Feminsmo & Orteguismo

Daniel Ortega führt einen Rachefeldzug gegen die Autonome Frauenbewegung Nicaraguas. Die Situation der Frauen hat sich unter der vermeintlich linken Regierung radikal verschlechtert. 

In einer Art vorauseilendem Gehorsam gegenüber denkatholischen und evangelikalen Kirchen und mit dem Ziel, Wählerstimmen zu gewinnen, wurde 2006 - bereits vor der Wahl - mit Unterstützung derAbgeordneten der FSLN der medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbruch(aborto terapeutico) verboten. Offizielle Angaben dazu, wie viele Frauen diesemGesetz bereits zum Opfer gefallen sind, existieren nicht. Der Gattin von DanielOrtega, Rosario Murillo, wird von Feministinnen vorgeworfen, die Initiatorindieses Paktes mit den Kirchen zu sein.

Rachefeldzug gegen Frauenbewegung. Doch damit nicht genug:Vor einem Jahr wurde eine regelrechte „Hexenjagd" auf die AutonomeFrauenbewegung (Movimiento Autónomo de Mujeres; MAM) Nicaraguas eröffnet. ImNovember 2007 ordnete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen neunFrauen vom Frauennetzwerk gegen Gewalt (Red de Mujeres contra la violencia,RMCV) wegen ihrer Rolle im Fall „Rosita"1 an. Amnesty International ergriff ineinem offiziellen Schreiben Partei für die Frauen mit der Begründung, dass dieselediglich dafür gesorgt hätten, dass die reproduktiven und sexuellen Rechte desMädchens gewahrt werden. Das Wiederaufrollen des Falles erscheint höchstseltsam und ist im Zusammenhang mit dem persönlichen Rachefeldzug desPräsidentenpaares Ortega-Murillo gegen die Autonome Frauenbewegung Nicaraguaszu sehen. Das RMCV hat die Stieftochter von Daniel Ortega, Zoilamérica Narváez,bei der Klage gegen ihren Stiefvater wegen sexuellem Missbrauch unterstützt.

In den letzten Wochen gipfelte die Hetzkampagne im Vorwurfder Geldwäscherei, mit dem sich mittlerweile 17 NGOs, größtenteilsFrauenorganisationen, konfrontiert sehen. Dem Zentrum fürKommunikationsforschung CINCO (Centro de Investigaciónes de la Comunicación)wird vorgeworfen, unerlaubt Gelder an die Autonome Frauenbewegung  weitergegeben zu haben. In Wahrheit istes so, dass CINCO und MAM schon vor der Wahl 2006 einen Fonds zurZusammenarbeit eingerichtet haben, um Hilfsgelder von OXFAM an NGOsweiterzuleiten. Der Hilfsorganisation OXFAM Großbritannien wird nun von dernicaraguanischen Regierung ebenfalls die Verwicklung in illegale Geschäfteangelastet. Mit solchen Aktionen gefährdet Präsident Ortega dieEntwicklungshilfegelder für Nicaragua. Europäische Geberländer drohen mit demRückzug.

Das Fortbestehen feministischer Kommunikationsräume(Fernseh- und Radioprogramme sowie eine Wochenzeitung, die von CINCO gefördertwurden) soll durch die Schließung von CINCO unmöglich gemacht werden. Konkret lautet der Vorwurf, dass CINCO Geld anFrauenorganisationen ausbezahlt hat, die keine Rechtspersönlichkeit hätten undsomit illegal wären. Dies widerspricht der nicaraguanischen Verfassung, in derFrauen das Recht zugesprochen wird, sich zu organisieren. Da es bisher nichtobligatorisch war, sich zu registrieren und als juristische Person eintragen zulassen, haben das auch nicht alle Organisationen getan. Besondersniederträchtig sind die Angriffe auf die persönliche Integrität von SofiaMontenegro, einer Leiterin von CINCO und ehemaligen FSLN-Frauenaktivistin. Ihrwird vorgeworfen, CIA-Agentin zu sein. Die Parteispitze sieht es wohl nichtgern, wenn eine Frau in erster Linie Feministin und dann erst Sandinistin ist. 

Widersacher mundtot gemacht. Auf ähnliche Art und Weise hatsich Ortega bereits mehrerer politischer Widersacher entledigt: Er hat indiesem Jahr der Konservativen Partei und der von DissidentInnen der FSLNgegründeten MRS (Movimiento Renovador Sandinista; SandinistischeErneuerungsbewegung) die Rechtspersönlichkeit entzogen und die Parteien somitaufgelöst. Die ehemalige FSLN-Kommandantin Dora María Tellez trat nach derAuflösung in einen zweiwöchigen Hungerstreik.

Überhaupt ist auffallend, dass fast alle, die vonOrtega-Murillo nun angegriffen werden, früher für die FSLN aktiv waren und inder sandinistischen Revolution eine bedeutende Rolle spielten. Diese einstigenVorbilder sollen nun nicht mehr als Revolutionäre und SandinistInnen, sondernals Feinde präsentiert werden, die es zu zerstören gilt. Der Dichter undBefreiungstheologe Ernesto Cardenal und die Brüder Godoy, Verfasser zahlreicherRevolutionslieder, sowie der Journalist Carlos Fernando Chamorro sind weitereprominente Opfer der Hetze durch die Regierung. Die staatlichen Medien befindensich in der Hand von Rosario Murillo, die keine andere Meinung als die ihrezulässt. Das Recht auf Meinungsfreiheit, für das die FSLN einst eintrat, wirdden NicaraguanerInnen nun abgesprochen.

Protestmärsche in León wurden von Mitgliedern der FrenteSandinista mit der Begründung behindert, dass León eine sandinistische Bastionsei und hier keine Verräter des Vaterlandes aufmarschieren dürften. Gegen dieDemonstrantInnen wurde zum Teil mit Wurfgranaten vorgegangen, die jedoch lautGesetz verboten sind. Gerechtfertigt wurde dies von Vertretern der FSLN damit,dass jeder das Recht auf Waffenbesitz habe und Waffen Teil der nicaraguanischenFolklore seien.

Das Volk ist nicht Präsident. Auch dieMenschenrechtsorganisation CENIDH (Centro Nicaraguense de Derechos Humanos)stellt Rückschritte in der Menschenrechts- und Frauenpolitik des Landes fest.Der Einfluss der Kirchen ist erkennbar: Familiäre Gewalt wird nun weniger alsein Delikt, sondern eher als eine Sünde dargestellt, die vergeben werden kann.Die Verdrehung der Tatsachen mutet teilweise skurril an: So rechtfertigt Ortegadas Abtreibungsverbot unter anderem damit, dass es in Diktaturen zuZwangssterilisationen von Frauen kam, um der Revolution ihre Kinder zuentziehen. Dass es sich sowohl bei einem Abtreibungsverbot als auch beiZwangssterilisationen um Eingriffe in die sexuellen und reproduktiven Rechtevon Frauen handelt, erkennt er nicht. Die Gelder, die in den Fonds für sexuelleund reproduktive Rechte (Fondo para derechos sexuales y reproductivos; FED)fließen, bezeichnen er und seine Frau als „satanische Millionen".

Nichtsdestotrotz präsentiert sich Ortega nach außen hin alslinker Politiker. Die Realität entspricht aber nicht ganz dem, was man sichunter „el pueblo presidente" („das Volk ist Präsident"; WahlkampfsloganOrtegas) vorgestellt hat. Wenn man die Macht der Frauen an der Munition misst,mit der nun auf sie geschossen wird, bleibt immerhin Hoffnung, dassVeränderungen möglich sind.  

Fußnoten:       

1 Der Fall „Rosita" weckte 2003 das Interesse derÖffentlichkeit. Das damals achtjährige nicaraguanische Mädchen Rosita, Opfersexuellen Missbrauchs, wurde schwanger. Es lebte zu der Zeit mit seiner Mutterin Costa Rica und wurde mit Unterstützung von Frauenorganisationen nachNicaragua gebracht, wo schließlich die Abtreibung vorgenommen wurde. Im August2007 wurde Rosita abermals schwanger und gebar das Kind. Ihr Stiefvater wurdeim November 2007 wegen sexuellen Missbrauchs zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

 

 Dieser Artikel erschien in: an.schläge. Das feministische Magazin, www.anschlaege.at