Soldat Ryan: Aus Falludscha nach Deutschland

Keine Embedded Journalists in Landstuhl und Vilseck, den deutschen Basen der US-Kriege. 2010: größtes Militärkrankenhaus nach Weilerbach?

Vilseck und Landstuhl kommen in den Weltnachrichten über den Häuserkampf in Falludscha kaum vor. »Theoretisch haben Sie recht«, antwortete Egon Bahr, der SPD-Außenpolitiker, in einem am 5. November erschienenen Zeitungsinterview auf den Hinweis, daß Deutschland indirekt die Angriffe der USA auf den Irak unterstütze: »Ich hätte es für unverantwortlich gehalten, wenn der Bundeskanzler zusätzlich zur Verweigerung der Gefolgschaft gegen den Irak die Frage der Überflugrechte aufgeworfen hätte. Das wäre gleichbedeutend gewesen mit der Infragestellung der US-Stützpunkte in Deutschland. Das wäre zuviel auf einmal gewesen! Außerdem: Diese Stützpunkte behindern unsere außenpolitische Handlungsfreiheit nicht.« Aber es geht nicht nur um Überflugrechte: Schon vor Kriegsbeginn übten nicht nur auf ungarischem, sondern auch auf deutschem Boden US-Streitkräfte den Irakeinsatz, und auch das Sanitätswesen hierzulande sichert die amerikanische Aggression ab. „Wir fordern die Bundesregierung auf, die politische, ökonomische und militärische Unterstützung dieses Verbrechens unverzüglich zu beenden“, hochaktuell ist dieser Appell des Bundesausschusses Friedensratschlag (junge Welt vom 11. November).

Martialisch wird jedoch in deutsche US-Garnisonen der Heldentod im Irak gefeiert. In Falludscha sind 2000 US-Soldaten in Einsatz, die als 3. Brigade der 1. Infanteriedivision »Big Red One« in der bayerischen Gemeinde Vilseck stationiert sind. Ende Oktober fand dort in der kleinen Militärkirche in den »Rose Barracks« der »Last Roll Call«, der letzte Aufruf für den Gefreiten Andrew C. Ehrlich statt. Bei leiser Klaviermusik trat man vor ein zwischen Soldatenstiefel in den Boden gerammtes Bajonett, auf dem Gewehrknauf ruhte ein Helm mit Wüstentarnfarbe. Die Utensilien eines Einundzwanzigjährigen, des dreizehnten Gefallenen von Februar bis Oktober aus dieser Truppe – erst im März war er aus Arizona nach Deutschland versetzt worden. Auf die Ausrufung seines Namens: keine Antwort – Salutschüsse, Zapfenstreich. Er war gewiß nicht der letzte im Kampf getötete Soldat dieser Einheit, die über eindeutige Traditionen verfügt: Die Division kam mit General John “Blackjack” Pershing 1917 nach Europa – diese Pointe entging den meisten Friedenskämpfern gegen die Pershing2 der 70er/80er Jahre. Im Sommer 1965 war sie die erste Division, die in Vietnam kämpfte, ab November 1990 war sie mobilisiert für den Irakkrieg von Bush sen., ab 1996 folgten Einsätze im Jugoslawienkrieg – damals noch von Würzburg aus.

Wer den Kriegseinsatz schwerverwundet überlebt, wird vielleicht in die Pfalz in das »Landstuhl Regional Medical Center«, das größte Sanitätszentrum der US-Streitkräfte in Europa, eingeliefert. In dieses Lazarett, fünf Kilometer südlich des berühmt-berüchtigten Ramstein-Militärflughafens, wurden seit Montag letzter Woche Hunderte Verletzte vor allem aus der Offensive auf Falludscha eingeliefert - allein am Donnerstag 104, seit Samstag 223, berichtete die Armeezeitung »Stars and Stripes« am Montag. Die Bettenzahl wurde erhöht, nach Stabilisierung ihres Zustands wurden 196 dieser Verwundeten in die USA verlegt, die übrigen bleiben vorerst in Landstuhl. Der Presse präsentiert wurden vier junge Verwundete, ein Vorgesetzter wachte darüber, daß keine »unzulässigen« Fragen über die Kämpfe in Falludscha gestellt wurden. Nur über ihre Verletzungen dürfen sie erzählen. Ob an den Oscar-prämierten Spielberg-Film »Saving Private Ryan« gedacht wurde? Jedenfalls erzählte Ryan Chapman, wie er am Kopf getroffen wurde, als er Dächer nach Scharfschützen absuchte. Kris Clinkscales ist selber Scharfschütze und behauptete, die Widerstandskämpfer in Falludscha würden Gesichtsmasken tragen, so daß seine Ziele leicht von zivilen zu unterscheiden seien. Und Travis Schafer grüßte via TV nicht nur seine Jennifer daheim, sondern macht auch klar, daß er – wie seine drei Kameraden – sich auf deutschem Boden nur fit machen will für einen neuen Irakeinsatz: »Jedesmal wenn ich Nachrichten schaue, wünschte ich, ich wäre wieder dort.« Chapman von den Marines stimmt zu: »Sobald ich den Helm wieder aufsetzen kann, gehe ich zurück.«

[Verfasst: 16. November 2004]

AKTUELLER NACHTRAG am 24. Januar 2010:
Am 21. Januar 2010 war zu erfahren, daß die US-Armee den Bau eines Militärkrankenhauses in Rheinland-Pfalz plane. General Carter Ham bestätigte den Plan des milliardenschweren Militärkrankenhaus-Neubaus; der Oberkommandierende in Europa traf dazu in Mainz mit Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) zusammen. Er informierte Beck über seine Empfehlung ans Pentagon, das größte Militärkrankenhaus außerhalb der USA im rheinland-pfälzischen Weilerbach zu bauen. Die Entscheidung darüber werde im Februar im US-Kongress getroffen. Investiert würde über eine Milliarde Dollar (700 Millionen Euro). Alternativ zum Neubau auf dem ehemaligen Munitionsdepot in Weilerbach werde eine Renovierung des jetzigen Hospitals in Landstuhl erwogen. Spezialdemokrat Beck lobte die Alternative als "Riesenchance für die Bauindustrie und die nachhaltige Sicherung von Arbeitsplätzen".