Es ist Zeit für klare Aussagen

Grenzen der Beratungspolitik

Der Kongress „Da stimmt doch was nicht… – Logik, Praxis und Folgen vorgeburtlicher Diagnostik“ fand am 29.2. und 1.3. in Dresden statt. Margaretha Kurmann war Mitorganisatorin des Kongresses. Der GID sprach mit ihr über die Politik der Beratung zu Pränataldiagnostik.
Interview mit Margaretha Kurmann

GID 188, Juni 2008, S. 18 - 20

Auf dem Kongress in Dresden stand das Thema Beratung zu Pränataldiagnostik politisch im Vordergrund. Was waren die wesentlichen Forderungen dazu?

Der Kongress hat insgesamt eher eine breite Auseinandersetzung angestoßen – mit einer klaren Richtung, aber noch ohne detaillierte harte Forderungen. In den einzelnen Foren des Kongresses ging die Diskussion deutlich über das Thema Beratung hinaus. Im Plenum hat sich aber auch wieder einmal abgebildet, dass es diesen reflexhaften Griff zur Beratung gibt. Ich sage mal ein bisschen provokant: Beratung war schon immer die einfachste Lösung. Da schiebt man den Frauen oder den Paaren die Verantwortung zu und fertig. Das ist die Verführung von Beratung: Ich habe damit nichts zu tun, ich biete dir nur einen Rahmen an, in dem du deine individuelle Entscheidung fällen kannst, die du dann auch verantworten musst. Ich sehe die Fokussierung auf Beratung kritisch: nicht zuletzt, weil diese Diskussion nicht aus dem Bedarf kommt. Überhaupt nicht! Es ist eine Diskussion der Professionellen und der politisch Verantwortlichen.

Ein Forum auf dem Kongress hieß ja auch so: Alle reden von Beratung und keiner geht hin...

Die Modellprojekte zu Beratung zur Pränataldiagnostik haben immer dasselbe Ergebnis: Nur wenige Frauen und Paare kommen in die Beratung – eine eindeutige Abstimmung mit den Füßen. Da kann man dann natürlich sagen, die wissen das nicht richtig, aber nach all den Jahren glaube ich das nicht – vielleicht ist es auch eine Form der Reaktion auf die Übergriffigkeit auf ihr Privatleben, das sollte man mal untersuchen. Hinter dieser Diskussion um Beratung steht nicht: Die Frauen haben ein Problem. Nein, die Gesellschaft und die Berufsgruppen haben einen Problem. Auf der einen Seite wollen sie pränatale Diagnostik zur Verfügung stellen und weiter-entwickeln, die die Geburt von Kindern mit Behinderung verhindert, und auf der anderen Seite dürfen oder wollen sie Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren. Und hier wird versucht, mit dem Instrument der Beratung das Problem etwas abzumildern, die Spitzen abzubrechen. Psychosoziale Beratung ist aber meines Erachtens das falsche Instrument.

Es gibt immer wieder politische Vorstöße der Bundesärztekammer und der CDU/CSU-Fraktion, das Problem der Spätabbrüche nach Pränataldiagnostik durch eine Pflichtberatung anzugehen.

Ich habe mir die Zahlen des Modellprojekts der Universität in Bonn unter Professor Anke Rohde und Christiane Woopen angeschaut.(1) Das Beratungsangebot wurde nur bei 4 Prozent schon vor der pränatalen Untersuchung, in der Mehrzahl der Fälle nach einem auffälligen Befund in Anspruch genommen. Ergebnis war, dass sich 71 Prozent der Frauen auch nach umfassender Beratung für einen Abbruch entschieden – und sie sind hier sicher sehr gut beraten worden. Wenn ich das zynisch betrachte, heißt das: Selbst wenn die Politik hier den Hebel „Pflichtberatung“ ansetzen will, es funktioniert nicht. 71 Prozent Abbrüche sind eine klare Aussage. Abgesehen davon, dass die Beratung für die einzelnen Frauen beziehungsweise Paare wichtig, gut und hilfreich war, scheinen die Ergebnisse den politischen Impetus, wieder mit Zwangsberatung zu operieren, in Frage zu stellen: Frauen brechen die Schwangerschaft dennoch ab.

Geht es in der Diskussion nicht auch darum, dass die Frauen nicht nur medizinisch, sondern auch psychosozial beraten werden sollen?

Ja. Allerdings muss man genau hinschauen: Wer bezieht sich wie auf psychosoziale Beratung? Wenn die Beratungsverbände darüber sprechen, dann meinen sie etwas ganz anderes, als wenn es zum Beispiel die Bundesärztekammer tut. Bei den Beratungsverbänden ist psychosoziale Beratung ein klar umrissenes Verfahren mit entsprechendem Handwerkszeug, mit entsprechender Aus- und Fortbildung und mit Settings, die definiert sind. Das ist nicht beliebig. Kaum ein Mediziner oder eine Medizinerin kann in diesem Sinne psychosoziale Beratung machen, es scheitert schon am fehlenden Setting. Gemeint ist in der Ärzteschaft eher, dass sie die Frau in ihrem sozialen Kontext sehen, dass sie berücksichtigen, dass Behinderung nicht nur ein medizinisches, sondern auch soziales Thema ist. Eine solche gute medizinische Aufklärung und Beratung ist nötig, ist aber etwas anderes als psychosoziale Beratung. Meines Erachtens kommt es sehr darauf an, was Frauen zu welchen Fragen von wem brauchen und dass die Angebote transparent sind: Welche Ziele haben sie, welche Interessen stecken dahinter, wer übernimmt welche Aufgaben?

Geht es bei der Diskussion um Beratung zu Pränataldiagnostik auch um einen Interessenkonflikt zwischen Berufsgruppen?

Ich sehe vier Berufsgruppen, die sich im Themenfeld tummeln und auch in Konkurrenz zueinander stehen: die HumangenetikerInnen, die GynäkologInnen, die Hebammen und die psychosozialen BeraterInnen. Und da geht es natürlich auch um die eigene Existenz, um Geld. GynäkologInnen bekommen allerdings die Beratung viel zu schlecht bezahlt. Dennoch gibt es inzwi-schen viele FrauenärztInnen, die sicherlich eine gute Aufklärung und Beratung machen – entweder weil der gesellschaftliche Druck so groß ist oder weil sie sich kritisch mit Pränataldiagnostik auseinandersetzen und die gängige selektive Praxis unverantwortlich finden. Und danach haben die Frauen oder Paare wahrscheinlich keinen Bedarf mehr, zur Beratungsstelle zu gehen und das finde ich ehrlich gesagt auch gut so. Wieso sollten sie sich doppelt und dreifach beraten lassen?

Es gibt auch Frauen und Paare, die eine psychosoziale Beratung vor den Untersuchungen oder bei einem sogenannten auffälligen Befund, also bei einer zu erwartenden Behinderung des Kindes, zur Unterstützung suchen und nutzen. Aber das ist nicht das Gros der Frauen und ich finde es auch absolut nicht erstrebenswert, dass jede Frau, nur weil sie schwanger ist, sich nicht nur mit dem Angebot vorgeburtlicher Tests beschäftigen, sondern auch noch in die psychosoziale Beratung gehen sollte. Wir können nicht alle zu Klientinnen machen. Mir kommt das oft vor wie ein Gerangel: Wer kommt als Erster an die Frau, wer ist zuständig und wer kann es am besten? Natürlich hat das Medizinsystem einen anderen Blick auf Schwangerschaft als BeraterInnen oder Hebammen. Das sind unterschiedliche Kulturen und die Frage, was geht in dem Medizinsystem überhaupt, ist berechtigt. Aber es geht bei allen Anbietern auch um Eigeninteressen, nicht immer unbe-dingt um die Frauen.

Spielen Eigeninteressen auch eine Rolle bei der Initiative der katholischen Beratungsorganisation donum vitae, psychosoziale Beratung als Pflicht vor Spätabbrüchen einführen zu wollen?

Zu den Motiven von donum vitae weiß ich nichts. Die Forderungen nach Pflichtberatung kommen immer wieder und die meisten Beratungsverbände haben sich klar dagegen ausgesprochen. Bei der Einführung der Pflichtberatung im Zusammenhang mit dem Paragraphen 218 war die Diskussion sehr kontrovers. Da ist gesagt worden: Psychosoziale Pflichtberatung kann es aus fachlichen Gründen nicht geben. Sie ist ein Angebot, das sich auf den Bedarf einer Person bezieht, die sagt: Ich habe ein Problem und ich möchte professionelle Begleitung haben. Wenn heute BeratungsvertreterInnen, die von der Pflichtberatung zum Schwangerschaftsabbruch leben oder gelebt haben, sagen, Pflichtberatung habe sich bewährt, kann ich damit nicht so viel anfangen. Schließlich können sie ja nicht sagen, wir machen seit 20 Jahren eine schlechte Arbeit.

Ist es für diese Beratungsdiskussion relevant, dass inzwischen viele vorgeburtliche Untersuchungen IGeL-Leistungen sind, das heißt von den Ärzten privat angeboten werden?

Aus meinem Verständnis von Beratung fände ich das absolut wichtig. Für mich bedeutet Beratung auch, Bedingungen und Mechanismen aufzuzeigen, welche Interessen und Machtverhältnisse wo herrschen. Das muss man aufblättern. Denn ich kann mich und meine Konflikte nur im sozialen Kontext verstehen. Mit der Zunahme der privat zu zahlenden Leistungen wird die individuelle Verantwortung verstärkt. Ich muss mich ständig damit auseinandersetzen: Will ich in der Schwangerenvorsorge dieses noch kaufen oder jenes? Und über das Angebot der einzelnen individuellen Beratung hinaus sollte sich eine Beratungsstelle auch öffentlich einmi-schen, positionieren und Signale setzen. Dies geschieht meines Erachtens sehr wenig. Als Reflex kommt dann allenfalls noch: Dazu müssen wir an die Schulen gehen, also möglichst früh anfangen. So kann man immer wieder ausbüchsen!

In den letzten Jahren hat das Netzwerk eine Kampagne zu Pränataldiagnostik gemacht, die „Bitte nicht stören“ hieß. Ging es da auch darum, dass dieses ganze Beratungsgeschehen störend sein kann – oder nur um die vorgeburtlichen Tests selbst?

Ein interessanter Gedanke – aber nein. Ich fand auf jeden Fall gut an „Bitte nicht stören“, dass wir gegen alle Angststeuerung eine normative Aussage gemacht haben, also nicht: Wir halten uns da raus, sondern: Viele Frauen und ihre Männer sind ohne Pränataldiagnostik besser dran – schlicht und ergreifend. Es gibt sehr viele gute Gründe, das zu lassen – für dich, für deine Familie, für deinen Partner oder dein Kind. Und: Wir finden, man sollte nicht so viel Energie da hineinstecken, das Down-Syndrom ausrotten zu wollen. Den Mut hat die Kampagne gehabt. In dieser Richtung wäre mehr möglich.

Geht es also darum, von der individuellen Ebene wieder stärker auf die gesellschaftspolitische zu kommen?

Ich meine, nach all den Diskussionen ist es an der Zeit für klare Aussagen. Gynäkologische Praxen zum Beispiel machen gar nicht so schlechte Erfahrungen damit, wenn sie den Mut haben, sich zu positionieren. Die Positionen mögen auch in die eine oder andere Richtung gehen. Aber ich weiß dann wenigstens, woran ich bin. Auch die Beratungsstellen sollten eine klare Haltung äußern. Dies könnte bedeuten, die Frauen oder Paare nicht als potentielle ProblemträgerInnen beziehungsweise KlientInnen anzusprechen, sondern auch als mündige BürgerInnen auf Augenhöhe: Wir haben ein gesellschaftliches Problem und wir alle gestalten das mit, du auch. Heute haben diejenigen, die nicht in religiösen Kontexten leben, kaum soziale Räume - über ihre Privatsphäre hinaus - wo sie sich orientieren, streiten und vergewissern können. Frauen und Männer, die Kinder kriegen, müssen sich grundsätzlichen Fragen stellen, zu denen es keine oder wenig Klarheit gibt: Welchen Platz habe ich in dieser Gesellschaft? Wo gehöre ich hin? Das ist schon schwierig genug für mich selbst, aber mit einem Kind werde ich noch verletzlicher. Will ich in der Mitte der Gesellschaft bleiben oder wie weit traue ich mich an den Rand? Mit einem Kind mit Behinderung werde ich tendenziell randständig, das ist klar. Und auch die Berufsgruppen müssen wissen, wo sie hingehören. Eine Gynäkologin, die sich traut zu sagen: Wir haben eine IGeL-freie Praxis, geht ein Risiko ein, sowohl finanziell als auch, was ihr Ansehen anbelangt. An dieser Stelle möchte ich auf die autonomen, zu Pränataldiagnostik engagierten Beratungsprojekte hinweisen. Sie leben oftmals von der Hand in den Mund.

Ein weiteres Problem von Beratung ist, dass sie immer an der Nachfrage und nie am Angebot von Pränataldiagnostik ansetzt.

Ja, die Fixierung auf Beratung hat auch etwas mit der Verweigerung zu tun, die Widersprüche wirklich ernst-zunehmen. Die Enquête-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin hat einmal empfohlen, Pränataldiagnostik im Angebot UND in der Nachfrage zu reduzieren. Und heute wird immer nur auf der Nachfrage herumgeritten. Es wäre doch auch möglich, eine große Plakatkampagne zu starten: „Vorsicht Pränataldiagnostik!“ Wenn man sich nur mal anschaut, wie viele Probleme mit Pränataldiagnostik inzwischen beschrieben sind oder wie fragwürdig die Evidenz vieler Tests in der Schwangerschaft ist, wie vage die Risikoberechnungen sind, gibt es dafür Gründe genug. Aber da will sich außer „randständigen“ Gruppen niemand positionieren.

Das wäre aber dennoch eine Kampagne, die auf die Nachfrage, nicht das Angebot abzielte.

Ja, am Angebot wird erst recht nichts gedreht. Die IGeL-Leistungen sind ja eigentlich noch gar nicht so alt, aber sie scheinen das Wort Gottes zu sein. Nichts soll da re-guliert, alles dem Markt überlassen werden. Dabei gäbe es sicher mit etwas Phantasie und politischem Willen Möglichkeiten, das einzugrenzen. Auch ein wichtiges Thema des Kongresses, das im Netzwerk weiter diskutiert wird.

Das Interview führte Susanne Schultz.

Margaretha Kurmann engagiert sich im Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik.

In Kürze erscheint eine Dokumentation des Kongresses „Da stimmt doch was nicht... - Logik, Praxis und Folgen vorgeburtlicher Diagnostik“. Sie kann gegen eine Schutzgebühr von 5,00 Euro bestellt werden beim Gen-ethischen Netzwerk, Brunnenstr. 4, 10119 Berlin, gen@gen-ethisches-netzwerk.de.

Fußnoten

1 Rohde, A./Woopen, C. (2007): Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik. Evaluation der Modellprojekte in Bonn, Düsseldorf und Essen, Deutscher Ärzteverlag, Köln.