Nicht von langer Hand gesteuert

Manche deuten die Gewaltausbrüche in Südafrika als Armutsrevolten

Es hatte einige Tage gedauert, dann gingen Ende Mai doch noch 5.000 Menschen in Johannisburg gegen die fast zwei Wochen andauernde, ausländerfeindliche Gewaltwelle in Südafrika auf die Straße ...

... Demonstrationszug bewegte sich in der Wirtschaftsmetropole durch die mehrheitlich von afrikanischen MigrantInnen bewohnten Stadtteile und wurde von vielen der dort Lebenden begrüßt. Auch in Kapstadt gab es vor dem Parlamentsgebäude eine kleinere Demonstration. Man distanzierte sich von den Angreifern der vergangenen Tage und bekundete Solidarität mit den EinwanderInnen.

Nach letzten Informationen haben die rassistischen Übergriffe über 60 Tote und fast 60.000 Vertriebene gefordert. Allein in der Kapregion verloren nach Berichten örtlicher Organisationen 20.000 Menschen im Zuge der Gewaltwelle ihr Heim. Dort, wie auch in der Region Johannesburg, wurden die Vertriebenen entgegen den anfänglichen Versprechungen der südafrikanischen Regierung in Lagern untergebracht.

Im Lager Soetwater, etwa 25 km außerhalb Kapstadts, kam es zu zahlreichen Protesten und einigen Selbstmordversuchen von Flüchtlingen. Die Menschen dort beklagen die schlechte Versorgung und die fehlende Perspektive. Die meisten von ihnen haben im Zuge der Angriffe ihr gesamtes Hab und Gut verloren.

Einige Organisationen der Zivilgesellschaft wie die Treatment Action Campaign (TAC), die sich für die Rechte von AIDS-Infizierten einsetzt, forderten die Schließung des Lagers. Das UN-Flüchtlingswerk solle in die Unterstützung der Flüchtlinge mit einbezogen werden, da die südafrikanische Regierung sich weiterhin nicht willens oder fähig zeige, adäquate Schritte einzuleiten. Nathan Geffen, Koordinator der TAC, kritisiert, dass die Regierung sich in den ersten Tagen der Angriffe "wegduckte" und die Unterstützung der Flüchtlinge zivilen Organisationen überlassen habe. Mit dem Aufbau von Lagern signalisiere man den AngreiferInnen, dass sich die Attacken gelohnt hätten. Stattdessen brauche es eine Politik, die die Integration der EinwanderInnen nicht mehr nur den Armen in den informellen Siedlungen überlasse, sondern auch die von den Mittelklassen bewohnten Vororte in diese Aufgabe mit einbeziehe.

Die meisten Analysen der Ereignisse der vergangenen Wochen machen die sich verschlechternden sozialen Verhältnisse und die von Medien, Polizei und Politik geschürte xenophobe Grundstimmung für die Gewalt verantwortlich. Bei 60 Prozent Arbeitslosigkeit in vielen Townships und steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen könne sich die Konkurrenzsituation, in der sich viele schwarze SüdafrikanerInnen mit den EinwanderInnen befinden, schnell zu dem "sozialen Tsunami" entwickeln, den man nun gesehen habe.

Für die aktuelle Situation und die verstärkte Einwanderung nach Südafrika wird in vielen Kommentaren auch Thabo Mbekis gescheiterte Politik der "stillen Diplomatie" gegenüber Simbabwe verantwortlich gemacht. Seit Anfang des Jahrzehnts hat sich das Nachbarland Südafrikas zum Inbegriff eines Krisenstaates entwickelt. Mittlerweile gibt es in Simbabwe eine Hyperinflation von über 100.000 Prozent, in vielen Teilen des Landes herrscht Nahrungsmittelknappheit. Etwa ein Viertel der Bevölkerung hat in den vergangenen Jahren das Land verlassen, rund drei Mio. von ihnen in Richtung Südafrika. Selbst als Mugabe vor und nach den Parlaments- und Präsidentenwahlen Ende März versuchte, die erfolgreiche Opposition massiv einzuschüchtern, sprach Mbeki davon, dass es in Zimbabwe keine Krise gebe. In ähnlicher Weise beurteilte er jetzt die Situation in seinem eigenen Land und hat sich damit endgültig den Ruf eingehandelt, unter beträchtlichen politischen Wahrnehmungsstörungen zu leiden.

Als einen weiteren Migrationsgrund nach Südafrika wird die südafrikanische Wirtschaftspolitik angesehen, die im Rahmen der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) stattfindet. Deren Ziel ist die stärkere Einbindung Afrikas in die von der WTO strukturierten internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Südafrika als stärkste Wirtschaftsnation auf dem Kontinent hat in den letzten Jahren durch seine Expansionsbestrebungen einen massiven Einfluss in andere afrikanische Länder entfaltet. Das Johannesburger Antiprivatisierungsforum verwies darauf, dass mit dieser Wirtschaftspolitik lokale Ökonomien zerstört und neue Fluchtgründe geschaffen würden.

Hinsichtlich der Ursachen der Pogrome wird in der nächsten Zeit noch viel aufzuarbeiten sein. (1) Die Deutung der Übergriffe als ein Ausdruck von Armutsrevolten werden durch die Analysen des Institute for Democracy in South Africa (IDASA) und der TAC unterstützt, die zu dem Schluss kommen, die Gewalt gehe häufig mit Plünderungen einher, in denen sich mit dem Eigentum der MigrantInnen, vielfach LadenbesitzerInnen, bereichert werde. Die Angriffe würden meist von jungen arbeitslosen Männern begonnen und andere BewohnerInnen hätten sich im Laufe der Auseinandersetzungen angeschlossen. Zwar sei die Gewalt organisiert gewesen und hätte sich mitunter die Erfahrungen aus früheren Konfrontationen zu Nutze gemacht, sie sei aber nicht von langer Hand gesteuert, wie es aus den Kreisen des ANC hieß.

Es stellt sich weiterhin die Frage nach den Ursachen für den eliminatorischen Charakter der Gewaltausbrüche. Neben dem generell hohen Gewaltniveau, das die meisten gesellschaftlichen Konflikte Südafrikas prägt, dürften die Gründe dafür auch im nationalen Selbstverständnis liegen. Der Soziologe Michael Neocosmos hält die südafrikanische Weigerung, sich als integraler Bestandteil des Kontinents zu verstehen, nicht mehr nur für eine Haltung weißer SüdafrikanerInnen, sondern schreibt dieses Verhältnis zum Rest Afrikas auch den neuen schwarzen Eliten zu. Dieses Abgrenzungsbedürfnis nach außen scheint auch bei den Marginalisierten zu fruchten und dürfte im Zusammenspiel mit verinnerlichten, noch aus der Apartheid-Zeit stammenden Wertvorstellungen einen wesentlichen Beitrag zu den Gewaltakten der letzten Wochen geliefert haben.

Romin Khan

Anmerkung:

1) Gute Analysen und Erklärungen linker und gewerkschaftlicher Kräfte bietet Labournet unter www.labournet.de/internationales/suedafrika/fremdenjagd.html.

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 529/20.6.2008