Kreuzreaktionär

Fundamentalistische katholische Gruppen im Kampf gegen die Moderne

in (01.10.2009)

Der Papst und der katholische Klerus sind ihnen zu „liberal“; die römische Kirche macht ihrer Meinung nach zu große Zugeständnisse an „den Zeitgeist.“ Weil diese Einschätzungen im krassen Gegensatz selbst zu den Wahrnehmungen der meisten praktizierenden KatholikInnen stehen, agieren rechte katholische Splittergruppen meist im Verborgenen und pflegen ihre erzkonservativen Milieus.

Gegen die liberale Demokratie

Die Rücknahme der Exkommunikation des Holocaustleugners Richard Williamson und seiner Kollegen von der Piusbruderschaft löste viel medialen Wirbel aus. Dieser „Ausreißer“ lenkte aber auch von der religiös-politischen Ideologie ab, welche die Piusbrüder geschlossen vertreten. Ihre Publikationen propagieren einen erzreaktionären politischen Gesellschaftsentwurf – gegen Freiheit, Demokratie und gegen die Republik.
Jede Annäherung der römischen Kirche an den liberalen, demokratischen Verfassungsstaat lehnen die Piusbrüder ab. Sie polemisieren speziell gegen die kirchliche Anerkennung der Glaubensfreiheit und sehnen sich nach einer Zeit zurück, in der die Päpste an der Seite des katholischen Hochadels „die liberalen Prinzipien“ – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – verdammten.

Wie andere rechtskatholische Splittergruppen hat auch die Piusbruderschaft einen starken Hang zu Verschwörungstheorien, die für antisemitische Spektren ideologisch anschlussfähig sind. Dass die römische Kirche sich mit der Republik – der Idee einer demokratischen Herrschaft des Volkes – versöhnte, gilt ihnen als Ergebnis eines zerstörerischen „freimaurerischen“, „liberalen“ oder sogar „kommunistischen“ Einflusses auf führende katholische Geistliche. Die Vorstellung einer solchen Weltverschwörung bildet den Hintergrund vieler Schriften des Gründers der Piusbruderschaft, Marcel Lefebvre.

Im Zweifel für den Faschismus

Die Organisation will den Katholizismus als Staatsreligion. In einer unterkomplexen historischen Rückblende auf den vermeintlichen Kampf zwischen Kommunismus und Faschismus in den 1930er Jahren beziehen sie klar Position – für den Faschismus. Auf den Internetseiten der Piusbrüder schreibt ihr Gründer Marcel Lefebvre über den spanischen faschistischen Diktator Franco: „Gott sei Dank erhob sich ein von der Vorsehung gesandter Mann, der verhinderte, dass Spanien dem Kommunismus verfiel.“
Das Ziel eines autoritären katholischen Staates, in dem andere Weltanschauungen möglicherweise geduldet, keineswegs aber staatlich anerkannt sein dürfen, durchzieht die politisch - religiösen Lehrschreiben Lefebvres.

Für die Autorität

Die Piusbruderschaft propagiert eine autoritäre Durchformung des Staates und der gesamten Gesellschaft. Ihre Vorstellung von „Autorität“ bedeutet, dass die „Oberen“ gegenüber ihren Untergebenen in die Rolle eines irdischen „Stellvertreters Gottes“ eingesetzt sind: Eltern und LehrerInnen gegenüber den Kindern; die staatliche Obrigkeit gegenüber den Untertanen und kirchliche Autoritäten gegenüber ihren Untergebenen in der Kirchenhierarchie wie auch gegenüber der gesamten Bevölkerung.
Welche Blüten ein autoritär-katholisches Erziehungskonzept treiben kann, tritt bei einem zentralen Projekt der deutschen Piusbruderschaft offen zutage: dem „eucharistischen Kinderkreuzzug.“ Dieser fordert – mit der Zeitschrift „Der Kreuzfahrer“ – einen ideellen „Kampf der Kinder“, um „das Übel in der Welt zu beenden.“ Das Motto: „Bete, kommuniziere, opfere dich auf, sei Apostel!".

Angesichts solcher Erziehungsziele ist es ein politischer Skandal, dass die Bruderschaft vier staatlich anerkannte Schulen betreibt und dafür jährlich 1,1 Mio. Euro an staatlichen Zuschüssen kassiert.

 

erschienen in Tendenz 1/2009