Schwieriger Neubeginn in Simbabwe

Die Situation bleibt angespannt

Die Situation in Simbabwe bleibt angespannt, obwohl Präsident Robert Mugabe und Oppositionschef Morgan Tsvangirai sich Mitte September 2008 auf eine Machtteilung einigten. Selbst kritische BeobachterIn­nen gingen davon aus, dass es keine Alternative dazu gab. Landesintern drängten die Si­cherheitskräfte auf eine rasche Klärung der Machtfrage. Auf regionaler Ebene übte die po­litsch und wirtschaftlich ausgerichtete Entwicklungsgemein­schaft der Länder im südlichen Afrika (SADC) Druck aus. Gleichzeitig war die Verhan­dlungsmacht der Opposition geschwächt.

Polizei- und Militärkomman­danten hatten schon wiederholt betont, dass sie nur Mu­gabe als Chef anerkennen würden. Das Ringen um Zuständigkeiten zog sich bis in den Oktober, wobei Mugabe auf Verzögerung setzte. Er beanspruchte die Kontrolle über die Sicher­heitskräfte und alle wichtigen Ministerien, denn darauf basierte seine Macht. Außerdem warteten zahlreiche seiner Günstlinge auf Belohnungen für ihre Treue.

Im Frühling 2008 sah die Situation noch ganz anders aus, weshalb Oppositionschef Tsvangirai die Machtteilung als schmerzhaften Kompromiss bezeichnete. Bei den am 29. März 2008 abgehaltenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen hatte die Oppositionspartei Movement for a Democratic Change (MDC) einen haushohen Wahlsieg errungen. Wie überraschend dieser für die herrschende Zimbabwe Afri­can National Union (ZANU/PF) war, zeigte sich in der zögerlichen Bekanntgabe der Ergebnisse. Erst Ende April wurde schließlich der Wahlsieg der MDC unter Tsvangirai und der 2005 abgespaltenen MDC Mu­tambara-Fraktion bekannt gegeben. Anfang Mai erfuhr die Öffentlichkeit, dass keiner der Prä­sidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit erreicht ha­be. Eine Stichwahl wurde für Ende Juni anberaumt. Präsident Mugabe war der einzige Kandidat, was viele afrikanische Länder verurteilten. In den langen Monaten zwischen den Wahlen terrorisierten Polizei, Militärs, Geheimdienste und regimetreue Ju­gendmilizen zahlreiche Gebiete. Human Rights Watch ging da­von aus, dass eine regelrechte Hexenjagd auf Oppositionelle gemacht wurde. Mindestens 132 Menschen wurden umgebracht. Etwa 5000 Menschen wurden gefoltert. Es sollte ein Klima der Angst und Verunsicherung geschaffen werden. Zur systematischen Einschüchterung trugen auch landesweit tätige Spitzel bei, die den Geheimdiensten und Schlägertrupps zuarbeiteten. Kurz vor der Stichwahl hatte der UN-Sicherheitsrat die grassierende Gewalt verurteilt und ein sofortiges Ende der Übergriffe gefordert. Dessen ungeachtet ging das Morden und Foltern weiter. Mindestens 32 Menschen wurden nach den Stichwahlen umgebracht, Dutzende verschwanden und Hunderte wurden schwer verletzt. Viele werden ihr Leben lang behindert bleiben, falls sie die ge­zielten Verletzungen des Rückgrads, der inneren Organe und Genitalien überhaupt überleben. Wegen des seit Jahren he­runtergewirtschafteten Ge­sundheitssektors konnte den Schwerverletzten oft nur unzureichend geholfen werden, selbst Verbände und einfache Antibiotika waren Mangelware. Über die Zahl der vergewaltigten Frauen und Mädchen kann man nur mutmaßen, da viele aus Angst vor erneuter Gewalt die Übergriffe verschweigen. Diese Terrortaktiken werden Spuren hinterlassen, was die Gewaltakteure offenbar beabsichtigten. Schon jetzt zeichnet sich ab, wie die Traumata die Menschen paralysieren und den sozialen Zusammenhalt brechen. Der kirchennahe Soli­darity Peace Trust gibt zu bedenken, dass Kirchenvertreter sogar während Beerdigungen mit innerfamiliären Konflikten konfrontiert sind. Verleugnun­gen, Gewalt und Traumatisie­rungen haben Familien zerrissen. Angesichts der immer dramatischeren Versorgungsnot und der fortschreitenden Armut streiten sich Verwandte über die Beerdigungskosten der Mordopfer, die aus politischen Gründen umgebracht wurden. Trotzdem gelten Kirchen als einzige Institution, die die tiefen Spaltungen in der Gesellschaft überbrücken können. Denn die Opposition und Zivilgesellschaft sind zerstritten.

Allerdings entzweien Meinungsverschiedenheiten auch die VertreterInnen unterschiedlicher Amtskirchen: Während einige Repräsentanten der anglikanischen Kirche mit der ZANU/PF-Regierung kooperieren, kritisieren viele katholische Bischöfe deren Gewaltherrschaft ausdrücklich. Außerdem werben zahlreiche neu gegründete Pfingstkirchen und Sekten, die sich offiziell als „unpolitisch" positionieren, seit einigen Jahren erfolgreich um Mitglieder. Mancherorts haben die etablierten Amtskirchen bereits ernsthafte Konkurrenz von den neuen Heilsversprechern bekommen. Das ist auch durch die rasche Ausbreitung von HIV/AIDS bedingt. Über ein Viertel aller Erwachsenen ist heute mit den HI-Virus infiziert und nur eine kleine Minderheit hat Zugang zu anti-retroviralen Medikamenten. Die allgemeine Versor­gungsnot wirkt sich auf HIV-positive Menschen besonders dramatisch aus und führt dazu, dass viele rasch an AIDS sterben.

Der zeitaufwendige und ner­venaufreibende alltägliche Kampf um Nahrungsmittel, die meist nur illegal zu erwerben sind, lähmt die städtische Zivilgesellschaft. Seit Jahren schwächen auch systematische Ein­schüchterungen und Gewaltakte die demokratischen Kräfte. Viele frühere NGO-Mitarbei­terInnen flohen nach Südafrika. Sie werden die weitere Entwicklung sehr genau beobachten, bevor sie jemals wieder nach Simbabwe zurückkehren. Dort werden keineswegs nur Menschenrechtsorganisatio­nen angefeindet, auch humanitäre Initiativen gerieten längst unter Generalverdacht, mit ihren Hilfsangeboten politische Ziele zu verfolgen. Rigide Vorschriften schränkten ihre Arbeit drastisch ein. Im August 2008 schätzte die Welternährungsorganisation FAO, dass min­destens zwei Millionen Menschen in Zimbabwe hungerten. Wiederholt wurden ganze Lan­desteile von internationalen Hilfslieferungen ausgeschlossen. Den dortigen BewohnerIn­nen wurde unterstellt, illoyal zu sein. Hingegen erhielten ZA­NU/PF AnhängerInnen zumin­dest gelegentlich Nahrungsmit­telhilfe. Insbesondere vor Wahlen wurde ihre regimetreue Stimmabgabe hierdurch motiviert.

Immer wieder wurden Nahrungsmittel als „politische Waffe" eingesetzt. Schon bei einer Dürre in den 1980er Jahren wurden den BewohnerInnen der westlichen Landesteile Hilfslieferungen vorenthalten. Folterungen und Morde waren dort bereits an der Tagesordnung, als Simbabwe noch als Musterland auf dem Kontinent galt und Mugabe als Hoff­nungsträger gefeiert wurde. Über 20.000 Menschen wurden damals Opfer von Massakern. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden als potenzielle Staatsfeinde gebrandmarkt, wodurch die Gewalt gegen sie offiziell legitimiert wurde. Der Rückgriff auf die während des Unabhän­gigkeitskampfes angewandten brutalen Einschüchterungstak­tiken setzte sich mit unterschiedlichen Facetten in den folgenden Jahrzehnten fort. Immer wieder wurden ganze ge­sellschaftliche Gruppen als Verräter am erfolgreichen Befreiungskrieg angefeindet. Gleichzeitig sicherten regimetreue Krisengewinner ihre Patrona­genetze und hielten damit die Machtstrukturen aufrecht. Während der 1990er Jahren verschlechterte sich die gesamte Wirtschaftslage, was auf die Strukturanpassungsprogram­me internationaler Kreditgeber zurückzuführen war. Zudem wurden Gelder zur Abfederung der sozialen Folgen dieser drastischen Sanierungsprogramme in großem Stil veruntreut.

Ab Anfang 2000 verschärften sich die ökonomischen und po­litischen Probleme dramatisch. Der Auslöser war ein verlorenes Referendum über einen Verfassungsentwurf, was eine herbe Niederlage für die Regierungspartei bedeutete. Im September 1999 hatten Gewerk­schaftsaktivistInnen und zivilgesellschaftliche Gruppen eine neue Partei gegründet: das Mo­vement for a Democratic Chan­ge (MDC).

Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2000 wollte die Regierungspartei ZANU/PF eine zweite Schlappe verhindern. Ihre Mitstreiter, sogenannte Kriegsveteranen, schufen neue Fakten, indem sie Großfarmen der Weißen besetzten. Seit der politischen Unabhängigkeit 1980 war eine umfassende Landreform verschleppt worden. Deshalb verursachten die strukturellen Ungleichheiten im Landbesitz immer wieder Konflikte. Allerdings führten die Zwangsenteignungen mit der Brechstange zu neuen Problemen. Bis dato hatten die Großfarmen für Devisen in den Staatskassen gesorgt und die Ernährung der städtischen Bevölkerung gewährleistet. Beides kollabierte, weil die angeheuerten Farmbe­setzer - oft handelte es sich um arbeitslose städtische Jugendliche - die schwarzen Farmar­beiter vertrieben. Auch Politiker, regimetreure Geschäftsleute und sonstige Günstlinge, an die Farmen verteilt wurden, nutzten diese nicht oder nur eingeschränkt. Verarmten Kleinbauern, die Flächen zugewiesen bekamen oder sich dort in Eigenregie niederließen, mangelte es an Saatgut, Düngemitteln und technischen Geräten - bis heute haben sie keine Landtitel und ihr Rechtstatus ist völlig unklar. Um so mehr fordert das Simbabwe Institute, ein in Südafrika angesiedelter Think-Tank simbab­wischer Wissenschafter, klare Rechtsgrundlagen. Außerdem schlagen die dort tätigen Agrarexperten vor, eine Landkommis­sion einzusetzen und Bodensteuern einzuführen. Schritt­weise soll eine Land- und Agrarreform durchgeführt werden. Unklar bleibt jedoch, inwieweit verarmte Kleinbäuerinnen oder frühere Farmarbeiter in die neu­en Reformprogramme einbezogen werden.

Ab 2000 vertrieben die Farm­besetzer über 100.000 Farmar­beiter und deren Familien, viele Vertriebene ließen sich in städtischen Gebieten nieder. Im sim­babwischen Winter 2005 wurden sie zur Zielscheibe großangelegter Vertreibungen. Damals walzten Bulldozer im Auftrag der Regierung über 92.000 Häuser und Unterkünfte nieder. Et­wa 600.000 Menschen wurden obdachlos. Mehrere Tausend wurden verhaftet oder deportiert. Viele Zwangsumgesiedelte gerieten unter die Kontrolle re­gime­treuer Chiefs. Jugendliche Schlägertrupps schüchtern sie weiter ein. Hinter den Fassaden von Demokratie und Rechtsstaat sorgt Brachialgewalt bis heute dafür, Menschen zu verängstigen und gegeneinander aufzuhetzen.

Die zukünftige Entwicklung Simbabwes wird u.a. davon abhängen, inwieweit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Drahtzieher an den Schalthebeln der Macht versuchen, genau das zu verhindern. So fürchten kei­neswegs nur Menschenrechtsorganisationen, die Gewalt werde unter neuen Vorzeichen fortgeführt.

Rita Schäfer

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 333, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 37. Jahrgang, November 2008, www.graswurzel.net