Autobahn statt Apfelbaum

Als das Atomkraftwerk Stade am 14.November 2003 um Punkt 8:32 Uhr nach gut 30 Jahren Betriebszeit für immer abgeschaltet wurde, konnten die AtomkraftgegnerInnen in der Region für einen kurzen Augenblick tief durchatmen. Wer allerdings glaubte, die Stilllegung des Kraftwerks wäre der Startschuss für die ökologische Erneuerung im Niederelberaum hatte sich leider zu früh gefreut.

Obwohl der Rückbau des Atomkraftwerks noch bis ins Jahr 2015 andauern wird, werden bereits seit einiger Zeit neue Pläne für den „Energiestandort Stade" geschmiedet, wobei freilich auch die Verkehrsinfrastruktur keineswegs vernachlässigt wird. Die geplanten und zum Teil Bereits im Bau befindlichen Vorhaben im Raum Stade sprengen jedoch jeden zuvor für möglich gehaltenen Rahmen:

Östlich von Stade sollen in den nächsten Jahren dre neue Braunkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 3100 MW entstehen. Dies entspräche einem fünffachen der Stromleistung des ehemaligen Atomkraftwerks. Zusammen mit dem in Bau befindlichen Doppelkraftwerk Hamburg-Moorburg und den drei geplanten Kohlekraftwerken im Schleswig-Holsteinischen Brunsbüttel hätten die Menschen in der Region unter insgesamt 7 neuen Dreckschleudern zu leiden, die allesamt eine erhebliche Erhöhung der Konzentration von CO2 und Schwermetallen wie Cadnium oder Blei in der Luft zur Folge hätte. Um die Versorgung mit 2,5-3 Millionen Tonnen Kohle je Kraftwerk sicherzustellen, müsste der Bützflether Hafen erheblich ausgebaut werden und das Straßen- und Schienennetz zu den Kraftwerken erweitert werden.

Zusätzlich zu der in einem Teilstück kürzlich für den Verkehr freigegebenen Autobahn 26 nach Hamburg, soll in den nächsten Jahren die A20 von Glückstadt auch die Elbe in fünf Kilometern Länge durchgraben und anschließend als A22 zum Wesertunnel bei Bremerhaven geführt werden. Dabei gehen zahlreiche Gutachten von einem sehr geringen Nutzen dieser Strecke aus. Der Wesertunnel, der im Jahre 2003 eröffnet wurde und künftig in die neue A22 integriert werden soll, ist hierfür der beste Beleg: Gerade einmal 13.000 Fahrzeuge nutzen die Stecke durchschnittlich am Tag (zum Vergleich: Durch den Elbtunnel in Hamburg rollen über 200.000 Fahrzeuge täglich).

Die Elbe soll ein weiteres Mal um durchschnittlich einen Meter „angepasst" werden. Angeblich wäre dies notwendig, damit die neueste Generation von Cotainerschiffen, mit einem Tiefgang von 14,50m, gezeitenunabhängig den Hamburger Hafen anfahren kann. Der Haken an der Sache: Eben diese Schiffe fahren bereits heute die Elbe bis nach Hamburg hinunter. Und das in gut 80% der Fälle sogar vollkommen gezeitenunabhängig, denn der maximal mögliche Tiefgang der Schiffe wird nur bei voller Beladung erreicht und dies ist praktisch nie der Fall, da ein Teil der Fracht bereits in Wilhelmshaven oder Rotterdam entladen wird und die 14,50m so eine abstrakte Größe bleiben. Auch sind in Zukunft keine neuen Schiffe mit einem Tiefgang von über 14,50 zu erwarten.

Auf der anderen Seite hat bereits die letzte Elbvertiefung im Jahre 1999 erhebliche Konsequenzen für das Ökosystem der Elbe mit sich gebracht und bei einer weiteren Vertiefung wäre auch die Deichsicherheit in Gefahr. Der Grund für diese Vertiefungspläne ist darin zu suchen, dass der Hamburger Hafen im Wettbewerb mit anderen Häfen - insbesondere dem Tiefseehafen in Wilhelmshaven - steht und sich durch die Vertiefung der Fahrrinne eine höhere Attraktivität und neue KundInnen verspricht, was auch erklärt, warum die Niedersächsische Landesregierung so vehement gegen die Vertiefung ist.

Daneben sind zahlreiche „kleinere" Infrastrukturvorhaben wie eine Müllverbrennungsanlage in Bützfleth, der Ausbau einer 380kv Hochspannungsleitungen , ein neues Logistikzentrum in Neu Wulmstorf bei Hamburg oder eine neue Autostraße zwischen Stade und Cuxhaven in Planung oder bereits im Bau. In der Summe richten auch sie gewaltigen Schaden an der Natur an.

Bei aller Umweltzerstörung und Gesundheitsschädigung der Menschen sind auch die Hoffnungen, die geplanten Projekte könnten wenigstens die lokale Wirtschaft ankurbeln, vollkommen unbegründet: Durch die Zerstörung des alten Landes ist ein Rückgang der BesucherInnennzahlen und TouristInnen zu erwarten, die Landwirtschaft würde größere Flächen verlieren und könnte Schwierigkeiten bekommen die „verkohlten" Äpfel unter die Leute zu bringen. Durch die neue A26 wird ein nicht unwesentlicher Teil der lokalen Wirtschaftskraft nach Hamburg abwandern. Die durch die Elbvertiefung, sowie durch die zu erwartenden Schäden verursachten Kosten wird vermutlich keinerlei volkswirtschaftlicher Nutzen entgegenstehen. Die neuen Kohlekraftwerke schaffen möglicherweise einige wenige Arbeitsplätze, verhindern jedoch Investitionen in die Zukunftstechnologien der erneuerbaren Energien. Immobilien könnten erheblich an Wert verlieren und auch der durch die Industrialisierung der Region zu erwartende Anstieg von Krankheiten würde einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden mit sich bringen.

Die erheblichen Kosten der Neubauprojekte würden den klammen Gemeinden zudem auf Jahre hinweg kaum Investitionen in ihre Bildungseinrichtungen oder den öffentlichen Nahverkehr erlauben, was wiederum mit einer Attraktivitätsminderung der Region einher ginge. Die Aufzählung wirtschaftlicher Schäden zeigt, dass die Zerstörung des Alten Landes jeglicher Argumentationsgrundlage entbehrt!

 

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