Enttäuschung auf ganzer Linie

„Analysen und Handlungsvorschläge zum Rechtsextremismus in Dortmund”

in (24.03.2010)

Die Netzwerke gegen Rechtsextremismus „sind in Dortmund ganz gut aufgebaut”, erklärte Heitmeyer bei der Vorstellung im Dezember 2009. Hartmut Anders-Hoepgen, Sonderbeauftragter für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, entnimmt der Studie sogar, dass Dortmund eine Hochburg des Widerstands gegen die Neonazi-Szene sei. „An der Veränderung des sozialen Klimas kann jeder mitwirken”, stellte er fest. „Wir müssen die Bevölkerung mitnehmen.

Wie wenig diese daran interessiert ist, zeigte sich Anfang Februar 2010. In einem Bürgerforum sollten nicht nur die Ergebnisse der Studie vorgestellt, sondern auch die Entwicklung eines Aktionsplans gegen rechts vorangetrieben werden. Eingefunden hatten sich jedoch, so die Westfälische Rundschau sarkastisch, „nur die üblichen Zwangsverpflichteten [...]. Mitglieder aus Parteien, Gewerkschaften, Jugendorganisationen und linken Bündnissen, die quasi von Berufswegen in Dortmunds Zentrum der Demokratie sitzen”. Wenn man diese sowie die Gruppe von gut 30 Neonazis, die die Chance nutzten, sich als brave Jugendliche zu profilieren, von den 140 Teilnehmern abziehe, bleibe nur ein winziger Rest der Zivilgesellschaft, die hier hätte Position beziehen können.

Obwohl die Wortergreifungsstrategie als taktisches Element extrem rechter Politik seit Jahren bekannt ist, ist trotz zahlreicher ähnlicher Vorkommnisse in der Vergangenheit bei den Verantwortlichen wenig davon angekommen. Die Nazis zeigten sich begeistert von der „ Gastfreundlichkeit der Veranstalter”, durch die es möglich gewesen sei, „eine gemeinsame Diskussion – auch aus unterschiedlichen Standpunkten – zu führen”. So lange so etwas Alltag ist in Dortmund, bleiben alle Studien wirkungslos.


Rechte Strukturen
Laut Heitmeyer ist das wichtigste Ergebnis, dass die Neonazis dort am besten agieren können, wo fremdenfeindliche Einstellungen stark verbreitet sind, die Arbeitslosigkeit hoch ist und man sich von der Politik verlassen fühlt. Von der Politik verlassen fühlt sich auch eine Familie aus dem Stadtteil Dorstfeld, die aufgrund anhaltenden Naziterrors nur noch wegziehen konnte. Von einer Opferperspektive, von den Auswirkungen der Nazigewalt, von einem Klima der Angst, davon ist auf knapp 200 Seiten aber nicht die Rede.
Dass es in der Stadt eine starke Neonaziszene gibt, die „in Bewegung” (S. 43) ist, ist bekannt. Insgesamt beschränkt sich die Studie hier auf bereits hinlänglich publizierte Fakten. „Beeindruckend”, sei die Fülle grauer Literatur zur Dortmunder Nazi-Szene, insbesondere die von Initiativen wie dem Dortmunder Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus. Dass diese lediglich Informationen von LOTTA oder anderen antifaschistischen Gruppen wiederkäuen, scheinen die WissenschaftlerInnen offenbar nicht bemerkt zu haben. So wird der Auftraggeber hofiert, während diejenigen, die eine profunde Analyse unter Benennung lokaler Strukturen und neonazistischer Akteure betreiben, außen vor bleiben.


Einstellung der Bevölkerung
Zusätzlich untersuchte man in einer repräsentativen Umfrage die Einstellung der Bevölkerung in den Stadtbezirken Innenstadt-West und Eving. Auf den ersten Blick macht dies Sinn, liegen doch hier die Schwerpunkte extrem rechter Aktivitäten. Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung ist sich des Problems bewusst, so ein Ergebnis (S. 84).

Unverständlich hingegen das Vorgehen: So vollbringt man das Kunststück, zwar vier Seiten zur Wohnsituation, Bevölkerung, ökonomischer und politischer Struktur sowie zu Begegnungs- und Integrationsmöglichkeiten zu verfassen, ohne einzubeziehen, dass sich im Fall Innenstadt-West der gesamte Stadtbezirk kaum als homogener Erhebungsraum bezeichnen lässt. In Eving, so die Studie, sind mit 40,9 % mehr als doppelt so viele der Ansicht, es lebten zu viele Ausländer in Dortmund, als in der Innenstadt-West mit 18,1 %. Die Zustimmungswerte zur Aussage „Die NPD ist eine Partei wie jede andere auch” liegen in Eving mit 21,3 % um 6,8 Punkte über dem Bundesdurchschnitt; 5,1 % der Evinger sind sogar der Ansicht, dass „die NPD Lösungen vor Ort anbietet” (S. 84). „Im Hinblick auf die Syndromelemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zeigt sich, dass diese über nahezu alle Syndromelemente hinweg in Eving deutlich stärker ausgeprägt ist, als in der Innenstadt-West”, so das Fazit (S. 88). Kaum verwunderlich: Zwar beinhaltet der Bezirk Innenstadt-West auch den von vielen Neonazis bevölkerten Unterbezirk Dorstfeld inklusive dem sozial schwachen Quartier Rheinische Straße, aber auch das stark alternativ-studentisch geprägte Kreuzviertel zählt dazu. Viele BewohnerInnen stellten sich in der Vergangenheit einem Aufmarsch der Rechten in den Weg, und selbst von den Nazis wird das Quartier als linke Hochburg benannt. Klar, dass die ermittelten Werte für die soziale Desintegration in Eving mehrfach höher ausfallen und sich in der Innenstadt-West mit 75,7 % auch mehr Personen bereit erklären, sich gegen rechts zu engagieren.


Engagement gegen Rechts
Erwartet hatte die Öffentlichkeit eine Analyse des städtischen und zivilgesellschaftlichen Engagements gegen die extreme Rechte. Was ist erfolgreich, was weniger? Wo gibt es Potenziale? Stattdessen erarbeiteten die Bielefelder WissenschaftlerInnen gemeinsam mit Parteien und Verbänden, Verwaltung und Polizei ein Idealnetzwerk, fragten anschließend im Rahmen einer Netzwerkanalyse die realen Beziehungen ab und fassten die Verbesserungsmöglichkeiten dieser Kommunikation zusammen.

„Die Integration unterschiedlicher demokratischer Kräfte ist aber nur möglich, wenn der gemeinsame Rahmen breit genug ist und die Mitarbeit nicht an zu viele Voraussetzungen geknüpft wird. Die Koordinatoren des Dortmunder Aktionsplans verfolgen genau diese Strategie und konnten damit entscheidend zu einer erfolgreichen Vernetzung beitragen”, so das positive Fazit der Studie. Nicht breit genug offenbar, um mit lokalen Antifa-Strukturen diejenigen einzubeziehen, die seit Jahren am aktivsten sind. Trotzdem kommt man zu dem Ergebnis, es gebe in Dortmund eine „beeindruckende Fülle von Aktivitäten unterschiedlicher Akteure” und ein „starkes Problembewusstsein” (S. 43) Man reagiere häufig auf extrem rechte Provokationen. Offenbar bezieht man sich damit auf Aktivitäten wie das sündhaft teure Kulturfest am letzten „Antikriegstag”. Dass jahrelang außer der Antifa niemand Gegendemonstrationen auf die Beine stellte, findet keine Erwähnung. Interessant wäre es gewesen, nicht nur die Interaktionen der einzelnen Akteure zu messen, sondern auch das tatsächliche Engagement gegen Rechts zu erfassen.


Enttäuschung
Im Januar zeigte sich wieder einmal, dass das dokumentierte Netzwerk wenig brauchbare Ergebnisse liefert: Die Neonazis veranstalteten mitten in der Stadt unbehelligt ein Konzert, während die Polizei erklärte, man habe das Ganze lediglich beobachtet. Mit dem angeblich uneingeweihten Vermieter hatten weder Polizei noch Stadt Kontakt aufgenommen, um ihn zur Kündigung der Räume zu bewegen.

Insgesamt ist die Studie eine Enttäuschung auf ganzer Linie. Sie liefert nichts Neues zur extremen Rechten. Zu hoffen bleibt, dass im bislang nicht veröffentlichten, letzten Teil, der „Vorschläge zur Konstruktion eines lokalen Aktionsplanes, zur Überprüfung von Handlungsweisen und zum weiteren Vorgehen” enthalten soll, konkrete Hinweise gegeben werden, die über das gegenwärtige „Engagement” hinausgehen. Zumindest einen Kritikpunkt hat man in Dortmund offenbar schon beherzigt: Nur sehr wenige Gegenaktivitäten nähmen „direkten Bezug zu rechtsextrem orientierten Personen”. Nazis und ihre Gegner agierten „somit zumeist parallel und mit wenig Berührung”. (S.46). Das hat sich mit der Beteiligung der Dortmunder Neonazis an der Präsentation der Studie geändert. Die Nazis tönen „Die Veranstaltung war ein Schritt in die richtige Richtung”, es ist wohl zu bezweifeln, dass die WissenschaftlerInnen dem zustimmen würden.

Dortmund ist die Stadt mit der aktivsten Neonaziszene in NRW. Gegenwärtig zählt die Westfalenmetropole bundesweit zu den Schwerpunkten der „Autonomen Nationalisten” (AN). Um dem etwas entgegenzusetzen, stellte die Stadt 2008 und 2009 jährlich 100.000 Euro bereit. Rund 50.000 Euro gingen an das Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung, das unter der Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer eine etwa 170 Seiten umfassende Studie erstellte. Allerdings mit zweifelhaftem Ergebnis.