Kriegs-Demokrat Barack Obama

Die Renaissance der NATO und die Fortsetzung der militaristischen US-Außenpolitik

Im Dezember 2008 präsentierte der neue US-Präsident Barack Obama seine Regierungsmitglieder. Hillary Clinton wird Außenministerin, James Jones Sicherheitsberater und George Bushs Kriegsminister Robert Gates bleibt im Amt.

In der GWR 334 haben wir unter anderem auch Obamas Eintreten für die Todesstrafe kritisiert. Nun analysiert Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., die Re-Vitalisierung der NATO und den Siegeszug der „War-Democrats": „Change We Can't". (GWR-Red.)

„Amerika hat ein Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln."                                     

                                    Gore Vidal

 

Unbestreitbar haben die acht Jahre unter Präsident George W. Bush den USA und dem Rest der Welt schweren Schaden zugefügt. Vor diesem Hintergrund erhoffen sich viele vom neuen US-Präsidenten Wunderdinge, z.B. den grundlegenden Wandel der US-Außenpolitik, der von Oba­ma während seines Wahlkampfes versprochen wurde. Dass mit Obama nun erstmals ein Afro-Amerikaner ins Weiße Haus einziehen wird, ist zu begrüßen und wird sich vermutlich auch längerfristig positiv auswirken. Sein innenpolitisches Programm setzt sich von dem seines unterlegenen Herausforderers John McCain ab. Angesichts des kritischen Gesundheitszustandes McCains war die Aussicht, dass im Falle seines Todes Sarah Palin als dessen Nachfolgerin ins Prä­siden­tInnenamt aufgestiegen wäre, gruselig. Man darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass den an Obama gerichteten friedenspolitischen Erwartungen bald der große Katzenjammer folgen dürfte. Spätes­tens seit nun die wichtigsten Posten seines künftigen Kabinetts vergeben wurden, ist Ernüchterung angesagt: sein Team steht für eine Fortsetzung der aggressiv-militaristischen US-Außenpolitik, die sich taktisch und rhetorisch, aber nicht in der Substanz von der seines Vorgängers unterscheiden wird. Von den Kriegen im  Irak und in Afghanistan über die grundsätzliche Haltung gegenüber Militärein­sät­zen bis hin zum Verhältnis mit Russland deutet leider wenig darauf hin, dass mit einer grundsätzlichen Wende zu rechnen ist. Einzig, was die während Bushs Amtszeit schwer beschädigten transatlantischen Beziehungen anbelangt, dürfte eine grundlegende Neuausrichtung anstehen. Denn auch den US-Eliten ist klar, dass eine - taktische - Anpassung der US-Außenpolitik angesichts der katastrophal verlaufenden Kriege im Irak und in Afghanistan notwendig ist. Einiges deutet darauf hin, dass Obama - nicht zuletzt auf­grund der wirtschaftlichen Probleme der USA - versuchen wird, die EU-Staaten künftig stärker militärisch in die Pflicht zu nehmen, sie sollen einen „angemessenen Beitrag" zur Aufrechterhaltung der westlich do­minierten kapitalistischen Ordnung leisten. Im Gegenzug dürfte der Einfluss der EU-Staaten innerhalb einer gestärkten NA­TO aufgewertet werden, um ihnen diesen Deal schmackhaft zu machen: „Der ‘unilaterale' Ansatz, der von Bushs demokratischen Kritikern als strategischer Fehler attackiert wurde, wird nun korrigiert, und eine erneuerte NATO wird das Symbol hierfür sein."1 

Falkenkabinett: Die Rückkehr der War Democrats

Mit seiner Entscheidung, Ro­bert Gates, den Kriegsminister seines Vorgängers George W. Bush, für mindestens ein weiteres Jahr im Amt zu lassen, setzte Obama ein Zeichen, mit der bisherigen Politik nicht grundsätzlich brechen zu wollen. Unter Gates wurde eine Um­struk­turierung der US-Armee eingeleitet, die darauf abzielt, künftig Stabilisierungs- und Auf­standsbekämpfungseinsät­zen denselben Stellenwert wie klassischen Kriegseinsätzen zukommen zu lassen. Dies deckt sich offenbar mit Obamas Vorstellungen: „Wir müssen unsere Kapazitäten neu ausbalancieren, um sicherzustellen, dass unsere Truppen agil und tödlich genug sind, um in beidem, in konventionellen Kriegen und in Stabilisierungs- und Aufstandsbekämpfungsoperationen zu siegen."2  Hier­für steht der alte und neue Kriegsminister Gates - und damit auch dafür, dass künftig mit weiteren Besatzungen unter US-Flagge zu rechnen sein wird. Auch die Berufung von James Jones, einem engen Freund John McCains, zum Nationalen Sicherheitsberater, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich von Obama eine Wende in der Au­ßen- und Sicherheitspo­litik versprochen hatten. Jones war zwischen 2003 und 2006 als NATO-Oberkommandierender maßgeblich für die Eskalation in Afghanistan verantwortlich. Seine jetzige Ernennung deutet auf eine Fortsetzung der NA­TO-Eskalationsstrategie hin, was sich mit Obamas eigenen Plänen vereinbaren lässt (s.u.). Während Obama mit den Ernennungen von Gates und Jones seine Ankündigung wahr machte, auch Republikaner einbinden zu wollen, rekrutiert er unter den Demokraten fast ausschließlich Personen aus dem Umfeld des früheren Präsidenten Bill Clinton. So berief er mit dem damaligen NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark einen der Protagonisten des 1999 erfolgten völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen Jugoslawien in seinen engeren Beraterkreis. Generell ist es frappierend, mit welcher Wucht die „Clintoni­ans" gegenwärtig an die Schaltstellen der Macht zurückkehren. So wurde mit Rahm Emanuel ein enger Clinton-Vertrauter zum Stabschef ernannt. Emanuel verfügt über engste Kontakte zum „Democratic Leadership Council", dem 1988 gegründeten Sammelbecken der „War Democrats", die sich für eine wirtschaftsfreundliche und militaristische demokratische Außenpolitik einsetzen. So fordert Emanuel, ein Befürworter des Irak-Kriegs 2003, schon lange eine Aufstockung der US-Armee um 100.000 SoldatInnen.3  Auch Obama hat mittlerweile angekündigt, zusätzlich 65.000 SoldatInnen und 27.000 Marines rekrutieren zu wollen.4  Spätestens mit der Berufung Hillary Clintons als Außenministerin hat sich Obama von seinem Anspruch, einen wirklichen Wandel einleiten zu wollen, verabschiedet. Bei Liberalen und Linken löste die Ernennung einen regelrechten Schock aus. So kommentierte Maureen Dowd konsterniert: „Wie kann er Hillary, die für den Irak-Krieg stimmte, ohne die Einschätzungen der Nachrichtendienste zu lesen, die Verantwortung für die Außenpolitik und eine Welt übertragen, die durch diesen Krieg gespalten wurde."5  Auf der anderen Seite erhält Obama Lob aus berufenem Munde. So schreibt der Neokonservative Max Boot: „Als jemand, der skeptisch gegenüber der moderaten Haltung Obamas während des Wahlkampfes war, muss ich nun zugeben, dass ich angesichts dieser Berufungen baff bin, die meisten hätten auch gut von einem Präsidenten McCain kommen können."6 

Irak: Teilung und Teilabzug

Für den von Obama nach eigenen Aussagen hochgeschätzten neuen Sicherheitsberater James Jones steht die Bedeutung des Irak-Krieges außer Frage. Ein vom US-Kongress in Auftrag gegebener Bericht, der unter seinem Vorsitz erstellt wurde, ließ diesbezüglich keine Zweifel aufkommen: „Die strategischen Konsequenzen eines Scheiterns - oder nur eines empfundenen Scheiterns - wären für die Vereinigten Staaten und die Koalition enorm. Wir nähern uns einem wirklich strategischen Augenblick im noch jungen Jahrhundert. Die regionale geostrategische Position des Irak, das Machtgleichgewicht im Mittleren Osten, die ökonomische Stabilität, die durch die Energieströme in viele Teile der Welt ermöglicht wird, und die Fähigkeit, den Terrorismus, wo es am notwendigsten ist zu besiegen und einzudämmen, stehen zur Disposition und lassen schnelle und einfache Lösungen nicht zu."7 

 

Von einem „überstürzten" Abzug hält Jones ebenso wenig wie Vizepräsident Joseph Biden, der im Vorfeld des Angriffskrieges im Kongress einer seiner eifrigsten Befürworter war.8 Hochgefährlich sind Joseph Bi­dens Vorschläge zur „Lösung" des Desasters, das dieser Krieg angerichtet hat. In einem Grundsatzartikel schlug er eine Atomisierung des Irak vor: „Amerika muss sich von der fal­schen Wahl zwischen ‘den Kurs halten' und ‘die Truppen sofort Heim bringen' verabschieden und einen dritten Weg wählen. Einen, der es uns erlaubt, unsere Truppenpräsenz verantwortlich zu reduzieren und da­bei gleichzeitig Chaos zu verhindern und unsere Sicher­heitsinteressen zu wahren." Anschließend plädiert Biden de facto für die Aufspaltung des Irak in drei Teile, einen sunni­tischen, einen schiitischen und einen kurdischen. Da die „Dinge ohnehin in Richtung einer Teilung laufen", solle Washington diesen Prozess so weit als möglich forcieren.9  Gerne wird übersehen, dass Obama selbst keinen vollständigen Abzug aus dem Irak anvisiert, auch wenn dies überall suggeriert wurde. Vielmehr will er auch künftig US-Truppen im Land stationiert lassen: „Dies [die versprochene Truppenre­duzierung] würde im Sommer 2010 abgeschlossen sein. [...] Nach dieser Restrukturierung würden wir eine Kerntruppe (residual force) für bestimmte Aufgaben im Irak belassen: für das Vorgehen gegen die Reste von Al-Kaida; den Schutz unserer Dienstleister und Diplomaten; und die Ausbildung und die Unterstützung der irakischen Sicherheitskräfte, so lange, bis die Iraker Fortschritte machen."10  Über die genaue Größe dieser „Kerntruppe", die man auch als „Restbesatzung" bezeichnen könnte, schweigt sich Obama zwar aus, aus Andeutungen während einer Se­natsanhörung geht aber hervor, dass er dabei etwa 30.000 Soldaten im Auge hat.11  Eine zeitliche Befristung für den Verbleib dieser Kerntruppe ist nir­gendwo zu finden. Auch von einem Rückzug der bis zu 200.000 im Irak operierenden Söldner, die meisten davon sind als Subunternehmer des Pentagon unterwegs, ist nirgends die Rede. So bleibt von dem vollmundig versprochenen Abzug in der Praxis kaum mehr etwas übrig.

Humanitäre Interventionisten

In Obamas BeraterInnenteam finden sich viele „linksliberale" BellizistInnen, die sich für „humanitäre Interventionen" zum Schutz der Menschenrechte und für die gewaltsame Verbreitung von Demokratie, Menschenrechten und freien Märkten einsetzen. So bat Obama z.B. Samantha Power als seine Beraterin zu fungieren, nachdem er ihr Buch (A Problem from Hell: America and the Age of Genocide) gelesen hatte, ein flammendes Plädoyer für „hu­manitäre Interventionen".12  Auch seine außenpolitische Chefberaterin während des Wahlkampfes, Susan Rice, plädiert mit dem Argument, man könne dem Töten und Sterben in Darfur - das nicht unwesentlich mit der dortigen westlichen Interessenspolitik zusammenhängt - nicht länger tatenlos zusehen, für einen Angriff auf den Sudan: „Die Geschichte zeigt, dass Khartum nur eine Sprache versteht: die glaubwürdige Androhung oder Anwendung von Gewalt." Eine UN-Resolution müsse her, um einen Angriff zu autorisieren: „Die USA, vorzugsweise mit NATO-Beteiligung und afrikanischer politischer Unterstützung, würden sudanesische Flughäfen, Flugzeuge und andere militärische Anlagen bombardieren. Sie würden Port Sudan blockieren, durch das die sudanesischen Ölexporte fließen. Anschließend würden die UN-Truppen stationiert - mit Gewalt, sollte dies nötig sein und mit Unterstützung seitens der USA und der NATO. Sollten die USA keine UN-Auto­risierung erhalten, sollten sie auch ohne sie handeln."13  Ihre Positionen finden sich in Aussagen Obamas wie folgender wieder: „Werden wir den Worten ‘nie wieder' in Darfur Bedeutung verleihen?"14  Selbst der berüchtigten Bush-Doktrin wird nicht grundsätzlich eine Absage erteilt. Ihr Kernelement, der völkerrechtswidrige Präventivkrieg, findet sich verklausuliert auch in Reden Obamas: „Wir müssen in Betracht ziehen, unsere Militärkräfte in Situationen außerhalb der Selbstverteidigung einzusetzen, um die gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten, die globale Stabilität ermöglicht - um unsere Freunde zu unterstützen, an Stabilisierungs- und Wiederaufbaueinsätzen teilzunehmen oder gegen Massentötungen vorzugehen."15 

Iran: Alle (militärischen) Optionen bleiben offen

Obamas Ankündigung, Verhandlungen mit dem Iran aufnehmen zu wollen, um die Konflikte um Teherans Atompro­gramm auf diplomatischem We­ge zu lösen, ist zu begrüßen. Ob er jedoch bereit sein wird, eine verlässliche Nicht-Angriffsgarantie seitens der USA (und Israels) abzugeben, die eine Vorbedingung für eine Ver­handlungslösung darstellt, ist fraglich - zu hören war davon bislang nichts. Tatsächlich schließt Obama einen militärischen Angriff nicht aus: „Um mit diesen Bedrohungen umzugehen, werde ich die militärische Option nicht vom Tisch nehmen."16  Er begründet seine Position mit folgenden Worten: „Die vom Iran ausgehende Gefahr ist real und mein Ziel wird es sein, diese Gefahr zu eliminieren. [...] Ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, um zu verhindern, dass der Iran an Atomwaffen gelangt - alles!"17  In dieses Bild passt auch das Fazit einer Studie des „Bipar­tisan Policy Center" vom September 2008, an der u.a. Obamas wichtigster Berater für den Mittleren Osten, Denis Ross, beteiligt war: „Wir sind der Überzeugung, dass ein Militärschlag eine machbare Option ist und als letzte Möglichkeit ergriffen werden muss, um die iranische nukleare Entwicklung abzubremsen, auch wenn damit wohl nicht sämtliche Probleme gelöst und sicherlich neue geschaffen werden."18  Eine substanzielle Verbesserung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses scheint an­gesichts solcher Aussagen eher fraglich.

Ende des atomaren Amoklaufs?

Betrachtet man die Studien aus Obamas Umfeld, so dürfte am ehesten im Bereich der Nuklearpolitik mit einer Verbesserung zu rechnen sein. So setzt sich das Papier „Strategic Leader­ship: A Framework for a 21st Century National Security Stra­tegy" für eine schnellstmög­li­che Reduzierung des ameri­ka­nischen und russischen Atom­waffenarsenals ein.19 Auch in der gemeinsamen Blaupause für ihre künftige Außen- und Sicherheitspolitik („A 21st Century Military for America") sprechen sich Obama und Bi­den für umfassende Reduzierungen aus.20  Offen wird dabei aber leider die Frage gelassen, ob die abgerüsteten Atomwaffen endgültig zerstört oder le­diglich eingelagert („hedge") werden sollen. Dies war bereits unter Bush der größte Streitpunkt mit Russland, das auf ei­ne endgültige Zerstörung drängte, da ansonsten eine neuerliche Aufrüstung jederzeit wieder möglich wäre. Auch über die Frage, inwieweit der immer offensiver auf atomare Präventivschläge ausgerichteten nuklearen US-Einsatzpla­nung endlich ein Riegel vorgeschoben wird, schweigt sich Obama bislang aus. Darüber hinaus hat sich zwar Obamas Vizepräsident Joseph Biden seit Jahren immer wieder kritisch über die kostspieligen und destabilisierenden Pläne zum Aufbau einer US-Raketenabwehr geäußert21 , ein Ende des Raketenabwehrprogramms scheint aber nicht zur Debatte zu stehen. So äußern sich Biden und Oba­ma mittlerweile dahingehend, dass es vielmehr darum gehe, „effektive" und „kos­teneffizien­te" Systeme aufzubauen, die auch funktionieren. Dies gilt auch für die Pläne zum Aufbau von Installationen in Polen und der Tschechischen Republik, denen damit keines­wegs eine Absage erteilt wird.22 

Kein amerikanisch-russischer Honeymoon

Erforderlich wäre ein Wandel in den amerikanisch-russischen Beziehungen, damit die sich verschärfenden Konflikte nicht in einen Neuen Kalten Krieg abgleiten. Doch auch hier stimmt die Auswahl von Oba­mas BeraterInnen alles andere als zuversichtlich. Am meisten Beachtung wurde der Ernennung Zbigniew Brze­zinskis als Berater geschenkt, ein Altmeister US-amerika­nischer Geopolitik. Er lobt sich bis heute, mit der Aufrüstung der Mudschaheddin (und auch Bin Ladens) Ende der 1970er die Sowjetunion „in die afgha­nische Falle" gelockt zu haben. Über diesen Menschen sagte der russische Au­ßenminister Ser­gej Lawrow ein­mal: „Ich bin froh, dass er ein ehemaliger Nationaler Sicher­heitsberater ist. Hass sollte nicht die Außenpolitik bestimmen."23  Vor allem im jüngsten Krieg zwischen Georgien und Russland meldete sich Brzezinski lautstark zu Wort. Er verglich Putins Vorgehen mit dem Hitlers und forderte, dass Moskaus Verhalten nur zu „Ausgrenzung und wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen führen kann. Wenn Russland diesen Kurs weiterfährt, muss es letztendlich innerhalb der Staatengemeinschaft isoliert werden."24  Ingesamt gelangt auch das „Center for Defense Information" zu dem Ergebnis, dass den amerikanisch-russischen Beziehungen nicht gerade rosige Zeiten bevorstehen: „Die Auswahl von Obamas Beratern ist beunruhigend. Er wird von Zbigniew Brzezinski beraten, ein Mann, der für keinerlei freundschaftliche Gefühle gegenüber Russland bekannt ist. Sein wichtigster Russland-Mann ist Michael McFaul, einer der lautstärksten Kritiker Putins in Washington. Und er erhält Lehrstunden in Demo­kratieförderung von George So­ros. Nichts davon ist ein gutes Zeichen für die Fähigkeit Oba­mas, die Beziehungen zwischen Russland und den USA zu verbessern."25  Eine der wichtigsten Entscheidungen, die in nächster Zeit in diesem Kontext anstehen wird, ist die Frage, ob Georgien und der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft angeboten werden wird.  Obwohl dies für Russland eine rote Linie darstellt, hat sich Oba­ma für einen solchen Schritt ausgesprochen.26 

Eskalation in Afghanistan

Am deutlichsten sind Obamas Aussagen bezüglich des Kriegs in Afghanistan. Auf der einen Seite will er den Krieg auf pakistanisches Gebiet ausdehnen, um dort Rückzugsgebiete des Widerstandes zu bekämpfen - eine weitere Eskalation wäre damit praktisch vorprogrammiert. Andererseits beabsichtigt er, deutlich mehr Truppen an den Hindukusch zu senden. Min­destens zwei zusätzliche Brigaden (10.000 SoldatInnen) sollen es sein, gleichzeitig will er aber „diese Verpflichtung dazu nutzen, um von den NATO-Verbündeten größere Beiträge - mit weniger Einschränkungen - einzufordern."27  Mit diesen „Einschränkungen" meint Obama die so genannten „caveats", Sonderregeln, die den Truppen einzelner NATO-Länder detailliert vorgeben, un­ter welchen Umständen und wo sie in Afghanistan Gewalt anwenden dürfen. Sie verbieten es etwa der Bundeswehr, sich im umkämpften Süden und Osten zu betätigen. Somit ist Obamas Aussage nicht zuletzt an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Berichten zufolge soll einer Ausweitung des Krieges auf Pakistan von den Verbündeten bereits zugestimmt worden sein, ein deutliches Zeichen dafür, dass man gewillt zu sein scheint, Obamas Forderungen nachzukommen.28  Der Grund hierfür liegt darin, dass die größere EU-Beteiligung am Afghanistan-Krieg als eine der Voraussetzungen für eine Runderneuerung der transatlantischen Beziehungen erachtet wird, wie der „European Council on Foreign Relations" betont: „Die Frage wird wohl in Washington als Lackmustest angesehen werden, ob die Europäer als strategische Partner ernst genommen werden sollten. Somit dürfte die europäische Reaktion die transatlan­tischen Sicherheitsbeziehun­gen auf lange Sicht, also die nächsten vier oder acht Jahre beeinflussen."29 

 

Neue Transatlantische Partnerschaft: Re-Vitalisierung der NATO

 

Nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise hat sich die Lage für die USA auch wirtschaftlich deutlich zugespitzt. So belief sich das US-Handelsbilanzdefi­zit 2007 auf gigantische $700 Mrd., und die Staatsverschul­dung stieg in diesem Jahr erst­mals auf über $10 Billionen (rechnet man die Deckungslüc­ke der sozialen Sicherungssys­teme hinzu, so steigt diese Zahl nach Angaben des US-Finanzministeriums auf über $50 Billionen). Die einzige Weltmacht pfeift - ökonomisch wie militärisch - auf dem letzten Loch, und es ist auch den US-Eliten klar, dass ein Strategiewechsel erforderlich ist. Ziel ist es deshalb, die Lasten für die Aufrechterhaltung der westlich dominierten Weltordnung auf mehr Schultern zu ver­teilen. Die Europäische Union, die ebenso von diesem System profitiert wie die Vereinigten Staaten, ist hierfür der natürliche Adressat. Ein solches „Burden Sharing" dürfte jedoch nur gelingen, wenn dem - auch militärisch zunehmend untermauerten - Streben der EU entsprochen wird, nicht mehr länger auf die Rolle als „Subunternehmer Am­erikas" (Ernst-Otto Czempiel) reduziert zu werden. Nur über eine Aufwertung als gleichberechtigte Macht dürften die EU-Staaten zu mehr Engagement zu bewegen sein. Um diese „Neue Transatlantische Partnerschaft" auf den Weg zu bringen, ist Obama geradezu ideal geeignet. Zum einen ist er frei von dem Makel der Jahre unter Bush, unter dem die transat­lantischen Beziehungen extrem gelitten haben. Zum anderen dürfte es die Beliebtheit, der er sich in Europa erfreut, den EU-Staaten einfacher machen, gegenüber ihrer jeweiligen Bevölkerung höhere militärische Beiträge als Beitrag zur transatlantischen Aussöhnung zu rechtfertigen. Der Umgang mit dem „Chaos in der Welt", den Folgeerscheinungen der kapitalistischen Globalisierung, sowie das Bestreben, die aufkommenden Mächte Russland und China auf die Plätze zu verweisen, könnten dabei der Kitt für die Neue Transatlantische Partnerschaft sein - ihren institutionellen Niederschlag würde sie in einer vitalisierten NATO finden. So finden sich in Obamas Umfeld viele BefürworterInnen, die NATO zu einer „globalen Allianz der Demokratien" (unter amerikanisch-europäischer Führung) auszubauen, um sie gegen die „autoritären" aufstrebenden Staaten Russland und China in Stellung zu bringen.30  Dass Obama den ehemaligen Oberbefehlshaber der Allianz zu seinem Nationalen Si­cherheitsberater machte, ist ein klares Zeichen in diese Richtung. James Jones fordert, dass künftig die meisten Entscheidungen im Bündnis nicht mehr im Konsens, sondern per Mehr­heitsentscheid getroffen werden sollen. Gleichzeitig plädiert er dafür, aus der informellen Vereinbarung des Prager-Gipfels (2002), 2% des Bruttoin­landsproduktes für Rüstungsausgaben aufzuwenden, eine formale Verpflichtung zu machen und das Prinzip abzuschaffen, dass nur die Mit­gliedsländer die Kosten für NATO-Kriegseinsätze bezahlen müssen, die sich auch an ihnen beteiligen.31  In Europa jedenfalls scheint man die Botschaft verstanden und wohlwollend aufgegriffen zu haben. Nicht einmal eine Woche nach Obamas Wahl beschloss der Europäische Rat, dass die EU-Mission Eujust Lex ab Mitte 2009 erstmals auch innerhalb des Iraks Beamte ausbilden und damit den USA bei der Besatzung direkter unter die Arme greifen soll.32  Die gegenwärtige transatlantische Hochstimmung brachte der CSU-Ehrenvorsitzende Ed­mund Stoiber folgendermaßen auf den Punkt: „Die deutsche Politik wird sich aber auch mit seiner [Obamas] Forderung auseinandersetzen müssen, mehr gemeinsame Verantwortung für globale Probleme in der Welt zu übernehmen. Amerika setzt auf Deutschland und Eu­ropa. Die transatlan­tische Brücke wird stärker."33 

Jürgen Wagner

Anmerkungen: 1 Raimondo, Justin: Obama's Foreign Policy: The Case for Pessimism, antiwar.com, 24.11.08. 2 www.barackobama.com/issues/defense/ 3 Emanuel, Rahm/Reed, Bruce: The Plan: Big Ideas for America, Washington 2006. 4 www.barackobama.com/issues/defense/ 5 Dowd, Maureen: Team of Frenemies, New York Times, 15.11.2008. 6 Obama ist eher Westerwelle als Lafontaine, Tagesspiegel, 28.11.2008. 7 Jones, James (Chairman): The Report of the Independent Commission on the Security Forces of Iraq, 06.09.2007, S. 129f. 8 Zunes, Stephen: Biden, Iraq, and Obama's Betrayal, Foreign Policy In Focus, 24.08.2008. 9 Biden, Joseph/Geld, Leslie: Unity Through Au­tonomy in Iraq. New York Times, 01.05.2006. 10 Obama's Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008. 11 Escobar, Pepe: Obama's brave (new?) world, Asia Times Online, 17.06.2008. 12 Baehr, Richard/Lasky, Ed: Samantha Power and Obama's Foreign Policy Team, American Thinker, 19.2.08, URL: http://tinyurl.com/28sgkt 13 Rice, Susan E./Lake, Anthony/Payne, Donald: We Saved Europeans. Why Not Africans?, Washington Post, 02.10.2006. 14 „Dies ist der Moment". Obamas Rede im Wortlaut, süddeutsche.de, 24.07.2008. 15 Bandow, Doug: Presidential Hawks, Left and Right, antiwar.com, 29.06.2008. 16 Ebd. 17 Obama vows to stop Iran from having nuclear arms, reuters, 04.06.2008. 18 Meeting the challenge: U.S. policy toward iranian nuclear development, September 2008. 19 Vgl. Strategic Leadership: A Framework for a 21st Century National Security Strategy, Center for a New American Century, July 08, S. 5. 20 Barack Obama and Joe Biden on Defense Issues, URL: http://www.barackobama.com/pdf/issues/Fact_Sheet_Defense_FINAL.pdf 21 Vgl. Joseph Bidens Vorwort in Young, Ste­phen W.: Pushing the Limits, Washington D.C. 2000. 22 Barack Obama and Joe Biden on Defense Issues a.a.O. 23 Griffin, Webster: Obama - The Postmodern Coup: Making of a Manchurian Candidate by Web­ster Griffin, URL: http://tinyurl.com/5r4rgk  24 „Russlands Vorgehen ähnelt dem von Hitler", Die Welt, 11.08.2008. Ebenfalls in sein Team geholt hat Obama Brzezinskis Sohn Mark, der seinem Vater hinsichtlich dessen Russophobie in nichts nachsteht. 25 Should Moscow Root for Obama?, CDI Russia List, 21.03.2008. 26 Carpenter, Ted: Worse than Bush? National Inters Online, 11.07.2008. 27 Obama's Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008. 28 Beitrag zur Operationsführung, german-foreign-policy.com, 27.11.2008. 29 Korski, Daniel: Enhancing the EU's role in Afghanistan, ECFR, 05.11.2008. 30 Daalder, Ivo/Goldgeier, James: Global NATO, Foreign Affairs, September/October 2006. 31 An interview with General James L. Jones, NATO Defense College, Research Paper, Jan. 08. 32 Council Conclusions on the ESDP, 10./11.11.08. 33 „Starke und mutige Botschaft", Spiegel On­line, 24.07.08.

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 335, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Januar 2009, 38. Jahrgang, www.graswurzel.net