»Der« Islam?

Vielfalt und Friedensvorstellungen

In Deutschland leben über vier Millionen Muslime, und dies oft schon in der dritten Generation. Die meisten stammen aus der Türkei. Mittlerweile sind 45 Prozent der Muslime in Deutschland eingebürgert. Rund ein Drittel lebt in Nordrhein-Westfalen, und manchmal stellt dort die muslimische Schülerschaft die Mehrheit in den Klassen. Auch wenn nicht alle Muslime als streng gläubig anzusehen sind, sind sie jedoch religiöser als die meisten ihrer nicht-muslimischen Mitbürger. Was sind die Grundgedanken des Islam - der nach dem Christentum zweitgrößten Weltreligion -, zu dem sich mehr als eine Milliarde Menschen bekennt? Welche Bedeutung kommen dem Koran, der »Sunna« und Muhammad als Religionsstifter zu? Längst meinen die meisten zu wissen, was »den« Islam ausmacht: Gewaltbereitschaft, Antimodernismus, fehlende Integrationsbereitschaft und damit einhergehende muslimische Parallelgesellschaften in Europa. Die Wirklichkeit ist deutlich differenzierter.

Letztendlich zielen die religiös begründeten ethnischen Prinzipien und Pflichten im Islam auf ein konfliktarmes Zusammenleben. Darin ähneln sich wohl alle Religionen. Dies schließt den religiösen Einfluss auf Gesellschaft und Politik mit ein und setzt die moralische Vervollkommnung des Menschen auf ein religiöses Ziel hin voraus.

Das arabische Substantiv »Islam« leitet sich vom 4. Wortstamm der arabischen Konsonantenwurzeln »s-l-m« ab. Das Verb des 4. Stammes »Aslama« bedeutet: »sich (Gott) hingeben, den Islam annehmen«. Muslim ist also derjenige, der »sich Gott hingibt«. Auf die gleiche Wortfamilie bezieht sich auch die Begrüßungsformel »As-Salam alaikum« (Friede sei mit Euch). Einige Muslime in Deutschland übersetzen das Wort Islam oft mit „Frieden finden durch die Hingabe an Gott" (Kaweh 2006, S.110 f.). Eine den Ge- und Verboten entsprechende islamische Lebensweise führt zu innerem und äußerem Frieden. Ein Frieden, der seinen Niederschlag finden soll in Toleranz, Tugendhaftigkeit und tiefer Gottverbundenheit. Gottesfürchtige Muslime sind sich der Allgegenwärtigkeit Gottes bewusst und glauben, dass Gott hinter jeder Tat auch die dahinter stehende Absicht sieht.

Mitleid und Selbstkontrolle

Zu den moralischen Grundwerten zählen Aufrichtigkeit und Mitleid. Von äußerster Wichtigkeit ist das Gemeinwohl. Gegen Unterdrückung, Armut und Verleumdung müssen sich gläubige Muslime zur Wehr setzen. Eine gute Muslimin und ein guter Muslim üben sich in Selbstkontrolle, beachten die Speisegebote und verzichten auf jegliche Rauschmittel. Sie begehen keinen Ehebruch, vermeiden jegliches außereheliches sexuell aufreizendes, aber genauso auch prahlerisch-narzistisches Verhalten.

Für Gott gibt es keine Rangunterschiede zwischen den Menschen. Wenn doch, bestehen diese nur in der Intensität der Frömmigkeit. Wer die Ge- und Verbote beachtet, dem erweist sich Gott als der, der er nach muslimischer Auffassung ist: Ein barmherziger, verzeihender Gott, der »beste Erbarmer«, »Helfer und Beschützer«.

Der Islam versteht sich als eine natürliche Religion. Der Mensch als Statthalter (nicht Ebenbild) Gottes besitzt eine ihm von Gott von Natur aus gegebene monotheistische Veranlagung (Fitra). Er ist daher von Geburt an Muslim (der, der sich Gott hingibt). Adam ist demnach gleichzeitig erster Mensch und Muslim. Einen Aufnahmeritus wie beispielsweise die christliche Taufe, die Kommunion oder Konfirmation oder eine formale Mitgliedschaft gibt es entsprechend für den Muslim nicht. Auch sind muslimische Imame und Religionsgelehrte in der Regel verheiratet.

Beziehung zu Juden- und Christentum

Der Glauben an das Jenseits (Hölle und Paradies) und den Jüngsten Tag, an die Engel Gottes, an die Bücher (Thora, Evangelium, Koran) und die Gesandten Gottes zählt zur Glaubenspflicht. Dem einzigen Gott (Tauhid = Bekenntnis zu dem einen Gott) darf nichts gleichgestellt werden. Dies gilt als »Schirk« (Beigesellung), die einzige Sünde, die Gott niemals verzeiht. Deshalb lehnen Muslime die christliche Trinität ab.

Islam verbunden mit Propheten Muhammad

Der Islam beruht auf einer göttlichen Offenbarung, die historisch eng verbunden ist mit der Person des Propheten Muhammad. Muhammad kam um cirka 570 (n. Chr.) in Mekka auf der Arabischen Halbinsel zur Welt und entstammte dem Stamm der Qureisch. Mekka diente als Handelszentrum und Pilgerstätte zur Kaaba, wo verschiedene Gottheiten und auch der Hochgott Allah angebetet wurden. Um 610 erhielt Muhammad (circa vierzigjährig) zum ersten Mal eine göttliche Offenbarung durch den Engel Gabriel. Diese Gottesworte in arabischer Sprache wurden Muhammad über einen Zeitraum von 22 Jahren offenbart. In Mekka konnte er jedoch nicht viele Anhänger für seine Botschaft gewinnen. Seine Aufrufe zu Ehrlichkeit im Handel, Gerechtigkeit und Milde gegenüber sozial Schwachen, seine Warnung zur Umkehr zu dem einen Gott angesichts eines bevorstehenden Endgerichtes fanden kaum Widerhall.

Beginn der islamischen Zeitrechnung

Muhammad prüfte ein Auswanderungsangebot, das ihm von Abgesandten verschiedener Stämme der Stadt Jathrib, dem späteren Medina (an-Nabiy), übersetzt »Stadt (des Propheten)«, gemacht wurde. Er stimmte diesem 622 zu und emigrierte (Hidschra) im gleichen Jahr mit seinen Anhängern nach Yathrib. Die islamische Zeitrechnung beginnt mit diesem Datum neu: 622 n. Chr. ist damit das Jahr 0.

In Medina konnte Muhammad nicht nur als Bußprediger auftreten. Hier war sein Können als politisches wie religiöses Gemeindeoberhaupt gefragt. Hiermit vollzog sich eine inhaltliche Neuausrichtung. Blutsverwandtschaft und Stammeszugehörigkeit waren jetzt nicht mehr ausschlaggebend. Die Gläubigengemeinschaft, die der Islam und der Glaube an den einen Gott vereint und zu »Verwandten« macht, übernahm jetzt diese Funktion. Die Umma (al-Mu‘minin), d.h. die Gemeinschaft (der Gläubigen), ist somit ein religiös begründetes Gemeinschaftswesen.

Entstehung des Koran

Die von Muhammad in wörtlicher Rede wiedergegebenen Gottesoffenbarungen wurden von seinen Gefährten gesammelt, teils auswendig gelernt und circa 20 Jahre nach Muhammads Tod zum Koran zusammengefasst. Der Koran ist in erster Linie »gehörtes Wort« und bedeutet übersetzt nicht das »Buch«, sondern die »Lesung, Rezitation (Qur‘an)«. Die 114 Suren (Kapitel) im Koran sind nicht chronologisch, sondern der Länge nach abfallend angeordnet (außer der ersten Sure). Sie sind unterteilt in mekkanische Suren, die göttlichen Worte, die Muhammad in Mekka von 610 bis zu seiner Auswanderung 622 offenbart wurden, und in die medinensischen Suren, die er seit seiner Emigration in Medina (ehemals Yathrib) übermittelt bekam. Die mekkanischen Suren betonen den Aufruf zum Eingottglauben und die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Taten vor Gott über den Tod hinaus. Sie warnen vor dem jüngsten Gericht und lehren eine allgemeinverbindliche Ethik ähnlich dem Dekalog, der im Koran auch vorkommt. Die medinensischen Suren enthalten dagegen mehr konkrete Gebote, rechtliche Regelungen des Erbrechts, des Strafrechtes und rituelle Vorschriften. Sie thematisieren unter anderem auch die politische Situation der jungen muslimischen Gemeinschaft, ihre (kriegerischen) Konflikte und können so auch zur Legitimierung von Gewalt herangezogen werden.

Die Gläubigengemeinschaft weitete ihren Machtbereich schon zur Zeit Muhammads fast auf die gesamte arabische Halbinsel aus, einschließlich Mekka. Muhammad schloss einen auch bis heute für das islamische Gemeinwesen beispielhaften Vertrag mit den jüdischen arabischen Stämmen in Medina ab (Verfassung von Medina). Der Vertrag besagte: Freie Religionsausübung, gleiche Hilfeleistungen wie den Muslimen gegenüber bei Kämpfen oder Notsituationen. Dafür keine Verbrüderung dieser mit Muhammad feindlich gesinnten Stämmen. Muhammad führte mehrere Kämpfe gegen die Mekkaner und ihre Verbündeten, aus denen er mehr oder weniger siegreich hervorging. Ab 632 mit seinem Einmarsch in Mekka schlugen sich fast alle bis dahin feindlichen Clanführer zunächst auf seine Seite. Muhammad erteilte ihnen Generalamnestie und wählte die von Götzenbildern befreite Kaaba als Wallfahrtsziel und Kultstätte. Die Riten seiner Wallfahrt und Kaaba-Umkreisung, die er dort 632 vollführte, werden bis heute penibel befolgt. Im gleichen Jahr starb er, ohne seine Nachfolge abschließend geregelt zu haben.

Die Hauptrichtungen Sunniten und Schiiten - Streit unter Glaubensbrüdern

Deshalb kam es gleich zu ersten Streitigkeiten innerhalb der jungen muslimischen Gemeinde bezüglich der Nachfolge Muhammads. Endgültig spaltete sich diese nach dem Tode Ali ibn Abu Talib‘s, des vierten (nach schiitischer Auffassung ersten) Kalifen und Schwiegersohns Muhammads, in die für Ali und seine Söhne Hussein und Hassan (Schi‘a = Partei) Partei ergreifenden Schiiten und die später als Sunniten (Sunna = die durch Muhammad vorgelebte Offenbarungsinterpretation des Koran) bezeichneten Anhänger der omayyadischen Kalifen (661-750). Als Hussein in den kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten in Kerbela (Irak) 680 den Märtyrertod fand, war die Trennung unwiderruflich vollzogen.

Unterschiedliche Führungsqualitäten

Die Nachfolge Muhammads und damit die Leitung der Umma durften nur Persönlichkeiten (Kalifen) übernehmen, die aufgrund ihrer Lebensführung als Vorbild dienen konnten. Der Kalif muss für die Schiiten - im Unterschied zu den Sunniten - aus der direkten Verwandtschaft mit dem Propheten Muhammad stammen. Eine direkte Nachkommenschaft ist jedoch nur über die Linie von Muhammads Tochter Fatima und ihrem Ehemann Ali Ibn Abu Talib gegeben. Viele Schiiten glauben an die Wiederkehr des Mahdi, des zwölften (deshalb »Zwölfer-Schiiten«) oder - wie einige schiitische Gruppierungen glauben - siebten (= Ismailiten) Imam, der als Erlöser wiederkommt. Die Zaiditen lehnen den Mahdi-Glauben ab und halten den Sohn Zaid des vierten Imam Ali ibn Hussein für den rechtmäßigen Nachfolger Muhammads und der Söhne Ali ibn Abu Talib‘s Hassan und Hussein.

Dieser Mahdi (= der unter göttlicher Leitung Stehende) ist in die Zeitlosigkeit entrückt und handelt aus dieser Verborgenheit (Ghaibat) heraus. Als »Imam« bezeichnen Schiiten - im Gegensatz zu den Sunniten - nicht nur den Vorbeter in der Moschee. Schiitische Imame sind von Gott beauftragt, nehmen teil am göttlichen Wissen und gelten als sündenlos. Schiitische Rechtsgelehrte handhaben die Auslegung des Koran flexibler als Sunniten. Gerade innerhalb der Zwölferschia hat sich eine geistliche Hierarchie entwickelt, die es bei Sunniten so nicht gibt. Rund 10 bis 15 Prozent der Muslime gehören der schiitischen, der Rest der sunnitischen Glaubensrichtung an. Die Schiiten leben hauptsächlich im Iran und Irak, als Minderheiten im Libanon, Jemen, in Syrien, in der Türkei, in Israel, Albanien, Turkestan und in Pakistan.

Verhältnis zu Andersgläubigen

Muhammad schuf eine Gemeindeordnung, die gesellschaftliche Ideale wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Glaubenseinheit ermöglichen sollte. Die Christen und Juden wurden jedoch der Umma mit fortschreitender Islamisierung der Gesellschaft als »Schutzbefohlene« (Dhimmi) unterstellt. Die Umma sah sich nun vor die Aufgabe gestellt, eine islamische Lebensweise zu gewährleisten, in der jeder Muslim für den anderen wie auch für die Verwirklichung der islamischen Gemeindeordnung verantwortlich war. Die islamische Gemeinde machte keinen Unterschied zwischen einem profanen und religiösen Bereich. Die ideale religiöse Gemeinschaft Umma ist nach muslimischer Auffassung keine Utopie geblieben, sondern zur Zeit Muhammads in Medina in die Tat umgesetzt worden. Muslime greifen auf sie als Ideal einer starken und erfolgreichen muslimischen Gesellschaftsform immer wieder zurück, auch in den islamischen Reformbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ähnlich wie die Thora wird der Koran zum Wegweiser in allen aufkommenden Fragen der Gläubigen. Islamische Theologen haben genauso über die wahre Beschaffenheit des Koran disputiert wie beispielsweise christliche Theologen über die wahre Natur Christi. Jesus ist für den Islam ein Prophet wie viele andere vor ihm, nicht der Sohn Gottes. Aber er gilt als Sohn der Maria, der im Koran eine ganze Sure gewidmet ist (Sure 19) und die als weibliches Vorbild gesehen wird.

Der Koran sucht immer den Kontext der anderen beiden heiligen Schriften Evangelium und Thora. Er bezieht sich auf diese, versteht sich aber gleichzeitig als letztgültige Offenbarung. Im Koran gibt es eine lange Prophetenreihe. Diese Reihe beginnt mit Adam, dem ersten Menschen, und setzt sich nach der Sintflut fort mit Noah, Moses, Jesus bis hin zu Muhammad. Häufig werden im Koran Moses und Abraham erwähnt. Gott hat seit Beginn der Menschheitsgeschichte immer wieder Propheten gesandt. Die Botschaften dieser Propheten wurden jedoch verfälscht. Deshalb greift Gott immer wieder korrigierend ein und entsendet neue Propheten mit der gleichen alten Botschaft, die den vergesslichen Menschen jedoch neu vorkommt. Es kommt so zu Religionsspaltungen und zu neuen Religionen, deren Botschaften jedoch durch Menschenhand verfälscht wurden. Judentum und Christentum gehören auch dazu. (Wild 2001)

Schari‘a oder Tariqa?

Das islamische Recht (Schari‘a) wurde als religiöse Pflichtenlehre konzipiert und regelt das öffentliche wie private Leben. Schari‘a hat übersetzt die Bedeutung »Weg zur Oase«. Sie ist für Muslime Gottes gute Gabe und Rechtleitung. „Der Lebensweg zwischen Wiege und Bahre gerinnt im Sinnbild des Weges zur Wasserstelle als Grundbedeutung des arabischen shari‘ah; wer vom Weg abkommt, verdurstet seelisch." (Behr 2005, S.77) Die Scharia umfasst die gottesdienstlichen Handlungen, ethische Grundsätze für jeden Muslim, familienrechtliche, strafrechtliche und sozialpolitische Bestimmungen. Sie ist aber nie abschließend kodifiziert worden. Heute ist sie meist eine Kombination aus traditionellem und modernem europäischem Recht.

Die islamische Mystik ist mit ihren religiösen Orden (Tariqa) den nicht allen zugänglichen »engeren« Pfad (Tariq) der asketischen inneren Versenkung gegangen. Ihr geht es weniger um die Befolgung der Pflichtenlehre als um Glaubensverinnerlichung unter Aufgabe jeglicher weltlicher Bindung. Ziel ist die »unio mystica«, die höchste Stufe der Gotteserkenntnis und liebenden Vereinigung mit Gott.

Methoden der Rechtsfindung

Der Koran enthält keine komplette Strafrechtslehre und oft auch nur Antworten auf Einzelfragen. So musste das islamische Recht zur Rechtsfindung auch auf zusätzliche Quellen zurückgreifen. Neben dem Koran dient als zweite Rechtsquelle die Sunna. Sie umfasst die überlieferte Lebenspraxis und die Handlungsgewohnheiten des Propheten Muhammad und seiner Gefährten. Hier handelt es sich um Hadithsammlungen (Aussprüche des Propheten) und die durch Muhammad vorgelebte Offenbarungsinterpretation. Als dritter Quelle bediente man sich zur Rechtsfindung des Analogieschlusses (Qiyas) und des Gebrauches der menschlichen Vernunft (Idschtihad). Als vierte Rechtsquelle zog man den Konsens der jeweiligen Gemeinde (Idschma‘) hinzu. Ab dem achten Jahrhundert entstanden die für Muslime noch heute wichtigen Rechtsschulen. Diese Rechtsschulen unterscheiden sich weniger in ihren Inhalten als in unterschiedlichen Mitteln der Rechtsfindung. Heute kann ein Muslim auch Rechtsgutachten (Fatwa) anderer Rechtsschulen einholen. Die heutigen englischsprachigen Fatwa-Online-Dienste konnten die Grenzlinien zwischen den Rechtsschulen aufweichen.

Vergebung und Zuneigung im Islam

Im Koran finden wir den Frieden befürwortende wie die Gewalt legitimierende Textstellen. Es gibt genug Beispiele im Koran wie auch in der islamischen Traditionsliteratur dafür, dass das Verhältnis von Gott und Mensch und der Menschen zueinander geprägt ist von Reue, Vergebung, Zuneigung und Geduld. 113 der 114 Suren (außer Sure 9) im Koran beginnen mit der Eröffnungsformel „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes". Nahezu jede Tat gläubiger Muslime wird mit dieser Formel eingeleitet. Auch der Koran berichtet von der Versuchung Adam und Evas durch den Teufel (Iblis) und ihrer Vertreibung aus dem Paradies. Jedoch trägt Eva daran keine besondere Schuld, und Gott verzeiht Adam, als dieser seine Tat bereut (Sure 20, Vers 122 und 2, 37). Die Erbsünde gibt es im Islam nicht. Frau und Mann sollen als Ehepartner einander in Zuneigung und Geduld begegnen (Sure 30, Vers 21). Die Feindseligkeit begünstigende Charaktereigenschaften des Menschen wie Neid, Hass und Verachtung sollen vermieden werden. Mit den Anhängern anderer (monotheistischer) Religionen soll man miteinander in einen Wettkampf für das Gute eintreten (2,148). Auch müssen nicht alle im Koran beschriebenen Strafandrohungen vollzogen werden (soweit sie nicht die Rechte Gottes betreffen), wenn die koranische Ermahnung, dem Reue zeigenden Täter zu vergeben (Sure 5, Vers 38 f.), beim jeweiligen Kläger und Richter Berücksichtigung findet.

Auch die Deutung von Dschihad ist entsprechend vielschichtig. »Dschihad« ist die Substantivform von »dschahada« und bedeutet »sich bemühen, anstrengen (»auf dem Wege Gottes = fi Sabil-i-llah«). Erst in zweiter Linie kann dieser Begriff mit »kämpfen« übersetzt werden. Er bedeutet aber nicht automatisch Krieg oder gar heiliger Krieg. Der Koran selbst gibt Anlass zu verschiedenen Auslegungen: Einerseits mahnt er die muslimischen Gläubigen zu Geduld auch bei schwerwiegenden Verstößen der Gegner, andererseits lässt er den Krieg zur Verteidigung und als Kampf mit klaren Eingrenzungen zu (Sure 2, Vers 190 -193).

Islam in Deutschland

Dschihad als Selbstaufopferung

Die Diskussion über den Dschihad ist mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen. Mit dem Dschihad verbinden Muslime in Deutschland beispielsweise die Selbstaufopferung auf dem Wege Gottes. Diese kann Gewaltverzicht meinen gemäß der islamischen Mystik, die den Dschihad verinnerlicht und vergeistigt hat hin zum Weg der persönlichen Vervollkommnung. Dschihad kann den Einsatz der »Waffe« des Wortes für die Sache Gottes meinen, jedoch auch den als verdienstvoll angesehenen Einsatz von Vermögen, Gut und Leben bedeuten. (Kaweh 2006, 145 ff.)

Ideale muslimischer Jugendlicher

Im Prinzip geht es immer um Selbstvervollkommnung auf dem Wege zu Gott. Höflichkeit, Aufrichtigkeit, eine angemessene und überlegte Haltung gelten als Ideal auch der islamischen Jugend in Deutschland. Der Islam wird als friedliebend und tolerant gesehen (Kaweh 2007, 59). (Bertelsmann-Studie 2009) Geduldig, aber selbstbewusst sollen diese islamischen Werte in die nicht-muslimische Gesellschaft hinein getragen werden, auch wenn diese durchaus kritisch gesehen wird. (Kaweh 2007, 56ff.)

Islamischer Religionsunterricht

Muslimische Schüler erhalten ihre religiöse Erziehung mittlerweile nicht nur im Elternhaus, in den Koranschulen der Moscheen, sondern auch im deutschsprachigen Schulversuch »Islamische Unterweisung«, der ausgeweitet wird zum bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht. Hier findet sich ein kritisches Hinterfragen, Abwägen und Vergleichen als pädagogisches Erziehungskonzept, das die Erziehungstraditionen einiger islamischer Heimatländer durchaus herausfordern wird.

Selbsterziehung und interreligiöse Kompetenz

Eine Didaktik gegenüber Heranwachsenden müsse die Bereitschaft zur Selbsterziehung fördern, meint Harry Harun Behr, Professor für Islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Deshalb könne man islamische Erziehung heute eher unter den Begriff Tazkiyya (zaka = im Innern gut sein, wachsen, sich läutern) fassen als unter die ursprüngliche Bezeichnung Tarbiyya (yurabbi = aufziehen, ernähren, beibringen) oder Ta‘dib (= das gute Verhalten beibringen). Muhammad sei der ideale »Lehrer« und sein Leben das ideale »Curriculum« (Behr 2005, S.77). Islamische Theologie vermittle zwischen Tradition und Moderne, so Behr. Ein säkular verstandener Humanismus könnte sich aber herausgefordert fühlen. „Der These von der reinen Selbstbildung des Menschen aus eigener Kraft begegnet das muslimische Credo, dass es »keine Macht und Kraft außer Gott« gibt." (Behr, S.77)

Es existieren bereits konkrete Vorstellungen darüber wie islamische Erziehung auch interreligiös im Unterricht umzusetzen ist: Muslime und Musliminnen würden im Koran dazu aufgefordert, im Glauben wie auch im praktischen Zusammenleben „mit denen gemeinsam zu wirken, die bereits über ein eigenes Buch göttlicher Rechtleitung verfügen", schlussfolgert Rabiyya Müller vom Institut für Interreligiöse Pädagogik und Didaktik Köln. Interreligiosität sei dem Islam bereits immanent (Müller 2005, S.144). Junge Muslime sollen sich ungeachtet der Religionszugehörigkeit solidarisch mit allen Menschen fühlen. Muslim zu sein heißt, „nicht zuzusehen wie sich die Menschen schon auf Erden gegenseitig die Hölle bereiten." (Behr 2008, S.12 f.)

Literatur

Behr, Harry (2005): Erziehung und Bildung, S.76-78, in Tworuschka, Udo (Hrsg.): Ethik in den Weltreligionen, Darmstadt.

Behr, Harry (2008): Zeitschrift für die Religionslehre des Islam, Heft 4, Dez. 2008, 2. Jg., S.7-16, Nürnberg.

Bertelsmann-Stiftung (2009): Religionsmonitor 2008.

Kaweh, Silvia (2006): Integration oder Segregation? Religiöse Werte in muslimischen Printmedien, Nordhausen Bautz-Verlag.

Kaweh, Silvia (2007): Religion und Identität - Junge Muslime in Deutschland und das ihnen vermittelte Europabild, in: Orient. Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur des Orients, IV/2007, S.52 - 63.

Müller, Rabiyya (2005): Wie ‚inter‘ ist der Islam, in: Schreiner, Peter (Hrsg.): Handbuch interreligiöses Lernen.

Paret, Rudi (1979): Der Koran, Stuttgart Kohlhammer-Verlag.

Wild, Stefan (2001): Mensch, Prophet und Gott im Koran, Münster Rhema-Verlag.