Zu viel Demokratie

Seziertisch Nr. 147

In der neu gewählten gelbschwarzen Berliner Koalition gibt es Ärger, der sich nicht im Streit zwischen zwei (oder, wenn man CDU und CSU getrennt betrachtet: drei) Parteien erschöpft. Beteiligt sind auch die liberalkonservative Presse und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.

Thema der Auseinandersetzung ist die Einlösung der Wahlkampfversprechen. Es waren zwei: Steuersenkungen und Konsolidierung der Staatsfinanzen. Sie scheinen jetzt in Gegensatz zueinander zu geraten.

Die Konjunkturpakete und staatlichen Rettungsaktionen für Banken und Autofabriken waren schuldenfinanziert. Das widersprach dem Credo nicht nur der großen, sondern auch der vorangegangenen rotgrünen Koalition sowie EU-Vorgaben. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll die Rückkehr auf diesen kurzfristig verlassenen Pfad erzwingen.

Wenn der Staat möglichst keine Kredite mehr aufnehmen darf und überdies das 2008 aufgenommene Geld zurückzahlen soll, müsste er die Steuern erhöhen. Das wäre der Bruch eines Wahlversprechens.

Hieran erinnert die FDP. Sie hat im Wahlkampf nicht nur eine Erhöhung der Steuern ausgeschlossen, sondern sogar ihre Senkung in Aussicht gestellt. Dies bedeutet weitere Neuverschuldung. Doch deren Eindämmung war erstens ein weiteres Versprechen und ist zweitens mit der neuesten Grundgesetzänderung sogar verfassungsrechtlich abgesicherte Staatsdoktrin.

Die Koalitionsvereinbarung verspricht zwar Steuerentlastung, allerdings in einem so geringen Umfang, dass nicht nur die FDP, sondern mehr noch deren Klientel unzufrieden ist. Der CDU-Finanzminister, die F.A.Z. und der Sachverständigenrat bremsen. Sie sind zwar ebenfalls Anhänger des Doppelpacks Steuersenkung + Konsolidierung, wenden aber ein, dass man das nicht gleichzeitig haben könne. Mindestens zwei oder drei Jahre solle saniert werden, danach sei an mehr Entlastungen als bisher zu denken. Dieser Auffassung hat sich schließlich auch die Kanzlerin angeschlossen.

Dies klingt realistischer als die im Wahlkampf zumindest angedeutete Hauruck-Methode, ist aber offenbar nicht durchgerechnet. Wieso soll in zwei oder drei Jahren das Konsolidierungsziel in einem solchen Ausmaß erreicht sein, dass der Staat dann auf bisherige Einnahmen verzichten kann? Die Kanzlerin sagt, sie hoffe auf hohes Wachstum. Optimistische - aber in keiner Weise abgesicherte - Schätzungen gehen für 2010 von zwei Prozent aus. Sie dürften nicht hinreichen, die Staatsschulden schnell abzubauen, zumal dieselben Kalkulationen, die einen Aufschwung annehmen, dennoch von einer Steigerung der Arbeitslosigkeit ausgehen. Die Folgen der vorerst abklingenden Krise an den Kapital- und Gütermärkten beginnen sich erst jetzt auf die Beschäftigung auszuwirken. Dann dürften höhere Ausgaben für Arbeitslosengeld II anfallen, und die werden aus dem Etat finanziert.

Für 2010 ist eine Erhöhung der BAFÖG-Sätze angekündigt. Da diese Zuwendungen Darlehen sind, kann man sich herausmogeln: es seien keine echten Ausgaben, sondern Außenstände. Die von der FDP gewünschten Stipendien für zehn Prozent besonders förderungswürdiger Studentinnen und Studenten können nicht mit einem solchen Trick weggebucht werden. Gleiches gilt für die angekündigte Erhöhung des Kindergelds.

Es zeigt sich: Offenbar kann die Ausgabenseite gar nicht stabil gehalten werden.

So könnte der neuen schwarzgelben Regierung dasselbe Schicksal bevorstehen wie schon ihrer langlebigen Vorgängerin der Jahre 1982 - 1998: eine finanz- und sozialpolitische Wende wird angekündigt, dann aber nicht ausgeführt. Erst Rotgrün war hier mutiger und gerade deshalb wahlpolitisch 2005 erfolglos. Die (vorläufige) Niederlage Roland Kochs 2008 in Hessen hatte den gleichen Grund: Er hatte den Öffentlichen Dienst kaputt gespart und erhielt die Quittung.

Dem finanzpolitischen Dilemma sämtlicher Bundesregierungen, die marktradikalem Druck nachgeben wollten, dies aber nicht genügend konnten, liegt vielleicht ein demokratiepolitisches Problem zugrunde: das Verhältniswahlrecht und der Föderalismus. In Großbritannien seit Thatcher und in den USA seit Reagan hatte man solche Schwierigkeiten nicht.

 

 

Die (mit dem hier abgedruckten: 147.) Seziertische von Georg Fülberth sind alle unter www.lunapark21.net abrufbar.