Aufstieg in die höhere Liga

Extrem Rechte zwischen Rockerclub und Rotlichtmilieu

Die »alte«, klassische Rockerlandschaft gibt es in Deutschland kaum mehr, die Szene hat sich in den letzten Jahren verändert. Die großen Clubs sind Wirtschaftsunternehmen und stehen sich in dem Bemühen Märkte zu erschließen, vielerorts gegenseitig auf den Füßen. Sie sind gezwungen immer neue Fußtruppen zu rekrutieren, die den Einstieg in bestimmte Geschäftsbereiche ermöglichen, das Terrain in einem Stadtteil oder Ort abstecken und dem Club in einem Ausleseprozess neue Mitglieder zuführen. Easy Rider war gestern, heute geht es um Macht und Business. Da ist man nicht allzu wählerisch bei der Auswahl des Fußvolkes ...

Es sind vier große Motorrad-Clubs (MCs) die um Macht- und Marktanteile ringen: Gremium MC, Outlaws MC, Bandidos MC und die Hells Angels. Ihre Unternehmensstrategien lauten: Erschließung von neuen Geschäftsfeldern, freundliche und feindliche Übernahmen und ein Franchising-Prinzip, in dem sich kleinere Clubs in die Support-Gemeinde eines der Großen einreihen (müssen), von dessen Ruf zehren, von diesem Schutz erhalten, sich diesem jedoch unterordnen und ihm zuarbeiten müssen. Alle anderen Personen, die dem Club nahe stehen und ihm nützlich sind, werden mit einer »stillen Mitgliedschaft«, mit einem »Prospect«(Mitgliedsanwärter)- oder »Hangaround«-Status an den Club gebunden. Die »Prospects« und »Hangarounds« haben wenig zu melden, müssen vielfach unbezahlte Drecksarbeit erledigen und dürfen davon träumen, irgendwann einmal in den elitären Kreis der »Fullmember« (Vollmitglieder) aufzusteigen.

Die Anschlussfähigkeit von Neonazis und Rockern

Die Unterwürfigkeit von Neonazis gegenüber Rockern ist augenscheinlich. Der Anschluss an eine Rockergruppe bedeutet für viele extrem Rechte einen »Aufstieg« und mitnichten einen Bruch mit ihren Selbst- und Wertebildern. Machtdenken und der Wille zur Beherrschung anderer sind elementare Bausteine rechter Ideologiegebäude. Extrem Rechte sind stark in einem sozialdarwinistischen, autoritaristischen Denken verhaftet, das heisst: jederzeit bereit, das Recht des Stärkeren (nach oben) anzuerkennen und nach unten durchzusetzen.

Das Abzeichen (Colour), das Selbstverständnis als »Bruderschaft« sowie archaische Initiationsrituale sorgen für »Corporate Identity«. Das Image der »freien Männer« wird sorgsam gepflegt, wenngleich es durch strikte interne Regelwerke, knallharte Hierarchien und einen respektlosen Umgang mit dem, was als Konkurrenz empfunden wird, ad absurdum geführt wird. Die (angeblich) verschworene Gemeinschaft, die das »Unmännliche« verachtet, die sich selbst genug ist, nichts fürchtet und mit tätowierter Muskelmasse ihr Territorium absteckt, hat in der Parallelgesellschaft der Biker hohe Authentizität. Kurzum: Wer möchte sich schon mit seiner Skinhead-Gang auf der Kirmes um die Kreismeisterschaft prügeln, wenn er doch bei den Hells Angels in der vermeintlichen Champions League spielen kann? Neonazis sind ein leichtes Rekrutierungsfeld für Rocker, wenngleich es – insbesondere bei den »großen« Clubs – nur einzelne »nach oben« zu »Fullmembern«, schaffen. Über die Anbindung von Neonazitruppen bieten sich den Clubs Zugänge in bestimmte Regionen (dort, wo Neonazis ein Machtfaktor »auf der Straße« sind) und in bestimmte Geschäftsbereiche, wie zum Beispiel das Business mit Tattoos oder rechtem Lifestyle.

Die Fußtruppen

Das an Schärfe gewinnende Gerangel um Macht und Marktanteile, vielfach mit der medialen Schlagzeile vom »Rockerkrieg« belegt, treibt skurril anmutende Blüten. Die Clubs sind auf der Gratwanderung, einerseits möglichst viele Truppen rekrutieren zu müssen und andererseits ihren Elite-Dünkel zu bewahren. Zu groß, zu unüberschaubar darf eine »Bruderschaft« nicht werden. Und für Straftaten, die von den »Männer fürs Grobe« begangen werden, möchte der Club auch nicht einstehen. Die Lösung bietet sich im Aufbau von Fußtruppen – im wahrsten Sinne des Wortes – denn eine tiefere Verbundenheit mit der Rockerszene, geschweige denn ein Motorrad oder ein Mofaführerschein, wird von diesen gar nicht verlangt. So entstehen Gruppen wie »Berliner Härte«, »Gangmember« (mit Schwerpunkt in der Rhein-Neckar-Region), »Regiment 81« (München) oder »Brigade 81« (Berlin). Viele der Mitglieder kommen aus der Boxsport- oder Freefight-Szene, den Bodybuilding-Studios, dem Hooligan-Milieu – und häufig auch aus der extrem Rechten. Sie sind durch identitäre Labels (beispielsweise »81« = HA = Hells Angels) an »ihren« jeweiligen Club gebunden. Wer Mut, Stärke, Loyalität und Aufopferung beweist oder in irgendeiner anderen Art und Weise nützlich ist, der wird es in den Support-Kreis und irgendwann vielleicht sogar zum Vollmitglied schaffen.

Werdegänge 1

Der Werdegang von Exponenten der extremen Rechten, die den Weg zu Rockergruppen gefunden haben, folgt meist einem klassischen Schema. Beispiel Rhein-Main-Gebiet: Als sich um das Jahr 2005 die »Freien Nationalisten Rhein-Main« (FNRM) hin zur NPD orientierten und auf Weisung der Anführer nun ideologische Schulungen, Parteidisziplin und die »Überwindung der Subkultur« anstand, sahen sich einzelne FNRM-Aktivisten um ihre Erlebniswelt gebracht, die im wesentlichen darin bestand, als »Gang« ihren Machtanspruch in »ihren Gebieten« mit Gewalt durchzusetzen. Mehrere Personen entfremdeten sich von FNRM und NPD und erschlossen sich neuen Erlebnisraum in der Fußball- und Hooliganszene von Eintracht Frankfurt. Sie fanden Anschluss zum Türsteher-Milieu und über Fitness-Studios, in denen sie ihre Muskeln aufpumpten, gerieten sie in Kreise der Händler und Konsumenten von Anabolika. Es dauerte nur wenige Monate, bis sich ihnen die Türen zu Clubhäusern der Hells Angels öffneten und das T-Shirt der Hooligangruppe wurde durch Support-Kleidung der Hells Angels ersetzt. Da manchem die Geduld fehlte, sich im beschwerlichen Ausleseprozess hochzudienen, wanderten einzelne nun zum Hells-Angels-nahen Club »Black Devils MC« weiter. Sie leben heute in einer Zwischenwelt von Fußballszene, sogenannten Rotlicht-Aktivitäten und nach wie vor bestehenden Kontakten zu »alten« Neonazi-Kameraden, mit denen man um die Häuser zieht oder Konzerte besucht. Die neuen Freunde, sei es aus der Fußball- oder Rockerszene, zucken die Schultern: man wisse, dass die Person noch »ziemlich weit rechts« stünde, aber im Clubhaus oder bei der Fußballschlägerei würde er nun mal kein politisches Wort verlieren. Wo, bitte schön, sei nun das Problem?

Werdegänge 2

Augenscheinlich ist die Entwicklung, dass große MCs nicht nur warten, bis Leute Anschluss zu ihnen suchen, sondern sich aktiv bemühen, nützlich erscheinende Gruppen und Personen an- und einzubinden. Dass die Hells Angels in Berlin vor wenigen Monaten Geheimverhandlungen mit dem Bandidos-Chapter Centro führten und diesen den Übertritt von der Bandidos-Bruderschaft in die Hells Angels-Bruderschaft mit angeblich 250.000 Euro schmackhaft machten, zeigt, was eine »gute Truppe« wert sein kann. Bei den Berliner Ex-Bandidos handelt es sich um Personen mit vornehmlich migrantischem Hintergrund. Sie wurden ins Berliner Hells Angels Charter Turkey integriert. Ein Anhänger sieht sich daraufhin im Hells Angels-Gästebuch veranlasst, gegen die Bandidos zu wettern: »Also, was sich diese B...... im Norden erlauben ist doch der Oberhammer. Das Gesindel hängt jetzt in ganz Deutschland nur noch mit dem Scheiss rechten Gesindel rum. Sogar eine ganze N.D führungsrige haben die jetzt übernommen. Aber damit schneiden die sich ins eigene Blut. Seit dem es Hells Angels MC Turkey gibt, sollen alle wissen wo und wer zu wem steht.« (Fehler im Original). Dass sich die Berliner Hells Angels bis heute stark aus der rechten Hooliganszene des Fußballvereins BFC Dynamo Berlin rekrutieren, wird dabei genauso ausgeblendet, wie die Tatsache, dass nur wenige Wochen später die Polizei im brandenburgischen Fürstenwalde, 60 Kilometer von Berlin entfernt, vier Männer aus dem Kreis der Hells Angels festnahm, die rassistisch motivierte Überfälle auf Flüchtlinge begangen haben sollen.

Die nachfolgend in einem eigenen Artikel beschriebene Expansionsstrategie der Hells Angels in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zeigt auf, dass zum Strukturaufbau flächendeckend auf Neonazis zurückgegriffen wird. Dass selbst bekannte Neonazis aus Mittelhessen, so beispielsweise von der »Kameradschaft Vogelsberg«, die überhaupt erst seit dem Jahr 2009 im Umfeld der dortigen Hells Angels festgestellt werden, nun kurzerhand in Kutten des Hells-Angels-Support-Clubs »Red Devils« gepackt und zur Verstärkung nach Niedersachsen beordert wurden, zeigt zudem den hohen Organisierungsgrad des Unternehmens.

Grenzverläufe

Die große Frage ist, wie verträglich die zunehmende Identifizierung mit den MCs mit politischem Aktionismus ist. Denn die Clubs haben kein Interesse, dass sich vor ihren Treffpunkten neben den Observationsteams der polizeilichen Abteilung »Organisierte Kriminalität« nun auch der Staatsschutz einreiht. Denn das schafft Angriffsfläche und gefährdet die Geschäfte. Dass manche Clubs auch multiethnisch zusammengesetzt sind, lässt weiter vermuten, dass sich eine »White Power«-Szene dort mittelfristig kaum wird etablieren können.

Was wird nun aus den Neonazis werden? In den Orten, beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet, in denen die Neonazis wenig Macht und Dominanz ausstrahlen und in denen selbst das »Milieu« multiethnisch aufgestellt ist, werden sie, je mehr sie sich an die Clubs binden, ihre politischen Aktivitäten und Ambitionen einschränken bzw. zurückstellen müssen. Organisationen wie die NPD werden für »ihre« Aktivitäten – Aufmärsche, Wahlkämpfe und Flugblattaktionen – Mitstreiter verlieren. Doch das Problem verschwindet nicht, es verlagert sich. Biker-Treffs bieten Raum und Schutz für extrem rechte Konzerte. Das Business mit rechtem Lifestyle wird mit dem Knowhow und unter dem Schutz der Bikertruppen erheblich professioneller und schwerer angreifbar. Neonazis erlangen beispielsweise über den Zugang zu Türsteher-Jobs Macht und Einfluss, wenngleich sie sich bei der Arbeit häufig »zurückhalten« müssen. Was aus einem der zuvor beschriebenen ehemaligen Schläger der FNRM wird, muss nun das Gericht beantworten: Er sieht einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Drogenhandel entgegen.

Eindeutigkeit

Eine differenzierte und genaue Betrachtung des Verhältnisses zwischen den Rockerclubs und Neonazis ist wichtig: Wer mit der Support-Kleidung eines Clubs posiert ist noch lange kein »Member« oder »Prospect«. Und so schnell wie die Begeisterung einzelner Neonazis für Rockergruppen entflammt, so jäh endet sie auch, wenn ihnen klar (gemacht) wird, dass diese Liga für sie einfach zu hoch ist.

Doch je stärker die Position der Neonazigruppen in den einzelnen Regionen ist, desto selbstbewusster werden sie »ihre« Politik in den Clubs vertreten können bzw. in einzelne hinein tragen können.

Hoch problematisch sind die Entwicklungen in einigen kleineren MCs. Kann tatsächlich alles nur Zufall sein, wenn ein Club seine Homepage »Heimatseite« nennt, diese mit dem Zahnrad schmückt (das Zahnrad war unter anderem im Nationalsozialismus Teil der Organisationssymbolik der »Deutschen Arbeitsfront«) und zum 33-jährigen Bestehen Shirts herstellen lässt die den stilisierten Reichsadler zeigen, der in seinen Klauen die Zahl »33« trägt?

Und sind Neonazis schon Teil der Rockerszene, wenn sie so tun, als wären sie welche? In der südhessischen Bergstraße und im Odenwald rekrutiert eine Gruppe namens »Old Germans Nomads« massiv Personen aus der extremen Rechten. Um Streitigkeiten bei »Gebietsansprüchen« zu vermeiden, sind die »Old Germans Nomads« kein »offizieller« MC, kopieren jedoch den Rocker-Habitus bis ins Detail: Als Gruppenabzeichen dient ein eisernes Kreuz mit Totenkopf, Mitglieder heißen Member und wer mitmachen will durchlebt eine »Anwärterzeit« von sechs Monaten und darf in dieser Zeit noch kein »Vollcolour« tragen. Von den großen Rocker-Clubs der Region wurden sie einige Zeit teils umworben, teils misstrauisch beäugt. Die meisten Mitglieder der »Old Germans Nomads« sind eng mit der Neonaziszene im Rhein-Neckar-Kreis verbunden. Einzelne nehmen an neonazistischen Aufmärschen teil, etliche Member kommen aus der ehemaligen »Kameradschaft Bergstraße« oder aus dem Umfeld der rassistischen Hammerskins. Dass der »Old Germans MC Nomads« nicht in der »Champions League« spielt, lässt sich für die dort untergekommenen Neonazis verschmerzen. Der Club vermittelt zumindest das Gefühl, eine Liga über der Kameradschafts-Kreisklasse zu spielen.

Ob der Club tatsächlich in den oberen Ligen mitspielen kann, werden die nächsten Monate zeigen. Nachdem sich führende Old Germans der Bandidos-Support-Gemeinde anschlossen, rückten am 15. Mai die Mannheimer Hells Angels uneingeladen zur Gartenparty an. Die Old Germans riefen die Polizei, die mit einem Großaufgebot Schlimmeres verhinderte.

Der Friedensschluss

Am 26. Mai diesen Jahres vereinbarten die Hells Angels und Bandidos mit großer Medienbegleitung eine Art Waffenstillstand: Die »Territorien« wurden ausgehandelt und sollen in Zukunft respektiert werden, ausserdem sollen ein Jahr lang keine neuen Chapter und Charter der Clubs entstehen. (Bei den Bandidos heißen die lokalen Gruppen Chapter, bei den Hells Angels hingegen Charter.) Verkündet wurde der Frieden unmittelbar vor der Innenministerkonferenz, in der die Möglichkeiten für ein bundesweites Verbot von Hells Angels und Bandidos ausgelotet wurden. Demnach überwiegen Zweifel, wie »ernst« diese Inszenierung zu nehmen ist. Doch sollte der »Friedensschluss« tatsächlich Bestand haben und auch die Support-Gemeinden und die Fußtruppen erreichen, dann könnte die Massenrekrutierung beider Seiten zumindest vorläufig ein Ende haben – und die Straßenschläger und Neonazis, die man bislang mit offenen Armen aufnahm (da es für sie allerlei Verwendung gab) würden nun vor so manch verschlossener Clubheimtür stehen. Dies würde jedoch auch bedeuten, dass viele von ihnen mangels Alternative in ihren Kameradschaften und Neonazibanden verbleiben. Gewonnen wäre dadurch auch nichts.

Geschichte

Dass sich Neonazis Rockergruppen anschließen, war bereits nach dem Verbot der rechtsterroristischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« im Jahr 1980 zu beobachten. Mitglieder der Hoffmanntruppe schlossen sich dem »Stander Greif MC« an, ein neonazistischer Rockerclub mit Sitz im Stuttgarter Raum und Ablegern in verschiedenen Bundesländern. Das Symbol (Colour) von Stander Greif, ein Schwert auf dem Buchstaben »H«, war dem Truppenkennzeichen der 9. SS-Panzer-Division »Hohenstaufen« nachempfunden. Die »Nazi-Rockerclubs«, die in den 1980er Jahren aktiv waren, neben dem »Stander Greif MC« auch der »MC National« und andere, gibt es heute nicht mehr. Sie lösten sich auf, viele ihrer Mitglieder wanderten in größere Clubs weiter.

Der Artikel erschien im Januar 2010 in dem Buch »Dunkelfeld – Recherchen in extrem rechten Lebenswelten rund um Rhein-Main«, herausgegeben von argumente. Netzwerk antirassistischer bildung et. al. Er wurde für diese AIB-Ausgabe überarbeitet und aktualisiert.