Obamas Offensive

Der neue US-Präsident hat seine Strategie für Afghanistan und Pakistan vorgestellt - und die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, meint Irmgard Wurdack.

in (06.05.2009)

Der neue US-Präsident hat seine Strategie für Afghanistan und Pakistan vorgestellt - und die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, meint Irmgard Wurdack.

Barack Obama versuchte gar nicht erst, die Situation zu beschönigen. »Wir sind nicht dabei, den Krieg in Afghanistan zu gewinnen«, erklärte der US-Präsident gleich zu Beginn der Konferenz, auf der er seine neue Strategie für die Region vorstellte. Die Einzelheiten dieser Strategie ergeben ein düsteres Bild. Zehntausende zusätzliche US-Soldaten sollen in den geschundenen Süden des Landes geschickt, die afghanische Armee von 65.000 auf 230.000 Soldaten aufgestockt und der Krieg nach Pakistan ausgedehnt werden.

Dieses Vorgehen ist nahezu eine Kopie dessen, was die USA bereits 2006/07 im Irak gemacht haben. Damals wurden 30.000 zusätzliche US-Soldaten rund um Bagdad in den Straßenkampf geschickt und, wichtiger noch, eine ganze Reihe von Sunniten-Führern durch Bestechung und das Versprechen auf Machtbeteiligung dazu gebracht, ihre Leute als Hilfstruppen zur Verfügung zu stellen. So halfen schließlich über 100.000 von der US-Armee bezahlte Milizionäre der US-Armee den Widerstand gegen die Besatzung zu unterdrücken.

Die dadurch erreichte relative Stabilität ist äußerst zerbrechlich. Anfang April läuft die Finanzierung der Milizen durch die US-Armee aus - die irakische Regierung soll nun die Zahlungen übernehmen. Diese weigert sich jedoch: Zum einen weil ihr durch den sinkenden Ölpreis das Geld fehlt, zum anderen weil sie in den Milizen eine potenzielle Bedrohung sieht. Erste Gefechte zwischen Regierungstruppen und den Milizen bei Entwaffnungsaktionen in den Vororten Bagdads sind Ausdruck dieser Spannungen.

Selbst wenn das Zweckbündnis zwischen US-Armee und sunnitischen Milizen im Irak halten sollte, ist höchst zweifelhaft, ob sich diese Strategie auf Afghanistan übertragen lässt. Die Sunniten-Führer im Irak haben die Seiten gewechselt, weil sie zuvor den Bürgerkrieg gegen jene schiitischen Gruppen verloren hatten, die in der von den USA unterstützten Regierung saßen. Todesschwadronen militanter schiitischer Gruppen töteten und vertrieben Tausende aus sunnitischen Vorstädten. In dieser Situation tauschten sunnitische Führer den Widerstand gegen Schutz, Waffen und Dollar.

In Afghanistan gibt es hingegen für die Taliban und die anderen Widerstandsgruppen keinen offensichtlichen Grund, sich der Besatzung oder der Regierung von Hamid Karzai zu beugen. Zwar fügen die weitaus besser ausgestatteten NATO-Kräfte den Taliban erhebliche Verluste zu. Dennoch ist deren strategische Position besser denn je - wie die verheerenden Angriffe auf die westlichen Truppen und alle Frontkommandeur-Berichte zeigen. Aufgrund der massiven Probleme erhöhen die Amerikaner den Druck auf die anderen NATO-Staaten: »USA schwören Verbündete auf blutige Afghanistan-Offensive ein«, titelte Spiegel online Ende März im Hinblick auf die Tagung des Bündnisses in Straßburg.

Auch die politischen Änderungen in Obamas Strategie stellen keine Verbesserung dar. Der US-Präsident plant, Afghanistan einen »Chief Executive« - zu deutsch: Generalbevollmächtigten - nach kolonialer Art aufzuzwingen. Diese Person soll dann »neben« Hamid Karzai regieren. Die Aufgabe dieses von den USA ernannten Generalbevollmächtigten wird darin bestehen, die Macht des afghanischen Präsidenten zu beschneiden.

Mohammed Hanif Atmar, derzeitiger Innenminister und ehemaliger Geheimdienstoffizier während der sowjetischen Besetzung Afghanistans, wird als die Person gehandelt, die diese Rolle spielen soll. Karzai, der von George W. Bushs Regierung nach dem Einmarsch der USA im Jahr 2001 eingesetzt worden war, hat auf diese Enthüllungen schon scharf reagiert. Er erklärte, dass "Afghanistan niemals ein Marionettenstaat sein wird".

Die USA haben die Geduld mit ihrem ehemaligen Verbündeten verloren. Sie beschuldigen Karzai, Korruption und Drogenproduktion zu dulden - was zwar beides stimmt, aber nicht neu ist. Viele Afghanen betrachten Obamas Schritt hingegen als Versuch, Karzais Pläne für eine Versöhnung mit dem Widerstand, einschließlich teilweise der Taliban, zu durchkreuzen.

Nach den amerikanischen Plänen sollen alle Ressourcen direkt zu den Provinzen gelenkt werden und nicht über die Zentralregierung. Auf diese Weise wird das Land faktisch geteilt, indem die Macht der regionalen Kriegsherren und der Führer ethnischer Gruppen gestärkt wird. Zugleich sind die Vergabekriterien für die zur Verfügung gestellten Mittel so strikt, dass das Geld in den meisten Fällen zurück an westliche Konzerne fließen wird. Eine ähnliche Maßnahme, noch von der Bush-Regierung eingeführt, führte vor allem zu Korruption unter diesen Firmen. Viele Projekte wurden nie umgesetzt oder in so schlechter Qualität realisiert, dass sie keinen Nutzen für die afghanische Bevölkerung hatten. Die Unternehmen konnten dabei Milliarden Dollar einstreichen.

Beunruhigend ist auch die nun offiziell erklärte Ausweitung des Krieges auf Pakistan. Obama nennt seine Strategie "AfPak" - als Zeichen dafür, dass er Afghanistan und Pakistan als ein Kriegsgebiet ansieht. Seit August haben die USA 38 Raketenangriffe auf pakistanisches Territorium verübt. Zudem habe sie zum ersten Mal islamistische Milizen attackiert, die nichts mit den Kämpfen in Afghanistan zu tun haben.

Inzwischen lautet ein Standardargument der US-Regierung, dass die Vernichtung der "Rückzugsgebiete" der Taliban in Pakistan eine entscheidende Voraussetzung für den Sieg über die Aufständischen in Afghanistan sei. Und dafür sei nötig, dass die pakistanische Regierung »mehr tut«.

Doch genau dieses "mehr tun" ist eine zentrale Quelle der Instabilität in Pakistan. Unter dem Druck Washingtons führt das pakistanische Militär seit Jahren offensive Operationen in den traditionell autonomen »zentral verwalteten Stammesgebieten« (FATA) im Norden des Landes durch, beschießt Dörfer, lässt angebliche Gegner der amerikanischen Besatzung Afghanistans »verschwinden« und verhängt im Stile einer Kolonialmacht Kollektivstrafen gegen »nicht kooperationswillige« Stämme. In den letzten sechs Monaten wurden diese militärischen Operationen noch verschärft.

Anfang des Monats gab das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bekannt, dass die Kämpfe im Norden Pakistans 450.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht hätten. Die Behörde äußerte die Befürchtung, innerhalb weniger Wochen könnte die Zahl auf 600.000 steigen. Selbst Richard Holbrooke, Obamas Sonderbeauftragte für Pakistan und Afghanistan, sagte im staatlichen Fernsehsender PBS, er habe auf seinen Flügen über die FATA »platt gemachte Dörfer« gesehen.

Doch Washington übt starken Druck auf seine pakistanischen Verbündeten aus, noch rücksichtsloser vorzugehen, selbst wenn das den Zorn der Bevölkerung gegen die Regierung weiter anzuheizen und das Militär zu spalten droht. Dieses rekrutiert einen erheblichen Teil seines Personals aus dem paschtunischen Bevölkerungsteil. Die Paschtunen haben in Afghanistan am meisten unter der amerikanischen Besetzung gelitten. Auch in Pakistan sind sie die Hauptleidtragenden der Angriffe auf die FATA.

Angesichts der schon jetzt bestehenden Gegensätze in der pakistanischen Gesellschaft ist davon auszugehen, dass Obamas Strategie keineswegs zu Frieden in der Region führen wird. Vielmehr wird die Instabilität zunehmen.

Zur Autorin:
Irmgard Wurdack ist Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN.Berlin-Neukölln.

Jetzt das neue Heft bestellen!

marx21 Heft 10 hat den Schwerpunkt "Kampf um jeden Arbeitsplatz. Gegenwehr, Mitarbeiterbeteiligung, Verstaatlichung - Strategien gegen die Jobkrise." In dieser Ausgabe unter anderem:

  • Interview mit dem ehemaligen Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg zur Frage: "Ist Opel noch zu retten?"
  • Elmar Altvater mit Teil 7 seiner Serie "Marx neu entdecken"
  • Neue Serie: 20 Jahre Mauerfall 1989. In diesem Heft mit Statements von Julia Bonk, Gabriele Engelhardt, Barbara Fuchs, Nicole Gohlke, Gregor Gysi, Victor Neuss, Alexis J. Passadakis,  Sybille Stamm, Klaus Steinitz, Hans-Jochen Tschiche und Klaus Wolfram
  • Edeltraut Felfe meint, das Modell des schwedischen "Sozialstaates" taugt nicht als Vorbild
  • Klaus-Dieter Heiser über 60 Jahre Grundgesetz
  • Der Archäologe Neil Faulkner über die Varusschlacht