Fehl-START zum fernen Ziel?

Vor wenigen Tagen einigten sich die Präsidenten Obama (Vereinigte Staaten von Amerika) und Medwedew (Russische Föderation) nach telefonischer Klärung letzter Differenzen auf ein Nachfolgeabkommen des abgelaufenen START-Vertrages, das in Washington als >Neuer START-Vertrag< bezeichnet wird. Der Vertragstext wurde noch nicht veröffentlich - vermutlich sind die nach Auskunft eines US-Offiziellen jeweils mehr als 70 Verhandlungsbeteiligten noch dabei, letzte Formulierungen festzuklopfen. Die Eckdaten >http://www.whitehouse.gov/the-press-office/key-facts-about-new-start-treaty< wurden vom Weißen Haus aber bekannt gegeben:

§        Jede Seite darf 1.550 nukleare Sprengköpfe einsatzbereit stationieren; das sind 30% weniger als von den Präsidenten Bush und Putin 2002 im so genannten SORT-Abkommen (Moskauer Vertrag) vereinbart.

§        Jede Seite darf insgesamt 800 atomwaffenfähige Langstreckenraketen, U-Boot-gestützte Raketen und Langstreckenbomber für den Einsatz von Atomwaffen vorhalten; allerdings dürfen maximal 700 Trägersysteme tatsächlich mit Atomwaffen bestückt sein. Diese Zahl liegt etwa 50% unter der des START-I-Vertrages, der vergangenen Dezember auslief.

§        Die neuen Obergrenzen müssen sieben Jahre nach Inkrafttreten erreicht sein. Die Laufzeit des Vertrages beträgt zehn Jahre, sofern nicht vorher ein schärferer Vertrag abgeschlossen und ratifiziert wird; eine Verlängerung der Vertragsdauer um maximal fünf Jahre ist möglich.

§        >Wie in Abrüstungsverträgen üblich< wurde eine bislang nicht näher spezifizierte Kündigungsfrist vereinbart.

§        Der Vertrag besteht aus drei Teilen: dem eigentlichen Vertragstext, einem Vertragsprotokoll mit der Festschreibung weitergehender Rechte und Pflichten und den technischen Anhängen. Letztere sind nach Auskunft des Weißen Hauses bislang noch nicht abschließend verhandelt. Alle drei Vertragsebenen, die Bestimmungen zur Verifikation sowie zur Transparenz beinhalten, werden der Legislative zur Ratifizierung vorgelegt und nach der Ratifizierung rechtsverbindlich.

Obama und Putin treffen sich am 8. April zu einem medial und geschichtlich bereits jetzt hoch aufgeladenen Unterzeichnungsakt in Prag, wo der US-Präsident fast exakt ein Jahr zuvor seine Absicht bekannt gegeben hatte, energisch zu einer atomwaffenfreien Welt beizutragen. Der neue START-Vertrag wird in der Öffentlichkeit als kräftiger Schritt in diese Richtung verkauft.

Der Teufel steckt aber oft im Detail, und das ist hier nicht anders.

§         In diesem Vertrag zählt ein nuklearer Sprengkopf nur dann als ein nuklearer Sprengkopf, wenn er auf einer Langstreckenrakete oder einem U-Boot stationiert ist. Ein nuklear bestückter Bomber hingegen zählt pauschal ebenfalls als ein einziger Sprengkopf, egal wie viele Bomben er wirklich an Bord hat. Die Federation of American Scientists zeigt auf ihrer Website>http://www.fas.org/blog/ssp/2010/03/newstart.php#more-2826<, was das heißt: Russische und US-Bomber können bis zu 20 Atombomben an Bord haben.

Daraus ergeben sich erheblich andere Zahlen als offiziell verkündet. Otfried Nassauer vom Berlin Information-Center for Transatlantic Security (BITS) beschreibt das in einer ersten Analyse >http://bits.de/public/articles/tagesspiegel/20100328-lang.htm< so:

[Experten] gehen davon aus, dass die USA über rund 800 aktive Trägersysteme verfügen und Russland über 566. Auf diesen sind in den USA rund 2.200 aktive Sprengköpfe stationiert und in Russland etwa 2.500. Umfassend abgerüstet werden muss deshalb auf keiner Seite, Moskau dürfte sogar zusätzliche Trägersysteme anschaffen. Lediglich bei den Sprengköpfen käme es zu Reduzierungen", wobei auch hier auf Grund der Gleichung >1 Bomber = 1 Atombombe< laut Nassauer bis zu 1.800 zulässig wären, sofern der Vertragstext keine andere Regelung vorsieht.

§         Besonderen Wert legt das Weiße Haus auf die Feststellung, dass die USA ihre Pläne zum Ausbau ihrer globalen Raketenabwehr - die von vielen Experten sowie von Russland als destabilisierend angesehen wird - sowie zur konventionellen Bestückung von Langstreckenraketen (Global Strike) in keinster Weise einschränken müssen.

Ich selbst glaube weiterhin an die guten Absichten von Präsident Obama. Seiner Macht sind aber, anders als in großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen, enge Grenzen gesetzt. Wesentliche Vorgaben werden u.a. im Verteidigungshaushaltsgesetz vom Kongress, also dem Repräsentantenhaus und dem Senat der USA, gemacht (zu den entsprechenden Mechanismen siehe W&F Dossier 1/2010 >http://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?dossierID=067#b<). Der Wind weht noch härter, seitdem die Demokraten bei einer Nachwahl zum Senat kürzlich einen Sitz verloren haben, so dass die Republikaner jetzt jede unliebsame Gesetzesinitiative blockieren können. Entsprechend kompromissbereit gibt sich der neue Entwurf des Präsidenten für den Verteidigungshaushalt 2010: Der sieht für Atomwaffen eine 13.4%-ige Steigerung der Ausgaben auf dann 11,2 Mrd. US-Dollar vor.

Das riecht nicht nach Abrüstung sondern ermöglicht die Modernisierung eines etwas kleineren Arsenals, frei nach dem Motto >fewer but newer<.

Die bislang bekannt gewordenen Details von >START neu< hinterlassen einen fahlen Geschmack. Woran werden die nächsten Generationen die Präsidenten Obama und Medwedew wohl messen - an ihren Worten oder ihren Taten? Reicht die medienwirksame >START-neu<-Blase, um bei der anstehenden Überprüfung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages im Mai in New York ein gutes Verhandlungsklima zu schaffen? Wird der wenig mutige Abrüstungsschritt nicht durch den Ausbau von Raketenabwehr und der damit verbundenen Fähigkeit zur Weltraumkriegsführung konterkariert.

In allernächster Zeit werde nach mehrfacher Verschiebung das Ergebnis der Überprüfung von Nuklearwaffenarsenal und -doktrin (Nuclear Posture Review) bekannt, verlautet aus dem Pentagon. Vielleicht als Paukenschlag noch kurz vor dem Unterschriftstermin des neuen START-Vertrags in Prag. Dann wissen wir wieder etwas mehr. Ob das auch mehr Anlass zur Hoffnung gibt, das werden wir dann sehen.

 

Regina Hagen ist Abrüstungsberaterin des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP) und aktiv im Kampagnenrat >Unsere zukunft - atomwaffenfrei< sowie der W&F-Redaktion