaydamak, der auf eigene Kosten ganze Zeltstädte aus dem Boden stampfte, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Für die BewohnerInnen der von Qassam-Raketen geplagten Stadt Sederot organisierte Gaydamak einwöchige Ferienreisen, während die israelischen Behörden mit den durch Raketenbeschuss geschädigten Hausbesitzern in Sederot um die staatliche Unterstützung für die nötigen Reparaturarbeiten feilschten. Die 2005 aus dem Gazastreifen evakuierten SiedlerInnen warten entgegen vollmundiger Ankündigungen seitens der Regierung bis heute auf gleichwertige Ersatzwohnungen und Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen. Im vergangenen Jahr ließ das Erziehungsministerium es zu, dass viele israelische SchülerInnen der Sekundarstufe II ein ganzes Halbjahr an Unterricht verpassten, weil es nicht in der Lage war, den für eine Erhöhung ihres mageren Gehalts und bessere Arbeitsbedingungen streikenden LehrerInnen eine für alle Seiten akzeptable Lösung anzubieten. Während die israelische Hightech-Industrie weltweite Erfolge feiert, lebt mittlerweile etwa ein Fünftel der israelischen Bevölkerung, d.h. auch: jedes dritte Kind, in Armut. Angesichts derartiger Entwicklungen verwundert es nicht, wenn die Fragmentierung der Gesellschaft entlang sozio-ökonomischer und politischer Linien zunimmt. Diese Fragmentierung beinhaltet auch eine ethnische und kulturelle Dimension, was ihr Konfliktpotenzial multipliziert. Zu nennen sind hier die Spannungen zwischen religiösen und säkularen Schichten, zwischen Menschen aus europäischen und arabischen Herkunftsländern sowie nicht zuletzt zwischen der jüdischen Bevölkerungsmehrheit und der als StaatsbürgerInnen formal mehr oder weniger gleichberechtigten, aber de facto marginalisierten palästinensischen Minderheit. Letztere stellt immerhin fast 20% der Gesamtbevölkerung des Staates Israel dar, Tendenz steigend, und tritt in den vergangenen Jahren zunehmend selbstbewusst auf. Das 60. Jubiläum der Gründung des Staates Israel ist für sie Anlass, sich an die Nakba (Katastrofe) zu erinnern, die Flucht und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem späteren Staatsgebiet im Laufe des Krieges von 1948.

Die arabische Minderheit als Brückenbauer?

Besonders alarmierend in den Augen des israelischen Establishments sind die unter palästinensischen BürgerInnen Israels populären Forderungen nach einer gesetzlichen Verankerung von kollektiven Minderheitsrechten, bzw. einer Neudefinition Israels als eines "Staates aller seiner BürgerInnen". Dahinter verbirgt sich letztlich die Forderung nach einem Verzicht auf den Anspruch, ein jüdischer Staat zu sein. Dies ist so ziemlich die heiligste Kuh, die man in Israel schlachten kann, und in der Tat hat sich das Image der palästinensischen Minderheit bei der jüdischen Mehrheitsbevölkerung in den letzten Jahren verschlechtert. Studien zeigen einen merklichen Anstieg rassistischer Ressentiments gegenüber der palästinensischen Minderheit und eine steigende Popularität von Forderungen nach Zwangsumsiedlungen der palästinensischen Bevölkerung Israels in die Westbank. (Ha'aretz, 16.12.07 und 19.3.08) Doch angesichts der demographischen Realitäten, die innerhalb der kommenden Jahrzehnte zu einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit im Gebiet des historischen britischen Mandatsgebiets Palästina führen werden, ist eine politische Lösung des Nahostkonfliktes und eine Integration der palästinensischen Minderheit innerhalb Israels in den politischen Prozess als Brückenbauer zwischen beiden Seiten möglicherweise im Interesse aller Beteiligten. Nur sollte das nicht weitere 60 Jahre dauern. Achim Rohde Anmerkung: 1) www.atzuma.co.il/petition/ronavni1/1000 aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 528/23.5.2008